27. Mai 2012 - Predigt zum Pfingstsonntag
27. Mai 2012
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Liebe Schwestern und Brüder,
da sind wir nun – eine Kirche! Menschen aus lange getrennten Welten, die einander nahe gekommen sind, nun gar ‚zusammengezogen’ in ein gemeinsames Haus. Dabei bringen wir sehr verschiedene Herkünfte, Lebensgeschichten, Sprachen mit in dies gemeinsame Haus. Und o Wunder: Wir verstehen einander! O Wunder? Ja; denn was schon sind Parther, Meder, Elamiter … verglichen mit Pommern, Mecklenburgern, Nordelbiern?! Und dabei waren schon damals die Leute über solch ein Wunder des Verstehens – nicht etwa begeistert, sondern „bestürzt“ (2,6), und „sprachen einer zum andern: Was will das werden?“ (2,12) …
In meiner Kindheit und Jugend in Mecklenburg war Kirche eine befreiende Gegenwelt zum herrschenden System: In der DDR-Schule wurde die Einheitsschablone der sozialistischen Persönlichkeit angelegt. Als Konfirmanden und in der Jungen Gemeinde aber lernten wir freies, unabhängiges Denken. Als das Unterrichtsfach „Wehrkunde“ eingerichtet wurde, setzte unsere Kirche Friedensgottesdienste und die Friedensdekade dagegen. In all dem war immer wieder die Bibel Quelle der Inspiration und des Mutes: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Töchter und Söhne Gottes heißen.“ Das prophetische Bild „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde zur Losung, als Aufnäher auf dem Parka oder der Jeansjacke. Und als die Aufnäher verboten waren, tauchten neue auf, auf denen stand „Schwert-Fische zu FlugEnten“.
Und heute? Wie weit lassen wir uns als Kirche ein auf die neue Gesellschaft, das andere, sehr andere ‚System‘? Die Demokratie stärken – na klar! Das heißt auch, wenn notwendig, auf Gerechtigkeitslücken hinweisen, den Finger in die Wunde legen.
„Glücklich seid ihr Armen“, sagt Jesus, „denn die Herrschaft Gottes ist auf eurer Seite“, und setzt hinzu: „Weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost schon gehabt.“ Der Geist der Besitzstandswahrung, des immerwährenden Wachstums – auch in der Kirche – ist nicht der Geist von Pfingsten. Die Pfingstgeschichte hält es mit der Freiheit des Teilens: „Wer etwas hat, kann geben. Wer etwas braucht, soll bekommen.“ Sogar in unserem Grundgesetz lebt etwas von diesem Geist: „Eigentum verpflichtet“, steht da. „Sein Gebrauch soll zugleich dem Allgemeinwohl dienen.“ Verstehen wir das? Verstehen wir, das zu leben?
„Was will das werden“ – mit dieser gemeinsamen Kirche in Norddeutschland?
Menschen sollen auch heute bei uns finden, was sie 1989 in den Kirchensuchten und fanden: die versammelte Erinnerung an ein aufrechtes Leben in Würde, Geschwisterlichkeit, Freude an Verschiedenheit und Hoffnung auf Veränderung ohne Gewalt. Wir haben damals entdeckt: „Wir sind das Volk!“ Und wir haben damit eine eigene Sprache gefunden. Wir haben das bleierne Kleid der Unfreiheit abgestreift, denn wir hatten einen geschichtlichen Moment lang verstanden, wie Gott uns gemeint hat. Seitdem wissen wir: Die Verhältnisse müssen nicht bleiben, wie sie sind.
Platzhalter solcher Hoffnung soll unsere Kirche sein: Die Verhältnisse müssen nicht bleiben, wie sie sind. Wir erfinden Kirche nicht neu, aber wir wollen dem Geist der Erneuerung Raum geben. Und das heißt unbedingt auch:Wir wollen die Sprache derer verstehen lernen, die ohne Gott leben – und wollen lernen, in ihrer Sprache von Gott zu reden.
Ein Leben ohne Gott ist für viele Menschen im Osten Deutschlands seitGenerationen normal. Man kann das beklagen. Man kann sich aber auch dieser Herausforderung stellen – hungrig danach zu verstehen, was Menschen zu Gott führen könnte und was sie daran hindert. Wir wollen sie ernst nehmen, und zwar als Partner in unserem Gespräch, und gemeinsam mit ihnen das Evangelium neu entdecken – nicht, weil wir vergessen hätten, dass Christus Weg und Wahrheit und Leben ist, sondern um gerade mit ihnen diesen Christus für unsere Zeit verstehen zu lernen. Möge Gottes Geist uns dahin leiten. Amen.