3. Mai 2013 - Tischrede zum Feierabendmahl unterm Regenbogen „Liebe(n) und Leben – dem Himmel vertrauen“, DEKT 2013
03. Mai 2013
1. Korinther 12, 21-27 Das Auge kann doch nicht der Hand sagen: Dich brauche ich nicht. Auch der Kopf kann zu den Füßen nicht sagen: Euch brauche ich nicht. Nein, im Gegenteil! Gerade auf die Körperteile, die als weniger wichtig gelten, kommt es an. Die Körperteile, die uns nicht vorzeigbar scheinen, umgeben wir mit besonderer Aufmerksamkeit, und bei unseren schlecht angesehenen Körperteilen wenden wir besondere Sorgfalt auf, unsere angesehenen brauchen das nicht. Gott aber hat den Körper zusammen gefügt und den Benachteiligten einen höheren Wert gegeben, damit es im Körper keine Zerrissenheit gibt, sondern alle Glieder füreinander sorgen. Wenn ein Körperteil leidet, leiden alle anderen mit. Und wenn ein Körperteil besonders gewürdigt wird, freuen sich alle anderen mit. Ihr seid der Körper Christi, jede und jeder ein Teil davon.
Liebe Schwestern und Brüder,
Ich habe einen Freund, der suchte einst ein Haus. Was er fand, war ein Baum. Er hat sich in diesen Baum verliebt und das viel zu kleine Haus, das daneben stand, halt auch genommen. Kurze Zeit darauf zog sein Freund ein, der sich in meinen Freund verliebt hatte - und dann in den Baum und in das viel zu kleine Haus. Vor einigen Jahren haben sie geheiratet. Die Freunde – samt Baum – und natürlich Haus. Alles, restlos alles und jeden hat die Liebe verändert.
Auch übrigens das Dorf, in dem sie leben.
Kürzlich feierten sie ihre 10 Jahre alte Liebe – zur Zeit der Baumblüte versteht sich.
Und alle sind gekommen. Die Mütter, die Nachbarn, die Kinder, die Katzen, und ein alter Mann, den keiner kennt.
„Gott aber hat den Körper zusammen gefügt – und den Benachteiligten einen höheren Wert gegeben, damit es keine Zerrissenheit gibt, sondern alle für einander sorgen.“
So heißt es in unserem Bibeltext.
Was für ein starker Text. Einer, den wir brauchen in dieser Welt mit ihren Abwertungen und Abspaltungen. Mit ihren Demos gegen die so genannte Homo-Ehe (was für ein Wort allein!) Mit ihren Klischees auf Flachbildschirmen, die flacher nicht sein können. Mich sorgt die Aufregung, die nicht allein in Frankreich, sondern auch in unserem Land, in unseren Wohnzimmern, ja selbst Kirchen größer wird. Allerorten Ärger, Protest, Internetpöbelei gegen das Anderssein. Gegen Meinungen, die andere vertreten. Gegen Religionen, die sie lieben. Gegen die Liebe, die sie leben.
Wir brauchen es mehr denn je, einem Paulus zuzuhören, der das kennt. Und gerade nicht verleugnet, was er sieht, damals in Korinth. Wo eben Hafenarbeiter neben feiner Dame, die Prostituierte neben dem Bankier, die Riechenden neben den Parfümierten sitzen. Und denen es offenkundig auch nicht leicht fiel zu akzeptieren, dass es in unserem Dasein Unterschiede gibt ohne Ende. Übrigens von Anfang an, wenn ich kurz erinnern darf. Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde und er schuf sie als Mann und Frau. Und das heißt gerade nicht, dass hinfort der Mann die Frau oder die Frau den Mann zu lieben hat. Sondern dass der Mensch geschaffen ist, den Unterschied zu lieben. Das Anderssein. Und schauen wir uns hier an – so viele verschiedene Ebenbilder Gottes – in Gott selbst ist doch nicht allein Einheit, sondern auch der Unterschied?!
Und so hat`s Gott zusammengefügt – nicht wir.
Die Augen und die Ohren und den Bauchnabel. Mit einem Haupt, das heißt Christus. Christus, Sohn der Ewigen, die Liebe in Person.
Aus Frankreich gibt es ein wunderschönes Sprichwort: Die Liebe ist ein Kind der Freiheit. Es ist wie eine Art Überschrift über unseren Text. Und so denke ich an die Zwei unter ihrem Baum, denke an alle hier, die von der Liebe freundlicherweise überfallen wurden – und zwar so, dass sie leben, wer sie sind. Endlich. Manchmal hat das so lange gedauert, wir haben es vorhin gehört. So viel Scham, Zerrissenheit, Entwertung haben sie durchlebt – so viel Lieblosigkeit und Kampf. So viel Normen, so viel Gesetzlichkeit, die keiner braucht.
Und eben dieser Christus, das Haupt, auf das wir uns ausrichten und das unsere Sinne friedvoll lenken will – eben dieser Christus sagt doch: nicht Gesetz, das Evangelium sollen wir leben. Selig, was da ist und einander sucht. Und ich schaue uns an, die wir das Brot gebrochen haben und einander auch in unseren Gedankenhäusern Gastfreundschaft gewährt – ist es nicht eine unerhörte Kostbarkeit, gefunden zu werden? Sich zuneigen zu können? Liebe zu pflegen – das zu allererst? Dafür ist Christus geboren. Und dazu ist er auferstanden. Und das verleiben wir uns ein, wenn wir hier gemeinsam das Abendmahl feiern.
Diese Liebe - sie hat große Macht. Die Macht der Sensiblen. Denn sie muss nichts leugnen. Sondern schaut dein Leben an, wie es ist. Mit den Rissen, Stürmen, regnenden Tränen, mit Brüchen, Krankheit und Angst. Und indem sie dies mit aushält, befreit sie. Befreit sie uns zu Sinn und Sinnlichkeit und umarmt, was in uns zittert. Der Mensch vergeht ohne dieses zärtliche Gefühl. Ohne die Berührung von Fingerspitzen. Ohne den Blick der Anerkennung. Ohne das Augenzwinkern der anderen, das einen so ungeahnt glücklich macht. Der Mensch vergeht, wenn er nicht lieben darf.
Und ich frage mich: Was wäre der Welt – und dem Dorf meiner Freunde – alles verloren gegangen, wäre diese ihre Liebe verborgen geblieben? Was wäre, sie hätten sich von den häufigen alltäglichen Diskriminierungen zurück weisen lassen? Hätten den Standesbeamten nicht mit ihrem Charme überzeugt – und keine Pastorin gefunden, die sie segnet?
Nein, Gott hat´s zusammen gefügt. Alt zu Jung. Schräg zu gerade. Gleich zu ungleich. Und was Gott zusammen gefügt hat, darf der Mensch nicht scheiden.
Und deshalb: Seine Liebe braucht dich, der die Hand begehrt und dich, die den Fuß anvertraut. Anvertrauen, ohne eingreifen zu wollen. Seine Liebe ist eine Macht, die macht, dass du sie geschehen lässt. Damit denen in Korinth und uns auf dem Hansa-Platz genau das blüht: Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.
Ja, liebe Geschwister, und das sagt uns ausgerechnet ein Paulus, der stets Schwierigkeiten mit seinem unansehnlichen Körper hatte. Ausgerechnet – oder gerade? – er hat eine Körpersprache des Glaubens geschaffen, die eine unerhörte Kraft hat. Es ist eine Sprache, die mütterlich in den Arm nimmt. Die den Friedenskuss kennt. Das Brechen des Brotes, egal woher du kommst.
Und ich merke, dass doch bei diesem Feierabendmahl tatsächlich etwas im Inneren geschieht. Dass wir wirklich berührt werden. Haben wir uns doch eben „einverleibt“, was Gnade ist. So, dass das Brot die Hand ebenso berührt wie die Herzhaut. Und so werden wir berührt hin zu unserer eigenen Ursprünglichkeit. Ich liebe die Körpersprache unseres Glaubens, weil sie die Unberührbarkeiten in uns zärtlich überwindet. Sie rührt nämlich an das, was wir einmal waren und sein wollten. An den ersten Atemzug und das Sehnen, bis zum letzten Moment behütet zu sein; an diese Furcht, ob wir auch den Dunkelheiten stand zu halten vermögen und zugleich an diese Zuversicht, dass es Einen gibt, der uns inmitten der tobenden Welt im Innersten zusammenhält.
Abendmahl berührt, und das meint mehr als Rührung. Weil einen die Einmaligkeit – auch die der eigenen Existenz inmitten so einer bunten Gemeinschaft - so plötzlich und so positiv erschüttern kann. Kein Zufall, glaube ich, dass sich in vielen Menschen sichtbar etwas löst, wenn sie einander den Friedengruß geben. Dass Tränen kommen, wenn die Umarmung zum Zuspruch Gottes wird und das weich gewordene Herz erreicht.
Nun also: Wir brauchen einander. Weil wir nur voneinander lernen können, was lieben bedeutet.
Das geht nicht allein. Es sind Menschen, immer schon, die uns etwas gelehrt haben von der Kostbarkeit, das Leben zu lieben. Eltern, Großeltern. Die Schwester. Das Enkelkind. Der verliebte Freund. Sei er oder sie Jude, Grieche, Muslima. Sie haben uns etwas gelehrt vom Vertrauen in die Liebe, haben in uns zum Schwingen gebracht, dass es eine Kraft gibt, die bleibt, auch wenn wir sie nicht sehen können. Es sind Menschen, die uns gelehrt haben, zu streicheln, statt um uns zu schlagen. Zu ermutigen statt zu ängstigen. Sie haben Bilder in uns hinein gepflanzt, die uns barmherzig sein und hoffen lassen.
Mit ihrem Vertrauen haben sie uns darauf hingewiesen, dass unser eigentlicher Gastgeber auf dieser Erde Gott ist. Unverfügbar. Unhierarchisch. Ohne Sitzordnung. Nein, unser Gastgeber setzt auf die Liebe, menschliche Liebe, also erotische Liebe, Geschwisterliebe, Gemeindeliebe. Unsere Liebe und Gott gehören untrennbar zusammen, sagt der Korintherbrief dazu.
Und deshalb bleibt die Liebe… – nicht nur etwas Privates. Etwas das nur zwei etwas angeht. Sondern wahre Liebe gewährt Gastfreundschaft. Sie lädt Freunde ein und liebt die Gemeinschaft. Sie sucht das Trennende zu überwinden. In unserer Gesellschaft. In unserer Ökumene. In unseren Gemeinden. Und gerade heute merken wir doch: Um sich zu vereinen, braucht es nicht so viele kluge Worte. Es braucht vor allem Herzen, die über Mauern springen.
Möge uns der barmherzige Gott in Liebe zusammen halten und ermutigen, neue Horizonte auszumessen. Er sei in uns als weiter Raum und großes Herz. So dass wir ohne Furcht und segensreich unseren Leben lieben. Denn: Er ist bei uns alle Tage bis ans Ende.
Amen.