St. Georg Kirche

28. August 2012 - Gottesdienst der Nordkirche für Lehrer und Lehrerinnen in Hamburg zum Anfang des Schuljahres

28. August 2012 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Matthäus 5, 1-10

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen

Ein himmlisches neues Schuljahr wünsche ich Ihnen, liebe Schwestern und Brüder. Schwungvoll möge es sein, erlebnisreich und stressfrei, glücklich eben. Aber ob ich das so ausdrücken würde, dass Sie möglichst oft sagen: „Glück gehabt“, Fragezeichen? Glück gehabt – das sagt man ja meist ganz spontan, wenn man von irgendeiner Schippe gesprungen oder vor irgendetwas Unglücklichem bewahrt wurde. Und es schwingt darin mit, dass man selbst das Glück hat, es einem für diesen Moment quasi „gehört“. Warum auch immer.

Doch mit dem eben Gesehenen (Videoeinspielung) einmal genauer hingeschaut, was wir als wirklich glücklich erleben: Eigentlich ist es doch so, dass das Glück uns hat. Es überfällt einen wie das Lachen und die Liebe und bleibt in seiner Unverfügbarkeit immer Geschenk. Kostbar und mit tiefem Sinn. Glück ist der unerwartete Moment, der einen mit einem Gefühl so tiefer Lebendigkeit, ja Liebe erfüllt, dass man die ganze Welt umarmen möcht. Glück ist, wenn jemand sagt: „Dich liebe ich. Was wäre ich ohne dich auf dieser Welt?“ Glück ist, sorglos unter einem Baum zu liegen und die Sonne durchs Blattwerk hindurch zu spüren. Glück ist, wenn meine alte Mutter mich zärtlich berührt und die Nähe genießt. Glück ist das Kind, das seine kleine Hand in die deine legt. Glück ist das Wort der Versöhnung nach verletzendem Streit. Und Glück, liebe Lehrerinnen und Lehrer, ist sicherlich auch, wenn die Kollegin sagt: Geh jetzt mal einen Augenblick in den Park, ich übernehme das hier für dich. Nicht zuletzt: Glück ist, wenn man Momente des tiefen Einverständnisses mit den Schülern erlebt, ein Anvertrauen und Sich-Öffnen, das einen tief rühren oder erheitern kann. Eine Freundin etwa erzählte von einem Schüler, der sie mit seiner Aggression und ständigen Unruhe bis an die Grenze der Erschöpfung gebracht hatte. Am Morgen ihres Geburtstages steht er vor ihr mit einer Rose und einem zerknautschen Zettel in der Hand, auf dem nur steht: Glückwunsch auch.

Glück ist einmalig kostbar. Eben gerade nicht mit Geld zu bezahlen. Oder selbst zu schmieden. Auch nicht, wenn´s den sprichwörtlich Tüchtigen trifft.

Nein, wahres Glück erreicht andere Dimensionen. Eine Tiefe, die vor allem die fühlen, die sich anderen zuwenden. Die die Beziehung riskieren und damit auch sich selbst. Denn sie, wir nehmen uns darin ja auch des Unglücks an, das andere erleben und oft nicht verstehen. Und so lässt wahres Glück uns niemals unberührt. Sondern es erschüttert einen, und zwar zutiefst positiv. Darin liegt enorme Kraft. Kraft, sich zu verändern. Die Erschöpfung, die Traurigkeit, die Krise, die Frage, ob du mich wirklich liebst – all dies gerät wenn zwar nicht in Vergessenheit, aber doch in den Hintergrund. Verliert die Schwere. Wer Glück spürt, hört nicht auf zu träumen von der Leichtigkeit des Seins und zu hoffen, dass die Welt eine andere wird.

Glücklich, nein: Selig sind, die da dürstet und hungert nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Die Menschen dort am Berg, denen Jesus Gottes Seligkeit verheißt, wissen vom Unglück nur allzu viel. Krieg, Zerstörung, Armut, Ungerechtigkeit – das alte Lied. Doch nicht die Trauer gewinnt, sondern das Leben. Das neue Lied. Eben: „Himmel auf!“ Jesus spricht den Menschen ein „Fürchtet euch nicht!“ nach dem anderen zu. Selig seid ihr, nicht zum Absturz, nicht zur Demütigung freigegeben. Kein Kind, Mann, keine Frau. Kostbar wie das Salz der Erde seid ihr, sagt er. Gerade wenn ihr traurig seid, selbstverloren, ohnmächtig und ins Unrecht gesetzt. Und wenn es Momente gibt, in denen du nichts mehr glaubst und niemanden mehr liebst, am wenigsten dich selbst, ja dann gibt es einen Nächsten. Er, sie liebt dich aus deiner Feindschaft heraus. Und es wird Zeiten geben, da bist du diese Nächste, dieser Nächste, da bist du der Barmherzigkeit Hand.

Es ist so ein Glück, sagt Jesus mit jedem Satz neu, dass es dich gibt. Du bist meine Lilie, mein Augenstern. Sicher in meinen Augen. Getragen im Unerträglichen, gestillt im Stress, aufgehoben in der Verzweiflung. Hab´ keine Angst. Und mach sie deshalb auch anderen nicht. Sondern im Gegenteil: Rechne kompromiss-, ja grenzenlos mit Friedensfindigkeit! Ja, mit dem Himmel auf Erden!

Was haben die Worte Jesu dort auf dem Berg über zwei Jahrtausende den Menschen für Kraft gegeben! So radikal und eindeutig waren seine Worte, dass man sie belacht, verhöhnt, verfremdet, entschärft  hat. Doch vergessen hat man sie nie. Sie sind und waren immer wie ein Fels im Orkan der Seele und in den Aufbrandungen der Welt. Sie sind und waren aber immer auch Sand im Getriebe der Zerstörung. Und deshalb haben sie immer Menschen bewegt. Sie furchtlos gemacht. Aufgerüttelt aus Erstarrungen. Haben ihnen bis heute mit ihrem Hunger nach Leben und ihrer Suche nach Frieden einen Ort geben.

Was für ein Unglück für unsere Gesellschaft, liebe Schwestern und Brüder, dass so viele Kinder und Erwachsene diese schönste Rede aller Zeiten nicht mehr kennen. Weil sie in den Worten unserer Tradition nicht mehr zu Hause sind, fehlt ihnen viel, wenn nicht das Entscheidende zum Glück. Ihnen fehlt das Dach des Segens. Also Licht, Trost, Worte der Zuneigung, all das, was das Unglück, die Friedlosigkeit überwinden hilft.

Und deshalb, liebe Schwestern und Brüder, sind Sie so ein Glück. Weil viele von Ihnen an ihm festhalten, den Religionsunterricht. Manchmal unter widrigen Bedingungen. Danke dafür. Denn Religionsunterricht ist eine unerhörte Chance, den Kindern wieder Obdach zu geben in ihrer Tradition. Gern auch gemeinsam mit den Traditionen der anderen Religionen. Wie sonst sollten Kinder lernen, dass Toleranz nicht nur ein Wort ist, sondern manchmal auch echte, das Innere verändernde Arbeit? Wie sonst sollten sie etwas erfahren von dem, was Menschen anderen Glaubens glücklich macht und friedliebend?

(Ich bin übrigens sicher, wir werden uns in Punkto gemeinsamer RU auf der pragmatischen Ebene gut mit etwa den muslimischen Verbänden einigen, so dass wir im Klassenverband bleiben. Länger wird es dauern, auf der rechtlichen Ebene voran zu kommen. Wir beschreiten neue Wege, und die gilt es behutsam zu beschreiten. Ein Glück wäre es, wenn Sie uns als evangelische Kirche dabei unterstützen…)

 

Es gibt bei all dem ein vorrangiges Lernziel, und das heißt Toleranz. Denn: Selig, glücklich sollen ja gerade sie sein: die Ausgegrenzten, Verarmten, die, die wir oft nicht verstehen, ihnen gehört das Himmelreich.

Glücklich die Trauernden, denn sie werden getröstet“ heißt es – und ich höre, dass wir etwas tun gegen die Verdrängung von Tod und Leiden, davon, dass Kinder tiefe Trauer fühlen können oder gar Lebensmüdigkeit.

„Glücklich sind die Sanftmütigen (Freundlichen), denn sie werden die Erde erben“, heißt es und es bedeutet für mich, dass wir etwas tun müssen gegen Ellbogenmentalität und Ich-Bezogenheit

Glücklich die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden, heißt es. Und es bedeutet, dass wir mit Herz gegen halten gegen soziale Kälte und diese Unart öffentlicher Abwertung. Denn selig sind die Barmherzigen.

 Und schließlich: Gegen unglückselige faschistoide Hetzreden, die in den Wohnzimmern immer mehr Einzug halten, heißt es: Glücklich die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Ja, es ist eine Vision. Und zwar eine, die gesund macht. Eine, die wir brauchen. Weil sie immer damit rechnet, dass es wahres Glück gibt, für dich, für mich, für jedes Kind. Dass es also anders wird, als es ist. Glücklich die Gesellschaft, die ihre Religion braucht – denn sie ist die Verheißung von Zukunft und sie ist Vergewisserung des Lebens. Glücklich die Gesellschaft mit ihren vielen Sprachen, Kulturen, Religionen, Konfessionen, wenn sie merkt, dass die Religionen zusammen viel zum Frieden dieser Stadt beitragen können

Und dies mit Bildung, liebe Schwestern und Brüder. Bildung, die den Menschen wieder Obdach gibt in unserer Tradition. Indem sie sie hören und – verstehen. Dazu meine Schlussgeschichte: Vor einigen Jahren sah ich einen Film von Steven Spielberg über die Sklaverei in Amerika. Ich erinnere mich vor allem an eine Szene. Da sieht man etliche Sklaven angekettet im Kerker sitzen. Damit sie den Geist der Wahrheit und die Kultur der hochstehenden Weißen erkennen können, gibt ihnen jemand eine Bibel mit ins Verließ, natürlich in Englisch, was keiner der Schwarzen sprechen, geschweige denn lesen kann. Glücklicherweise ist die Bibel mit Radierungen von Rembrandt versehen. Als sie die Bibel durchblättern, kommentieren sie sie: „Seht mal, was für ein süßer Kleiner!“, sagt einer und zeigt auf die Geburtsszene, „und all die Könige, die vor ihm knien. Der muss wichtig sein.“ „Oh, jetzt ist er groß und wird in einem Fluss gewaschen“, sagt ein anderer. „Donnerwetter, er kann übers Wasser gehen.“ So blättern sie das ganze Evangelium durch, bis jemand sagt: „Schaut mal, da muss etwas schief gegangen sein, er wird gefangen genommen und in Ketten gelegt, wie wir.“ Und sie blättern weiter. Dornenkrone, Kreuzigung, sie werden immer schweigsamer, bis am Ende beim Bild der Kreuzabnahme einer auf den Heiligenschein von Jesus zeigt: „Aber seht nur: überall, wo er ist, da ist auch die Sonne!“

Überall wo er ist, ist die Sonne! Welch Übersetzung der Seligpreisungen in unser Leben! Voller Verheißung. Also: Schauen wir hin und suchen unser Glück: wo ist unsere Sonne, der Stern unseres Lebens? Wo unsere Helligkeit, die andere versöhnt? Bleibt sie nicht erstaunlich oft, unsere Courage – auch wenn die glücklichen Stunden, die gelingenden Phasen unseres Lebens eine Pause einlegen? Wenn die Gesundheit nachlässt, obwohl wir so auf sie achten? Überall da, wo er ist, ist die Sonne. Bleiben wir nicht wunderbar oft aufrecht, auch wenn es uns etwas niedergeschmettert hat? Und bleiben wir nicht zugewandt, auch wenn wir kritisiert werden? Bleiben wir berührbar, auch wenn die Liebe in die Jahre kommt? Überall da, wo er ist, ist auch die Sonne. Er bleibt, hell und klar Ort der Ewigkeit mitten im Leben. Besonders bei unseren Anfängen, das ist gewiss.

Was für ein Glück.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Licht der Welt. Amen

Datum
28.08.2012
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
Zum Anfang der Seite