Kreuzkirche Hamburg Barmbek - Miserikordias Domini

22. April 2012 - Predigt zu Joh 10, 11ff

22. April 2012 von Kirsten Fehrs

Gratulation zum Fünfzigsten, liebe Kreuzkirche und liebe Festgemeinde! Von Herzen Glück und Segen wünsche ich ihr und Ihnen.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen

Gratulation zum Fünfzigsten, liebe Kreuzkirche und liebe Festgemeinde! Von Herzen Glück und Segen wünsche ich ihr und Ihnen. Ich bin sehr dankbar, dass Sie mich wieder einmal zum Predigen und Feiern eingeladen haben, obwohl ich gar nicht mehr ihre Pröpstin bin… Fünfzig Jahre Kreuzkirche, das heißt: Kirche mittendrin. Nicht erst seit es Barmbek Basch gibt; nein, schon immer empfand ich die Kreuzkirche als echte Barmbekerin. Eine mit Herzens (-und Fuß)wärme. Eine, die den Menschen nahe ist, die hier leben. Mit klarer, geradliniger Form und modernem Inhalt. Sie gibt den Menschen Heimat und eine Vorstellung davon, was wirklich trägt im Leben: der Glaube. Hoffnung. Liebe. Gottes gutes Wort eben zur rechten Zeit. Ausgesprochen, angenommen, hingesungen, erfleht, musiziert – Gottes Wort in so vielfältiger Gestalt, tröstend und lebensnah. Das fand und findet hier statt. Fünfzig Jahre nun schon.

Wenn man fünfzig wird (- ich weiß, wovon ich rede –), dann hat man schon eine Menge hinter sich. Da war schon manch Restaurierung fällig und zartes Makeup, da brauchte es manch Kitt für den einen oder anderen Sprung. Das Alter wird sichtbarer – und gut so: Es erzählt vom Leben, das gelebt wurde. Es erzählt von besonderen Feierstunden und dem Alltag einer Gemeinde. Erzählt von unzähligen Taufen und Ja-Worten, von regen Konfirmanden in den hinteren Bänken und von aufgeregten Musikern in den vorderen. Es erzählt von langen Jahren des Zusammenwachsens dreier Kirchengemeinden, mühsam oft und mit tiefen Tälern, und es erzählt zugleich von Aufbruch und „baschigem“ Neuanfang. Am Fünfzigsten erinnert man das alles. Und vielleicht geht es Ihnen wie mir: Nach und nach stellen sich Bilder ein. Von Menschen, die einem etwas bedeutet haben, von dem Platz, auf dem man immer saß. Von ganz stillen Momenten, die eine tiefe Freude bargen oder erschütterte Trauer. Von aufgelegten Händen, unten denen man die Kraft des Segens tatsächlich gespürt hat.

Vor fast genau 30 Jahren habe ich das hier bei einer Konfirmation erlebt. Stand hier vorn, gemeinsam mit Klaus Lockenvitz, dem damaligen Kirchenmusiker. Er am Klavier mit lauter Triolen. Und ich am Mikrofon, singend. Liebe ist nicht nur ein Wort. Liebe, das sind Worte und Taten. Progressiv ging´s hier zu in der Kreuzkirche, nicht nur damals, mit Worten und Taten.

In der Tat so passend für diese Gemeinde: Liebe ist nicht nur ein Wort. Denn das wussten, das wissen wir alle hier. Liebe geschieht. Ja, sie überfällt einen. So, dass man gar nicht anders kann, als sich zu freuen, dass der andere, die andere auf der Welt ist. Das Kind. Der Mann. Die Frau. Direkt neben dir. Und so reißt sie einen hin, die Liebe. Rührt einen bis ins Innerste. Und das Geheimnis des anderen wird immer tiefer und schöner, je mehr ich mich für sie oder ihn interessiere.

Liebe ist viel mehr als irgendein Wort. Sie ist Gottes Wort in dieser Welt. Sie ist die Zuneigung des Ewigen im Himmel zu uns Menschenkindern auf der Erde. Aus lauter Liebe werden wir geboren und in die Welt geworfen. So will es Gott. Und so Gott will werden wir am Ende des Lebens umsorgt und geliebt diese Erde auch wieder verlassen. Liebe, so viel mehr als Worte, ist Anfang und Ende, ist A und O unseres Lebens. Deshalb ersehnen und begehren wir sie, genießen und besingen wir sie, nehmen sie beglückt ins uns auf. Denn wir brauchen, um Mensch zu sein, diese Zärtlichkeit und Herzenswärme. Und warme Füße meinetwegen auch. Wir brauchen es, gesehen zu sein und anerkannt, um andere zu sehen und anzuerkennen. Brauchen die gereichte Hand, um für andere ein offenes Ohr zu haben. Wir brauchen die Beziehung zu wenigstens einem Du, sonst verkümmert das Ich zum alleinigen Ich.

Ich bin`s. Ich bin es, der dich liebt. sagt Christus. Und mit unserem Predigttext sagt er auch, wie: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben… Und ich habe noch andere Schafe“, fügt er hinzu, „die sind nicht aus diesem Stall; doch auch sie werden meine Stimme hören…, und niemand wird auch nur eines aus meiner Hand reißen.“

Der gute Hirte, er ist die Liebe in Person. Er gibt sich uns verliebt hin. Und er gibt damit nicht allein uns, sondern auch den Fremden und Unerkannten, was wir, was sie zum Leben brauchen: Geborgenheit. Gekanntwerden. Angenommensein. Vertrauen ins Leben. Kurz: das Leben in Fülle. Denn mir soll, „mir wird nichts mangeln“, heißt es schon im Psalm 23. „Sondern Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen ein Leben lang.“

So alt sind diese Worte, liebe Gemeinde, und doch berühren sie mich immer wieder neu. Das mag daran liegen, dass der, der diese Worte schrieb, wusste, was ein tiefes Tal ist. Dass er etwas wusste von Lieblosigkeit. Von Hass und Streit. Von Unfrieden mit sich selbst. Von Verlorenheit. So wie wir es ja in unserer Realität kennen. Wir wissen ja auch in diesem aufstrebenden Stadtteil von Armut und Not, wissen, wen man schützen oder besonders achtsam begleiten muss, ahnen oft, wem es an Lebenskraft mangelt und gutem Wort. Und gerade dahinein die Zusage zu wagen, ist Aufgabe der Gemeinde Jesu Christi. Zu sagen: Der Herr ist auch dein Hirte, dir wird nichts mangeln. Egal, aus welchem Stall du kommst. Du und ich, wir werden bleiben im Hause des Herrn immerdar. Und dies mitnichten erst im Jenseits! Sondern diesseits, in diesem Hause Gottes mit Namen Kreuzkirche wird das Liebeswort real, da wird gehandelt. So wie es der Name des heutigen Sonntags sagt: Miserikordias Domini: wir möchten in dieser Kirche doch bitte voll sein des Erbarmens und der Güte Gottes! Denn die Lebensfreude aller, das ist das Ziel.

Wie passend, den 50. Geburtstag der Kreuzkirche nun just an diesem Sonntag der Lebensfreude zu feiern, liebe Gemeinde. Denn mit fünfzig hat man nicht nur viel hinter, sondern auch viel vor sich. Jedes Kreuz, jede Kreuzkirche erinnert an die Zukunft des Auferstandenen. Ostern geht ja weiter. In unserer Gemeinschaft, in unserem Leben. Von dem Auferstandenen Zeugnis zu geben, sind wir hier. Jeden Sonntag. Im Alltag. Um von der Fülle zu erzählen, ohne den Mangel zu verleugnen.

Ein wunderbares Beispiel dafür, liebe Gemeinde, ist Ihre Festschrift zum heutigen Jubiläum. Seite um Seite, Bild um Bild erzählt sie von dem, was Menschen in dieser Gemeinde erfüllt. Die Freundschaft, das Insichgehen, der stille Ton, die Vielstimmigkeit, Friedenssehnsucht und das Kinderlachen, die Tränen, die jemand mit weint und die Musik, die jemanden froh macht. So lebensnah erzählen die Menschen von dem Auferstandenen, der uns damit zeigt: ich bin es, der euch liebt. Behütet. Ich bin der gute Hirte.

Was für ein schönes Bild. Der gute Hirte.

Und wir? Wir sind die Schafe…

Zugegeben, liebe Gemeinde, zu diesem Teil des Bildes hatte ich immer ein leicht gebrochenes Verhältnis. Haftet doch den Schafen immer etwas so wenig Emanzipiertes, um nicht zu sagen „Treudoofes“ an. Hirtin, Pastorin will ich gern sein, aber ein Schaf? Womöglich ein Schaf, das seinem Hirten / seiner Pastorin willenlos hinterher trottet? Auch wenn man bei einer so liebevollen Hirtenbesetzung wie jetzt, liebe/r Walter Günther und Angela Rosenthal-Beyerlein und Ronald Einfeldt und bei den vielen, die hier noch gewirkt haben, durchaus Ausnahmen machen würde…

Ich bin ja als Dithmarscherin einigermaßen schafsnah groß geworden. Und die erhellende Recherche ergibt: Schafe lassen sich überhaupt nicht leiten und führen. Vielmehr sind sie schreckhaft, langsam und stur. Unter Umständen laufen sie auch einem weißen Auto hinterher, wenn sie meinen, das sei ein attraktiver Artgenosse. Das heißt für den guten Hirten: Er weiß, dass er für seine Schafe nur sorgen kann, nicht über sie bestimmen. Das Bild vom Hirten ist herrschaftsfrei. Es ist ein Bild gelungener, vertrauensvoller Beziehung, in der man miteinander in Kontakt ist. Eine Beziehung der Zuneigung, „wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater“, heißt es im Predigttext. Deshalb macht der Hirte vor allem eins. Er weidet die Schafe. Er gibt ihnen einen Schutzraum, in dem sie unbehelligt wachsen können. Der Hirte führt nicht, er folgt seinen Schafen. Vorzugsweise den gefährdeten, den eigenwilligen, den seitlich umgeknickten und schwarzen Schafen, dass sie ja nicht verloren gehen. Und droht Gefahr, Chaos und tiefes Tal, dann hebt er die Stimme. Lockt mit Klang. Schwingt das Wort und nicht das Zepter.

Was uns das heute sagt, an einem Jubiläum wie Ihrem? Ich finde, es ist gelungen, über so lange Jahre hin zusammen zu bleiben und miteinander zu gehen, über Höhen und durch Tiefen. Herde und Hirten gemeinsam. Es ist gelungen - und hier danke ich ausdrücklich all den so unglaublich engagierten Ehren-und Hauptamtlichen! - die Gemeinschaft zu pflegen wie einen Schutzraum, in dem keiner verloren geht. „Hier wird niemand vergessen, sagt die Seniorin in der Festschrift, und deshalb ist dies meine Kirche.“ Kirche, in der gefeiert wird und Trauer geteilt, in dem der Sommer für die Seele grünt und Lasten vom Herzen fallen. Sodass die Seele wieder singen kann und das Herz leicht wird.

Nun also: Sollt ich meinem Gott nicht singen? Sollt ich ihm nicht dankbar sein? Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. Und da ist sie wieder – am Ende wie am Anfang: die Liebe. Es ist die Liebe, die uns trägt durch die Zeiten. Es ist nicht die Vernunft, die Erklärung, das Verstehen, es ist nicht Enträtselung eines Geheimnisses. Es ist Liebe, unerworben, maßlos und beständig. Liebe, so unerhört tröstlich, weil sie groß ist wie das Meer, in dem die Tränen der Trauer und des Lachens aufgefangen sind. Liebe, die mehr ist als ein Wort. Liebe, die sichtbar wird in den Taten so vieler Menschen, die unter uns sind und ebenso der Menschen, die es nicht mehr sind. Liebe, die bleibt. Auch wenn man fünfzig wird. Oder irgendwann hundert.

Bleibt mir, Euch und Ihnen von Herzen dies zu wünschen: Geht mit dem Segen dessen, der euch liebt! Geht mit ihm, der euch behütet ein Leben lang. Sodass Ihr zum Segen werdet – und in der Welt die Liebe Wirklichkeit wird, so wie es der gute Hirte für uns alle ersehnt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, der auferstanden ist von den Toten. Amen

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