24. Dezember 2014 - Dom St. Nicolai Greifswald

24. Dezember 2014 - Christvesper am Heiligen Abend

24. Dezember 2014 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Lukas 2, 1-20

Weihnachten: Ewigkeit schimmert in die Zeit

Liebe Gemeinde,

Weihnachten bedeutet: Ich habe eine Heimat im Himmel. Ich darf am Ende dahin kommen, wohin alle Sehnsucht zielt. Meine Sehnsucht zielt auf Gott.

Manch einer hält heute die Weihnachtsgeschichte nur für ein frommes Märchen. Man sieht die Bedeutung für das eigene Leben nicht. Dagegen gibt es andere, die die Weihnachtsgeschichte in Ehren halten, obwohl sie selbst keine kirchliche Bindung mehr haben. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist mir der von den Nationalsozialisten verfolgte Dr. Arvid Harnack, der Kommunist war und wegen seiner Beteiligung am Widerstand gegen Hitler 1942 zum Tode verurteilt wurde. Vor seiner Hinrichtung am 22. Dezember 1942 bat er den Gefängnispfarrer, ihm zwei Texte vorzulesen. Einer davon war die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium. Und er bat den Pfarrer darum, seinen Angehörigen bestellen zu lassen, sie sollten trotz seines Todes richtig Weihnachten feiern und dabei singen: „Ich bete an die Macht der Liebe“.

Was hat es mit dieser Weihnachtsgeschichte auf sich, die für die einen nichts anderes als Rührseligkeit ist, für die anderen aber Stärkung sogar angesichts des Todes? Was ist das für eine Geschichte? Die Geschichte spielt in Israel. Sie ist zuerst einmal eine jüdische Geschichte, die nur zu verstehen ist auf dem Hintergrund der Hoffnungen und Visionen, die im jüdischen Volk gewachsen sind, dann aber Teil einer Sehnsuchtsgeschichte für die ganze Menschheit geworden sind. Es ist eine alte Erfahrung, dass die Sehnsucht wächst, je größer der Druck ist, unter dem Menschen leben. Und zur Zeit dieser Geschichte war der Druck groß. Israel lebte unter Besatzung. Unter dem römischen Kaiser Augustus hatte das römische Reich eine enorme Ausdehnung angenommen, eine Ausdehnung, die fast die ganze damalige bekannte Welt umfasste. Dieses Reich war durch militärische Gewalt aufgerichtet worden. Für diejenigen, die innerhalb der römischen Grenzen wohnten, und die sich den Spielregeln unterwarfen, die die Römer definierten, galt die Pax Romana. Das war ein durch militärische Gewalt gesicherter Friede. Eine fremde Macht hatte viele Länder, so auch das Land Israel erobert und diktierte nun die Bedingungen des Friedens. Pax Romana!

In diesem Rahmen hatten es auch die beiden Hauptfiguren unserer Geschichte nicht leicht, die noch sehr junge Maria – sie war etwa 14, 15 Jahre alt – und der etwas ältere Josef, der sein Geld als Bauhandwerker in und um Nazareth verdiente.

Maria und Josef waren verlobt. Aber auf ihrer Beziehung lastete ein Geheimnis. Maria hatte Josef anvertraut, dass sie schwanger war. Josef wusste, dass das Kind, das in Maria heranwuchs, nicht von ihm war. Zwar hatte Maria erzählt, dass das Kind von Gott sei. Der Heilige Geist hätte es ohne Zutun eines anderen Mannes in ihr gezeugt. Aber war das glaubhaft?

Dann trat etwas ein, was eine weitere Belastung für die beiden bedeutete. Kaiser Augustus ließ eine Volkszählung zur Aufstellung von Steuerlisten durchführen. So verzahnt sich die kleine Geschichte von Maria und Josef mit der großen Weltgeschichte. Im Rahmen dieser großen Weltgeschichte hat Gott mit den beiden kleinen Leuten auf diese Weise seine Heilsgeschichte vorangetrieben. Die Geschichte Gottes in dieser Welt ist keine Geschichte außerhalb von Raum und Zeit, sondern sie ereignet sich mit ganz normalen Menschen, Menschen wie Sie und ich es sind. Im Rahmen dieser Geschichte trägt sich etwas zu, was im Laufe der Zeit die große Geschichte auf eine sanfte und stille Weise völlig verändert.

Zunächst aber müssen Maria und Josef die 120 Kilometer von Nazareth nach Bethlehem zurücklegen. Kaum sind sie in Bethlehem angekommen, beginnen bei Maria die Wehen. Sie kommen unter in einer der vielen Behausungen, die in die in der Region verbreiteten Höhlen hineingebaut worden sind. Da sie keine ordentliche Herberge gefunden haben, bekommt Maria ihr Baby in einer eigentlich von Tieren benutzten Behausung. Sie kann ihr Kind in Windeln wickeln, aber als Bettchen muss eine Futterkrippe herhalten. So kommt dieses Baby als ein ganz normales Kind unter nicht ganz normalen Umständen zur Welt.

Szenenwechsel: Wir sehen Hirten auf dem Feld, die ihrer ganz gewöhnlichen Arbeit nachgehen. Es ist schon Nacht und sie sind in der Dunkelheit bei ihren Tieren auf dem Felde.[1]

In einer ganz normalen Nacht bricht auf einmal ein Lichtglanz, ein Strahlen und Glänzen, hervor. Es ist, als ob ein Stück weit die ganz normale Wirklichkeit dieser Welt aufbricht und dahinter einen Spalt weit einen Blick in die Welt Gottes ermöglicht, die Welt Gottes, die alles umgreift. In der Weihnachtsnacht schimmert Ewigkeit in die Zeit hinein. Und wie das Wetterleuchten an einem dunklen Himmel plötzlich Klarheit und Durchblick verschafft, so schenkt uns die Weihnacht auch Durchblick, Durchblick durch diese Welt und durch unser Leben. Wir erfahren, wie alles zusammenhängt und wofür unser Leben gut ist. Das alltägliche Leben bekommt seinen Sinn vom Besonderen. Die Ewigkeit gibt der Zeit ihren Sinn. Man nennt das auch Offenbarung. Ein Bote Gottes, „der Engel des Herrn“ (V. 9) erläutert den Hirten selbst, was in dieser Nacht geschehen ist. Wenn die das Jenseitige in das Diesseitige einbricht, sind Menschen bis ins Tiefste, bis ins Mark erschüttert. Deswegen beginnt der Engel mit: „Fürchtet euch nicht!“

Jeder Mensch braucht ein Grundgefühl von Geborgenheit, zu wissen, wohin man gehört und wo man zu Hause ist. Wenn ich mich gehalten fühle, wenn ich weiß, wo ich meine Geborgenheit empfange, kann ich vieles in meinem Leben aushalten. Die Weihnachtsgeschichte sagt uns: Dein eigentliches Zuhause ist bei Gott. Von ihm bist du gehalten, wie ungehalten du dich auch im Laufe deines Lebens fühlen magst. Tief in dir drinnen weißt du genau, dass du dir dein Leben nicht selbst gegeben hast und dass ein anderer dich zu der einmaligen Person, die du bist, gemacht hat. Im Gegenüber zu Gott erhältst du deine Würde. Dieses Kind, heute geboren, eröffnet die Möglichkeit, die verdrängte und verleugnete Beziehung zu Gott aufs Neue zu entfalten.

Der Bote Gottes nennt drei Bezeichnungen für dieses unscheinbare Baby, die seine Bedeutung umschreiben. Das kleine Kind ist der Christus, der Herr und der Retter (Heiland). Es ist der Christus, was nichts anderes bedeutet, als das griechische Wort für „den Gesalbten“. Das hebräische Wort lautet „Messias“. Der, der hier in der Krippe liegt, ist der Fluchtpunkt aller Sehnsüchte des jüdischen Volkes. Er ist der Garant der gerechten Friedensherrschaft Gottes. Von ihm hofft das jüdische Volk, dass durch ihn Gott alles wieder ins Lot bringt. Dass die Fremdbestimmung durch die Besatzungsmacht an ihr Ende kommt und dass der Wille Gottes auf Erden geschieht.

Dieses Baby ist aber auch der Herr. Es steht für den klein gewordenen Gott. Es steht für den großen Gott, der diese Welt geschaffen hat und der seine Liebe in diesem Kind zeigt. In diesem Kleinwerden des unendlich Großen, in dieser Umkehrung der Verhältnisse liegt die eigentliche Botschaft des Christentums. Dieses Kind ist Gott in Person. Er zeigt sich im Kind ohnmächtig und schwach, doch gerade darin unwiderstehlich. „Das Kind wird in Windeln gewickelt sein und in einer Krippe liegen.“ An der Niedrigkeit wird die Größe des Weltenherrn erkannt. Nur ein unbeschreiblich Großer vermag sich so weit herabzulassen.

Schließlich ist dieses Kind – und das ist die dritte Bezeichnung – „der Heiland“, „der Retter“. Mit dieser Bezeichnung wird die Welt des Judentums überschritten. Dieses neugeborene Kind wird der ganzen Welt helfen und Menschen aus allen Völkern retten. Er ist der Weltheiland.

Die Erscheinung des himmlischen Glanzes bei den Hirten auf dem Felde steigert sich nun noch einmal. Plötzlich ist die Menge der himmlischen Heerscharen da. Wir haben einen Blick in den Himmel. Und dort singen die von Gott geschaffenen Wesen und loben ihn. Sie singen das Gloria in Excelsis, das „Ehre sei Gott in der Höhe“, das Eingang in unsere christliche Gottesdienstliturgie gefunden hat. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines auserwählten Volkes“ (V. 14). Den Hirten wird geschenkt, zu sehen, was im Himmel geschieht. Dort singt die ganze Schöpfung ein Loblied. Dem Lob Gottes in der Höhe entspricht der Friede auf Erden. Es ist bewusst kein Friede im Herzen und kein rein jenseitiges Reich, von dem hier gesprochen wird, sondern es geht um das ganz normale, alltägliche Leben auf dieser Erde. Wenn Gott im Himmel gelobt wird, dann stimmen die Relationen wieder:. Gott ist Gott und der Mensch ist Mensch. Der Mensch hat sich nicht mehr überhoben und versucht, eine Rolle einzunehmen, an der er sich verheben muss und die ihm als dem Geschöpf nicht gebührt.

„…Und auf Erden Friede“:. Nicht ein durch Waffen garantierter Friede, sondern ein Friede, den Gott schenkt und der zu allererst die Herzen der Menschen ergreift. Dann aber zieht er Kreise und verändert die Welt. Es ist ein Friede, den nur Jesus gibt. Später wird er davon sagen: „Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“[2] Es ist der Friede Jesu, für den Dietrich Bonhoeffer gestritten hat und gestorben ist und von dem er gesagt hat: „Wie wird Frieden? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern, …? Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit.“ Wenn dieser Friede um sich greift, werden „die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.“[3]

Hier in Deutschland haben wir selbst erlebt, wie vor 25 Jahren in der friedlichen Revolution diese Macht des Friedens Wirklichkeit geworden ist. Einer, der dabei war, der Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, sprach von dieser Erfahrung der „Macht der Gewaltlosigkeit“: „Sie wurde in dem machtvollen Ruf ‚keine Gewalt‘ auf den Nenner gebracht! Sie wurde nicht nur gerufen, sondern konsequent praktiziert: Ein einmaliger Vorgang, der die Einheit Deutschlands ohne Krieg und Sieg zustande brachte! Frieden wurde riskiert, Entfeindung praktiziert, wie sie Jesus ausgesprochen und gelebt hatte. An keiner anderen Stelle wird so klar, wie anders der Friede von Jesus ist, mit seiner Abkehr vom Freund-Feind-Schema, vom zwanghaften Angst- und Sicherheitsdenken und dem Verzicht auf die Gewalt des Herzens, der Zunge und der Faust.

‚Liebet eure Feinde‘, sagt Jesus und nicht: ‚Nieder mit dem Gegner!‘ Wer das einmal ausprobiert… auf Gewalt und Feindschaft in der Familie, unter Nachbarn, im Betrieb, in der Schule oder in der Öffentlichkeit mit Freundlichkeit und Offenheit zu reagieren, der kann wahre Wunder erleben.“[4]

Die friedliche Revolution, liebe Gemeinde, beginnt mit der Entscheidung Gottes, im Kind Jesus Christus Wirklichkeit in dieser Welt zu werden. Sie setzt sich fort mit unseren Herzen, die dieser Christus verwandelt, und füllt schließlich unsere Familien, unsere Städte und unser ganzes Land. Friede auf Erden wird dort, wo Gott im Himmel seine Ehre gegeben wird. Es beginnt auch wieder an diesem Weihnachtsfest. Aber es wird nach Weihnachten nicht aufhören. Ist die Sehnsucht erst geweckt, gibt sie unserem Leben seine Richtung. Amen.

 


[1] Wir merken daran, dass sich dieses Ereignis auch in Palästina wohl nicht im Dezember abgespielt hat, denn lediglich von Mai bis November lassen die Hirten dort nachts ihre Tiere draußen. Ab Dezember werden sie nachts in ihre Ställe zurückgeführt. Aber wir wissen ja auch, dass die Datierung der Geburt Christi auf die Nacht vom 24. zum 25. Dezember mit der Wintersonnenwende zu tun hat. Ganz bewusst haben die frühen Theologen - da das genaue Datum der Geburt Christi nicht bekannt war – die Geburt Jesu auf dieses Datum gelegt.

[2] Johannes 14, 27.

[3] Aus: Dietrich Bonhoeffer. Kirche und Völkerwelt. Auf der ökumenischen Konferenz am 28.08.1934 in Fanö/ Dänemark.

 

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