Dom zu Schwerin

31. März 2013 - Ostergottesdienst

31. März 2013 von Andreas von Maltzahn

Predigt zu Joh 20,11-18

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde!

 

Das Osterevangelium des Johannes steht ganz im Zeichen Maria Magdalenas – der Frau, die Jesus so viel zu verdanken hatte. Krank an ihrer Seele war sie gewesen. Jesus hatte sie da herausgeholt: Er sah in ihr nicht die Besessene. Er sah in ihr Maria.

 

Nun war sie ans Grab gelaufen und hatte es leer gefunden. Ganz allein stand sie da, voller Trauer. Nicht nur den geliebten Menschen hatte sie verloren – ein ganzer Lebensentwurf war zu Bruch gegangen: Mit ihm waren sie umher gezogen, hatten vom Reich Gottes geträumt – ach, was sage ich, „geträumt“! Gelebt und erlebt hatten sie es an seiner Seite. Unglaubliche Dinge waren geschehen – Menschen waren heil und gesund geworden unter seinen Händen und Worten.

 

Aus und vorbei, alles durchkreuzt durch das grauenvolle Sterben! So steht sie da und weint. Durch den Schleier ihrer Tränen sieht sie in der Grabeshöhle zwei Engelwesen, Boten Gottes. Aber Maria ist noch ganz gefangen vom Unwiderruflichen: Jesus ist tot. Keine Hoffnung blitzt da auf: „Weggenommen, weggetragen“ – das ist alles, was ihr in den Sinn kommt angesichts des leeren Grabes. Wer heute meint, die Anhänger Jesu hätten ihre Auferstehungshoffnung so lange in die Realität hineinprojiziert, bis sie glaubten, dem Auferstandenen begegnet zu sein, der hat hier zu erkennen: Nichts war da von solcher Hoffnung – nur Verzweiflung, nur Faktizität. In ihrer Trauer erkennt Maria Magdalena nicht einmal ihren geliebten Lehrer – sie hält ihn für den Gärtner: „Hast du ihn weggetragen?“

 

Aber dann, auf einmal erkennt sie ihn – nicht, weil sie ihn besser sieht, nicht am Klang seiner Stimme, sondern weil er sie bei ihrem hebräischen Namen ruft: „Mirjam!“ In diesem einen Wortes leuchtet die Geschichte auf, die sie mit diesem Mann erlebt hat – und sie weiß: Er ist es! Er, der schon immer in ihr die Maria gesehen hatte, wo andere nur die Besessene vor Augen hatten. Es ist der Rabbi, der Meister, der Lehrer, der so spricht.

 

Es ist wie in den Tagen der Kindheit: Da hat man sich am Strand verlaufen und findet nicht mehr zurück. Ein furchtbares Gewimmel von Menschen, aber kein vertrautes Gesicht . . . Namenloses Entsetzen steigt auf, Panik . . . bis endlich die Stimme der Mutter einen beim Namen ruft, und man weiß: „Jetzt ist alles gut.“

 

Schwestern und Brüder, solch einen Gott glauben wir, der uns kennt und uns seit der Taufe zusagt:

            „Fürchte dich nicht.

            Denn ich habe dich erlöst.

            Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.

            Du bist mein.“

 

Maria Magdalena erkennt den auferstandenen Christus, und alles in ihr sehnt sich danach, ihn zu umarmen, wenigstens zu berühren. Doch Jesus entzieht sich ihr: „Halte mich nicht fest! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“

 

Zunächst, eben noch die unverhoffte Nähe, nun ein Abstand, der geachtet werden soll: Die Begegnung mit dem Christus bleibt in der Schwebe, die Wirklichkeiten durchdringen einander:

-          Es ist Jesus, der Vertraute – und doch ist er nicht der Alte. Auferstehung ist Verwandlung: Man kann sich nicht so begegnen wie bisher – eine neue Beziehung will wachsen.

-          Liebe sehnt sich nach Dauer, nach Verweilen, aber Maria muss verstehen: „Du darfst mich nicht festhalten wollen. Meine Bestimmung ist der Weg zu Gott. Und auch eure Bestimmung ist dieser Weg.“

 

Vielleicht kennen wir das aus unserer Beziehung zu Gott: Da hast du gefragt, gesucht, gezweifelt, gehofft – und endlich: Ein Moment der Erfüllung! Ein Verstehen! Ein Gefunden-Haben! Ein Stück Gewissheit! Du möchtest halten, festmachen, nie wieder los lassen, aber das geht nicht: Gott kannst du nicht „haben“ – nach der Art: „Wunderbar – hier lasst uns Hütten bauen! Hier richten wir uns ein mit ihm!“

 

Mit Gott leben heißt, unterwegs zu sein. „Nachfolgen“ ist ein Bewegungswort. Es ist Gottes Art, sich uns immer wieder auch zu entziehen. So bleiben wir wach und lebendig in unserer Beziehung zu ihm, erliegen nicht sanft der Macht der Gewohnheit, lassen nicht Gott, den Lebendigen, zum ‚stummen Diener’ verkommen.

 

Doch gerade der sich entziehende Gott ist der, der in unser Leben kommt, dem wir begegnen können. Maria erlebt genau dies: Der unverhofft nahe Christus entzieht sich ihr und verweist sie auf den Weg, den sie alle – Jesus, Maria, die Frauen und Männer um Jesus – vor sich und zu gehen haben, den Weg zum Vater. Das macht Maria zur Botin. Sie geht zu den andern und sagt ihnen, was ihr widerfuhr.

 

Liebe Gemeinde, den Christus zu suchen ist die entscheidende Bewegung, aus der alles andere entsteht: So war es am Ostermorgen für Maria Magdalena. So ist es in unserem persönlichen Leben wie im Leben unserer Kirche. Nach Christus zu fragen, die Beziehung zu ihm nicht aufzugeben, sondern auf jeder Stufe unseres Lebens ihn neu zu entdecken, zu gewinnen, zu lieben – darauf kommt es an.

 

Auch die Erneuerung unserer Kirche wird im Suchen des Christus ihren Ursprung haben – oder es wird keine Erneuerung sein! Vielerlei wird von den Kirchen heutzutage erwartet: Werte sollen sie vermitteln, soziale Bindekräfte im Gemeinwesen stärken, gesellschaftliche Missstände anprangern, verantwortungsvolles Handeln im Namen einer letztgültigen Instanz anmahnen, in alledem glaubwürdig leben. . .

 

Alles nicht verkehrt – wenn es denn daraus hervorgeht, Jesus, den Christus, zu suchen, und so wie er darauf zu bestehen: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“ Dann wird es so sein: Die Menschen am Rande werden zur Hauptsache werden:

-          die Flüchtlinge, gegen die Europa sich abschottet und die man zumindest nicht im eigenen Viertel haben will,

-          die Menschen, die auf der Strecke bleiben, weil ihre Seele der immer stärkeren Arbeitsverdichtung nicht gewachsen ist.

Wo setzen wir in unserer Kirche, in unserer Gesellschaft das befreiende Jesus-Wort um: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“?! Konkret und als Beispiel: Wir brauchen mehr Arbeitsplätze für Menschen, die den üblichen Anforderungen nicht gewachsen sind, damit sie Aufgaben finden, die ihren Gaben und Kräften entsprechen, sie aufatmen lassen und ihnen erlauben, sich nach ihren Fähigkeiten einzubringen.

 

Alles nicht verkehrt – wenn wir uns durch Christus in die Liebe zu Gott führen lassen. Gott zu lieben: Das vornehmste Gebot! Mehr noch – die schönste Sache der Welt:

-          ihn besser und besser kennen zu lernen,

-          ihn tiefer zu verstehen,

-          sich bergen zu können im Frieden, den er schenkt,

-          sich anstecken zu lassen von der Sehnsucht nach Gottes Reich und seiner Wirklichkeit mitten unter uns,

-          zu wachsen im Vertrauen auf ihn, den einzig tragfähigen Grund, den Quell aller Lebendigkeit . . .

 

Aus der Suche nach Christus heraus wird sich unsere Kirche erneuern – wenn wir es lernen, uns ganz auf ihn zu verlassen: Uns dahin führen zu lassen, wo Christus uns braucht; beweglich zu werden für das, was sich Christus von uns erhofft, unter den Menschen, mit denen wir leben. . .

 

Zu alledem gibt uns Ostern die Kraft und die Freiheit. Nicht der Tod ist der Generalnenner unseres Lebens, sondern Gott, der uns Hoffnung schenkt.

 

Halten wir das – und halten wir daran – fest: Aus der Suche nach Christus erwächst alles andere. Diese Suche führt uns in die Freiheit und in das Vertrauen. Was für eine Perspektive für unser Leben!

 

Amen.

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