Bodelschwingh-Kirche in Lübeck -Sonnabend vor Palmarum

31. März 2012 - Andacht zu Joh 12,12-19

31. März 2012

Liebe Gemeinde, eine aufgeregte, gespannte Stimmung liegt in der Luft. Tausende sind in die Stadt gekommen, um ein Zeichen zu setzen gegen den Aufmarsch der Neonazis. Die Initiatoren des selbst ernannten „Trauermarsches“ wollen das Gedenken an die Opfer der Bombennacht vor 70 Jahren auf infame Weise instrumentalisieren für rechtes Gedankengut. Dass wir dagegen Widerstand üben, war und ist keine Frage.

Doch wie tun wir das? Um den richtigen Weg ist in den letzten Wochen viel gerungen worden –mit den Pastor/innen hier, mit den verschiedenen Bündnissen, der Polizei.  Ich habe dabei Angst gespürt, übrigens auf allen Seiten. Angst vor Spaltungen in Blockierer und Blockadegegner, davor, dass sich gewalttätige Szenen wie im letzten Jahr direkt vor der Kirche wiederholen. Doch ich bin heute ganz zuversichtlich – und froh bei Ihnen zu sein, um dies zu teilen. Man hat in den letzten Wochen nicht nur viel geredet, man hat auch voneinander gelernt. Hat verstanden, dass gewaltfreier Widerstand unsere gemeinsame Sache ist. So unterschiedlich wir sonst auch sind. Man hat verstanden, dass wir Zeichen setzen müssen gegen rechte Gewalt und mehr noch: dass wir die Erinnerung an die Opfer der Bombennacht vor 70 Jahren verbinden mit dem Gedenken an alle Opfer von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. In diesem Gedenken demonstrieren wir als Christen. Denn: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“ – singen es „Die Ärzte“, und sie haben so recht, sagt das Evangelium.


Aufgeregte, gespannte Stimmung lag in der Luft. Tausende sind in die Stadt gepilgert, nach Jerusalem damals. So erzählt es das Evangelium, das jedes Jahr am Sonntag Palmarum vorgelesen wird. Eine Hoffnungsdemo, wenn man so will. Denn Jesus, der Kranke geheilt, ja sogar Tote auferweckt haben soll, er, der mit Sündern das Brot geteilt und sich so menschlich gezeigt hat, wie keiner zuvor, er, der da gleich vor ihren Augen einziehen wird, der muss doch der Messias sein, Gott selbst! Aufgeregt schwenken sie plötzlich Palmzweige und singen laut: „Hosianna! Herr, hilf!“ Er ist es, ganz bestimmt, hoffen sie. Auf ihn hat die Welt so lang gewartet, dass er sie aus den Angeln hebe und die Herrschenden erzittern….
 
Und dann kommst du. Jesus.
Ärmlich gekleidet, auf einem kleinen Esel ziehst du ein. Ein König mit staubigen Füßen. Du schaust in die Menge, lächelst. Lässt dich berühren. Nichts sonst. Keine Kundgebung deinerseits. Du bist ein König der besonderen Art, Sohn Davids. Im Stern geborener Jude. Und so heruntergekommen. Zu uns auf den Boden der Tatsachen. Und während ich dir so zuschaue, über die Zeiten hinweg, wird mir klar, wie wenig dir - und mir -  nach Triumph ist und Siegespose.  Mir ist vielmehr danach, dass du bist, der du bist. Und dass darin Gott wahr wird. Seine Liebe, seine Nähe, sein Erbarmen. Ich will – ein altertümliches Wort trifft´s am besten – „beseelt“ sein. Erreicht werden. Im Herzen. Und ich schaue mich um und sehe Sie und Euch.


Was mich beseelt, sind Menschen, in deren Augen sich lesen lässt, dass sie andere achten. Was mich beseelt, sind Menschen, die der Gewalt entgegentreten. Was mich beseelt, sind Menschen, die sich mahnen lassen durch Erinnerung. Es sind Menschen, die sich zur Güte verführen lassen, auch wenn sie selbst es nie gut hatten. All die Geknechteten, Gebrochenen, die Missachteten, die den Fremden Gastfreundschaft geben, den Verlorenen Halt und den Unperfekten Mut. Was mich beseelt, Barmherziger, sind nicht die großen Entwürfe über dich dort droben in der Höhe. Sondern es sind hier unten die, die bereit sind, etwas, nein: sich zu verändern. Die zugeben können, dass sie ihre Grenzen haben. Oder Angst. Die deshalb auch Demut kennen und ein Sich-Anvertrauen. Und so erscheint auf einmal der Palmenzweig, das einstige Symbol des siegreichen Herrschers, in völlig anderem Licht: Zart bricht das Grün hindurch. Mit Sanftmut ziehst du ein in unser Leben – und mit dir die unerhörte Idee, dass der eigentliche Triumph in zärtlicher Liebe liegt.  Liebe, die ebenso in den siebten Himmel hebt wie sie durchs tiefe Tal hindurch trägt. Liebe, die Hohes und Tiefes in unserem Leben umfängt. Liebe, die auch Hingabe heißt und dich zum Knecht aller macht und darin zum wirklichen Herren der Welt.


Und so, liebe Gemeinde, zieht mit der Liebe in Person auch totale Herrschaftskritik ein in diese Welt. Kritik, die radikal in Frage stellt, was Menschen erniedrigt und beherrscht. Die unerschrocken die Täter beim Namen nennt, die heute andere demütigen, verspotten und kreuzigen, selbstgerecht und unbelehrbar. Es zieht radikale Kritik ein, die an die Wurzel geht, damit das Elend ein Ende hat! Damit die Zwickauer Zellen dieses Landes nicht weiter ihre mörderischen Taten vollbringen können. Damit die Versammlungsräume von Neonazis – auch im Internet – verboten werden, in denen Jugendliche mit Hass angefüllt werden.


Widerstand statt Ergebung sagt uns dieser König da, der auf dem Esel in unser Leben einziehen will. Aufstand gegen Gewalt. Denen zugewandt, die uns brauchen, weil sie vielleicht endlich aussteigen wollen aus der Spirale der Gewalt – und nicht wissen wie. Denen zugewandt, die sich bedroht fühlen. Denen schließlich mit Gastfreundschaft zugewandt, die sich auch nach Jahrzehnten noch fremd fühlen in unserem Land. Er dort auf dem Esel hat uns nicht ohne Aufgabe gelassen. Seine Sanftmut sagt, schaut hin. Schaut hin, ganz ehrlich, auf die Schwachstellen unserer Gesellschaft. Kritik statt Gefallenwollen. Wer Rechtsextremismus bekämpfen will, muss schauen, dass weniger Kinder in Armut aufwachsen und mehr Jugendliche wieder in der Schule ihre Chance entdecken. Und mehr noch: Viele Jugendliche geraten ja nicht in Kameradschaften, Parteien und Cliquen, weil sie von vornherein einer rechtsextreme Gesinnung folgen, sondern weil sie Freunde suchen, Anerkennung, Freude. Er, der Sohn des Gottes, der uns zärtlich in die Welt geworfen, weil er uns liebt – er sagt uns: tragt dies in die Welt, seid denen Freund und Anerkennung und Trost, die es so ersehnen.


In Jerusalem damals, wir wissen es, ist die Stimmung irgendwann gekippt. Sie hatten sich von Jesus was anderes erhofft. Gehofft, dass er es richtet. Sie hätten auch gern einen  Führer gehabt, einen, der hart durchgreift und den Kriminellen, Steuerhinterziehern, Korrupten, Schamlosen endlich die Leviten liest. Sie, die heute wie damals so maßlos enttäuscht und frustriert sind und mühsam an sich halten können mit ihrer eigenen Aggression, sie mögen es gewesen sein, die wenige Tage nach dem Hosianna! das vernichtende „Kreuzige ihn!“ heraus schreien. Nein, nicht den Verbrecher Barrabas. Ihn. Den andern! Kreuziget IHN! Welch unheimliche Wendung der Massen! Nichts löst offenbar mehr Bestürzung aus als beharrliche Demut und unbeirrbare Liebe.
Welch Spannung, liebe Gemeinde – in dieser Geschichte, in unserem Leben. Wir werden sie heute aushalten müssen und nicht lösen können. Aushalten, dass echte, tief empfundene Freude auch etwas weiß von tiefem Schmerz, dass Widersprüche uns zerreißen können und dass Liebessehnsucht in Hass umschlägt. So müssen wir es heute aushalten, dass unsere Versammlungsfreiheit auch für Menschen gilt, die die Freiheit mit Füßen treten. Müssen solidarisch mit aushalten, dass auch Polizisten und Polizistinnen, die heute Dienst tun, Meinungen „schützen“ müssen, die sie selbst nur mit Abscheu erfüllen.
All das halten wir heute aus und gehen – in diese Welt mit all ihren Widersprüchen. In sie hinein gilt es den Trost und die Ruhe und die Zartheit des Gottessohnes hineinzutragen.


Denn wo Menschen sich verbünden,
den Hass überwinden
und neu beginnen, ganz neu,
da berühren sich Himmel und Erde,
dass Frieden werde unter uns.  

   
(Lied von Laubach/ Lehmann)


Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
31.03.2012
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