3. November 2014 - Grußwort zum 40-jährigen Jubiläum der Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll/Stiftungsinitiative „reden! statt schweigen“
03. November 2014
Sehr geehrter Herr Dr. Seeler und liebe Frau Dr. Wuensch, liebe Frau Deuflhard und Hildegard Esser, meine Damen und Herren,
Ich danke sehr für die Einladung zu ihrem Vierzigsten und freue mich, dabei zu sein. Zum einen, weil ich Ihnen nun ganz persönlich von Herzen gratulieren kann und Gottes Segen wünschen. Gerade das ist mir wichtig. Denn Segen heißt übersetzt: der Hoffnung Raum zu geben, auch im Inneren der Seele, dass Lebensfreude entsteht und Mut, immer wieder Neues anzupacken! Zumal Sie selbst Ihre Stiftung so wunderbar als „traditionell innovativ“ beschreiben – alles Gute dafür!
Zum anderen bin ich deshalb so gern hier, weil es mir ein ehrliches Anliegen ist, Ihre großartige Arbeit in der Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll zu würdigen und zu unterstützen. Kann man doch beim Thema „Seelische Erkrankung“ gar nicht genug darüber nicht schweigen.
Also wird hier und jetzt geredet. Nicht etwa allein durch Grußworte wie diese, sondern schon dadurch, dass Sie alle, liebe Freundinnen und Freunde, hierher gekommen sind. Gut so. Denn Sie reden – auch nonverbal – mit über ein Thema, das gesellschaftlich immer noch so viel Stummheit auslöst. Und Verneinung. Tabu. Dies eben deshalb, weil seelische Ängste, die oft ja so diffus und dennoch unerhört mächtig die Seele herauffluten können, kaum auszuhalten sind – sowohl für Betroffene als auch für die Angehörigen. Ich habe jedenfalls im Kontakt mit den Menschen, die lange schon mit einer psychischen Krankheit kämpfen, die Traumata erlitten haben oder etwa durch Burnout von den Beinen geholt wurden, einen hohen Respekt bekommen. Respekt sowohl gegenüber denen, die sich Therapie für Therapie mit diesen Ängsten und mit bzw. an sich selbst gearbeitet haben – was für eine Arbeit ist es manchmal zu leben! Und leben zu wollen! Aber auch Respekt gegenüber denen, die Therapie für Therapie die Begleitenden waren; TherapeutInnen natürlich zuallererst, aber auch die Partner, Geschwister, Eltern, Kinder – mit betroffen auf besondere, immer währende, liebende und alles herausfordernde Weise. Und so sind alle miteinander gemeinsam auf der Reise. Gemeinsam auf der Suche, so kommt es mir vor, nach Bildern von gutem Leben, meint: Leben, das die Einschränkungen einschließt. Inklusiv eben, sonst wäre es nicht gut, das Leben.
Ich stehe bewundernd davor, was Sie in den vierzig Jahren mit Ihrer Stiftung alles an „gutem Leben“ ermöglicht haben. Und dass Sie mit hohem persönlichem Einsatz ihre Berufung darin sehen, Menschen in ihrer seelischen Not, aber auch in ihren Möglichkeiten (!) anzusehen – gewissermaßen jenen ein Ansehen zu geben, denen die Gesellschaft ansonsten gern aus dem Weg geht.
Dank Initiatoren wie Ihnen hat sich in den letzten vier Jahrzehnten enorm viel zum Guten geändert; neben dem schon Genannten möchte ich dabei den Bogen noch weiter spannen: Schwerbehindertenbeauftragte sind gesetzlich vorgeschrieben, Integrationsämter kümmern sich um behindertengerechte Arbeitsplätze, es gibt die UN-Behindertenrechtskonvention, die Inklusion ist auf dem Vormarsch, vor allem als neues Denkmodell! Soviel du brauchst, gerade davon – das Motto des Kirchentages im letzten Jahr trifft auch hier den Nerv, weil es nämlich nicht zuvorderst politisch, sondern dialogisch ansetzt. Es geht um das Du, das dem Ich begegnet. Keine gönnerhafte Geste von oben herab. Nein, die Frage, was du brauchst, ist in der biblischen Geschichte geboren aus dem Impuls, es wirklich wissen zu wollen. Sich anzunähern. Sich gemeinsam als Teil der Welt zu verstehen, in der jedem und jeder gutes Leben zusteht. Und so entsteht letztlich erst in der dialogischen Gegenseitigkeit die Erkenntnis, was das eigentlich genau ist, was du brauchst – oder ich.
Soviel du brauchst- und nicht: Nimm, was du kriegen kannst. – Wenn Sie nun darin einen Impuls zum Neidthema vermuten, haben Sie vollkommen Recht. Doch dazu später mehr. Ich komme zum Schluss: Soviel du brauchst, das spricht Gott entmutigten Menschen zu, die eine lange Wüstenzeit erleben. Vierzig (!) Jahre sind sie unterwegs, als sie endlich im gelobten Land ankommen. Und immer wieder erhalten sie von ihm in diesen 40 Jahren, Tagen, Stunden des Zagens und der Entbehrung Worte und Gesten des Schutzes und der Zuwendung: Himmelsbrot, also Brot und Himmel, Materielles wie Immaterielles, Segen und Momente erfüllten, guten Lebens. So dass der Mut, leben zu wollen, sie hindurch trägt.
Sie haben, lieber Freundeskreis Ochsenzoll, immer wieder Mut gemacht, in Wüstenzeiten das Leben zu wollen. Auch in der von Dr. Seeler eben beschriebenen Sterbe-„Hilfe“-Debatte, die unglücklicherweise den Fokus ständig darauf richtet, wie der Mensch sterben und nicht, wie der Menschen leben kann, auch im Sterben. Um nichts weniger als um die Würde des Lebens geht es Ihnen, und dies immer auch im Angesicht des schwer Aushaltbaren. Dies möge so bleiben, gern auch die nächsten vierzig Jahre.
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Arbeit
und Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.