30. März 2013 - Osternacht - Maria von Magdala - Zeugin des Lebens in einer Welt des Todes
30. März 2013
Predigt über Johannes 20, 11 – 18
Liebe Gemeinde,
wir verdrängen es, aber wir leben in einer Welt des Todes. Vor wenigen Tagen lief mit einer großen Aufmerksamkeit der ZDF-Historien-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“. Wohl noch nie wurde der II. Weltkrieg aus deutscher Perspektive so realistisch gezeigt. Und es wurde deutlich, dass es nichts zu beschönigen gibt. Der Zweite Weltkrieg war ein schmutziger Krieg, wie jeder andere auch, auch wenn unsere Mütter, unsere Väter in ihm verstrickt waren. Vor uns tat sich eine Welt des Todes auf, auf den Schlachtfeldern im Osten, in den Lazaretten, im Partisanenkrieg, in der Judenvernichtung. Die begleitenden Dokumentationen und Talkshows brachten an den Tag, wie die Generation unserer Väter und Mütter viel zu lange geschwiegen hat und sich bis jetzt ins Trauma schickte.
Ab und an leuchtet diese Wirklichkeit des Todes auch durch unsere heutige Welt, die sich zu gern mit Glanz und Glitter umgibt. Da trieb jahrelang eine rechtsextremistische Terrorgruppe unter uns ihr Unwesen, tötete acht Türken und einen Griechen, eine Polizistin und verübte mehrere Sprengstoffanschläge. Aber es wurde verdrängt, dass hier rechtsextreme Deutsche aus Menschenhass ausländische Mitbürger hinmetzelten. Doch diese Welt des Todes umgibt uns. Ein Mord, der vom 25. Februar 2004, geschah in unserer Nähe, in Rostock.
Auch Maria aus dem Fischerstädtchen Magdala am See Genezareth kannte diese Welt des Todes. Da steht sie in der Nacht am Grab dessen, der ihre ganze Hoffnung gewesen war. Nach Jerusalem war sie nur gekommen, weil sie mit Jesus und seinen Jüngern mitgezogen war. Eine selbstbestimmte Frau, die selbst entschied, wohin sie ihr Weg führte, war damals und ist heute für den Orient ausgesprochen ungewöhnlich. Die Frommen guckten schon ganz komisch. Man tuschelte hinter vorgehaltener Hand. Aber das war ihr egal. Sie war Jesus so dankbar. Er hatte ihr in großer Not geholfen und sie von Bindungen befreit, die ihr das Leben so schwer machten. Das Evangelium redet von „sieben bösen Geistern“ (Lk 8, 2), die Jesus von ihr vertrieben hat. Wir wissen nicht genau, woran sie litt. Sicher ist, dass sie sehr schwer krank gewesen war. Es gibt bis heute viele Spekulationen. Die einen behaupten, sie sei gemütskrank gewesen, die anderen halten sie für nymphoman. Jesus hatte sie von ihren Bindungen befreit und deswegen war sie ihm dankbar. Sie unterstützte ihn und seine Freunde. Es war ihr völlig egal, dass fast ihr ganzes Geld dabei drauf ging. Und nun hatte Jesus so geheimnisvoll von diesem Passahfest gesprochen, zu dem sie gemeinsam nach Jerusalem gegangen waren. Wollte er sich diesmal als der verheißene Messias zeigen? Maria aus Magdala wollte es auf jeden Fall miterleben.
Aber dann war alles ganz anders gekommen. Jetzt war Jesus tot. War damit nicht alles aus? Ihre Hoffnung war am Ende. Maria konnte es nicht fassen. Direkt nach dem Sabbat, am frühen Morgen des ersten Tages der Woche, als es noch dunkel war, da ging sie zum Grab, in das die Frauen ihn am Samstag hineingelegt hatten. Normalerweise hätte sie Angst gehabt, nur heute war ihre Sehnsucht größer als ihre Angst.
Als sie nun zum Grab kommt, entdeckt sie, dass der große Rollstein, mit dem man das Grab verschlossen hatte, fehlte. Da hat sie nur einen Gedanken. „Irgendjemand hat den Herrn weggenommen aus dem Grab“ (V. 2) und mit diesem Gedanken läuft sie zu den tonangebenden Jüngern des Jüngerkreises, zu Petrus und Johannes und klagt den beiden ihr Leid. Und die beiden laufen zum wiederholten Male mit ihr zusammen zum Grab zurück und sehen, dass es leer ist.
Unsere kleine Geschichte beginnt, als Maria wieder allein ist. Sie ist nicht mit Petrus und Johannes zurückgegangen. Maria bleibt am Grab. Sie ist wieder allein und weint. Sie ist zu Tode betrübt, schon, weil er gestorben ist. Und jetzt hat man das Letzte, was von ihm noch geblieben war, seinen sterblichen Körper, weggenommen. Maria ist unendlich verzweifelt. Sie ist nur noch Schmerz.
In dieser Stunde, in der die Gegner triumphieren, die Gemeinde sich zerstreut und die Jünger sich fürchten, da ist Maria ganz allein.
Vielleicht kennen einige unter uns dieses Gefühl, wenn einem im Leben der einzige Halt, den man noch hatte, genommen wird. Endlich hatte Maria einen Sinn in ihrem unnützen Leben gefunden. Aber nun war alles zusammengebrochen. Was blieb ihr noch? Sie hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Mit Tränen in den Augen schaut sie noch einmal in die Grabkammer. Von der geht nun ein heller Schein aus. Zwei Männer in leuchtend weißer Kleidung sitzen dort. Sie fragen Maria: „Frau, warum weinst du?“ Maria antwortet ihnen, indem sie ihre ganze innere Leere benennt. „Sie haben meinen Herrn fortgebracht. Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!“ (V. 13). „Meinen Herrn!“ Nur Gott und Maria wissen, was diese beiden Worte umschließen. Man hat ihr nicht ihren Glauben an Gott genommen. Ob jemand an Gott glaubt oder nicht, macht häufig für das praktische Leben kaum einen Unterschied. Oft ist der Gottesglaube nur ein Pseudonym für den Unglauben. Entscheidend ist, ob Gott ein persönliches Gegenüber, eine lebensbestimmende Wirklichkeit ist. „Mein Herr“, das heißt: „Du bist mein Leben und ohne dich kann ich nicht sein!“ In Jesus Christus war die Vergebung der Sünden auf die Erde gekommen und die brauchte Maria zum Leben und zum Sterben. Wer einmal erfahren hat, was Vergebung heißt, wer erfahren hat, dass es möglich ist, dass einen seine Vergangenheit nicht für alle Zukunft bestimmen muss, der weiß: „Das brauche ich zum Leben und Sterben – Vergebung!“ Darum suchte Maria ihren Herrn. Nachdem sie so in die Grabkammer hineingesprochen hatte, dreht sie sich um und sieht dort einen stehen. Es ist Jesus, sie weiß es aber noch nicht. Diese Kehrtwende vom Blick hinein vom Tod zum Leben von der Verzweiflung in das leere Grab hin zu dem, der hinter ihr steht, wird für Maria zu einem Wechsel vom Tod zum Leben, von der Verzweiflung zur Freude. Dabei wird ein Grundzug offenbar, der für viele Auferstehungsgeschichten gilt: Ehe wir es wissen, steht Jesus schon bei uns! Jesus – von dem sie aber nicht weiß, dass es Jesus ist – fragt sie: „Warum weinst du? Wen suchst du?“
Sonderbarer Weise hält Maria den Auferstandenen für den Gärtner. Diese Information gibt uns Anlass zu einer zweifachen Zwischenüberlegung.
Zum Einen: Man erwartet einen Gärtner, wo Gärten sind. Das führt mich gut dreißig Jahre zurück in meiner eigenen Geschichte. Als ich 1980 /81 Vikar in Jerusalem gewesen bin, wohnten wir direkt neben der Evangelischen Erlöserkirche gegenüber der Grabes- oder Auferstehungskirche. Dies ist der Platz, wo zu biblischen Zeiten der Hügel Golgatha gewesen sein soll. Ausgrabungen unter der Erlöserkirche, die im letzten Herbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, zeigen in der Tat, dass in dem ganzen Arial, also auch dort, wo wir damals unsere Wohnung hatten, zum einen Gräber, zum anderen Gärten gewesen sind. Da man früh morgens im Garten niemanden erwartet, der dort spazieren geht oder seine Zeit dort totschlägt, geht man am ehesten davon aus, dass es jemand ist, der dort seine Arbeit hat, ein Gärtner.
Zum anderen begegnet hier ein anderer Grundzug der Auferstehungsgeschichten. Die neue Wirklichkeit der Auferstehung geht mit einer gewissen Verfremdung einher. Selbst Menschen, die Jesus sehr nahe standen, erkennen ihn nicht auf Anhieb wieder. Das ist uns ein Hinweis darauf, dass Auferweckung von den Toten nicht einfach die Rückkehr in das bisherige Leben bedeutet, sondern den Beginn einer ganz neuen Existenz.
Maria beginnt nun mit dem vermeintlichen Gärtner zu diskutieren: „Mein Herr, wenn Sie ihn fortgeschafft haben sollten, dann sagen Sie mir doch, wo sie ihn hingelegt haben. Ich möchte ihn dann zurückholen.“ Da redet der vermeintliche Gärtner, Jesus, Maria an und sagt nur ihren Namen: „Maria!“ In diesem Moment durchfährt es Maria von oben bis unten. Das ist er ja, der ihrem Leben einen Sinn gegeben hatte.
Man findet Jesus nicht, es sei denn, er redet einen an. Und auf diese Anrede Jesu kommt alles an. Er ruft uns, das verändert unser Leben. Die Osterbotschaft verstehe ich erst, wenn ich den Anruf Jesus vernehme und merke: „Er meint mich!“ Durch das Wort merke ich, dass der, der hier redet, lebt. Er ist nicht tot. Er ist mir jetzt gegenüber. Ostern wird es durch das Wort! Auch in der Zeit der Bilder, angesichts von Videos, TV und Internet gilt es festzuhalten: „Es kommt auf das Wort an!“
Darum ist es so wichtig, die Verkündigung des Wortes Gottes zu suchen. Wer das Wort verachtet, wird den wahren Sinn des Osterfestes nicht finden. Er wird sich heute mit Ostereiern und den Osterhasen begnügen müssen. Ohne das Wort von der Auferstehung reicht es zu mehr nicht.
Gott muss ja nicht in jeder Predigt und bei jedem Bibellesen so sprechen, dass ich den Eindruck habe, er meint ja mich. Gott hat außer mir und dir auch noch andere Menschen, denen er etwas anderes sagen möchte. Wir aber möchten Gott immer nur ganz für uns. Auch Maria möchte Jesus nur für sich. Endlich hat sie ihn wieder. Nie mehr wird sie ihn loslassen. Aber deswegen sagt Jesus zu ihr: „Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater hinaufgestiegen.“ (V. 17).
Jesu Weg geht weiter. Er endet nicht bei uns und bei meiner persönlichen Gemeinschaft mit ihm. Deswegen schickt der Auferstandene Maria zu den anderen Jüngern. Sie soll zu denen gehen, die sich nun vor Angst verrammelt und verriegelt haben in ihren Wohnungen. Sie soll diesen berichten, dass sich durch die Auferstehung etwas Grundlegendes verändert hat im Verhältnis von Gott und Mensch. Er sagt: „Ich geh hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Durch Jesus, der uns in der Auferstehung in einem neuen Leben voran geht, sind wir auch auf neue Weise mit Gott verbunden. Jesus gibt uns Anteil an seinem Zugang zu Gott. So schickt der Auferstandene Maria zu den anderen Jüngern. Sie ist die erste, die den Herrn, den Auferstandenen gesehen hat.
Liebe Gemeinde, das ist ungeheuerlich und für die Antike eine Umstürzung der Werte. Eine Frau, die nach jüdischem Gesetz noch nicht einmal als Zeugin vor Gericht auftreten durfte, wird zur ersten Zeugin der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Maria wird in einer Zeit des Trübsinns und der Verzweiflung zur Botin der Hoffnung. Als sich die Jünger als schwach erweisen, wird sie durch ihre Handlung stark. Ganz treu, allen Anfeindungen zum Trotz, bleibt sie bei Jesus. Sie lässt sich von der Welt des Todes nicht entmutigen.
Es ist eine Frau, die – um eine Wendung aus einem Lied von Herbert Grönemeyer aufzunehmen – „den Motor im Kopf startet“. Maria lässt sich von der Welt des Todes nicht unterkriegen. Wer von Auferstehung und Leben bewegt ist, sagt der Welt des Todes von Altnazis und Neonazis entschlossen ab. So ist es folgerichtig, dass die pommersche Kreissynode sich zum wiederholten Male mit den Anfechtungen des Rechtsextremismus beschäftigen will. Schon Herbert Grönemeyer hat gesungen: „Pass auf Neuland, du brauchst keinen rechten Weg… Kein Gleichschritt, keine Zwänge.. Wehre dich, wenn es nach 33 riecht… Starte den Motor im Kopf, komm in die Gänge“ (Aus dem Lied „Neuland“ von Herbert Grönemeyer )
Weil die Auferstehung den ganzen Menschen neu machen will, können wir auch schon heute den Motor im Kopf starten. Wir können heute schon so leben, wie es dem neuen Leben in Christus entspricht. Gott wird uns eines Tages dahin bringen, was er uns heute hat schmecken lassen.
Amen.