31. August 2014 - Sommergottesdienst „Wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden“
31. August 2014
Apg 2,11
Friede füreinander, liebe Sommergemeinde der Akademie! Friede sei mit uns hier an diesem grandiosen Ort inmitten aufwühlender Sommerwochen, derzeit ja auch in Berlin! Ich freue mich über die Einladung und bin gern aus einer anderen bewegten Metropole, aus Hamburg zu Ihnen zu kommen. Um zu predigen – und das heißt für mich: in einer, in meiner Sprache so von Gott zu reden, dass Gesagtes und Gedachtes sich verbinden kann. Und das Laute mit dem Leisen. Der Kopf mit der Seele. So dass wir aneinander anknüpfen können mit unseren Geschichten hier wie dort. Und – mag sein – wir hören darin in unserer Sprache von den großen Taten Gottes …
Hèrè jè – Friede füreinander, so lautet der Segen, der allem Gesagten und Gedachten voransteht auf Bambara. Das ist eine westafrikanische Sprache, und ich hörte sie das erste Mal vor einem Jahr, in der Kirche zu St. Pauli. Sie wissen: eben die Kirchengemeinde in Hamburg, die achtzig afrikanischen Flüchtlingen Zuflucht in ihrer Kirche gewährt hat. Aus einem spontanen Impuls heraus haben die Pastoren die Kirche aufgeschlossen, als sie die jungen Afrikaner im Regen stehen sahen. Und so begann ein Jahr, das letztlich alle verändert hat: den Stadtteil, die Bürgerschaft, die Kirche und auch den Senat.
Natürlich habe ich die Flüchtlinge besucht. Gerade in der kritischen Zeit, als es darum ging, ihnen zu erklären, was wir mit dem Senat besprochen hatten, um ihre Situation zu verbessern. Einer der afrikanischen Gäste sprach Deutsch. Manche Englisch oder Französisch. Manche aus Mali eben nur Bambara. Und nun erklären Sie `mal die Möglichkeiten, oder besser: Grenzen unseres Asylrechts, das man noch nicht einmal auf Deutsch versteht! – Es war eine unerhört dichte Atmosphäre, als wir da abends im Kreis saßen mit all den jungen Männern, existentiell betroffen von jedem Wort, das ich sagte – und das wiederum übersetzt wurde, ins Englische, Französische, Bambara und zurück... So radebrechten wir uns durch die Nacht. Am Ende, nach Stunden der Spannung, standen wir auf, und ich betete. Keine Übersetzung nötig, alle verstanden es. Und als ich schließlich die Hände hob, um den Segen zu sprechen, geschah etwas zutiefst Anrührendes: Alle Flüchtlinge im Kreis taten es mir nach. In spontaner Zutraulichkeit. Still und ernsthaft.
Sie segneten uns. Mich, „Madame L'évêque“, die Übersetzerin Elke, die Pastoren, all die vielen UnterstützerInnen.
„Und sie waren alle an einem Ort beieinander“ –ich lese den Kontext des Predigtwortes aus der Apostelgeschichte- „...und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel … und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie es der Geist ihnen gab auszusprechen. …Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Phrygrien und Pamphylien, Ägypten und …Libyen, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: Wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden.“
Es ist das Pfingstwunder in Jerusalem, überliefert von Lukas. Große, schöne Bilder von der Verständigung aller Nationen und Sprachen durch den einen Geist. Vereinte Vielfalt als höchst lebendiges Modell einer neu geborenen Kirche – Kirche, die Kraft hat zu Veränderung und Aufbruch!
Begonnen allerdings hat diese Geschichte eher verzagt. Denn man muss sich vorstellen, dass den Jünger/innen die vorausgegangenen 50 Tage schwer auf der Seele liegen. Ihre Todesängste, die Flucht vor diesem Golgatha, dann die aufgeregte Freude, dass der Auferstandene sie weiter begleitet – all das macht sie auch verwirrt, unsicher. Und so sitzen sie ratlos an dem einen Orte und fragen sich: „Was soll man denn nun noch glauben? Und sagen?“ Jetzt wo er, Jesus, der ihnen Liebeswunder war und Lebensbrot, endgültig gen Himmel gefahren ist?
Weg. Weg ist er. Und fort ist irgendwie auch die Sprache.
Weg – ist die Sprache für Gottes große Taten ja heute vielerorts. Wir wissen alle darum. Doch kein Lamento über Traditionsabbruch jetzt – vielmehr geht meine Suchfrage dahin, wie denn die Sprache aussieht, die das Haus der Tradition wieder öffnet. Sehnen sich meiner Wahrnehmung nach doch allerorten Menschen nach einer Kraft und Inspiration, nach dem „Eigentlichen“. Man hat nur leider vergessen, was das noch mal war. Säkularisierung – durch Vergessen der Worte, die einem nun dauernd fehlen. Dennoch: das Bedürfnis nach nährendem Wort ist da! Das Bedürfnis nach einer Sprache, die einem einen deutenden Zugang gibt zu dem, was unverstanden auf der Seele liegt. Hochgerissen durch Krankheit und Ohnmacht, durch Verletzung und Schuld, durch eigene Schwäche, die man nicht aushalten kann und durch das Glück, das man nicht selbst geschmiedet. Und ich bin sicher: Die Sprache, die wieder her soll, ist etwas völlig anderes als die Verlautbarungen, die uns täglich umgeben. Es ist eine Sprache mit Poesie, Worte mit Tiefe und Gesten mit Herz. Sprache, die versteht, was in einem ist. Eine Sprache deshalb für klare Verhältnisse. Und für zärtliche Gefühle.
Und so saßen und sitzen sie an dem einen Ort, hier wie dort, und dann kommt so ein Brausen eines Geistes, der die Sprachenvielfalt liebt. Und der einen erinnert, dass – vielleicht ganz versteckt – so viel in uns lebt, was Jesus uns sein wollte. Nein, er ist nicht weg. Da sind – mitten unter uns – Herzensnähe, Wärme, Klarheit, Verantwortung, Friedenssehnsucht – Liebe, die niemals aufhört.
Manchmal geht‘s auch ganz leise zu mit dem Brausen und Lieben, verhaltener, aber dennoch voller Leidenschaft. Ich möchte Sie, liebe Gemeinde, noch einmal mit nach St. Pauli nehmen. Da entstand nämlich buchstäblich „an diesem einen Ort“ mit einem unglaublichen Wörtermischmasch ein Geist der Unverzagtheit. Der Geist, es aufzunehmen mit allen Widrigkeiten. Die Verstörten zu trösten. Und vor allem: friedlich zu bleiben. Schliefen doch die Flüchtlinge auf engem Raum nebeneinander, zunächst auf dem Kirchenfußboden, dann in Wohncontainern. Christen und Muslime aus sieben afrikanischen Ländern, friedlich auch während des Ramadans. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Gemeinde geradezu überrollt von einer Welle der Solidarität. Mitten in St. Pauli, dort wo Kiez ist und Armut und schräge Typen und vieles mehr. Mit Herz eben. Aber auch darüber hinaus: Den meisten Hamburgern leuchtete ein, dass hier unmittelbar Sinnhaftes geschieht. Nächstenliebe live. Die über hundert Ehrenamtlichen haben geteilt, was sie hatten – Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld, auch Geld. Sie haben für Essen gesorgt, frische Wäsche, Deutschunterricht, Medizin. 1000 Zahnbürsten wurden abgegeben, Klempnerdienste angeboten, Hoffnungsbotschaften geschrieben – und dies von Menschen, die teilweise vorher nie in der Kirchengemeinde gesehen wurden.
Und wir hörten sie – in unserer Sprache – von den großen Taten Gottes reden.
Hotte K. zum Beispiel. Hotte ist Türsteher auf dem Kiez, auf der Reeperbahn. Einigermaßen ehrfurchterregend. Groß, kahlrasiert und sprachlich sehr geradlinig. „Das Leben ist eine Mischkalkulation“, sagt er immer, und dann passt er auf. Nacht für Nacht hat er gemeinsam mit seinen Kumpels die Kirchentür bewacht. Und er sagt: „Hier in St. Pauli bin ich getauft, hier bin ich in den Kindergarten gegangen. Und als ich gehört habe, dass Rechtsradikale den Afrikajungs Angst machen, da war Feierabend bei mir. Ich bin zum Pastor und hab gesagt: Hier bin ich.“
Und wir hörten sie – so unsere Worte – von den großen Taten Gottes reden.
Ich könnte lange weiter erzählen: von Journalistinnen, Parteien, Rentnerehepaaren, Schulklassen. Diese Erfahrung hat eine ganze Stadt ins Reden – und natürlich auch Streiten – gebracht. Mit deutlichen Distanzen, aber auch Annäherungen. Sicherlich war es anders als damals in Jerusalem, wo man vor lauter Entzücken, dass man sich so prächtig versteht und alle gestrigen Gegensätze neu zusammen finden, nahezu trunken war vor Seligkeit (oder trunken vom zu vielen Federweißer, wie damals die Umstehenden skeptisch unkten).
Nein, wie damals ist es in Hamburg nicht. Aber ich bin sicher, es ist allemal etwas davon wahr geworden, was Pfingsten bis heute in uns wachhalten will: Nämlich dass göttliche Geistesgegenwart in eine mehr oder weniger geistesabwesende Menschheit einkehrt. Immer wieder. Und das hat´s in sich und ernüchtert unerhört. Denn es bedeutet, den Mut zu haben, von den großen Taten Gottes, von den Friedensverheißungen und Rettungen Gottes zu reden, ja sich daran auszurichten. Als wache Zeitgenossin Kirche.
Auch und gerade jetzt.
Wir erleben dieses Jahr einen Kriegssommer. Erinnern, dass vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg begann und nur 25 Jahre später der Zweite. Wohlgemerkt befeuert durch kriegsverherrlichende Predigten auf Sommerkanzeln. Wir lassen den Wahnsinn Revue passieren – und sehen doch, dass die gegenwärtige Welt so von Kriegen geprägt ist wie selten zuvor nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und als wäre das nicht furchtbar genug, müssen wir erkennen, dass diese Kriege eine ganz neue Qualität haben. Es toben ja im Irak, in Syrien, in Gaza, in der Ukraine ganz eigentümliche Mischformen aus Krieg, Bürgerkrieg und blankem Terror.
Was dabei die Zivilbevölkerung erleidet, sprengt jedes Maß. Spielende Kinder am Strand getötet. Tausende Familien auf der Flucht, es droht Völkermord. Doch was tun wir, um die Menschen vor Terror und Wahnsinn zu schützen? Und weiter gefragt: Wer macht sich im Nordirak schuldig – der, der den Kurden Waffen liefert oder derjenige, der ihnen keine liefert? „Frieden schaffen ohne Waffen“, das bleibt das Ideal. Und kann doch von Christen und Jeziden, die vor dem Terror fliehen, als grenzenlos zynisch verstanden werden.
Ich gestehe, mich treibt das ständig um. Es treibt mich diese Ohnmacht um und diese Erschütterung und diese Ausweglosigkeit. Ich weiß es einfach nicht, wie man aufrichtig und geradlinig in diesen Ländern dazu beitragen kann, dass der Geist der Verständigung wächst bzw. überhaupt entsteht. Umso wichtiger, dass wir ihn hier, in Berlin, in Hamburg, in Deutschland halten! Dass wir der Vielfalt Sprache geben. Um hier den Frieden zu wahren, insbesondere – weil so oft in Gewalt und Extremismus missbraucht – der Friede der Religionen. Und dafür können wir sehr viel tun, gerade in unseren Gemeinden. Oder mit internationalen Versöhnungsprojekten.
Eine letzte Impression dazu aus Hamburg: Gemeinsames Friedensgebet vor der Blauen Moschee an Hamburgs Außenalster vor 7 Wochen. Es war ein Wagnis, aber dank einer langen interreligiösen Gesprächskultur möglich. Wir waren sehr aufgeregt, ob wirklich am Schluss alle kommen. Der katholische Diözesanadministrator und die evangelische Bischöfin (klar!), aber der Landesrabbiner, der sunnitische Imam, der schiitische Ayatollah? Sie kamen. Gemeinsam mit vielen Hamburgern haben wir für den Frieden gebetet. Jeder in seiner Sprache, in seiner Tradition. Schalom. Salam. Ich will es nicht überhöhen – wir sind alle sehr, sehr unterschiedlich. Aber uns einte eine gemeinsame Überzeugung, ja ein gemeinsames Gefühl: Wir sind besorgt. Wir verwerfen den Krieg und die Gewalt. Und wir wissen, dass wir als Religionsgemeinschaften zusammenstehen müssen, damit der Frieden hierzulande bewahrt bleibt – wenigstens das.
Wir haben dieses Zeichen gebraucht, um uns nicht von der Ohnmacht überwältigen zu lassen. Und wir haben es gesetzt, um uns an die alte Sprache von den großen Taten Gottes zu erinnern. Denn Frieden ist mehr als das Stoppen von Gewalttätern. Es bleibt die Verheißung von einer besseren Welt, in der kein Mensch wegen seines Glaubens oder seiner Hautfarbe ermordet wird, in der niemand dazu gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen.
Nein, er ist nicht weg. Mit dieser Verheißung ist Gottes Geist gegenwärtig und präsent. Mit uns zusammen, in dieser Realität. Denn das ist sein Werk: Zusammenzuhalten, was auseinander brechen will. Uns zu halten, wenn es uns innerlich zerreißt. Und in unsere Herzen die Sehnsucht zu senken, dass uns endlich, endlich eine gemeinsame Sprache eint. So sei „Hèrè jè!“: der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, in unseren Herzen und Sinnen. Dazu bewahre uns Jesus Christus. Amen