25. Mai 2014 - St. Marien, Lübeck

25. Mai 2014 - Ökumenischer Gottesdienst zum Internationalen Hansetag in Lübeck

25. Mai 2014 von Kirsten Fehrs

Johannes 16 23b Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. 24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. 25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. 26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; 27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. 28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wie-der und gehe zum Vater. 33 Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Liebe Brüder und Schwestern!

Betet! Rogate – so lautet die Aufforderung heute. Nicht als Befehl, sondern vielmehr als eine Art Tipp: Beten macht das Leben leichter. „Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude, euer Glück vollkommen sei“ – so heißt es im Evangelium. In Schleswig-Holstein leben laut Studien die glücklichsten Menschen in Deutschland, an Hansetagen in Lübeck ja sowieso. Bedeutet das also, hier würde man besonders viel beten?

 

Als Bischöfin meines Sprengels mit gleich zwei Hansestädten bin ich da erst einmal hanseatisch. Meint: realistisch. Und sollte mich wundern. Denn tatsächlich ist es so, dass auf den Marktplätzen der Moderne, den Internetforen, nachweislich das Bedürfnis steigt zu beten. Oder besser: das Beten wieder zu lernen. Doch wie und wo lernt man Beten?

 

Als ich Kind war, gehörte es zum Zubettgeh-Ritual, gemeinsam mit meiner Mutter die Hände zu falten, all die beim Namen zu nennen, die´s gut haben sollten und „Guten Abend, gute Nacht“ von Johannes Brahms zu singen. Zugegeben; ich schaffte letzteres oft in 25 Sekunden, um dann noch mein Lieblingslied „Im Wald, da sind die Räuber“ anzuschließen. Dennoch: Mit der Mutter zum Vater im Himmel zu beten, war ein ganz inniger und friedlicher Moment. Und ein wichtiger Halt. Denn es gab ja als Kind manch Angst zu bestehen. Dinge in der Welt, die man nicht verstand. Oder immer noch nicht versteht. Die einen belasten. In der Welt habt ihr Angst. Ja. Sicher. Im Gebet kann man das aber sagen. Frei heraus. Da ist alles erlaubt. Denn der, der zuhört, hat eine große Liebe zu dir.

 

Es gibt übrigens hinreißende Kindergebete. Voller Anvertrauen. Direktheit. Etwa so:

„Lieber Gott, bitte mach, dass meine Oma wieder gesund wird. Sie backt die besten Plätzchen der Welt. Und bitte, bitte tu endlich `was, dass ich hübscher werde! Deine Eilin“

Oder: „Lieber Gott, ich spreche ungern mit jemandem, den ich nicht sehen kann. Wenn ich Pfarrer wäre, würde ich dann einen Termin in deiner Sprechstunde bekommen? Ich hätte da nämlich einiges mit dir zu klären. Dein Tim“

Oder: „Lieber Gott, sind Jungen eigentlich besser als Mädchen? Ich weiß, du bist ein Junge – also sei fair! Deine Kristina“

 

Kinder reden mit Gott, wenn man sie lässt. Sie bitten, verhandeln, flehen, seufzen, klagen, danken, entschuldigen sich. Sie werden ihre Nöte los und ihr Unverständnis, fragen, warum Gott Waffen erfunden hat und den Tod. Und sie teilen sich mit. „Ich bete zu dir, weil mir langweilig ist, sagt Aaron. „Du kennst das wohl nicht, weil du dauernd für uns hier arbeiten musst. Also: Man hört von einander!“

 

Man hört voneinander. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Gebet ist ein wechselseitiges Geschehen. In tiefer Verbundenheit, auch in fragender Verbundenheit zwischen Gott und Mensch. Um Frieden zu erlangen. Ruhe. „Deshalb habe ich dies geredet: ihr sollt Frieden in mir haben.“ Um dieses Evangelium zu hören, braucht´s aber erst einmal ein Hineinhorchen in sich selbst. Um heraus zu kommen aus der Unruhe der tobenden Welt, die einem ja wahrlich Angst machen kann. Mit ihrem gnadenlosen Aufrüsten und Kriegsgeschrei, mit ihrem hektischen Zeittakt und dauernder Beschallung. Kein Zufall, dass gerade die Betriebsamen und Denkenden, die Manager aller Zeiten stille Räume aufsuchen und Klöster. Nicht um sich von der Welt abzuwenden, sondern im Gegenteil, um in ihr weiterhin sinnstiftend tätig zu sein. Deshalb dieses Innehalten. Um wieder Kraft zu schöpfen. Um dem Friedensgebet wieder etwas zuzutrauen!

 

Auch die Kaufleute und Bürgerschaften der Hansestädte hatten das Bedürfnis nach Orten des Gebets. Prächtige Orte, versteht sich. All die großartigen backsteingotischen Kirchen der Hansestädte! Und auch wenn sie natürlich den Bürgerstolz und die Wirtschaftskraft der Erbauer abbilden sollten: Sie waren und sind doch Häuser des Gebetes. Ihre Kirchtürme weisen auf den Himmel, ohne den nichts ist auf Erden. Und so sind sie eben nicht nur Denkmale einer großen Vergangenheit. Dann würden sie ja schnell in die Nähe des goldenen Kalbs rücken. Nein, sie waren und sind Segensorte. Wie viele Menschen haben allein hier in St. Marien um den Segen gebetet für die Familie, das kranke Kind und auch für die Zunft. Wie viele haben mit Gott gehadert oder auf Knien gedankt für das Ende von Krieg, Pest und Not.

 

Betet! Denn so hört man voneinander. Heißt auch: Seid euch nicht selbst genug. Seht auch auf eure Nächsten! Ihr habt so viel zu geben. Seid vermögend in vielerlei Hinsicht. Lebt aus dem Geist heraus, was für ein kostbares Geschenk das Leben ist!

 

Jede Gemeinschaft braucht eine solche Grundlage, wenn sie bestehen soll. Auch die Hanse war ja viel mehr als ein reiner Wirtschaftsbund. Teilt man doch bis heute religiöse, kulturelle und ethische Werte. Und steht man doch bis heute für die Anerkennung von Vielsprachigkeit, auch religiöser Vielsprachigkeit!

Mehr denn je braucht auch eine spannungsgeladene Europäische Union solche Gemeinsamkeiten. Sie, die ja eine Art späte Nachfolgerin der Hanse ist und deren Parlament wir heute wählen, braucht neuen Zusammenhalt. Und deshalb ein Innehalten. Um sich gewiss zu werden, dass es für ein demokratisches und friedliches Europa nicht nur auf einen gemeinsamen Markt ankommt, sondern vor allem auf gemeinsame Grundwerte.

Für mich als Christin wurzeln diese Werte in der Erkenntnis, dass letztendlich all das, was uns wirklich Sinn gibt und Halt, geschenkt wird: Die Liebe, das Kind, Glück, Freundschaft, Gesundheit, Würde im Leben und Würde im Sterben. All das können wir nicht mit eigener Kraft schaffen oder erzwingen oder gar kaufen. Wir können es empfangen. Uns schenken lassen. Dafür danken. Und darum bitten. Für die, die wir lieben. Für uns selbst. Wir können bitten für die, die aus ihrer Heimat fliehen müssen und vor den Grenzen Europas um ihr Leben fürchten. Und wir können bitten für die, die Angst haben, gerade jetzt in der Ukraine, in Syrien, an so vielen Orten der Welt.

 

In der Welt habt ihr Angst, doch seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Seit meiner Kindheit glaube ich, dass das Beten verändernde Kraft hat. Denn wer betet, findet sich nicht ab mit dem, was nicht stimmt. Wer betet, denkt nach, wie das zu ändern ist. Und ich bin sicher: Gott hört. Er hört, was wir nicht lösen können und was uns unruhig macht. Er hört uns, damit wir unser Leben lang nicht müde werden, den Frieden zu ersehnen. Besonders Kinder hört er wie Artur: „Ich muss schon sagen, lieber Gott, du hast die Schöpfung und die Menschen so schön gemacht. Aber ich habe trotzdem ein paar Verbesserungsvorschläge. Zum Beispiel sollten die Blumen das ganze Jahr blühen. Und die Menschen sollten gesund sein. Und jedes Kind sollte täglich Frühstück, Mittagessen und Abendbrot bekommen. Darum bitt´ ich dich und das war´s auch schon. Amen“

 

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien einen glücklichen, international-europäischen, gemeinschaftsstiftenden und also segensreichen Hansetag hier in Lübeck! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre dabei unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Datum
25.05.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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