Hauptkirche St. Petri zu Hamburg

3. Februar 2013 - 49. Ökumenische St. Ansgar-Vesper

05. Februar 2013 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Jesaja 43,1ff

Hauptkirche St. Petri

Liebe Festgemeinde!

Wie wunderbar ist das Zusammenspiel hier – nicht nur in der Musik, die wieder einmal unsere ökumenische Vielstimmigkeit aufs Feinste zusammen führt. Sondern auch in unserer Haltung. Unserer Zuneigung, zumindest Respekt für- und voreinander. Mich macht das dankbar, mein ganzes erstes Jahr als Bischöfin schon. Denn gerade hier in Hamburg, was sag ich: Nordkirche! gelingt viel in der ökumenischen Begegnung. Man weiß umeinander, auch um das, was uns trennt, aber es regt uns nicht übermäßig auf. Oder verhindert gar den Dialog. Vielmehr verbindet uns bei allem Ernst eine gewisse Heiterkeit. Es gibt eine gute Einschätzung, wie weit man miteinander gehen kann. Denn, das wissen wir alle!, nur miteinander sind wir Christen in dieser Stadt. Seit Ansgars Zeiten. Neben dem Domplatz, wo einst Ansgar sein erstes Kirchlein baute, würdigen wir heute das Verbindende in unserem unterschiedlich gelebten Glauben. Fragen auch, was uns denn nun konkret mit dem vor 1212 Jahren geborenen Ansgar verbindet, dich  - und mich (als ordinierte Frau der Postmoderne….)

Jede Menge, will ich meinen. Ansgar, der Beter. Ansgar, der Lehrer. Der Bischof. Der Missionar. Besonders verbindend aber ist dies: Ansgar, das getaufte Gotteskind. Denn mir fällt auf, dass das ökumenische Gespräch unter uns besonders dann an Tiefe gewinnt, wenn die (sicherlich wichtigen) Grußworte vorbei sind. Wenn wir am Tisch sitzen und von uns erzählen, wohinein wir geboren wurden und was uns bewegt. Wie und wann Gott uns ins Leben gerufen hat. Die Taufe ist die tiefste und gründlichste Verbindung zwischen Ansgar und uns Christenmenschen heute – ja und ich wage die Behauptung, es ist auch die Verbindung zu all denen, die sich als religiös unmusikalisch bezeichnen und dennoch sich danach sehnen, dass ihr Leben von allem Anfang an beschirmt ist und gesegnet.

Ich lese den Predigttext aus Jesajas 43. Kapitel

Und nun, spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; wenn du ins Feuer gehst, soll die Flamme dich nicht versengen… weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe.

Fürchte dich nicht. Der Jahrhunderte alte Predigttext setzt ein mit einem Widerwort Gottes gegen die Angst. Gesprochen zu Menschen, die schon lange nichts mehr vom Leben erwarten. Gefangen im Exil in Babylon, unweit vom heutigen Bagdad sitzen die Kinder Israels, weinend, kümmerlich, die Seele verdorrt. Und nun! Gott lockt. Fürchte dich nicht! Du bist mein.

Deshalb: löse dich von dem, was dich niederdrückt. Jetzt und nun.

Gottes Wort ist Lebenswort. Gott ist das Du, das mich ins Leben ruft.

So ließ Ansgar sich rufen, auch berufen. Und zwar zuvorderst dazu, Menschen zu taufen. Indem er ihnen erzählte, was es heißt als Christ zu leben. Ganz persönlich. Er hat erzählt, was das sein kann: Gott zu lieben. Und den Nächsten. Sich selbst. Sogar den Feind. Glaube ist etwas anderes ist als Kampf und Herrschaftssprache – das muss Ansgar mit seiner ganzen Person gelebt haben. Viele hat er überzeugt. Wäre das auch heute noch so? War es einfacher damals, die Neugier, ja das Herz für den Glauben zu wecken, wo es zwar viel Aberglauben gab aber kein Christentum? Was ist heute unsere missionarische Aufgabe – in einer Gesellschaft, in der es unendlich viel Wissen gibt, aber immer weniger Wissen vom Christentum? In der man ermüdet von der Überfülle an Informationen keinen Sinn mehr fassen kann. Verdorrt ist am Zuviel. Verkümmert ohne leibhaftige Nähe und Lebenswort.

Martin Walser hat das in einem Spiegelinterview jüngst eindringlich benannt. Gott fehlt, sagt er. Gott fehlt inmitten dieser Welt des Zuviel. Seine letzten drei Bücher nennt er Trilogie der Sehnsucht: und zwar Sehnsucht nach Schönheit, die durch Religion geweckt und durch Religion erfüllt wird. Und ich frage mich und uns, liebe Schwestern und Brüder: Können wir unseren christlichen Glauben so bezeugen, dass die Schönheit des Glaubens Menschen zu Suchenden und zu Findenden macht? Können wir eine Ökumene der Getauften formen? Denn es ist doch wirklich „schön“: die Taufe als einigendes, verbindendes Band unter uns so fulminant verschiedenen Christen. Und, ganz persönlich, die Erinnerung, dass mit der Bindung an Christus für jede und jeden ganz individuell – irgendwann im Leben - ein neues Kapitel in unserem Lebensbuch aufgeschlagen worden ist. Unverbrüchlich. Gültig. Einmalig schön.

Es hat eine eigene Schönheit, wenn wir die Taufe er-innern. Jüngst haben wir dies in einer ökumenischen Feier wahrhaftig, ja  leibhaftig erlebt. Als wir mit dem Kreuz des Wassers nämlich tatsächlich berührt wurden an Stirn und Hand, hat es das Innerste erreicht. Sozusagen die Herzhaut. Wir wurden berührt. Es gehört zu den Schönheiten unseres Glaubens, dass er eine Körpersprache hat. Eine Sprache, die behutsam unsere Unberührbarkeiten überwindet. Sie rührt an das, was wir einmal waren und sein wollten. An den ersten Atemzug und das Sehnen, bis zum letzten Moment behütet zu sein; an die Furcht, ob wir auch den Dunkelheiten stand zu halten vermögen und zugleich an die Zuversicht, dass es Einen gibt, der uns inmitten der tobenden Welt im Innersten zusammenhält.

Tauferinnerung berührt, und das meint mehr als Rührung. Weil einen die Einmaligkeit – auch die der eigenen Existenz – so plötzlich und so positiv erschüttern kann. Kein Zufall, glaube ich, dass sich in vielen Menschen sichtbar etwas löst, wenn sie das Kreuz auf ihrer Haut fühlen. Dass Tränen kommen, wenn der Zuspruch Gottes das weich gewordene Herz erreicht. Ein Zuspruch etwa, wie er im Predigttext steht: du bist in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich und ich habe dich lieb. Was für eine Liebeserklärung Gottes an jede/n hier im Raum! An uns Gotteskinder eben, die wir sind. Denn wen liebte man vorbehaltloser und leidenschaftlicher als das eigene Kind?

Diese Liebe sollten wir täglich zu uns nehmen. Fand auch Luther. Ich bin getauft, so schrieb er´s in Kreide oft vor sich hin. Vor allem dann, wenn er mit Gott rang, der so beharrlich fern und dunkel sein konnte. Ich bin getauft! Als würde der sichtbare Schriftzug Gott wieder ins Leben holen und sagen: Du, der du dich unverstanden siehst und angefeindet, du, die du mit Zweifeln ringst und Traurigkeit. Du bist getauft. Gesegnet. Jetzt und nun.

Tauferinnerung ist Lebenswort im Präsens. Baptizatus sum. Vor einiger Zeit traf ich Jonathan, einen baptistischen Prediger aus Südafrika. Er erzählte, dass er während der Zeit der Apartheid einmal fast ums Leben gekommen wäre. Wie es damals eben war; die Verfolger waren überall. So willkürlich. Brutal. Nichts war mehr heilig. Schließlich flüchtete Jonathan sich in seine Kirche. Die Verfolger traten die Tür ein. Kurz bevor sie die Kirche stürmten, sah Jonathan das große Taufbecken, in das er einst ganz und gar eingetaucht worden war, sprang kurzerhand hinein und zog den Taufdeckel über sich. Und: wurde nicht entdeckt!

Halleluja, ich bin getauft, sagt Jonathan.

Seitdem er damals im wahrsten Sinne des lutherischen Wortes aus der Taufe „gekrochen ist“, lebt er anders. Diesmal wirklich wie neu geboren, sagt er. Unendlich dankbar, auf dieser Welt zu sein – und angefüllt mit einer Friedenssehnsucht, dass es schmerzte. Angesichts der Welt, die er täglich sah. Angesichts dieser elenden Armut, der dauernden Gefährdung, der Kälte und angesichts all der Menschen, die die Erniedrigung schon fast als Teil ihrer selbst übernommen hatten, deren Widerstandsgeist fast schon gebrochen war.

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen!

Fürchte dich nicht! Widerwort gegen die Angst ist Lebenswort. Damals in Babylon, anders in Südafrika, ganz aktuell in Mali, immer wieder laut für die Erniedrigten und Getretenen in Syrien.

Denn es ist Gott selbst, der den falschen Herrschern der Welt widerspricht. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein. Das ist ein eindeutiges und parteiisches Wort, das unverwechselbar dich sucht, wo immer du bist - Unverwechselbar du. Gerufen beim eigenen Namen, der - wie Walter Benjamin sagt -  „Wort Gottes ist in menschlichen Lauten“. Heilig eben, unantastbar. Grenzenlos würdevoll.

Wie bedeutsam der Name für die Würde eines Menschen ist, merken wir ganz persönlich dann, wenn er in besonderen Momenten falsch ausgesprochen wird. Bei der Trauung. Der Beerdigung. Der Taufe. Oder, global gesehen, diese Erschütterung, wenn ein Name untergeht. Buchstäblich. Wenn es nur heißt: Tausende. Tausende Christen werden verfolgt. Derzeit mehr denn je! Oder dies: Tausende von Flüchtlingen sind in ihren Booten vor den hochmunitionierten Zäunen Europas untergegangen. Namenlos, weil unerkannt. Weggeschaut. Un-erhört.

Nein. Du bist mein! Gottes Parteilichkeit bringt den namenlos Gewordenen ihre Würde zurück. Und ihre Geschichte. Und so lässt Jesaja in uns ein Bild entstehen, als knüpfe Gott selbst zu jedem Menschen eine einmalige Beziehung. Eine Beziehung, in der vieles geheimnisvoll, unsagbar, sicherlich auch unverständlich bleibt. Aber indem wir gerufen werden bei unserem Namen, erinnert sich etwas in uns, dass wir nicht herausfallen können aus Gottes gnädiger Gegenwart.

 

Nun, liebe Geschwister, die wir mitten auf dem Weg sind, von weit kommen und noch weit gehen, die wir eingebunden sind in die Gemeinschaft der Getauften, ökumenisch so überaus lebendig, getauft – und nun gut, immer ein wenig unvollkommen. Nehmen wir die Worte in uns auf wie frisches Wasser, das uns die Lebenskräfte weckt. Und werden wir uns gewahr: ich bin getauft. Auf den Namen dessen, der uns alle hier trägt. Über konfessionelle Grenzen hinweg. Denn wir sind getauft ja auch mit einem Namen, den man rufen kann. Der den Dialog sucht. Eben: Die Lebendigkeit in der Begegnung. Gott selbst hat uns dazu gerufen. Alle. Schön, dies gemeinsam zu erinnern, nicht wahr, liebe Geschwister? Heute, im Gedenken an Ansgar und jeden Tag neu.

Amen

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