3. April 2014 - Ökumenisches Forum, Hafencity Hamburg

3. April 2014 - Einleitendes Statement zum Symposium „Herausforderung Stadt"

03. April 2014 von Kirsten Fehrs

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Schwestern und Brüder,

 

ganz herzlich begrüße ich Sie zum heutigen Symposium "Herausforderung Stadt" hier im Ökumenischen Forum Hafencity und heiße Sie alle herzlich willkommen!

 

Dass wir uns zu diesem Symposium gerade hier an diesem Ort treffen ist gleich schon einmal kongenial. Denn dieses Haus ist ja an sich schon eine Antwort auf die Herausforderung Stadt. Es ist der Versuch, als Kirche und als Kirchen im Plural in einem neuen und wachsenden Teil unserer Stadt Präsenz zu zeigen. Von Anfang an also ist es ein stadtteilbezogenes Projekt. Das Café Elbfaire mit seinen Genüssen lädt zwanglos und „niedrigschwellig“ Menschen in ihre Räume ein, und inzwischen sind die Säle und die Kapelle als Ort für Versammlungen, Vorträge, Feiern und Gottesdienste ausgesprochen gut genutzt. Nicht zuletzt prägen die Menschen, die hier wohnen, das Leben in der Hafencity spürbar mit. Und das wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Stadtteils ebenso anerkannt wie von den politisch Verantwortlichen. Kein Zufall, dass immer wieder der Wunsch geäußert wurde, die kirchliche Präsenz möge doch "Geist" oder eine "spirituelle Dimension" hierherbringen. Weil natürlich alle „irgendwie“ ahnen oder wissen, dass es sie gibt. Allerdings nicht wirklich wo und wie. Oder frei nach Woody Allen: „Natürlich gibt es eine jenseitige Welt. Die Frage ist nur: Wie weit ist sie von der Innenstadt entfernt und wie lange hat sie offen?"

 

Offenheit für den Stadtteil, das haben Kirche und Diakonie und das hat insbesondere auch manche Kirchengemeinde in dieser Stadt zum Programm erklärt – und jede verwirklicht es auf ihre Weise. Ich denke an das Stadtteilzentrum Barmbek-Basch, das inzwischen sehr bekannte Community Center in Barmbek-Süd, das der Kirche gehört, in dem aber auch die Bücherhalle, der Awo-Seniorentreff und ein Eine-Welt-Café zu Hause sind. Mir fällt die Friedenskirche Jenfeld ein, die mit der Arche eine wichtige Arbeit für Kinder und Jugendliche in einem sozialen Brennpunkt leistet. Ganz anders und auch wieder ähnlich das Engagement der Diakonie im Bürgerhaus im Osdorfer Born. Oder der Luthercampus Bahrenfeld mit Mütterberatung, Deutschkursen und sogar einem eigenen kleinen Wochenmarkt.

 

Sie sehen schon an diesen Beispielen, dass eine Frage, ob wir uns als Kirche im Stadtteil engagieren oder uns auf die eigenen Gemeinden konzentrieren, eine falsche Alternative aufmacht. Es geht gerade nicht um ein Entweder-Oder. Das zeigt auch die neue Mitgliedschaftsstudie der EKD, die vor wenigen Wochen unter dem Titel „Engagement und Indifferenz“ öffentlich vorgestellt wurde. Eine Erkenntnis aus dieser Studie ist, dass der Protestantismus offenbar ein deutliches Potenzial an gesellschaftlichem Engagement enthält. Bemerkenswert ist nicht nur, dass sich immerhin ein Fünftel der Kirchenmitglieder aktiv an kirchlichen und religiösen Gruppen beteiligt. Sie engagieren sich auch öfter in nichtkirchlichen Vereinen und Initiativen, als Konfessionslose es tun. Wer sich in der Kirche engagiert, ist auch woanders aktiv. Und so kann man davon ausgehen, dass kirchlich engagierte Menschen oft gar nicht zwischen Kirchengemeinde und Stadtteil trennen. Auf diese Weise tragen wir als Kirche nicht nur institutionell, sondern auch durch unsere Mitglieder zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist nicht neu, aber immer wieder auch wichtig zu hören: Das konkrete diakonische Handeln der Kirche wird als sehr wichtig angesehen, und zwar sowohl von den Mitgliedern als auch von Menschen, die der Kirche gar nicht angehören.

 

Wir als Kirche – und ich rede, denke ich, hier auch für die Diakonie – verkündigen nicht nur mit Worten, sondern auch mit dem Tun, nicht nur mit dem Herzen und dem Mund, sondern auch mit den Händen. Unser Glaube treibt uns quasi dazu, in diese Gesellschaft hineinzuwirken und Verantwortung zu übernehmen. So gesehen sitzen wir mit vielen Playern in einem Boot. Ein Boot, das Hamburg, ja letztlich Erde heißt. Ein Boot eben, das uns mehr denn je gemeinsam in die Verantwortung nimmt, es möglichst heil durch die Widrigkeiten globaler Zeitläufte hindurch zu bringen.

 

Wunderschön hat dies ein Poet auf den Punkt gebracht:

 

 

„ Rudern zwei – von Reiner Kunze

 Rudern zwei

 ein boot,

 der eine kundig der sterne,

 der andere kundig der stürme

 wird der eine führn durch die sterne

 wird der andere führn durch die stürme

 und am ende

 ganz am ende

 wird das meer in der erinnerung

 blau sein“

 

Ein schönes Bild, finde ich. Denn es geht hier nicht um verzweifeltes Rudern. Sondern um eine konkrete Utopie. Um die Aussicht, dass das Boot heil bleibt, weil sich Ruderer trauen, auch einmal ins Blaue zu denken. Den Horizont auszumessen. Und wenn aus Zweien dann ein Achter wird – umso besser! Denn dann sind`s mehr, die vielseitig kundig sind der Stürme und die (wie wir) kundig sind der Sterne. Letzteres nicht als Astrologen. Sondern in dem Sinne, dass wir von einem Himmel erzählen, der uns wie ein weites Zelt in ein größeres Ganzes aufnimmt. Jeden Menschen, ganz individuell. Und jede Community. Mit allen nur möglichen existentiellen Fragen, die immer auch soziale Fragen sind. Wie beispielsweise – hochaktuell – die Frage nach tragbaren Mieten. Oder die Frage: Wem gehört die Stadt? – das heißt für mich: immer neu und aufeinander zu denken, aus den verschiedenen Blickwinkeln. Wir sind so viele unterschiedliche BewohnerInnen in dieser Stadt. Und das heißt auch: Sich bewusst in andere (Positionen) hinein versetzen, präzise wahrnehmen, nicht nur oberflächlich, und natürlich: reden miteinander.

 

Und so bin ich schon bei dem Projekt, das heute auch eine besondere Rolle spielt: der heutige Studientag stellt nämlich zugleich einen Baustein für das Projekt „Die Stadt mitgestalten“ dar, das die Koordinierungskommission Hamburg auf den Weg gebracht hat. Bei diesem Projekt geht es darum, Mitverantwortung für die Entwicklung und Gestaltung der Stadt zu übernehmen. Denn die Kommunikation und Praxis des Evangeliums braucht das Gespräch mit der urbanen Gegenwartskultur: Sie ist an der Vision einer gerechten Stadt orientiert und führt zu einem Engagement im Gemeinwesen. Das Projekt „Die Stadt mitgestalten“ will hier ansetzen und zu einer verstärkten Wahrnehmung kultureller und gesellschaftspolitischer Herausforderungen der Metropole durch die Kirche beitragen.

 

Im Hintergrund stehen dabei durchaus Urbilder unseres christlichen Glaubens: Die biblische Vorstellung vom himmlischen Jerusalem, das Ideal einer christlichen Stadt, in der Gerechtigkeit und Friede endgültig zur Herrschaft gelangt sind: Hier konnte die Sehnsucht nach einer besseren Gerechtigkeit ihre Nahrung finden, die zugleich Ansporn sein kann, die reale Stadt zu verändern oder zu ihrer Verbesserung beizutragen. "So ist das Himmlische Jerusalem zugleich der kritische Maßstab für die Humanität der irdischen Städte" (EKD-Studie S. 15).

Für die evangelische Kirche und ihre Diakonie ist dabei immer wieder ein Satz aus dem Alten Testament maßgeblich gewesen: „Suchet der Stadt Bestes!“ (Jer 29,7): diese Aufforderung aus dem Buch des Propheten Jeremia bedeutet für das Selbstbild der christlichen Kirche, dass sie bereit ist, Verantwortung für das Gemeinwesen mit zu übernehmen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns als Kirche nicht heraushalten können. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen die Stadt, den Stadtteil als Ort politischen Handelns wiederentdecken und ihr „Recht auf Stadt“ einfordern, können wir uns nicht in unsere eigenen Räume und Diskurse zurückziehen, sondern müssen uns den Menschen dort zuwenden, wo sie leben.

 

Das bringt uns immer auch in Kontakt mit der Sphäre des Politischen, denn die Stadt ist geprägt von Verschiedenheit. Diese Erkenntnis ist nicht wirklich neu, sondern wurde bereits von Aristoteles schon ca. 350 v.Chr. in seiner „Politica“ wie folgt beschrieben: „Eine Stadt besteht aus unterschiedlichen Arten von Menschen. Ähnliche Menschen bringen keine Stadt zuwege.“ (Aristoteles, Politica) Heutzutage spricht man von "verdichteter Unterschiedlichkeit" als Wesensmerkmal des Städtischen (Twickel S. 16). Verschiedenartiges, Unterschiede, und auch Gegensätze gehören zur Stadt. Es kommt nun darauf an, wie mit dieser Unterschiedlichkeit umgegangen wird: die gegenläufigen Linien dürfen nicht einfach ihren entgegengesetzten Richtungssinn überlassen werden, sonst gerät das Ganze aus den Fugen. Driftet auseinander. Vielmehr muss es Orte des Ausgleichs und der Verbindung geben, in denen die Gemeinsamkeit anschaulich werden kann, das, was die Stadt „im Innersten zusammenhält“.

 

Das heutige Symposium soll dazu dienen, daran mitzuarbeiten.

Wir wollen herausfinden, wie die kirchliche Arbeit sich in unterschiedlichen Kontexten und Stadtteilrealitäten verwirklichen kann. Was gibt es schon, was können wir voneinander lernen, was können wir gemeinsam an neuen Initiativen beginnen?

Ich freue mich auf das gemeinsame Rudern im Achter, kundig der Sterne und der Stürme. Und ich danke den Veranstaltern dieses Tages sehr herzlich für ihr Engagement in dieser Sache, insbesondere unseren Referentinnen und Referenten und natürlich Frank Düchting, der diese Tagung vorbereitet hat. Nun dürfen wir gespannt sein auf anregende Beiträge und intensive Gespräche.

Datum
03.04.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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