26. Dezember 2014 - Dom St. Nikolai zu Greifswald

26. Dezember 2014 - Zweiter Weihnachtsfeiertag

26. Dezember 2014 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Johannes 1, 1-4.14

Vor allem Anfang Gott

Liebe Gemeinde,

das Johannesevangelium hebt so grundsätzlich an, grundsätzlicher kann man gar nicht reden. Vor allem Anfang war Gott. Gott ist in allem. Gott ist der Ursprung allen Lebens. Wer leben will, nicht nur existieren, braucht Gott. Vor aller Schöpfung gehörte zu Gott aber schon das Wort. Das Wort ist ein Bedeutungsträger. Es fasst das Sein in den Begriff. Das Wort ist – so sagt Johannes – nichts Abgeleitetes, Unwichtiges, etwas, was sich nur Menschen ausgedacht haben. Das Wort ist nicht Teil der Schöpfung, sondern gehört auf die Seite Gottes. Von Anfang an standen Gott und sein Wort der Schöpfung gegenüber. Dieses auf den Begriff gebrachte Wesen Gottes heißt mit dem griechischen Wort: der Logos; mit der hebräischen Bezeichnung: die Weisheit. Der Wechsel der Sprachen bringt eine Veränderung des Geschlechts mit sich: die Weisheit, der Logos, das Wort. Allen gemein ist aber die Überzeugung: Was über Gott gewusst werden soll und muss, kann in Rede gefasst werden. Aber nicht die Rede oder die Lehre ist die vollkommene Verkörperung des Wortes, sondern – und das ist der Schlüssel zu Gott – die Menschwerdung des Wortes. „Das Wort ward Fleisch“, übersetzt Martin Luther. „Das Wort wurde Mensch“, sagt die Basisbibel.

Und das Wort war bei jeder Schöpfung dabei. „Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist“ (V.3). Die Spur dieses Wortes findet sich also in jedem Menschen. Johannes geht davon aus, dass wir deswegen eine Sehnsucht nach echtem Leben, eine Sehnsucht nach Gott in uns tragen. Wir wissen es nicht alle, aber letztlich sind wir alle unruhig, bis wir in Gott zur Ruhe kommen. Der Schöpfer allen Lebens hat in uns diese Gottesbeziehung hineingelegt. Man kann ihn verdrängen oder verleugnen, er sucht sich allerdings wieder seinen Weg.

Wir fragen heute: „Was nützt Religion? Macht der Glaube gesund? Schenkt er Reichtum? Wofür ist der Glaube gut?“ Und wir meinen, einem Angebot der Weltreligionen gegenüber zu stehen. Wie in einem Supermarkt meinen dann auch viele, sich ihren Weg zum Heil aussuchen zu können. Bei Licht besehen stimmt es allerdings nicht. In gar nicht wenigen Religionen muss man hineingeboren sein. Eine Konversion ist eigentlich nicht vorgesehen. Das gilt vor allen Dingen für den Hinduismus und sein Kastenwesen. Es gilt eigentlich auch für das Judentum, obwohl im Laufe der letzten beiden Jahrtausende sehr viele Menschen zum Judentum konvertiert sind. Der Buddhismus allerdings sucht Menschen, die die rechte Erkenntnis haben und so den Weg zum Heil finden. Der Islam verlangt nach Anhängern, die sich dem im Koran eindeutig offenbarten Gebot Allahs unterwerfen. Christ werden kann jeder, der dem Glauben an den Dreieinigen Gott zustimmt und sich taufen lässt. Ganz gewiss kann man sagen, dass man auf solchem Wege Gott nicht findet. Nach übereinstimmender Lehre der biblischen Autoren ist der Glaube nicht nützlich, sondern wahr. In einem Wortspiel hat der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel einmal gesagt: „Der Glaube an Jesus Christus ist nicht notwendig, er ist mehr als notwendig.“ Bevor ich frage, wie ich mich auf dem Hintergrund einer Religion zu verhalten habe, sollte ich überlegen, welches Menschenbild, welche Lehre vom Leben und von Gott eine Religion voraussetzt. Überzeugt mich dieser Glaubensinhalt? In Bezug auf das Menschenbild, auf das Gottesbild und im Blick auf die Frage, wie man das Leben findet, gibt es große Unterschiede.

Vor vielen Jahren wanderte ich mit einer Gruppe von Menschen aus allen möglichen Ländern durch den Sinai. Mit dabei war auch Schmuel, ein jüdischer Rechtsanwalt aus New York. Als er erfuhr, dass ich evangelischer Pastor bin, antwortete er darauf mit der Feststellung: „Alle Religionen wollen doch letztlich dasselbe: to live in a behavior way“. „Alle Religionen wollen doch schließlich, dass wir anständig leben.“ Es ist eine Meinung, die viele auch vom Christsein haben. Christsein bedeute, anständig zu leben.

In einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft ist es wichtig, miteinander im Gespräch zu sein. Es geht darum, Vorurteile abzubauen, sich besser kennen zu lernen und nach einer gemeinsamen Basis für die Verbesserung unserer Gesellschaft zu sorgen. Dieses interreligiöse Gespräch wird aber nur Sinn haben, wenn ich selber weiß, was ich glaube. Und Christsein bedeutet eben im Kern nicht, anständig zu leben, sondern durch die Taufe eine Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus einzugehen, um in der Bindung an ihn das Leben zu führen. Das Zentrum des christlichen Glaubens ist nicht eine religiöse Formel und auch kein Dogma, sondern diese Person Jesus Christus. Der Anfang des Johannesevangeliums lehrt uns, dass dieser Jesus Christus die Fleischwerdung des Wortes ist, das im Anfang – schon vor jeder Schöpfung – bei Gott war. Ja, dass Gott selbst dieses Wort gewesen ist.

Christen glauben an den einen Gott. Das teilen sie mit Juden und Moslems, nicht mit Buddhisten und Hindus. Aber sie glauben auch an Jesus Christus, der als dieses Wort von Beginn an auf die Seite Gottes gehört. Und das unterscheidet uns von allen anderen Religionen. Und schließlich glauben wir an den Heiligen Geist. Die Christenheit muss sich nun immer wieder Klarheit verschaffen, warum sie an Jesus Christus glaubt. Warum Jesus Christus? Wir glauben nicht nur wie Jesus Christus. Wir nehmen ihn nicht nur zum Vorbild. Wir hören nicht nur auf seine Lehre. Sondern wir glauben an ihn. Das heißt – mit Martin Luther verstanden- ihn „über alle Dinge zu fürchten und zu lieben“, ihm mehr zu vertrauen, als irgendjemand anderem, allein an ihn unser Herz zu hängen und uns auf ihn zu verlassen.

Warum glauben wir an Jesus Christus? Warum stellen wir ihn als Christen so in die Mitte unseres Glaubens? Der heutige Predigttext antwortet auf diese Frage. Er ist so etwas, wie eine Ouvertüre zum ganzen Johannesevangelium. Hier klingen einzelne Motive an, die erst später genauer entfaltet werden. Vor allem Anfang war Gott, aber Gott war und ist nie ein in sich selbst einsam ruhender Herrscher gewesen. Gott ist eben keine theologische Formel und kein philosophisches Prinzip. Gott war auch vor allem Anfang nicht allein. Das Wort, der Logos, die Weisheit war bei ihm. Da schwingt unendlich viel mehr mit. Es ist ein großer Unterschied, je nach dem, ob ich diese Aussage von einem jüdischen oder einem griechischen Hintergrund her verstehe. Der Grieche tendiert dazu, in Gott ein Prinzip zu sehen. Ein Jude fragt nicht nach der genaueren Definition Gottes. Gott ist der ganz andere, der sich eben nicht in menschliche Definitionen fassen lässt.

Mit dem Wort haben wir Modernen unsere Schwierigkeiten. Wir sagen: „Das waren ja nur Worte.“ Da mag zum Beispiel jemand einen anderen verletzt haben und wir wollen ihn trösten. Nimm es nicht so. Er hat es vielleicht nicht so gemeint. Dann ist das Wort etwas Geringes. Es ist eben nur ein Wort. Das Wort ist schwach. Die Tat hingegen halten wir für stark. So kennen wir es aus Goethes Faust. Goethe lässt Dr. Faust sagen: „Im Anfang war die Tat!“ Auf dem Hintergrund des hebräischen Denkens fällt allerdings dieser Unterschied hin. Dabar, die hebräische Vokabel für das Wort, kann in gleicher Weise auch die Tat bezeichnen. Es ist eben ein Wort, das etwas bewirkt. Auch wir kennen solche Beispiele. Wir reden heute in der modernen Sprachtheorie von performativer Rede. So etwas habe ich selbst vor einigen Jahren bei der Eröffnung der Rügenbrücke erfahren. Da wurden, mitten auf der Brücke an ihrer höchsten Stelle, einige Reden gehalten. Dann wurde ich gebeten, ein Segenswort über diese Brücke zu sprechen und dafür zu beten, dass niemand auf ihr zu Schaden kommt. Schließlich gab der katholische Weihbischof seinen Segen, unterstützt mit Weihwasser. Und schließlich schnitt die Bundeskanzlerin das Band durch, das bis dahin die Rügenbrücke absperrte, und sagte: „Hiermit ist die Brücke dem Verkehr übergeben“. Damit war die Brücke für ihren Zweck freigegeben. Seitdem fahren Autos von Stralsund nach Rügen und von Rügen nach Stralsund. Der Satz: „Hiermit übergebe ich die Rügenbrücke dem Verkehr“, bewirkt, indem er ausgesprochen wird, dass das geschieht, was er beinhaltet.

Das gilt auch für das Wort Gottes. Indem es ausgesprochen wird, gestaltet es die Wirklichkeit so, wie es sie in Worte gefasst hat. Die Aussage: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“ meint aber noch etwas anderes. Von Anfang an war Gott nie allein oder nur für sich. Gott hatte in sich immer das Vermögen, zu schaffen und sich seiner Schöpfung in Liebe zu verbinden. Diese personhafte schöpferische Kraft Gottes ist in Jesus Mensch geworden und so zum Christus, dem Messias Israels und zum Retter der Welt. Die Kraft zur Veränderung, die diese Welt umzugestalten vermag, kommt also nicht aus der Schöpfung oder aus der Menschenwelt, sondern von Gott selbst.

Der Theologe Karl Heim hat es einmal in einer kleinen Beispielgeschichte ausgedrückt: „Während einer Schlammperiode blieb ein Fuhrwerk an einer besonders kritischen Stelle einer grundlosen Straße im Schlamm stecken. Die Lage ist ernst. Der Fahrer bemüht sich, aus dem Schlamm herauszukommen. Er schlägt von seinem Kutschersitz aus unbarmherzig mit der Peitsche auf die Tiere ein. Aber vergeblich. Es geht keinen Schritt vorwärts. Da fasst er einen schnellen Entschluss. Er legt die Peitsche weg und springt von seinem hohen Sitz herunter und mitten hinein in den Schlamm, dass er bis in die Knie in den Schmutz einsinkt und greift nun mit seiner ganzen Manneskraft in die Speichen. Und nun ist es, als ob die Tiere spürten, dass der Mensch, der Gewalt über sie hat, nicht mehr über ihnen thront und auf sie einschlägt, sondern dass er von unten her zu ihnen kommt und seine helfende Kraft für sie einsetzt. Nun setzen sie auch ihre ganze Kraft ein und der tote Punkt ist überwunden. So ist auch die Menschheit durch ihren Abfall von Gott auf einen toten Punkt gekommen, über den sie sich nicht selber hinweghelfen kann. Alle großen Herrscher der Geschichte haben es mit Peitschenschlägen von oben versucht, durch scharfe Maßnahmen und großzügige Organisationen, den Wagen wieder flott zu machen. Aber es ist nicht gelungen, über die kritische Stelle hinwegzukommen. Da geschah etwas Wunderbares. Gott selbst hat uns einen Retter gesandt. Dieser ist aber nicht als ein Machthaber zu uns gekommen, der mit scharfen Maßnahmen von oben her die Welt mit eisernem Besen von allen bösen Gewalten säubern wollte. Gott kam von unten her, er ist gleichsam selbst von seinem Thron herabgestiegen, mitten hinein in die trübe Flut von Leid und Schuld, die uns von allen Seiten umgibt.“[1]

Wir dürfen es nicht vergessen. Das Evangelium, das hier beginnt, führt zum Kreuz. Hier hat Gott die Erfahrung des Leidens und des Scheiterns an seiner eigenen Person gemacht. Sein Sieg in die Auferstehung führte ihn zunächst durch die Niederlage, durch das Scheitern. Wer leben will und nicht nur existieren, braucht diesen Gott, der auch die Schwäche nutzt, um zu seinem Ziel zu führen. Es ist der Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde, und dessen Weg schließlich zum Kreuz führte und mit der Auferstehung zu einer neuen Existenzform überleitete.

Wenn wir heute glauben, dann lebt Jesus Christus in uns weiter. Wir stehen in Verbindung zu dem, dessen Wirken vor Beginn dieser Welt bereits begonnen hat und der sich mit uns und unserem kleinen Leben verbindet. Weihnachten schlägt diese Brücke von dem Anbeginn bis zu unserem Leben. Und weil das so ist, haben wir Zukunft in Ewigkeit. Amen.

 



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