20. Juni 2014 - Dom St. Nikolai Greifswald

20. Juni 2014 - Geistliche Morgenmusik bei der Greifswalder Bachwoche

20. Juni 2014 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Johannes 3, 16-18 anlässlich der Kantate Johann Sebastian Bachs „Also hat Gott die Welt geliebt“ BWV 68

Ich lese die Verse 16-18 aus dem 3.Kapitel des Johannesevangeliums, die der Kantate zugrunde liegen:

16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.

Liebe Bachwochengemeinde,

a) mit getragenen, fast melancholischen Klängen beginnt die Kantate, die wir gerade gehört haben. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er uns seinen eigenen Sohn gegeben“. Sie führt uns in einen der zentralsten Abschnitte des Neuen Testamentes im 3. Kapitel im Johannesevangelium. Zu Zeiten von Bach, war dieser Abschnitt dem Pfingstfest zugeordnet. Das ist etwas merkwürdig, da die Themen des Pfingstfests überhaupt nicht anklingen; weder im Bibeltext noch in den Texten der Kantate. Stattdessen führt uns der Bibeltext in die Weihnachtszeit. In der jetzt gültigen Ordnung der Lesetexte für die Feiertage im Kirchenjahr ist dieser Abschnitt für den Heiligen Abend vorgesehen. Das passt schon eher. Und auch Bach schlägt beinahe weihnachtliche Töne an. Sowohl im Eingangschor, wie in der Bass Arie wird das Weihnachtsfest, also die Geburt von Jesus, angesprochen. Allerdings mag beim Eingangschor - trotz Dreiertaktes - keine Wiegenstimmung aufkommen. Vielleicht sind die Themen, die sich in den Worten verbergen zu groß und wissen auch schon zu viel um die Passion Christi. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

b) Im Eingangschor, im Rezitativ, und im Schlusschor liegt dieser Bibeltext im Hintergrund. Mit kurzen knappen Worten wird hier gesagt, was das Evangelium ist und was es bei denen bewirkt, die es annehmen. Keineswegs bescheiden kommen die Worte daher. Alle großen Themen werden hier aufs Tablet gelegt:

·         Zuerst Gott: Was wurde und wird nicht alles über Gott gesagt, gedacht und in seinem Namen getan, Gutes wie Schlechtes, von der helfenden Tat von Mutter Teresa bis zur 250-fachen Mädchenentführung der Boko Haram. Wer ist Gott? So muss man hier fragen. Ist er nicht eindeutig? Die ganze Theologie ist hier auf den Plan gerufen.

·         Dann die Welt: Was die Welt ist und was sie zusammenhält, das bemühen wir Menschen uns zu verstehen, seit es Menschen gibt. Wir dringen immer tiefer in die Geheimnisse der Natur ein. Auch der Mensch selbst ist dabei Gegenstand unseres Forschens und unserer Neugierde. Und obwohl wir soviel wissen, wie noch nie in der Geschichte der Menschen, wissen wir immer noch nur einen Bruchteil über uns und die Welt.

·         Liebe: Was ist Liebe? Liebe, das ist etwas ganz Großes. Worte reichen meist nicht aus, um zu beschreiben, was Liebe wirklich ist. Zu komplex ist das, was sich hinter diesem großen Wort verbirgt. Und dennoch heißt es hier ganz einfach, dass Gott die Welt geliebt hat. Was bedeutet das?

Und dann geht es weiter: Glauben, Gottes Sohn, verloren gehen, Gericht, ewiges Leben. Und in seiner Kantate fügt Bach noch hinzu: Sünde und Schuld. Die ganze Dynamik und der ganze Reichtum der christlichen Botschaft kommt hier zum Zuge. Doch diese großen Worte, sie verstehen sich nicht von selbst. Für viele sind sie leer geworden.

Das EKD-Zentrum für Predigtkultur in Wittenberg hatte in diesem Jahr dazu aufgerufen, in der Fastenzeit vor Ostern in der Predigt auf die großen Worte zu verzichten. „7 Wochen ohne große Worte“. Doch ohne große Worte geht es nicht so einfach. Aber es stimmt auch das andere: die großen Worte alleine richten es nicht aus. Sie dürfen keine Worthülsen sein, sondern müssen mit Herz und Verstand gefüllt werden.

c) Vor zwei Wochen widmete der Spiegel sein Titelthema der Frage: „Ist da jemand? Die Zukunft der Religion: Glaube ohne Gott?“ Der Leitartikel deckt auf, dass es auch der Kirche verbundenen Menschen schwer fällt, bestimmte Vorstellungen von Gott zu übernehmen. „Es ist schwierig geworden“, so der Spiegel, „jeden Tag in den Nachrichten die Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften zugeführt zu bekommen und sich Gott als Person vorzustellen.“ (Der Spiegel, Nr. 24/2014, 58-65.) Doch Gott als Person, das ist geradezu die Voraussetzung dafür, dass Gott die Welt liebt. Etwas Numinoses und Undefinierbares kann nicht lieben. Nur eine Person, ein Du, ein Gegenüber kann lieben. Doch nicht nur Gott hat es schwer heutzutage. Der Spiegel hält auch fest, dass das große Wort der Atheisten brüchig geworden ist. Die Vernunft ist kein Ersatzgott mehr. Wissenschaftliches Denken selbst hat gezeigt, dass die Vernunft perspektivisch ist und Irrationalitäten in sich trägt. Und, das ist inzwischen auch klar, wo es Gott nicht mehr gibt, bewegt man sich an der Klippe des Nihilismus. Braucht es also so etwas wie einen Glauben ohne Gott?

Die Leserbriefe bieten eine Palette von Antworten. Manche Kommentare verlassen dabei die Regeln von fairer Kommunikation. Eines ist dabei deutlich. Es geht längst nicht mehr nur um die Kirche, die viele Fehler macht. Es geht um Gott selbst, egal welcher Konfession oder Religion. Ganz zu schweigen vom Gott, der die Welt liebt und seinen Sohn für sie gibt.    

d) Es wird sie nicht überraschen, dass ich als Bischof eindeutig Position beziehen werde. Doch tue ich es nicht allein meines Amtes wegen, sondern als Christ, der von Gott geliebt ist und diese Liebe erfahren hat.

Die große Worte des Glaubens, sie sind nicht selbstverständlich. Und dennoch, als Christen können wir nicht auf die großen Worte verzichten. Wenn das nicht mehr gilt, dass Gott die Welt geliebt hat und seinen Sohn gegeben hat, um die Welt zu retten, dann sollten wir in der Tat besser schweigen. Denn alles, was wir dann noch sagen könnten, das haben andere schon gesagt oder könnten andere besser sagen als wir. Dann würde der Schreiber eines Leserbriefes Recht behalten, der in der ganzen Debatte nur „die geistigen Probleme einer Minderheit von Menschen [sieht], die immer noch versuchen, aus der widersprüchlichen und anachronistischen christlichen Theologie ihren Glauben abzuleiten“. (Der Spiegel, Nr. 25 / 2014, 8.) Wenn aber doch etwas dran ist, an der Sache mit Gott, dann haben wir etwas zu sagen. Und dann müssen wir anfangen, die großen Worte neu durchzubuchstabieren, sie neu mit Inhalt zu füllen.

Bach bringt mich hier auf die Spur. Darum wende ich mich noch einmal der Kantate zu. Fast scheint es mir so, dass der getragene Eingangschor, trotz aller Worte, und gerade trotz der großen Worte, nicht zum frohen Glauben durchbricht. Die großen Themen werden hin und her bewegt. Aber es bleibt schwer, mit ihnen zu hantieren.

Doch dann kommt die Arie des Soprans „Mein gläubiges Herze, frohlocke und scherze, dein Jesus ist da!“ In leichten, fröhlichen Tönen kommt die Musik daher. Bach führt auf gewisse Weise vor, was der Glaube bewirkt. Er macht das Leben nicht schwer, sondern leicht und beschwingt. Jammer und Klagen behalten nicht das letzte Wort. Es ist, als ob Bach uns vormusiziert: „Hört her, so fröhlich ist der Glaube.“

e) Die großen und schweren Worte, sie werden leicht, wenn Jesus da ist. Und nun springe ich mit Ihnen an das Ende des Johannesevangeliums. Am Abend des ersten Ostertages waren die Jünger versammelt. Sie hatten Angst, sie waren verunsichert. Große Worte, wie Petrus sie noch drei Tage vorher im Mund geführt hatte, sie waren alle verflogen. Doch dann kommt Jesus in ihre Mitte. Und er hat Zeit für sie. Und in seiner Gegenwart wandelt sich die Angst in Freude. Ihre Gewissheit kommt zurück und ihr Herz wird froh. Begeistert erzählen sie ihrem Freund Thomas davon. Doch Thomas winkt ab: Wenn Jesus selbst nicht zu ihm komme, dann sei die Sache mit Jesus für ihn vorbei. Anders gesagt: Die großen Worte, sie sind leer für Thomas. Dann geschieht es. Eine Woche später. Es ist wieder Sonntag. Diesmal ist Thomas dabei. Und Jesus kommt wieder in die Mitte der Jünger. Die Skepsis des Thomas verflüchtigt sich. Thomas bekennt, man könnte fast sagen mit bachschen Worten: „Mein Jesus ist da. Mein Herr und mein Gott.“

Thomas hat es erfahren, dass Gott ihn liebt. Und diese Liebe ist ihm in Jesus Christus bewusst geworden.

Liebe ist nicht an den Dingen ablesbar. Nicht, weil mich meine Frau oder mein Mann mit großen und teuren Dingen beschenkt, spüre ich, dass ich geliebt bin. Auch bei Gott spüren wir seine Liebe nicht daran, dass er uns Glück, Gesundheit, Erfolg oder Wohlstand schenkt. Entscheidend ist nicht, wie viel und wie Großes jemand schenkt, sondern dass ich spüre, der andere meint wirklich mich, unverwechselbar mich. Sein oder ihr Interesse gilt mir als Person. Er liebt mich nicht, weil ich etwas habe, sondern weil ich bin, so bin, wie ich nun einmal bin.

Auf Kommando kann man nicht lieben. Denn bei der Liebe ist man mit seiner ganzen Person beteiligt, mit seinem ganzen Herzen. Lieben bedeutet sich hinzugeben an ein Gegenüber, an ein Du. Und in Jesus Christus zeigt Gott uns seine ganze Liebe. Er öffnet sein Herz. Er gibt sein Wertvollstes, seinen Sohn, um meinetwillen. Er kommt ganz tief herab auf meine Stufe und wirbt um meine Liebe. Ich bin geliebt. Ich bin von Gott geliebt. All mein Glaube ist nichts anderes, als eine Antwort, ein Wiederlieben (Helmut Thielicke), ein fröhliches Echo auf die Liebe, die Gott mir entgegen bringt.

Man kann über Gott im Zweifel sein, dazu gibt es viele gute Gründe. Wer das Leid der Welt um sich herum sieht, der kann viel entdecken, was gegen Gott spricht. Und dass ein Gott diese Welt lieben könnte, das ist mehr als unwahrscheinlich, wenn man sieht, wie wir Menschen miteinander umgehen und wie Menschen Gott den Rücken zukehren. Doch Jesus Christus zeigt uns, dass es doch anders ist. Er gibt Gott ein Gesicht. In Jesus Christus zeigt sich Gott als ein Gegenüber. Nicht eine höhere Macht, ein alles durchdringendes Prinzip oder einfach eine Leerstelle für die Dinge, die wir noch nicht benennen können ist Gott. Sich selbst, so wie er ist und wie er von uns geliebt werden möchte, das zeigt er uns in Jesus.

Einen Glauben ohne Gott, das kann man vielleicht einmal ausprobieren. Aber warum sollte man sich mit so wenig zu frieden geben, wenn Gott selbst doch so viel mehr anbietet?

Thomas, Johannes, Bach und viele andere haben dies erlebt. Sie haben gespürt, in Jesus, da begegnet mir die Liebe Gottes, ja Gott selbst ist da.

f) Gott liebt diese Welt. Wir müssen dieses große Wort neu füllen, neu durchbuchstabieren. Diese Aufgabe bleibt für Christen, in einer Welt, in der Gott nicht selbstverständlich ist. Doch Glauben bedeutet mehr, als die großen Worte wieder salonfähig zu machen. Glauben bedeutet von Gott geliebt zu sein und seine Liebe zu erwidern. Ja, wie Thomas und Bach zu sagen und singen: „Frohlocke, sing, scherze, mein Jesus ist da.“

Amen. 

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