25. Oktober 2013 - St. Nikolai, Kiel

25. Oktober 2013 - Jahresempfang des Frauenwerkes der Nordkirche

25. Oktober 2013 von Kirsten Fehrs

Liebe Schwestern und Brüder!

„Jetzt__ ist die Zeit“, so lautet das Zweijahresmotto der Frauenarbeit in Hamburg und Schleswig-Holstein für die Jahre 2012 und 2013. Der rote Faden für zwei Jahre und für diese Stunden hier und heute. Beim ersten Jahresempfang des Frauenwerkes der Nordkirche. Und ich darf dabei sein! Ich freue mich, als die für den Hauptbereich zuständige Bischöfin den Abend heute zu eröffnen.

Jetzt__ ist die Zeit. Da ist die Sache mit dem Unterstrich. Unterbrechung – Moment, jetzt, Ruhe, da ist Zeit. Und ich erinnere eines meiner Lieblingsgedichte.

 

Unterbrechung – von Dorothee Sölle

 

Du sollst dich selbst unterbrechen.

Zwischen Arbeiten und Konsumieren

soll Stille sein und Freude…

Zwischen Aufräumen und Vorbereiten

sollst du es in dir singen hören...

Zwischen Wegschaffen und Vorplanen

sollst du dich erinnern

an den ersten Schöpfungsmorgen,

deinen und aller Anfang,

als die Sonne aufging

ohne Zweck

und du nicht berechnet wurdest

in der Zeit,

die niemand gehört.

(Dorothee Sölle)

 

„Unterbrechung“ ist dran. In dieser ununterbrochen auf Sendung sich befindlichen Menschheit, in diesen stetig sich beschleunigenden Erfolgskaskaden, in dieser erbarmungslosen Profitwelt, in all diesen eklatant unhinterfragten Verschwendungen von Lebenszeit – ist Unterbrechung dran. Das sagen Sie, das sagt ihr als Frauenwerk – und das seid ihr als Frauenwerk. Ihr seid die Unterbrechung des Unhinterfragten. Des Beschleunigens bis der Arzt kommt. Die Unterbrechung des ständigen von sich Gebens, bis gar nichts mehr in einem ist. So flexibel, dass man sich auf dem eiligen Weg irgendwann selbst verloren hat. Nein, Unterbrechung, bitte. Pause!!

Schaltet doch mal auf Empfang, sagt Ihr.

Hört doch mal hin, was da im Innern sich tut. Im Innern der Seele. In der Gedankenwelt. Was da murrt und knurrt, wer da feiert und wo`s traurig ist. Was einem Frage war und Antwort geworden.

Jetzt ist die Zeit. Um zur Besinnung zu kommen. Es braucht eine Gegenwelt in dieser Welt mit ihrem Toben, Rasen, den Gewaltspiralen und sinkenden Flüchtlingsbooten. Es braucht das Contra zu sexistischer Erniedrigung und Frauenhandel. Es braucht Beratungsbusse – danke allen Spenderinnen für den gerade angeschafften! Es braucht euch, die Amica-Pakete gepackt haben und dem Friedensgebet etwas zutrauen. Es braucht eine Kultur, die die Religion als Schwester versteht. Es braucht eine Gegenwelt, in der der Widerstand auch darin besteht, dass man unbeirrbar von Licht spricht und Hoffnung und Versöhnung. Von einer Gerechtigkeit, die zugegeben größer ist als die Vernunft.

Jetzt___ ist die Zeit. Nicht gestern, morgen. Jetzt ist´s Zeit für die Gegenwelt.

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“  so sagt das Paulus. Und zwar auch inmitten einer Zeit, die alles andere als gnädig ist. In der er Verfolgung, Anfeindungen, Misshandlungen erleidet. Das Jetzt hat seine Kraft, weil in ihm das Sehnen und Widerstehen zusammen kommt. Natürlich ist das „Jetzt“ nicht die Vollkommenheit. Aber es senkt in einen die Sehnsucht, zu verändern, was schmerzt, was um Gottes willen nicht geht. Wer das Jetzt wagt, sehnt sich nach vorn. Und wer sich sehnt, bleibt nicht stehen. Wer sich sehnt, geht. Ja, springt mitunter – auch innerlich – über Mauern. Und dazu gehört auch, dass Menschen sich trauen darüber zu reden, was ihnen heilig ist. Wie oft habe ich das im Frauenwerk erlebt: wie viel Kraft darin liegt, wenn sich Frauen ein Herz und in Sprache fassen, was sie hält und ihnen Trost gibt, wer ihnen Engel war und Lebensmut, wenn sie laut sagen, was sie glauben, warum sie beten und welcher Zweifel nagt - dann wird lebendig, kräftig, klar, wie wert-voll unser Christsein ist in dieser Zeit.

Eine, die das in besonderer Weise konnte, eine, die die Herzen gewann und ausnahmslos alle, denen sie begegnet ist, ins Gespräch gebracht hat, war Kerstin Möller. Ich trauere wie alle hier, ich bin sicher, um eine wunderbare, unverdrossen liebevolle Frau mit einer bis zuletzt so anrührenden Zuversicht. Und – ja sogar Fröhlichkeit. Lachen auch im Schmerz, und Klarheit auch in der Krise. Jetzt. Sprung. Ist die Zeit. Wir leben auch mit Brüchen. Sprüngen, die uns traurig machen. Jetzt ist die Zeit – auch zum Aushalten des Schmerzes und der Trauer.

Jetzt ist die Zeit - sagen Sie, sagt Ihr und sehnt euch nach vorn. In eine gemeinsame Arbeit als Frauenwerke, die Kerstin so intensiv begonnen und die nun in anderen Händen mit anderen Gedanken und anderen Energien nach vorn gebracht wird. Ich sehe Kirsten Voss und Ulrike Körtke und wünsche ihnen und allen Haupt- und Ehrenamtlichen Mut und viel Kraft. Denn da wo Fusion draufsteht, ist ja noch lange nicht Fusion drin. Sie gehen mit dem „Jetzt ist die Zeit“ und „aufbrechen und verwurzelt sein“, dem Zwei-Jahres-Motto aus Mecklenburg-Vorpommern, behutsam erste Schritte, um diese Fusion gut zu gestalten. Und das ist ja ein Prozess nach innen wie nach außen.

Und Sie werden sich dabei fragen: was ist jetzt dran in dieser Zeit? Theologisch, spirituell, individuell oder auch politisch. Wie gestalten wir heute unsere von Gott geschenkte Zeit als erfüllte Zeit? Mit einer Fachtagung zum Thema Prostitution zum Beispiel – ist doch das Frauenwerk immer wach für gesellschaftlichen Missstände. Im Zeichen der Solidarität versucht es, Verbesserungen für Frauen zu erwirken. Politisch und individuell. Und es soll bitte nicht nachlassen damit!

 

Oder diese Ausstellung hier, die selbst einen Prozess beschreibt. Ganz in Sinne von Benita Joswig, einer – auch an Krebs verstorbenen – feministischen Theologin und Künstlerin, haben Frauen an vielen Orten der Nordkirche versucht, die Distanz zwischen Theologie bzw. Kunst und Leben zu überwinden. Sie haben in Ihren Arbeiten die Erfahrungen aus dem Alltag, aus dem konkreten Lebensraum mit dem Zwei-Jahres-Motto verbunden. Dabei sind Kunstwerke entstanden, von denen einige heute in dieser Kirche gezeigt werden. Und da das Jahr 2013 bald zu Ende ist, und damit die Zeit für das Motto, ist diese Ausstellung Vernissage und Finissage zugleich.

 

Jetzt ist die Zeit – zu danken. Euch und Ihnen, die Sie dem Frauenwerk Ihre Zeit widmen und Ideen, Ihre Gedanken, Ihren Mut und Unmut, Ihre Träume und Lebenskraft. Ich danke allen Ehrenamtlichen in allen möglichen Gremien und ebenso den Referentinnen im Frauenwerk der Nordkirche für Ihre Arbeit in all den unterschiedlichen Bereichen – einschließlich den Mitarbeiterinnen von Gode Tied, der Mutter-Kind-Kureinrichtung in Büsum, der Kampagne für saubere Kleidung, der Annemarie-Grosch-Frauenstiftung, den Kirchenkreisfrauenwerken.

Und denen, die ich leider vergessen habe zu nennen, danke ich auch.

 

Und jetzt – ist es Zeit, den 1. Jahresempfang offiziell zu eröffnen und sie alle einzuladen, sich zu erquicken. Dieses Wort ist, finde ich, ein wunderschönes für diese Unterbrechung heute. Für diesen Tag, an dem wir feiern, trinken, essen, reden.

Denn erquicken heißt im Griechischen: anapauso.

Eine Pauso, bitte.

Der große Gastgeber, Gott will uns erquicken.

Das ist jetzt so.

Und es war damals so.

Damals

als die Sonne aufging

ohne Zweck

und du nicht berechnet wurdest.

Bis heute nicht.

Gott sei Dank und

Segen sei mit euch, liebes Frauenwerk!

Datum
25.10.2013
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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