Festgottesdienst zur 850-Jahr-Feier von Bergedorf

28. Mai 2012 - Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs im ökumenischen Festgottesdienst zur 850-Jahr-Feier von Bergedorf

28. Mai 2012 von Kirsten Fehrs

Predigttext: Johannes 14, 23-27 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, so-lange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater sen-den wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen

Frohe Pfingsten, liebe Festgemeinde!

Sowie Glück und Segen, das wichtigste zuvor! Gratulation zum 850.ten, liebes Bergedorf. Und wenn ich Sie hier so anschaue in der farbenreichen Vielfalt und Lebendigkeit, muss ich schon sagen: Sie haben sich wirklich gut gehalten… Was könnte besser passen, als die Freude und die heute so spürbare Dankbarkeit in einem ökumenischen Pfingstgottesdienst - wohlgemerkt mit dem gesamten Kirchspiel - zum Ausdruck zu bringen! Hat doch nicht nur Bergedorf, sondern just an Pfingsten auch die christliche Kirche Geburtstag. Und also laden heute zwei äußerst agile, lebensfrohe Hochbetagte zum Geburtstagsfest. Zwei, die schon eine Menge hinter sich haben – und so viel vor sich. Zwei, die offenkundig ausgesprochen gern feiern: Die Kirche in Ratzeburg gestern zur Gründung der Nordkirche. Und hier in Bergedorf schon wochenlang. Ich habe mir sagen lassen, das würde noch das ganze Jahr so weiter gehen, bis man wirklich den 850.ten erreicht hat… Nun also: Was könnte besser passen als ein gemeinsamer Frischluftgottesdienst zu Pfingsten? An Tagen wie diesen ist nämlich Aufbruch angesagt. Gottes Geist weht. So wie wir es gestern in Ratzeburg hautnah erleben konnten. Mit jedem sonnigen Windhauch wurden wir hinein genommen in pure Lebensfreude, Zugewandtheit, ja in Gottes Wunderwirken. Lauter fröhliche, aufeinander zugehende Menschen ohne irgendeine Quengelei, grandios. So auch wir hier. Auch wir leben, ja atmen Geistes-Gegenwart. Hier. Jetzt. Mitten auf dem Marktplatz der Welt.  

Auch auf dem Marktplatz von Jerusalem spürten die Menschen vor 2000 Jahren solche Freude, solchen Mut und Elan. Alle miteinander. Und vor allem durcheinander. Da war auf einmal so viel Lebendigkeit in ihnen. Kraft. Phantasie. Zuversicht. Übersprudelnd vor lauter guter Botschaft in sich haben sie alles herausgeredet, wie es über sie kam. Durcheinander. Durcheinander waren sie aber vor allem deshalb, weil sie sich tatsächlich einmal verstanden! Mühelos haben sie eine Sprache gesprochen, einen in verschiedenen Dialekten gemeinsamen Geist gelebt. Nicht eine/r, die oder der geistesabwesend war! Jede Sekunde waren sie ganz und gar beieinander, jeder Mann und jede Frau hatte Anteil am Wort und am Feuer der Liebe. So unterschiedlich sie waren, dort wie hier auf dem Platz, jeder erlebte mit Herz und Kopf, was Jesus gemeint haben musste, als er eben jene Worte zu den Jüngern sprach, die wir im Evangelium gerade hörten: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.  

Wo die Liebe wohnt, da wohnt Gott, heißt das. Dort also, wo Menschen dankbar sind, dass sie einander haben. Wo sie sich Sorgen umeinander machen und wo ein Wimpernschlag den anderen heiß rührt. Dort, wo das Kind den Kopf in einen Schoss legt, wo zwei reden, um wieder zueinanderzufinden, wo gekämpft wird für die Würde eines anderen, wo Menschen im Schweigen miteinander tragen, was keine Worte hat – überall dort, wo bei euch die Liebe wohnt, da wohnt auch Gott. Da ist er gegenwärtig. Mit seiner Ruhe. Seiner Lebendigkeit. Seinem Frieden.  

Meinen Frieden gebe ich euch, heißt es deshalb im Predigttext. Jesus fasst unsere christliche Botschaft des Lebens in nur fünf Worte. Keine wortreiche Versprechung, wie wir sie zuhauf auf dem Marktplatz der Welt hören, sondern Verheißung. Keine Vertröstung, sondern Trost. Keine Phrasen, sondern Wahrheit.  

Es ist eben in dem Dankpsalm so schön zu hören gewesen, wie Sie Ihre vielen Dankbarkeiten mit uns geteilt haben. Danke sage wiederum ich Ihnen dafür. Denn das war nicht irgendwie und wortreich dahin gesprochen, sondern „gefühlt“. Geprägt von feierlicher Wahrhaftigkeit, die das Herz erreicht hat. Und wir können in solchen Momenten merken: Eine Botschaft wird doch zuvorderst dann zu einer guten Botschaft, wenn sie wahrhaftig ist. Wenn sie erfasst, was die Menschen in ihrer Wirklichkeit bewegt. Was sie dankbar macht. Und was sie ersehnen. Über die Zeitläufte hinweg.  

Was mag Sie, liebe Gemeinde zu Bergedorf, im Blick auf so ein Jubiläum in Kopf und Herz bewegen? Welche Ereignisse haben hier in den Vier-und Marschlanden die Menschen aufgewühlt, gefreut, was haben sie ersehnt, was hat sie verzagt was hoffnungsfroh gemacht? 850 Jahre Bergedorf–, das steht für kleine Anfänge, wachsende Verbünde, Heirat mit zwei Hansestädten. Es steht für all die Bergedorfer, die Lohbrügger und die Neuallermöher, Alteingesessene und Neuzugezogene. Es steht für Kriegszeit und Not, für Land und Wirtschaft, Berg und Dorf, steht für Sturm und Flut, Peter und Paul. Und bei all der bewegten Historie über so einen stattlichen Zeitraum hinweg erfasst einen doch auch Demut, wie sehr man angewiesen ist auf den Segen und die Bewahrung Gottes. Zugleich erfasst einen Stolz – zu Recht. Wie sagte der erste Bürgermeister Olaf Scholz so schön über das solide Bergedorfer Selbstvertrauen: „Manche meinen, was man in Bergedorf nicht vorfindet, das braucht man auch nicht.“  

Segen und Stolz – beides gehört zu Jubiläen. Sowohl im Rückblick, als auch im Blick auf die Zukunft. Und so ist es gut, was wir hier erleben: Ökumenisch miteinander versammelte, singende, betende und verkündigende Gemeinde Jesu Christi im Kirchspiel. Hier ist die Kirche im Berge-Dorf. Nahe bei den Menschen. Dynamisch. Zugewandt. Vielseitig aktiv. Christliche Kirche aller Couleur ist im Dorf, um Segen zu zusprechen und um den Stolz zu teilen. Um Menschen in ihrer Wirklichkeit zu begleiten. Aber auch, um Debatten anzuregen, wie bedrückende Wirklichkeit verändert werden kann. Denn alles war recht ist: Wessen Kirche auf die Apostelautoritäten Petrus und Paulus geweiht ist, dem ist ein besonderer Akzent auf Dialog und Streitkultur quasi mit im Namen zugeeignet.  

Meinen Frieden gebe ich euch. Ich bin sicher, diese Botschaft hat die Menschen über all die Jahrhunderte bewegt. Vor allem, wenn es verzweifelte Zeiten gab. So irrsinnig, abgründig und friedensfern. Wenige Kilometer von hier liegt Neuengamme. Damals in dunkler Naziherrschaft ein Ort bedrückender Geistlosigkeit. Ein Ort der Gewalt, an dem die Würde der Verschiedenheit mit Nagelstiefeln getreten wurde. Über die Zeiten hin bis heute -   meinen Frieden gebe ich euch. Auch die Menschen in Jerusalem damals ersehnten diese Botschaft. Und bei diesem Pfingstfest, da haben sie auf einmal mit allen Sinnen erfasst, was es heißt, selig zu sein. Beseelt also von dem Geist Gottes. Sie fühlten genau: Jetzt und nun ist er in ihr Lebenshaus eingezogen – unaufgefordert und doch wie ein Freund, auf den man schon lange gewartet hat. Dieses Glück hat man ihnen angemerkt. Sie wirkten so erlöst! Frei. Aufrecht. Froh. Und die anderen, die von draußen zusahen, mokierten sich: Am frühen Morgen sei man schon voll des süßen Federweißen!  

Was für ein Irrtum, liebe Gemeinde. Das, was die von draußen für einen Vollrausch hielten, war in Wirklichkeit die heilsamste Ernüchterung, die unserer Welt je widerfahren ist: Die Einkehr göttlicher Geistesgegenwart in eine mehr oder weniger geistesabwesende Menschheit. Damals im römischen Reich. Und in gewisser Hinsicht auch heute. Denn es ist doch bei allem Stolz und bei allem Segen auch dies zu merken: Kaum ein Leben, das nicht unerfüllte Wünsche mit sich trüge, diese Sehnsucht, dass etwas anders wäre im Leben. Dass die Partnerschaft heil, die Kinder immer klug, der Geliebte gesund, die Berufskarriere stets erfolgreich, die Gemeinde Jesu Christi konfliktfrei sei. So, wie´s gerade nicht ist im Moment, erträumen wir es uns doch! Und so verlassen wir manches Mal die Wirklichkeit und fliehen in eine unwirkliche Wunschwelt. Lassen uns beeindrucken vom Gerede auf den Marktplätzen der Welt. Gerede, das nichts austrägt, weil es nichts von uns versteht. Und zurück bleibt allemal ein Mensch, der hin- und hergerissen ist. So intensiv mit sich beschäftigt. Oder dauerhaft mit dem I-Phone. Auf jeden Fall nicht beschäftigt mit denen, die meine Aufmerksamkeit brauchen und mein Mitgefühl. Wir sind, glaube ich, in unserer Gesellschaft allzu oft geistes-abwesend.  

Die gute Nachricht nun: Dieser Geistesabwesenheit macht der Heilige Geist ein Ende. Er tut das, in dem er kommt, vom Himmel – vom wirklichen und nicht irgendeinem erträumten Himmel - auf die Erde. Sie sollten entschieden mit ihm rechnen. Er kommt ohne Anmeldung, um bei uns zu wohnen. Um uns beizustehen. Um unsere Sorgen zu teilen. Um uns Kraft zu geben, uns den sozialen und politischen Problemen dieses Stadtteils zu stellen. Kurz: Er kommt, um mit uns zusammen ganz da, ganz präsent zu sein in dieser Welt. Ehre sei Gott auf der Erde, in allen Straßen und Häusern, so haben wir eben gesungen.  

Denn Gottes Geist stellt sich der Wirklichkeit und flieht nicht. Er holt unseren Geist zurück von der Reise in alle möglichen Himmel, von denen wir träumen. Denn er will uns bei sich haben. Er sagt: Hiergeblieben! Er will uns bewegen, wie er ganz da zu sein und nimmt es mit den Gegensätzen in der Welt und mit den Gegensätzen in einem jeden von uns auf. Denn das ist sein Werk: Zusammenzuhalten, ja: neu zu vereinigen, was auseinanderzufallen droht. Der Heilige Geist hält uns zusammen, liebe Gemeinde. Er hält uns zusammen, in dem er die Unterschiede aufdeckt und uns lehrt, sie schön zu finden. Und er tut das, indem er den größten aller Gegensätze -  den wirklichen Himmel und die wirkliche Erde - zusammenhält. Indem er für uns und unsere friedlose Welt bei Gott eintritt. Und das bedeutet: Eine andere Welt ist nicht nur möglich. An Tagen wie diesen, in den besonders stillen Momenten, können wir sie bereits atmen hören…  

Und wir hören dann: Meinen Friedengebe ich euch. Ich gebe euch anderes, als die Welt gibt. Deshalb erschrecke Euer Herz nicht und fürchte sich nicht.  Also, hiergeblieben, liebe Gemeinde, die Kleinen und die Großen. Hiergeblieben in dieser Welt, mit Herz und Verstand. Und Geistesgegenwart. Damit die Sprache des Friedens nicht nur gehört, sondern auch verstanden wird. Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt längst unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.  

Frohe Pfingsten, liebe Gemeinde zu Bergedorf!

Amen

Zum Anfang der Seite