22. März 2013 - Gottesdienst anlässlich des Tages der Kriminalitätsopfer
22. März 2013
Trau dich – es gibt einen Weg! Den Opfern eine Stimme geben
Seligpreisungen
Selig sind, die da geistlich arm sind;
Denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen ;
Denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen,
denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit,
denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen,
Denn sie werden die Barmherzigkeit erlangen,
Selig sind die reinen Herzens sind,
denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen,
denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden,
denn ihrer ist das Himmelreich.
Liebe Gemeinde!
Selig sind die, die Leid tragen. Denn sie sollen getröstet werden.
Nicht übersehen.
Überhört.
Zugetextet.
Nein, getröstet! Trost gelingt nicht aus der Distanz. Trost braucht Nähe. Und Sensibilität. Ja –eine gewisse Stille. Damit man überhaupt eine Ahnung davon bekommt, was einem Menschen widerfahren ist. An Verletzung, Demütigung und Gewalt.
Wir haben eben davon gehört. Von der grausamen Klinge, die von einem Moment auf den anderen den Lebensnerv durchtrennt. Gewalt hat so viele Gesichter. Und sie ist mehr Teil unserer Lebenswirklichkeit, als wir wahr haben wollen. Sie kann passieren, wenn man aus der Haustür tritt, auf die U-Bahn wartet, sich dem scheinbar liebevollen Onkel anvertraut. Sie kann geschehen auf der Straße oder hinter der Gardine bürgerlicher Wohlanständigkeit, und sie kann furchtbarerweise im Schutzraum von Kirche und kirchlicher Arbeit geschehen. Und wir haben eben gehört, was sie für eine Macht haben kann, die Gewalt. Wie sie Menschen zum Schatten ihrer selbst macht. Wie man schlagartig lebenslänglich bekommt. Wie man nichts und niemandem mehr vertrauen kann. Körperliche Nähe auf einmal schwer erträgt. Angst die Seele besetzt hält. Zuerst Todes- , dann Lebensangst. Schließlich: Was für ein Leid, wenn Angehörige nur noch trauern, aber ihr Kind, die Liebe ihres Lebens nicht mehr retten können.
Selig sind, die Leid tragen.
Selig – das heißt übersetzt: glücklich. Und meint: Mögen sie doch – irgendwann – auch wieder Glück empfinden. Gerade sie, die jetzt trauern. Die keinen Frieden finden. Die untröstlich sind.
So viele auch unter uns.
Deshalb, liebe Gemeinde, dieser Gottesdienst.
Deshalb die Stimmen der Opfer. Sie müssen reden. Das Schweigen brechen. Endlich. Laut und klar und aufrüttelnd wie eben. Damit nicht allein wir es hören und längst ja schon mitfühlen. Sondern damit eine Gesellschaft aufwacht. Hinschaut. Ja, berührt wird. Wir leben schon viel zu lange in einer Gesellschaft der Unberührbaren. Derer, die alles im Griff haben. Derer, die sagen: Probleme macht man mit sich ab.
Trau dich – das anders zu sehen.
Trau dich – einen anderen Weg zu gehen.
Trau dich- mir liegt viel an unserem diesjährigen Motto. Denn im letzten Jahr, in meiner neuen Aufgabe als Bischöfin, habe ich mit etlichen Gewaltopfern gesprochen. Um zu verstehen. Um gemeinsam Auswege zu suchen. Zunächst mit denen, die in unserer Kirche sexualisierte Gewalt erfahren haben. Aber dann auch mit Opfern deutschlandweit, die sich einfach gemeldet haben. Weil sie sich einfach nur einem Menschen – gar nicht unbedingt der kirchlichen Würdenträgerin – anvertrauen wollten. Denn sie wussten nicht, wohin! Und was mich immer wieder erschüttert hat: Manchmal haben Menschen ihre tiefe Verwundung Jahrzehnte in sich eingeschlossen. Nach außen mehr oder weniger funktionierend. Nach innen hin aber so verstört. Erschrocken. Verloren. Angstbebend. Gefesselt im Schweigekonsortium eines Täters. Es hat mich so aufgewühlt, wie mundtot Gewalt einen machen kann. Wie sprachlos. Und wie wütend zugleich…
Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
Nicht vertröstet.
Mit Pauschalleistungen erfasst.
Zur Ruhe gebracht.
Nein, wo Gewalt herrscht, braucht es Menschen, die sie anzeigen. Die laut sagen, was nicht stimmt. Die sich wehren und den Wehrlosen Asyl geben.
Darum geht es - auch in den Seligpreisungen: Sich nicht zu fürchten, sondern hinzuschauen. Sensibel zu sein für die stummen Signale kindlicher Angst. Für die große Sonnenbrille der Trauernden. Für die Jugendliche, die auf einmal nichts mehr essen kann. Lauter Zeichen der Ohnmächtigen, die heute hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.
Selig sind…Was haben die Worte Jesu über zwei Jahrtausende den Menschen für Kraft gegeben! Denn sie waren getragen von dem einzigen Gedanken, die Geschwächten und Leidenden zu schützen. Und zwar so lange, bis sie ein für alle mal im Blickpunkt sind. Gerade nicht mehr ausgegrenzt, am Rand. Die Seligpreisungen sind ein einziges „Trau dich“. Denn glücklich, heil sollst du sein, so beginnt jeder Satz. Das ist das Credo Gottes. Selig bist du, nicht zur Zerstörung freigegeben. Kostbar wie das Salz der Erde seid ihr, und deshalb – eindeutig und kompromisslos – wehret dem, was euch demütigt, ohnmächtig macht und untröstlich. Immer wieder.
Vielleicht sind Menschen unter uns, die schon länger fühlen, dass es besser ist, sich anzuvertrauen. Wir rufen Ihnen mit großer Zuneigung zu: Trau dich. Um des Lebens willen. Des Glückes, das es auch für dich gibt. Mit samt deiner Unsicherheit oder Scham, mit deiner Wut auf den Täter, mit deinem Rachedurst, deiner Traurigkeit und Verbitterung. Es wird verstanden, trau dich. Es gibt einen Weg. Einen Weg, der die geraubte Würde sucht. Und die Achtung vor sich selbst. Der das Verstehen sucht und neuen Lebensmut.
Die Texte und Lieder eben haben es gezeigt: Es gibt einen Weg. Denn es gibt Wegbegleiterinnen, Gefährten, die einem nahe sind und hinhören. Die Leid mit-tragen. Wie Sie, die vielen Ehrenamtlichen und Mitarbeitenden – so viele junge Menschen! - im Weißen Ring. Danke sage ich hier, ich glaube im Namen vieler. Danke. Denn Sie sind sofort da. Sie beraten, klären. Kaufen auch mal ein. Sie verstehen auch die Stimme, die gebrochen ist. Sie sind für sie, die schlimmste Dunkelheit erleben, wie ein Licht in der Nacht. Wie ein Stern, sagte ein Vater der getöteten Tochter. Er sagt: „Meine Frau und ich: Wir leben. Und wir möchten anderen sagen: Das ist ein Geschenk. Wir merken täglich: Die Liebe zu unserer Tochter ist stärker als der Tod. Zorn dagegen tötet uns. Weil er uns wieder stumm macht. Wir wollen das nicht mehr. Wir wollen nicht, dass der Täter noch einmal gewinnt.“
Es gibt einen Weg.
Gebe Gott, der Mitleidende, der uns vom allen Anfang an so zärtlich in die Welt geworfen, dass wir diesen Weg zusammen gehen und Zeichen setzen. Ein Weg aus der Dunkelheit zum Licht.
Wie wir es gleich tun. Dabei sind wir gesegnet – getragen von seinem Wort: Selig sind, die da Leid tragen, sie sollen getröstet werden. Amen