25. Dezember 2014 - Dom zu Lübeck

25. Dezember 2014 - Gottesdienst zum 1. Weihnachtstag

25. Dezember 2014 von Kirsten Fehrs

Lukas 2, 15 ff

Der Friede von Gott unserem Vater und das Licht unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch. Amen

 

Liebe Festgemeinde.

„Viel Böses geschieht“, so schrieb der Pastor und Schriftsteller Albrecht Goes 1944, „viel Böses geschieht. Aber dieses, dass Kinder immer von neuem die Augen aufschlagen zum Leben, eben umhüllt noch vom Urtraum im Leibe der Mutter, und schon umfangen vom Auge der Sorge nach Liebe, weinend zuerst, doch mit dem Weinen gesellt sich ein Lächeln, Staunen sodann und endlich ein Rufen – vieles Böse geschieht, aber dieses, ihr Mütter, dieses ist gut.“ Mitten in Terror und Tod, mitten im zweiten Weltkrieg schrieb Goes diese Zeilen. „Dieses ist gut“, allen Krisen- und Katastrophenmeldungen zum Trotz – ein Kind ist geboren.

 

Und sicherlich haben auch Sie es schon erlebt: Dass es fast so etwas wie ein heiliger Moment ist, ein „Kind zu kieken“, wie man in meiner Dithmarscher Heimat sagt. Ein Neugeborenes zum ersten Mal zu sehen, ja einen neuen Menschen schweigend zu entdecken. Das winzige Gesicht. Die kleinen Augen, Nase, Mund und so zarten Finger. Vielleicht das stille, das Engelslächeln im Schlaf, das von so weit her kommt. Vor allem die Eltern werden sich an die ersten Momente im Leben ihrer Kinder erinnern. Und sie werden sich erinnern, wie die Welt mit all ihren Ereignissen und Wichtigkeiten auf einmal weit, sehr weit weg war.

Viel Böses geschieht, doch dieses ist gut.

 

Vielleicht haben die Hirten genau dies gewusst. Haben sich – eilend – gesagt: „Lasset uns nun gehen und die Geschichte sehen …“ Und ich stelle mir vor, wie sie, die in der damaligen Gesellschaft kein Ansehen hatten, dieses Kind kieken. Wie sie, die Hüte ehrfürchtig in ihren Händen drehend, nicht nur selbst dieses Kind ansehen, sondern spüren, wie es sie ansieht. So unerhört freundlich. Mit einem Engelslächeln, so nah.

 

Gegen die Sonne, gegen das Lächeln eines Kindes sind wir wunderbar wehrlos. Nachgerade, wenn es der kleine Herr der Herrlichkeit ist. Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, machte er uns selig – so bringt der Titusbrief das Weihnachtsevangelium auf den Punkt. So hemmungslos positiv. Kein Gekrittel, Zweifel, Abmahnen, nein: da ist einfach nur pure Seligkeit. Unzerbrechlich noch der Zauber, dem jeder Anfang innewohnt.

 

Die junge Maria mit ihrem Kind, wie wir sie eben besungen haben, erzählt auch von diesem Zauber des Anfangs. Es ist ein Zauber, von dem Hermann Hesse bekanntlich sagt, dass er uns in allen Wandlungen des Lebens schützt und hilft zu leben. Die Schutzbedürftigkeit ist hier mit Händen zu greifen. Zarte Maria allein im Dornwald. Kyrie eleison. Und genau in dieser Zartheit steckt eine enorme Kraft. Ein kleines Kindlein hat erlöst die Welt allein! Maria hält den kleinen Retter in den Armen und schaut ihn an: Willkommen, kleiner Herre Christ, der du zu uns gekommen bist! So mag Maria ihren Sohn in den Schlaf gesungen haben. Nicht gar so kämpferisch wie vor Monaten noch, als sie, gerade schwanger geworden, im Magnificat den Sturz der Machthaber besungen hat. Willkommen, singt sie mit zärtlichem Ton, willkommen in dieser Welt, die wahrlich kein Paradies ist.

 

Und ich sehe die schwangere junge Frau vor mir, die ich in der Zentralen Erstaufnahme für Flüchtlinge in Hamburg getroffen habe. Sie ist eine von 1300 Flüchtlingen, die über mehrere Monate in grauen Containern untergebracht sind. Es ist bitter kalt. Die junge Frau schaut versteinert vor sich hin. So ein verstörter Blick! Wer weiß, denke ich, was sie in Syrien erlebt hat, und auf der Flucht. Kyrie eleison. Und nun sitzt sie so verloren und allein vor der Tür der Ärztin. Sie ist irgendwie da, doch die Seele noch unterwegs. Wie wird sie in ein paar Wochen ihr Neugeborenes anschauen, frage ich mich? Viel Böses ist geschehen, doch dieses ist gut?

 

„Es begab sich nämlich zu dieser Zeit“ ..., dass in Syrien und Israel und Palästina kaum jemand hoffnungsvoll Kinder in die Welt setzen mochte. Zu vernichtend die Gewalt der Herrschenden, zu groß die Armut. So ist´s heute, wie es damals war. Damals war es auch nichts mit dem seligen Idyll der heiligen Familie. Sie hat im Gegenteil einen dornigen Weg hinter sich. Die Weihnachtsgeschichten in der Bibel erzählen von Flucht, bösen Träumen und blanker Existenzangst.

 

Maria durch ein´ Dornwald ging, der sieben Jahr kein Frucht getragen. Dieses so mystische Advents- und Weihnachtslied aus dem 16. Jahrhundert weiß sehr genau etwas von dieser bitteren Seite der Weihnacht. Deshalb erlebte dieses Lied in der Jugendbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Renaissance. Es galt, den simplen Kinderliedchen und dem Kinderglauben der Vätergeneration eine ehrliche Sprache entgegen zu setzen. Und die redete von Dornen. Von Schmerzen, die überwunden werden. Redete von der Auseinandersetzung mit dem Unfruchtbaren, dem Lebensfeindlichen, dem Aggressiven, redete von all dem, was uns im Leben belastet und immer wieder einen Stich versetzt. Und Maria? Sie geht dadurch. Sie trägt das Geheimnis werdenden Lebens durch einen ganzen Wald von Dornen. Sie tut es nicht allein für sich. Sie tut es für uns. Sie, die dieses Lied von Umsturz und einer besseren Welt gesungen hat!

 

Und Gott hat sich ihrer, hat sich unserer erbarmt. Da haben die Dornen auf einmal Rosen getragen…Ja, willkommen, lieber Herre Christ, der du auf diese Welt gekommen bist! Wir brauchen dein Lächeln wohl über alle Welt. Brauchen den Mut, zu hoffen, was man nicht sehen kann. Viel Böses geschieht, doch dieses Kind da, jedes Kind hier ist gut.

 

So viele, auch so viele kleine Kinder sind in Flucht und Existenzangst hierher getragen worden, nach Deutschland, nach Lübeck. So viele wissen ja gar nicht, liebe Gemeinde, dass über ein Drittel der Flüchtlinge kleine Kinder sind! Manche haben ihre Eltern auf der Flucht verloren. Der Neuanfang hier ist für alle schwer. Und wahrlich, Hermann Hesse hin oder her, diesem Anfang wohnt wenig Zauber inne. Es ist so viel Müdigkeit. Die Überforderung. Traumata und Schreckensbilder, auch bei den Kleinen.

 

Da müssen wir doch etwas tun, sagen sich zum Glück viele. Gerade unsere Kirchengemeinden und die Gemeindediakonie in Lübeck versuchen viel. Holen etwa die Flüchtlinge ab, wenn sie hier ankommen mit ihren Tüten und Lebenspäckchen und ihrer Verstörtheit. Und sagen: Willkommen in unserem Land! Und es geht dann nicht nur darum, für eine würdige Unterkunft, Medizin, Deutschunterricht, Spielzeug zu sorgen. Es geht – bei Gott! – um den achtsamen Blick, um die Würdigung der Geschichte eines Lebens, die individuell ist und eben nicht allein aus der buchstäblich abgerissenen Existenz und bitteren Bedürftigkeit eines Flüchtlings besteht. Achtung und Respekt bedeutet, dem ganzen Leben ein Ansehen zu geben. Ein Leben, das Dornen ebenso trägt wie die Kraft, wieder Rosen zum Blühen zu bringen. Beides gehört doch zusammen. Dass auch der Mensch, der Schweres erlebt, für andere Gutes und Sinnhaftes tun kann und will. So habe ich es gestern am Heiligabend in der Gemeinde neben der Zentralen Erstaufnahme in Hamburg-Bahrenfeld erlebt. Flüchtlinge und viele, viele Ehrenamtliche zusammen bewältigen das schwere Leben. Gemeinsam wird geholfen, gekocht, beschenkt, jeder jeden. Das fängt schon mit dem Krippenspiel an: gefühlt zwanzig kleine Engel spielen mit, die eine Hälfte blondgelockt, die andere schwarzbezopft – sie kommen aus Syrien, Eritrea, aus dem Iran. Alle mit Flügeln. Umwerfend zauberhaft und anrührend, als sie auf einmal hingebungsvoll einstimmen in das „Fürchte dich nicht“… Es ist das Gemeinsame, die gemeinsame Sehnsucht. Die Menschen aus anderen Herkunftsländern, wie sie hier heißen, sind nicht zuallererst bedürftig, sondern gebeten mitzutun. Bei der Kleiderkammer, zig Tonnen sind inzwischen verteilt; beim Gartenprojekt, in der Küche. Diese Gegenseitigkeit gibt allen Würde. Die Würde der Augenhöhe, sie hat gerade die Flüchtlinge wieder sie selbst werden lassen. Und die Kinder, sie lachen wieder. Viel Böses geschieht, doch das Kind da ist gut.

 

Dagegen erschrecken mich die Bilder von Demonstrationen, bei denen tausende von Menschen schweigend durch die Straßen ziehen und signalisieren: Wir wollen keine Flüchtlinge! Keine Überfremdung. Mir fehlt jedes Verständnis dafür. Wem christliche Werte am Herzen liegen, der geht doch nicht eingereiht in eine schweigende, dunkel gekleidete, marschierende Masse! Diese Anonymität, diese Nichtbegegnung ist nichts anderes als Fortsetzung der Angst mit anderen Mitteln.

 

Halten wir gegen im Geist des kleinen Kindes, das jeden Menschen unbeirrbar freundlich anschaut. Und Ansehen gibt. Denn hierin liegt die Kraft unseres Glaubens, liebe Gemeinde: Dass wir uns nicht friedlos machen lassen durch Hetze und Torheit, sondern überwinden, was ängstigt. Denn die Dornen haben Rosen getragen! In dieser subversiven Umkehr alles Mächtigen liegt die Kraft des kleinen Kindes. Was wäre bloß gewesen, die Hirten hätten sich nicht aufgemacht, um diese Geschichte zu sehen und das Kind zu kieken? Um dann natürlich der Welt davon zu erzählen?!

 

Doch sie gingen. Zum Glück. Und so wird die Geschichte immer wieder erzählt, angeeignet, im Herzen bewegt. Auch von Kindern übrigens. Zum Lobe Gottes und den Menschen ein Wohlgefallen….Wie beispielsweise die Geschichte vom Jesuskind von einem Kind gekiekt wird, wie eine Fünfjährige mit ureigener Komik auf den Punkt bringt, dass das Erbarmen Gottes allen Menschenkindern gilt, damit möchte ich Sie wieder in die weihnachtliche Welt schicken. Fröhlich. Hören wir auf Claudia, 5 Jahre:

 

Die Hirten sind von dem Geschrei der Engel aufgewacht und haben einen wahnsinnigen Schrecken gekriegt. Aber der Engel hat gesagt: „Ich hab´s in echt nicht gewollt, dass ihr einen Schrecken kriegt!“ “Da hat der Hirte gesagt: „Macht doch nix.“ – „;Maria hat ein Kind, ihr sollt´s mal anschauen!“, hat der Engel gesagt.

Dann sind sie zu dem Stall hingegangen und haben an die Tür geklopft, und der Josef hat gesagt: „Herein, wenn´s kein Wolf ist!“ Und die Maria hat geschrien: „Macht doch die Tür nicht so weit auf, zum Donnerwetter, weil doch zu dem Baby zieht!“

Und dann haben sie das Baby angeschaut, und es hat gelacht! Und Decken haben sie noch mitgebracht und ein Schaffell zum Drauflegen und Milch für das Baby, wenn´s schreit.“

 

Und dann haben sie es angeschaut und es hat gelacht.

Ist das nicht zu Herzen gehend, liebe Weihnachtsgemeinde? Weil sie so genau verstanden hat, dass die Liebe auf die Welt gekommen ist, um das Böse, respektive den Wolf zu überwinden. Viel Böses war, doch das Kind jetzt ist gut. Und wahrlich, so haben die Dornen Rosen getragen.

Ich wünsche Ihnen von Herzen eine gesegnete Weihnachtszeit, liebe Gemeinde. Angeschaut von dem Kind, dass Friede werde, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm, Gottes Sohn. Amen

Datum
25.12.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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