25. Oktober 2013 - Grußwort zum 50jährigen Jubiläum der Wiedereröffnung
25. Oktober 2013
Sehr geehrter Herr Nugent,
verehrte Provisorinnen und Provisoren,
lieber Herr Dr. Gruhl,
meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Geburtstagsgäste!
„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“: dieses vielzitierte und wunderbare Wort von Thomas Mann hat doch allemal einen gebührenden Platz, wenn es um eine Einrichtung geht, die im Jahre 1248 zum ersten Mal erwähnt wird: Seit 765 Jahren gibt es das Gast- und Krankenhaus und vor einem halben Jahrhundert wurde dieser Neubau hier in Poppenbüttel eingeweiht. Zu diesem eindrucksvollen Jubiläum gratuliere ich Ihnen sehr herzlich, wünsche Gottes reichen Segen und freue mich, zu diesem Anlass bei Ihnen zu sein und zu Ihnen als Ihre Bischöfin reden zu dürfen.
Tief ist der Brunnen der Vergangenheit – und in die Tiefe der Geschichte des Gast- und Krankenhauses werden wir tatsächlich geführt durch die umfassende Darstellung von dem renommierten Hamburger Historiker Dr. Frank Hatje. Sie ist nämlich nicht allein die Chronik eines zutiefst christlichen Hauses, das der Barmherzigkeit ein Dach gibt. Hier wird man zugleich mitgenommen auf eine Zeitreise durch 750 Jahre Stadt-und Sozialgeschichte hindurch. Wenn ich auch noch nicht alles auswendig gelernt habe, so ist mir doch durch die Passagen, die ich mit großem Interesse gelesen habe, deutlich geworden, dass dieses Gast- und Krankenhaus wahrlich eine Hamburger Institution ist.
Und dies nicht allein aufgrund ihres hohen Alters. Sondern auch dadurch, dass Ihre Einrichtung vom Geist und Selbstverständnis des freien und wohltätigen Hanseatischen Bürgers getragen ist. Im wahrsten Sinne getragen, umfasst doch die Trägerschaft dieser „vaterstädtischen milden Stiftung“ (wie es in Ihren Statuten seit dem 19. Jahrhundert heißt) sowohl hamburgische Tradition, ja Patriotismus, als auch zugleich einen gewissen Stolz auf die institutionelle Unabhängigkeit. Durch das Patronat der Bürgermeister und familiäre Verbindungen der Provisoren hatte das Gast- und Krankenhaus immer eine große Nähe zum Staat, ohne eine öffentliche, staatliche Einrichtung zu sein. Und man verstand sich als christlich, ohne in die Strukturen der Kirche oder der Inneren Mission eingebunden zu sein. Auch wenn Sie inzwischen Mitglied des Diakonischen Werkes sind, hat sich dies gehalten: Traditionsgebunden und freiheitsliebend und unabhängig – solch hanseatisches bürgerliches Engagement gibt unserer Stadt ein soziales Gesicht. Wo wären wir ohne sie und ohne Sie, meine Damen und Herren.
Nun ist das Gast- und Krankenhaus aber auch eine Hamburger Institution im ganz elementaren geographischen Sinn: kurz gesagt: Sie sind im Laufe der Jahrhunderte ganz schön herum gekommen… Ursprünglich in der Nähe der alten Stadtmauer „zwischen Graskeller und Alsterfleet“ angesiedelt, zog es 1830 in das Haus am Neuen Wall um. Im Jahre 1858 finden wir das Gast- und Krankenhaus in St. Georg und schließlich hat es seit 50 Jahren hier in Poppenbüttel seinen derzeitigen Ort gefunden. Man könnte sagen: eine bewegte Geschichte eines christlichen Hauses, das es geschafft hat, immer in der Nähe derer zu sein, die Obdach brauchten und Zuwendung, Brot und Segenswort. Nächstenliebe bewegt eben nicht nur Herzen, sondern auch Strukturen.
Und eben dies erkennt man in der Tiefe der Geschichte: Seit seiner Gründung im 13. Jahrhundert hat sich das Gast- und Krankenhaus als eine christliche Herberge für Durchreisende des Lebens verstanden. Als Ort also, an dem der Pilgernde wie die Suchenden, der Arme wie die Unvermögenden, an dem der alte Mensch und die Geschwächten willkommen geheißen wurden. Hier lebte stets die Gastfreundschaft Gottes, die ausnahmslos jedem Menschen auf dieser Erde gilt. Und merken wir bei solch einem feierlichen Jubiläum nicht irgendwie alle, dass wir selbst Durchreisende sind in diesem Leben, und dass wir das Sehnen kennen nach einer Herberge für die Seele – gerade wenn wir an der Grenze sind oder um Würde ringen?
Wie gut, dass in diesem Gast- und Krankenhaus der christliche Glaube und das christliche Menschenbild das Fundament bilden. So stehen Sie explizit mit ihrem Leitbild „für einen Lebensabend in Würde und Geborgenheit“. Äußerlich sichtbar wird diese Grundhaltung nicht zuletzt an der Kapelle, Ihrem „Raum der Stille“. Und Sie drücken in so vielem hier aus: Pflege und Sorge um den Körper geht nicht ohne Seelsorge. Immer schon spielt sie in diesem Haus eine große Rolle: Die zarte Geste und kühle Hand, das gute Wort, der Scherz, das offene Ohr. In heutiger Zeit mit vielen hochbetagten Menschen und zugleich zunehmendem Pflegenotstand ist dies wertvoller denn je. „Respekt vor der Würde des alten Menschen“ sagen Sie dazu. Und ich höre dazu ein Bibelwort wie eine Überschrift dazu „Ich will euch tragen bis ins Alter“ – so hört der Prophet Jesaja Gott sagen: „Ich habe es getan und ich werde heben und tragen und erretten.“ Und dieses Bibelwort meint: Die Gnade bleibt. Denn es gibt so viele – ja auch hier – die heben und tragen. Und sie zeigen: Die Gnade bleibt, wenn der Mensch wird, wächst und vergeht. Sie bleibt, wenn er träumt, zweifelt, denkt, wenn er liebt und begehrt, wenn er rennt und hinfällt, sie bleibt, wenn einem Hören und Sehen vergeht. Die Gnade bleibt. Welche Kraft ist diese Botschaft der Seelsorge: Eine Kraft, die hebt und trägt und rettet.
Wie wichtig ist dies zu hören. Heute mehr denn je. Die Seelsorge ist doch die Muttersprache des Christentums und sie ist die Muttersprache unserer Kirche. Sie ist uns mitgegeben – von dem Moment an, in dem Jesus den Verwirrten beruhigt hat, die Kranke geheilt, die Sünderin angehört, den Suchenden gefragt hat: Was willst du, dass ich dir tu? Mit Gestus, Wort und Ritual ist sie eine vielschichtige Sprache der Zuwendung, die Menschen hilft, sich selbst zu verstehen, sich selbst zu befragen und sich in den Grenzsituationen des Lebens getragen zu fühlen. Und so ist sie die Sprache, die wir als Kirche in die Gesellschaft einbringen. Im Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamtlichen, von Stadt, Diakonie und Kirche. Im Zusammenspiel von bürgerschaftlichem Engagement und christlicher Nächstenliebe, die in diesem Haus konkret wird.
Meine Damen und Herren, die „Ordnung“ des Gast- und Krankenhaus aus dem 17. Jh. sah vor, dass die Stiftung Bestand haben soll „bis zum lieben Jüngsten Tage“ (zitiert nach F. Hatje, S. 62). Im Rückblick auf die ersten 765 Jahre kann man vielleicht sagen: ein guter Anfang ist geschafft: Und trotz der altehrwürdigen Bezeichnung für die Vorstandmitglieder hat Ihre Einrichtung so ganz und gar nichts Provisorisches.
So wünsche ich Ihnen also – vielleicht nicht bis zum lieben Jüngsten Tage, aber bestimmt für die nächsten siebeneinhalb Jahrhunderte – alles Gute und Gottes Segen für die Zukunft Ihres Hauses, für die Menschen, die in ihnen leben und arbeiten: Möge Gott sie segnen und auf ihren Wegen begleiten!
Ich danke Ihnen.