22. Juni 2014 - Frauenkirche Dresden

22. Juni 2014 - Gottesdienst am 1. Sonntag nach Trinitatis

22. Juni 2014 von Kirsten Fehrs

Predigt zu 5. Mose 6, 4-9

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen.

Liebe Gemeinde!

Ist das nicht immer ein wunderbarer, ganz inniger Moment, wenn ein Kind getauft wird? So dass eine ganze Gemeinde fast atemlos still wird - vorausgesetzt der Täufling lässt das zu… Still, weil eine Art frohsinnige Ehrfurcht vor dem neu beginnenden Leben einen ergreift. Ehrfurcht auch vor der Liebe, die im Raum ist. Liebe aus ganzer Kraft und tiefster Seele, die die kleinen Erdenbürger schützen will, so zerbrechlich sie sind und zugleich so vital!

Und wer kennte es nicht – wie gerade die neugeborene Liebe einen enorm aufmerksam macht für den anderen, so klein oder groß er auch sei. Dauernd schaut man, wie es ihm oder ihr geht. Vor allem aber horcht man auf, wenn man liebt. Horcht, ob sich etwas rührt. In einem selbst oder im anderen. Liebe erzeugt einen ausgeprägten eigenen Sinn der Gegenseitigkeit. Eine Art drittes Ohr zum Herzenhören.

Schema Israel, höre Israel, mein Kind, - so lockt Gott sein Volk fast zärtlich zum Herzenhören. Zu ihm hin. Und damit auf das Leben überhaupt.

Ich lese den Predigttext aus dem 5. Buch Mose, 6. Kapitel (hier nur die Verse 4-7)

Schema Israel. Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.

Was sich im ersten Hören wie ein allumfassender Forderungskatalog anhört, ist bei näherem Zusehen eine der schönsten und gültigsten Wahrheiten des Judentums. Weit mehr als ein Bekenntnis. Es ist eine Liebeserklärung. Schema, der Herr ist Gott. Oder andersherum: Du bist sein. Täglich werden diese Worte von frommen Juden gesprochen – sie werden gebetet, geseufzt, manchmal eilig hingesagt, immer aber erinnert und tröstend in manch Traurigkeit geflüstert. Schema Israel, höre, wie ich dich liebe, spricht Gott. Nicht fürchten sollst du mich deshalb, sondern deinerseits liebhaben.

Und ich denke nach, wie das geht mit dem Liebhaben. Wie das in einem hin- und hergeht. Liebe rührt ans Innerste, deshalb manchmal auch zu Tränen. Nicht weil sie sentimental wäre. Sondern weil sie ein tiefes, echtes Gefühl ist, das man nicht erzwingen kann. Liebe ist da oder nicht da. Sie ist wahr. Oder sie ist keine Liebe. Deshalb kann wahrer Glaube nicht auskommen ohne sie. Denn Liebe ist eine Macht, die macht, dass du lebst – lustvoll und energisch anderen zugewandt.

Deshalb aus ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft. Mit deinem ganzen Vermögen also, in jeder Hinsicht – Liebe verträgt nicht gut die Halbherzigkeit. Sie kann scheitern, sich verlieren, zu viel wollen und eifersüchtig machen. Sie kann auch sagen: „Ich mag dich so sehr  leiden!“ und dann am Leiden zerbrechen. Das alles passiert. Aber wenn sie da ist oder wieder da ist, ist sie, was sie ist. Nicht Vernunft. Nicht Angst. Nicht halb. Sondern Liebe, die etwas trägt. Und das dann auch fünfzig Jahre, Gottes Segen, liebes Goldene Hochzeitspaar!

All you need is love,- so haben die Beatles den Lebenspuls Gottes in unser Ohr gepflanzt.. Alles, was du brauchst, ist Liebe. Sie befreit zu Sinn und Sinnlichkeit, sie sucht immer wieder neuen Anfang, sie umarmt, was in uns zittert. Der Mensch vergeht ohne dieses zärtliche Gefühl. Ohne die Berührung von Fingerspitzen. Ohne den Blick der Anerkennung. Ohne das Augenzwinkern der anderen, das einen so ungeahnt glücklich macht. Der Mensch vergeht, wenn er nicht lieben darf.

Und Gott verstummt, wenn der Mensch in Lieblosigkeit vergeht. Denn – ubi caritas. Nur wo die Liebe wohnt, da wohnt auch Gott.

Deshalb: Schema, liebe Gemeinde!. Das ist eigentliche Pointe des Textes: Dort wo Menschen einander in Liebe erhören, hören wir Gott.

Denn Gott ist zwischen, nicht über den Menschen. Auf Ohrenhöhe sozusagen.

Um hinzuhören, was unser Herz bewegt.

Auch unsere Einsamkeit.

Das zerreißende Sehnen.

Der Schmerz, wenn die Liebe in der Alltäglichkeit verloren gegangen und die Hoffnung so furchtbar leise geworden ist.

Darum geht es: Herzenhören – um wieder ans Leben zu glauben. In einem der schönsten Liebesfilme, der Englische Patient, wird das in Szene gesetzt. Da sieht man im Kriegsjahr 1943 eine Krankenschwester gemeinsam mit einem Soldaten, der sie heimlich liebt, in einer verfallenen, dunklen Kirche stehen. Das Licht der Fackel lässt erahnen, dass die Wände von oben bis unten voller wunderschöner Freskenmalerei sind. Liebesbilder von Gott inmitten des tobenden Krieges. So gern möchte sie all diese Bilder sehen, endlich wieder Farben!! Ihr Sehnen rührt ihn. Kurzerhand knüpft er eine Schlinge in ein Seil, das wie eine Art Flaschenzug mitten im Raum hängt. So entsteht eine Schaukel, in die er sie behutsam setzt – und dann beginnt er, das Seil hochzuziehen, mit ganzer Kraft. Langsam beginnt sie durch den Raum zu schwingen, immer nah heran an die gemalten Wände. Bei jedem Schwingen erscheint im Licht der Fackel ein neues Bild von Gottes Erbarmen. Sie schaut es an, schwingt zurück, entdeckt ein neues. Sie fängt an sich zu freuen, freut sich immer ausgelassener. Und plötzlich ist der dunkle Raum gefüllt mit bunten Bildern von Gott und den Menschen, mit Lachen, mit Liebe, mit Begehren.

Wo die Liebe wohnt, da wohnt Gott. Zwischen uns, die wir hören. Und einander etwas zu sagen haben. Denn es sind Menschen, die uns etwas gelehrt haben von der Liebe. Eltern, Großeltern, die beste Freundin. Der Partner. Das Enkelkind. Der verliebte Soldat. Sie haben uns etwas gelehrt von der Kostbarkeit der Gemeinschaft und deshalb auch von der Liebe Gottes. Sie haben uns Vertrauen gelehrt, indem sie uns sanft in eine Schaukel gesetzt haben, die uns durch die Dunkelheit trägt. Damit in uns die Vielfalt aufscheint, mit der Gott uns geschaffen hat. Sie haben in uns zum Schwingen gebracht, dass es eine Kraft gibt, die bleibt, auch wenn wir sie nicht sehen können. Es sind Menschen, die uns – wie der Text sagt - eingeschärft haben, dass die Liebe A und O ist. Dass wir aus lauter Liebe geboren wurden, um zu streicheln, statt um uns zu schlagen. Um zu ermutigen statt zu ängstigen. Um hinzuhören, wie das alles zusammen geht mit Gottes und der Menschen Liebe.

Also: Schema, liebe Gemeinde. Horcht auf – wer diese Liebe braucht. Heute. Hier. Und:

Schema Israel, seufzt es dort.

Dort in Israel, Palästina. Syrien nebenan!

Dort, wo eine Mauer ist, in Bethlehem, 8 Meter hoch. Ohne Licht und Fresken. Sondern mit Stacheldraht. Zur Abwehr von Feinden, heißt es. Aber damit auch zur Trennung von Freunden. Sie verhindert, dass man sich hört. Oder anders im Leben erreicht.

Nun also: Was tun wir mit dem Hass in der Welt? Mit den Aufmärschen der Gewalt, angefeuert von religiösen oder ideologischen Fanatikern. Dort wie hier? Unser Predigttext antwortet für mich auf eine eindrückliche Weise. Du sollst die Liebesworte eben nicht allein deinen Kindern einschärfen, du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand und sie sollen dir Merkzeichen sein zwischen deinen Augen – so geht unser Predigttext weiter.  Und so legen bis heute  fromme Juden täglich die Gebetsriemen an, die Tefillin, mit einer kleinen Lederkapsel auf der Stirn, in der dieser Text verwahrt ist.

Es soll erkennbar sein, dass du das Leben liebst! Unerschrocken. Eindeutig. In Gottes Namen, heißt das, dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen von Hassbildern und Hassrednern. Es gilt, ihnen die Stirn zu bieten und zu sagen: Wer Gott liebt, kann den Bruder oder die Schwester nicht hassen. Selbst wenn sie einem Schmerz bereiten.

Und das braucht doch wirklich ganze Kraft!

Dazu möchte ich Ihnen, liebe Gemeinde, zum Schluss von zwei Menschen erzählen, die in einem erschütternd liebevollen Briefwechsel dem Hass die Stirn die Stirn geboten haben. Wir sind nun im Kriegsjahr 1944. In Berlin Tegel wartet der 37 Jahre alte Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke auf seine Hinrichtung. Täglich wechseln er und seine Frau Freya Briefe, die der Pfarrer unter Einsatz seines Lebens an der Zensur vorbei schmuggelt. Von der politischen Lage, seiner Verurteilung, den Wanzen und der Folter im Gefängnis schreiben sie, vor allem aber von ihrer Liebe und ihrem Glauben. In ihrem ersten Abschiedsbrief heißt es: „Mein Jäm, …wie gut und voller Gnade das alles geht! …Ich werde leben müssen und das wird schwer sein, aber es wird gehen, denn ich werde dich weiter lieben dürfen. Ich werde dich in Gott lieben .... Die 15 Jahre, das war unser Leben, Jäm; 7 Jahre länger hast du mir versprochen, aber was tut schon Quantität. Wie gut, dass ich jede Minute mit dir bewusst als ein Geschenk empfunden habe, dass ich mich um jede gerissen habe.“ Und er antwortet: “Ja, mein Herz, unser Leben ist zu Ende….Für uns waren diese letzten 8 Monate nicht verloren. Wir sind wohl beide etwas andere Menschen geworden. Ich habe das Band zu dir in den tiefsten Tiefen und in den höchsten Höhen entdeckt, ich …habe danken gelernt und gelernt zu sagen, „Gottes Wille geschehe“.

Darauf sie: „Ja…Sein Wille geschehe. Gerade das ist es. Begonnen hat es schon lange zu wachsen.“ *

Und so schreiben sie sich bis zu seiner Hinrichtung im Januar 1945, wenige Tage bevor diese Frauenkirche einst zerstört wurde. Trostbriefe, Liebesbriefe, Glaubensbriefe. Fast unerträglich zu lesen in ihrer Innigkeit und Zuversicht. Voller Herz, Seele, Kraft. 65 Jahre hat Freya von Moltke ihren Jäm überlebt. Hat seine Saat gepflegt und trat stets in beherzten Widerstand gegen alles, was Demokratie bedroht.

Und ich erzähle davon an diesem Friedensort, weil ich Ehrfurcht empfinde vor dieser Liebe. Liebe, die dem Zerstörerischen die Stirn bietet – um zu versöhnen! Hier, wo heute vor genau zehn Jahren das Versöhnungskreuz aus England auf der Kuppel aufgerichtet wurde, spüren wir doch hautnah, welch Kraft in der Liebe ist, die immer wieder neue Anfänge gebiert!   

Also: Schema , horcht auf – liebe Geschwister! Die Welt braucht euer Herz, dass sie den Frieden lerne. Denn sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt doch längst unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

*Helmuth James und Freya von Moltke, Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel, September 1944 – Januar 1945 – Herausgegeben von Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke, München 2011, S. 37 und S. 45/46

Datum
22.06.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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