30. September 2014 - Grußwort zur Fachtagung „Gute Arbeit – gesunde Arbeitsbedingungen“
30. September 2014
Sehr geehrte Vorsitzende des DGB Hamburg, liebe Frau Karger,
sehr geehrte Frau Senatorin Prüfer-Storcks,
liebe Mitglieder des Netzwerkes für Arbeits- und Gesundheitsschutz,
meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe alle!
Gute Arbeit bei guter Gesundheit – Ihr Thema spricht mich sofort an. Und offenkundig nicht nur mich. Allemal mit diesem Tagungsplan, der Anlass gibt, Sie alle zu beglückwünschen, dass Sie den Weg hierher gefunden haben. Haben die Veranstaltenden doch offenkundig eine sehr differenzierte und vielseitige Form der Bearbeitung vorbereitet, die die vielen Facetten des Themas beleuchtet – insofern: Glückwunsch und ein Dankeschön auch Ihnen!
Das Thema spricht mich aber auch deshalb sofort an, weil es – in Ergänzung zu den eben gehörten politischen Forderungen – unmittelbar persönliche Fragen und biographische Bilder wachruft. Bilder von gutem Leben in der Arbeitswelt, in meiner Welt. Und ich merke, dass ich dankbar bin für ein gutes Arbeitsklima um mich herum, dass wir in meiner Bischofskanzlei ein gutes Team sind, oft lachen (ist ja nicht selbstverständlich), und dass ich froh bin über das Gefühl, sehr oft Sinnhaftes zu tun. Zugleich kenne ich auch Ängste, ob ich dieses immer schnellere Tempo durchhalte, wie ich mich der ständigen Erreichbarkeit entziehe und, und, und – Sie werden alle sicherlich Ihre Kriterien für gute Arbeit haben, die, wenn sie gut ist, eben auch gesund ist im Sinne von „balanciert“, leistbar, gewürdigt.
Ich erinnere mich, auch das gehört zum Wachgerufenen, an meinen Großvater, einen Besenbindermeister (schade, dass wir heute nicht im Besenbinderhof sind…), der nach Flucht und Krieg einen kleinen Laden hatte mit einer Werkstatt dabei. Da war bei all der tätigen Betriebsamkeit ein Rhythmus, der in der Ruhe die Kraft hatte. Und deshalb auch Erfolg. Aber nicht allein deshalb hat mein Großvater oft gesagt: Das ist gute Arbeit. In seiner Generation ging es immer zuvorderst (natürlich) um Existenzsicherung. Ob´s ein Betrieb mit Zukunft war. Und ob man eine Familie ernähren konnte. Die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsplatzgestaltung waren da eher sekundär; jedenfalls verbrachte er mindestens acht Stunden täglich auf einem ziemlich unbequemen Dreibeinhocker …
Allein Ihre Tagungsplanung zeigt, was Sie demgegenüber in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Verbund von Gewerkschaft, Betriebsrat und Arbeitsschutz geschafft haben. Es ist mühsame Kärrnerarbeit, das Augenmerk nicht allein auf die harten Faktoren eines Arbeitsvertrages zu lenken, sondern auch die weichen Faktoren in den Blick zu nehmen und wichtiger noch: organisiert darauf einzuwirken, dass sie dem arbeitenden Menschen gerecht werden. Denn der Mensch, wie fit, traurig, aufgeräumt, belastet er ist, steht im Mittelpunkt des Handelns. In seiner ganzen Individualität. Und das wiederum stellt vor Aufgaben. Sind doch gleiche Rahmenbedingungen für die eine gut und besser, für den anderen gerade mäßig bis schlecht.
Ich habe einen Freund, der ist Gärtner. Wenn er das erzählt, sagen immer alle: Was für ein schöner Beruf. Und so empfindet er das auch. Wenn er von der „Arbeit“ nach Hause kommt, dann entspannt er sich erst mal: Beim Gärtnern im eigenen Garten. Sozusagen ein Gärtner aus Leidenschaft, der es erst lassen kann, seine Hände in die Erde zu graben, wenn die Sonne untergegangen ist. Für mich ist das durchaus auch ein Modell von guter Arbeit. Ich tue gern, was ich tue, auch wenn es anstrengend ist. Mit einer hohen Identifizierung steckt man Power hinein, hat Lust zu zeigen, was in einem steckt – und ist zufrieden damit.
Ich kenne aber auch viele andere. Nicht zuletzt im kirchlichen Bereich. Bei denen nur Power hinausgeht, aber keine mehr hereinkommt. Akku leer. Die Anforderung, Familie und Beruf zusammen zu bekommen, enerviert. Und man fühlt sich erschöpft, weil die Arbeit zwar fordert aber nicht motiviert. So viele Gründe können dazu führen, dass man die Balance verliert. Hier ist unbedingt eine Aufgabe, die uns verbindet, Gewerkschaft und Kirche: Anwalt für diejenigen zu sein, die ihr Gleichgewicht verloren haben bzw. Anwalt guter Arbeit zu sein, damit dies gar nicht erst passiert.
Seit mein Großvater von „guter Arbeit“ gesprochen hat, hat sich unglaublich viel verändert. Der technische Fortschritt hat eine atemberaubende Schnelligkeit bekommen, so dass ich mich manchmal frage, wie schnell man noch gleichzeitig auf Sendung UND Empfang gehen soll. Und wie das eine Psyche auf Dauer überhaupt durchhält. Und dann schaue ich auf die jetzt Zwanzig- oder schon Zehnjährigen, wie sie ganz selbstverständlich in bahnbrechender Schnelligkeit die neuen Features begreifen. Und ich verstehe, wenn man sagt: Sie sind „digital natives“, ich dagegen „digital immigrant“; meine Generation, also ja auch viele von Ihnen hier, wir müssen diese technische Welt lernen wie eine Fremdsprache – nicht immer ohne Mühe. So im Alter ...
So im Alter um die 50, auch das ist anders geworden, ist man familiär oft besonders gefordert. Die eigenen, später bekommenen Kinder stecken gerade in der schwierigen Phase des Selbstständig-Werdens, und die eigenen Eltern bereiten einem Sorgen, weil bei ihnen die Phase des Unselbstständig-Werdens beginnt.
Auf die vielen unterschiedlichen Lebens- und Lebensphasenmodelle ist unsere Arbeitswelt noch nicht eingestellt. Arbeitsbedingungen lassen wenig Flexibilität zu und Anforderungen richten sich nicht nach der persönlichen Situation. Darüber machen sich auch viele Arbeitgeber Gedanken. Fachkräftemangel ist dabei ein Stichwort. Und hier scheint sich der Markt zu drehen. Will man in bestimmten Bereichen gute Arbeitskräfte haben, muss sich inzwischen die Firma bewerben und die Bewerber_innen suchen aus. Und die entscheiden längst nicht mehr nur nach Gehalt und Karrierechancen. Auch viele weiche Faktoren spielen eine Rolle, so dass man keine einfache Formel mehr aufmachen kann, sondern es in Konstrukten wie „Work-Live-Balance“ zu fassen versucht. Offenkundig ist dies auch in etlichen Wirtschaftsunternehmen in Hamburg angekommen. Gemeinsam mit unserem Fachdienst KDA führen wir am Buß- und Bettag eine Veranstaltung durch, die unter einem biblischen Motto steht: „Es ist dir längst gesagt Mensch, was gut ist: Liebe, Demut und Gerechtigkeit“ – auch in der Arbeitswelt von morgen. Und gern auch schon heute.
Ich sehe uns als Kirche in der Verantwortung für das Arbeitsleben des Menschen. Heißt: wir haben nicht allein ethische Rede zu führen, sondern gestaltend an menschengerechten Arbeitsprozessen mitzuwirken. Heißt wiederum: Arbeit braucht Lohn und Brot, davon bitte genug, und zugleich Sinnhaftigkeit und Wertschätzung, davon bitte auch nicht zu wenig, damit Körper und Seele beieinander bleiben. Und damit es auch wieder Ruhe gibt, in der Kraft liegt, die Kraft der Balance. Dass Sie um der Menschen willen diesem Ziel näher kommen, wünsche ich Ihnen – und also eine gute und erfolgreiche Tagung!