24. Dezember 2014 - Hauptkirche St. Michaelis

24. Dezember 2014 - Gottesdienst zur Christvesper

24. Dezember 2014 von Kirsten Fehrs

Lukas 2

Der Friede von Gott unserem Vater und das Licht unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch allen in der dieser Heiligen Nacht. Amen

 

Liebe Festgemeinde!

Weihnachten – da will es doch bittschön sein wie immer! Sagen übrigens gerade die Jungen. Mit Weihnachtsbaum, Besuch bei den Großeltern, Spiel, Fondue und Karpfen, was auch immer. Denn Weihnachten, da kommt man doch nach Haus! Und zu sich. Da genießt man die Geborgenheit und das Vertraute, das herzliche Willkommen und die Umarmung derer, die man lange nicht gesehen.

 

Auch die fast zweitausend Jahre alte Weihnachtsgeschichte, die wir eben gehört haben, hat für viele dabei ihren Platz. Ja, sie wird selbst empfunden wie eine Art Zuhause, eine Heimat aus Worten. Wie eine Herberge möchte sie uns auch heute aufnehmen, die wir hier sind mit unseren Lebensgeschichten, unserem Friedenssehnen und Herzklopfen, aber auch mit den ungelösten Fragen und – natürlich – der Skepsis, was dieses Weihnachten eigentlich soll. All das kommt in dieser alten Geschichte vor und wird verstanden und im Herzen bewegt. Will sie doch mit all ihren Engeln, Hirten und dem Jesuskind, dass wir ein kleines bisschen anders aus diesem Gottesdienst hinausgehen, als wir hinein gegangen sind …

 

Martin jedenfalls mit seinen 6 Jahren hat´s offenkundig sehr bewegt; er erzählt die Weihnachtsgeschichte höchst aktuell nach, ich zitiere:

Da war der Kaiser Augustus, der wollte wissen, wieviel Leute in seinem Land wohnen. Er hat gesagt: „Geht alle dorthin, wo ihr geboren seid“. Da sitzt dann ein Mann und schreibt auf, wie ihr heißt und dann schickt der die ganzen Zettel hin zum Kaiser Augustus. Damit er dann weiß, wie viele Leute ihm was bezahlen müssen. Und wie viele für ihn Soldat werden können.

Maria und Josef sind nach Bethlehem gelaufen, durch den Wald, und es war schon ganz dunkel. Und sie sind gestolpert, dabei hatte die Maria doch ein Baby im Bauch! Dann sind sie endlich angekommen. Aber die Leute haben gesagt: „Wir haben keinen Platz für euch!“ Und einer hat dem Josef eine hingeboxt, das war gemein von dem, und Maria hat geweint. Aber dann hat einer gesagt: Ihr könnt in den Stall gehen, da ist es warm. Und dann hat die Maria ihr Kind gekriegt!“ (aus: Uwe Seidel, Fällt ein Stern aus der Bahn, Düsseldorf 1988, S. 63)

 

Immer wieder fasziniert mich, wie sich Kinder diese alte Geschichte aneignen. Allein dies: Namenszettel, damit Augustus weiß, wie viele für ihn Soldat werden können! Der Name „zählt“ – beim Machthaber allein als Kriegskalkulation.

Gegen diesen Zynismus opponiert jedes Wort der Weihnachtsgeschichte. Maria und Josef mit Namen – sie sind wer. Arm vielleicht und ängstlich, immer aber Gesegnete vom ersten Atemzug an. Menschen mit einer Geschichte, die ihnen gehört. Wie ihr Name. Der Name ist Ausdruck der höchst eigenen Menschenwürde. Der Persönlichkeit. Der Herkunft auch. Wie bei uns hier auch. Und ist es nicht immer so, liebe Gemeinde: Dass nach dem Leben der Name das zweite ist, was einem Neugeborenen geschenkt wird? Sein Strahlen, die Augen, Mund und Nase – sie bekommen einen Namen. Zärtliche Buchstaben der Liebe. Nick. Antonia. Peggy-Sue.

 

Und dann hat die Maria ihr Kind gekriegt – und das bekam den Namen Jesus. Das heißt auf hebräisch „Jeschua“: „Gott rettet“. Ein Name mit Programm: Gott rettet die Welt durch ein kleines Kind. Seine vielen weiteren Namen in der Bibel erzählen, wie. Allem voran: Immanuel. Ein Name aus drei Worten: Im – Manu – El , das heißt „Gott mit uns“. Das ist wunderschön, denn es bedeutet: Unser Gott bindet sich nicht an einen bestimmten Ort, noch nicht einmal an diesen prächtigen Michel. Er geht vielmehr mit uns, ist da – ob in der Fremde, in der Not, auf der Lebenssuche, beim Verlieben, auf dem Sterbebett. Jesus hat diesen Namen gelebt, als er später durch Galiläa zog und all die begleitete, die seiner Zuwendung bedurften, die Ausgestoßenen und Verlassenen zuallererst. Immanuel – Gott mit uns. Und Jesaja – wir haben es eben gehört – fügt weitere Namen hinzu: Wunderrat, Ewigvater, Friedefürst. Alles Namen mit Programm. Um nicht zu sagen: Gottes Gegenprogramm in einer Welt, in der so viel gekämpft, vernichtet, kalkuliert wird und viel zu wenig geliebt.

 

Aber da hat dann jemand zum Glück gesagt: Ihr könnt in den Stall gehen, da ist es warm. Als es in Hamburg bitterkalt war, Anfang Dezember, habe ich die Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge in Bahrenfeld besucht. Zwischen Autobahn, Müllverbrennungsanlage und Bahngleisen stehen Container an Container für inzwischen 1300 Menschen, darunter 300 Kinder unter 12 Jahren (das wissen ja so wenige, liebe Gemeinde, wie viele Kinder es sind!!). Monatelang leben sie hier, zu viert in einem Container. Trotz aller Anstrengungen der Mitarbeitenden und der Behörden vor Ort, die ich ausdrücklich hervorheben möchte – es ist ein trostloser Ort.

Wenn man in die Gesichter schaut, sieht man oft einen gebrochenen Blick. Sie sind geprägt von den Spuren der Flucht, der Heimatlosigkeit. Herausgerissen aus ihrem alten Leben, wo immer das war. Man sieht keinem Mann, keiner Frau mehr an, was sie einst gewesen sind, ob Bankdirektor, Ärztin, Handwerker oder Fabrikarbeiterin. Die Flucht, die Armut lässt sie alle gleich dastehen, bedürftig, angewiesen. Doch der Name, die Lebensgeschichte, eventuell der Glaube, das ist es, was ihnen an Individualität immer bleibt! Wobei – auch das lassen die Gesichter erahnen – die Lebensgeschichten manch tiefen Riss erfahren haben, geprägt von Schreckensbildern und großer Angst. Auch ja bei den Kleinen.

 

So viele Hamburger haben im vergangenen Jahr gesagt: Da müssen wir doch etwas tun! Und sie haben etwas getan. Für eine würdige Unterbringung; warme Kleidung und natürlich ärztliche Behandlung. Und unbedingt auch Traumatherapie, die viele bitter nötig haben.

Aber vor allem eines ist wichtig: Die Menschen möchten ihr eigenes Leben wiedergewinnen. Eine gute Lebensgeschichte fortsetzen können, wo sie in Bürgerkrieg und Terror abgerissen ist. Und dazu gehört es, dass sie anknüpfen können. Dass sie angesprochen werden und gefragt. Respektvoll beim Namen genannt werden. Sie sind wer!

 

Und das geht! Eben gerade war ich in der Luthergemeinde in Bahrenfeld, in der dank eines enormen ehrenamtlichen Einsatzes diese Anknüpfung gelingt. Das beginnt schon beim Krippenspiel: gefühlt 20 kleine Engel spielen mit, die eine Hälfte blondgelockt, die andere schwarzbezopft – sie kommen aus Syrien, Eritrea, aus dem Iran. Alle mit Flügeln. Mir stockt der Atem vor Rührung, als sie hingebungsvoll einstimmen und singen „Fürchte dich nicht“ … Es ist das Gemeinsame, die gemeinsame Sehnsucht. Die Menschen aus anderen Herkunftsländern, wie sie hier heißen, sind nicht zuallererst bedürftig, sondern gebeten mitzutun. Bei der Kleiderkammer, zig Tonnen sind inzwischen verteilt; beim Gartenprojekt, in der Küche, heute kocht ein iranisches Ehepaar für alle das Festessen. Diese Gegenseitigkeit gibt allen Würde. Gemeinsam helfen, wem und wo es schlecht geht: Darin zeigt sich Im-manu-el. Gott mit uns, auf dieser Erde.

 

Denn das Geheimnis dieses Heiligen Abends, das Geheimnis der Weihnacht ist die Begegnung. Von Gott und Mensch, aber auch von Mensch und Mensch. Woher immer er kommt. Was immer ihn bewegt. So wie hier im Michel. Denn auch wir sind doch, wie damals im Stall zu Bethlehem, die unterschiedlichsten Menschen zusammen: Hirten, kluge Forscher, mag sein einige gar aus dem Morgenland, viele, viele Engel, manch Schaf … und die Heilige Familie, die doch auf den ersten Blick so gar nichts Heiliges an sich hatte.

 

Die Begegnung, sie ist das Geheimnis des Friedens. Denn sie erschwert Vorurteile ungemein. Weil es eben nicht mehr heißt: Die Flüchtlinge, die Asylbewerber, die Muslime. Sondern weil die Einzelnen einen Namen haben, zu dem ein einmaliges Gesicht gehört: das von Herrn Ahmad und Frau Khalifa.

 

Mich erschrecken die Bilder von Demonstrationen, bei denen tausende von Menschen schweigend durch die Straßen ziehen und signalisieren: Wir wollen hier weniger Flüchtlinge, am liebsten gar keine. Mir fehlt jedes Verständnis dafür. Wem christliche Werte am Herzen liegen, der geht nicht eingereiht in eine schweigende, dunkel gekleidete, marschierende Masse! Diese Anonymität, diese Namenlosigkeit, diese Nichtbegegnung ist nichts anderes als Fortsetzung der Angst mit anderen Mitteln.

 

Komm Immanuel, Gott ist mit uns. Also seien wir mit ihm. Als Christen. Als Menschen all der Religionen, die hier in Hamburg so oft zusammen stehen für Toleranz und Gewaltlosigkeit, auch innerhalb unserer Religionen! Seien wir mit Gott und seien wir ermutigt, den Namen des und der anderen in Freundschaft auszusprechen. Hier liegt die Kraft unseres Glaubens, liebe Gemeinde. Dass wir uns nicht friedlos machen lassen durch Hetze und Torheit, sondern überwinden, was ängstigt.

 

Denn dass wir Menschen, wenn wir es denn wollen, sogar den Krieg stoppen können – und zwar sofort, wenigstens für eine Zeit! – das zeigt der allerorten in diesen Tagen erinnerte Weihnachtsfriede im ersten Weltkrieg. Mit diesem wunderbaren Bild unbändiger Hoffnung von vor 100 Jahren möchte ich Sie, liebe Gemeinde, schlussendlich in die Heilige Nacht schicken. Denn niemand hätte doch geglaubt, dass an der Front damals, – weil die Sehnsucht einfach so groß und das Grauen so furchtbar und die Liebe so verloren, – niemand doch hätte geglaubt, dass man mit den kleinen Weihnachtsbäumchen, die da auf einmal in deutschen Schützengräben aufleuchteten, die Friedenssehnsucht auch der anderen verstanden hat? Und tatsächlich – alle stellten das Feuer ein. Die Briten, die Deutschen. Sie begegnen sich – Mensch und Mensch, nicht mehr Feind gegen Feind. Sie singen „Stille Nacht“. Feiern Gottesdienst, spielen Karten, holen irgendwann sogar einen Fußball heraus, ich glaube, es waren die Schotten.

Später wurde ihnen von den Militärbehörden verboten, über diese zwei Tage Weihnachtsfrieden zu reden. So viel Angst hatte man vor der subversiven Kraft des Weihnachtsevangeliums! Vor der Macht des kleinen Friedefürsten, der es schafft, Geschützdonner in Weihnachtslieder zu verwandeln und das Schlachtfeld in einen Fußballplatz.

 

Wir wissen alle: In diesem Moment toben viele Kriege.

Deshalb gerade jetzt! Solange wir die Botschaft vom Friedefürsten weitersagen und in unser Herz aufnehmen, solange wird es immer Menschen geben, die der anderen Wirklichkeit einen Namen geben. Mit ihrem Friedengebet. Jedem Versöhnungswort. Mit Menschenliebe und Kinderrecht.

Kleiner Jesus. Jeschua. Gott rettet. Weihnachten bekommt Gott einen Namen, ein Gesicht. Und eine Geschichte. Und jeder Mensch hier ist ein Teil davon. Wie in einer Herberge sind wir in ihr aufgenommen – in dieser Geschichte, die uns versteht, innig liebt und beim Namen nennt. Ganz so wie wir jetzt sind.

 

Ganz so wünsche ich Ihnen von Herzen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, liebe Festgemeinde! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm, Christus Jesus, Gottes Sohn. Amen

Datum
24.12.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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