31. Mai 2013 – St. Bartholomäus-Kirche Wesselburen

31. Mai 2013 - Brahmspreis 2013

31. Mai 2013 von Kirsten Fehrs

Laudatio anlässlich der Verleihung des Brahmspreises 2013 an Prof. Matthias Janz und den Flensburger Bach-Chor

Sehr geehrte Frau Ministerin Spoorendonk,

sehr geehrter Landrat Dr. Klimant, sehr geehrter Stadtrat Paulsen,

lieber Herr Prof. Besch,

lieber Vorsitzender des Wesselburener Kirchengemeinderates, Herr Spilke-Liss,

liebe Freundinnen und Freunde,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

Und heute nun vor allem: Sehr geehrter Herr Professor Janz,

liebe Mitglieder des Flensburger Bach-Chores! Liebe Dänen!

 

Es geht Ihnen ums Ganze. Nichts weniger. Das habe ich heute, und das habe ich auch zu früheren Gelegenheiten empfunden. Es geht Ihnen ums Ganze der Musik. Ihre Tiefe. Ihre Eindringlichkeit. Die Schönheit. Ihre besondere Note.

So wie wir es eben erleben durften.

Unmittelbar. Klagend. Zugleich tröstlich. So lebensnah.

Man fühlt es regelrecht: Solche Musik ist mehr als die Richtigkeit von Tönen. Sie ist sogar mehr als die Komposition eines genialen Geistes wie Johannes Brahms, auch wenn er ja quasi Wesselburener ist. Solch Musik ist eine sich im Gegenwärtigen ereignende Sprache. Eine Sprache für all das Unsagbare: Für den Schmerz und die Liebe unseres Lebens. Für die Frage, die keine Antwort kennt. Aber auch für die Geborgenheit. Die Hoffnung, die in einem pulsiert. Solche Musik ist eine Sprache, die es wie keine andere vermag, die Seele zu erreichen. Und das Herz.

 

Wenn man es vermag. Und kann. Im Ursinne des Wortes: Wenn man sich auf die Kunst versteht. Und, lieber Professor Janz und lieber Bach-Chor Flensburg, alles was recht ist: Sie können´s. Und deshalb bekommen Sie heute höchst verdient den Brahms-Preis überreicht. Ich stehe bewundernd vor Ihnen und Ihrem langjährigen Wirken und gratuliere von Herzen zu dieser Auszeichnung. Und nicht nur ich. Wir alle. Wissend, dass es den und die Richtigen trifft. Nicht umsonst konnten Sie zuvor schon den Kulturpreis der Stadt Flensburg, das Bundesverdienstkreuz und den Kulturpreis der Region Sønderjylland-Schleswig entgegen nehmen. Und zuletzt gar wurden Sie zum Ritter des Dannebrogordens durch Ihre Königliche Hoheit Margarethe II ernannt. Das passiert ja auch nicht täglich…und honoriert in höchstem Maße Ihre ganz besondere Fähigkeit zu grenzüberschreitender Kooperation. Kooperation zwischen Kulturen, Generationen, Ländern, ganz besonders Dänemark. So begleitet Sie heute wiederum das „Sønderjyllands Symfonieorkester“, seit dreißig Jahren nun schon, und gibt dem Abend heute einen wunderbar freundschaftlichen dänischen Ton.

 

Es ist mir eine große Ehre, aus Anlass nun des Brahms-Preises die Laudatio für Sie zu halten. Allzumal in der Kirche, in der ich getauft bin. Und so ist es zugegeben nicht allein Ehre, sondern auch ein wenig Rührung, wenn ich genau an dem Ort des Ursprungs meiner Beziehung zu Gott diese Nähe neu und gegenwärtig durch Ihre Musik sprechen höre. Denn in dem, was Sie uns hören lassen, ist eben nicht nur Jetzt und Welt und das friedlose Toben, das uns aufstört und im oft so begrenzten Diesseits verhaftet. Da singt es in Ihrer Musik auch vom Ewigen. Von der Liebe. Von der Sehnsucht nach einer Wirklichkeit, die über uns und unser jetziges Dasein hinausreicht und uns (manchmal aus uns selbst heraus) rettet. Es geht ums Transzendente im Immanenten, also wie gesagt ums Ganze. Und weil dies so ist, lieber Professor Janz, sind Sie im Detail so präzise. Sie achten die Einzelheit. Achten etwa auf die Genauigkeit der Phrasierung und die Atmung eines Stückes, fühlen sich offenkundig ein in den jungen und den älter werdenden Komponisten, fühlen sich (wie ich weiß) auch ein in die jungen und älter werdenden Choristen. Und wenn man Sie so erlebt als Dirigent, dann sind so ganz und gar Sie selbst und singen innerlich wahrscheinlich alle Stimmen mit und spielen in Gedanken alle Instrumente – sind Sie doch des Orgel-, Flöte-, Klavier-, Cembalo-, Violoncello-, Posaunenspiels mächtig (was eigentlich nicht?) – kurz: Sie nehmen uns hinein in die Vielschichtigkeit einer Komposition und setzen diesen ganz besonderen Akzent, der in einem noch lange nachschwingt und der die Sprache der Musik so innig macht.

Und all dies über die langen Jahre gemeinsam mit Ihnen, liebe Choristen.

 

Sie sind gemeinsam 38 Jahre auf dem Weg. Seit 1975. Ein eingespieltes Miteinander, wie wir eben erleben durften. Und zugleich geprägt von der Vielfalt des Individuellen, die es zusammen zu halten gilt. Durch einen, der es auch deshalb kann, weil er so vieles in sich selbst vereint: Seit dem Studium lebt in Matthias Janz der Organist und Dirigent, Professor und Lehrer, Oratoriumsspezialist und Musikwissenschaftler, der Theologe und Solist – und das alles manchmal gleichzeitig. So auch Sie, liebe Choristen. Sie bringen mit ihren Stimmen – und Stimmungen!, die in ihrer Gleichzeitigkeit den Klang bilden, ja auch sich selbst mit. Mit Ihren Vorlieben. Ansichten. Ihren Akzenten. Ihren Phrasierungen, wenn man so will. Und mit Ihrer Geschichte. Auch übrigens ihre jeweilige Geschichte mit Prof. Janz. Sind es doch immer zuvorderst besondere Menschen wie er, die einen innerlich an einen Chor binden. Weil sie einen faszinieren – wie er: Durch ihre Leidenschaft. Ihre Ehrlichkeit. Weil sie einen ernst nehmen und immer heraus fordern, gleich ob man gerade 12 oder 62 Jahre alt ist. Und ganz sicherlich gibt es manche/n unter Ihnen, liebe Choristen, die oder der schon im Kinderchor von Matthias Janz das Gefühl hatte: Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

 

Auch mit der Musik.

Aller Couleur.

Die Bandbreite Ihrer Aufführungen ist enorm. Alle großen Klassischen Meisterwerke der Chormusik. Elias. Paulus. Saulus. Passionen und h-moll-Messe. Fast alle Bachkantaten. Händel. Verdi. Allein durch die Nennung stellen sich sofort Tonfolgen ein, nicht wahr, lieber Bach-Chor? Man lebt ja auch mit all den Stücken. Eignet sie sich an. Spricht mit ihnen. Und erinnert besondere Momente. Tränen, die einem plötzlich mitten beim Singen kommen. Oder einfach glückliches Gelingen. Oder Überraschungen, die es mit Contenance zu überstehen gilt. Beim Verdi-Requiem etwa, vor ausverkauftem Essener Haus – so habe ich mir aus gut unterrichteter Quelle erzählen lassen – fehlte Ihnen einmal plötzlich der Solotenor. Das ist bei Verdi nicht so vorteilhaft. Was tat Prof. Janz? Kurzerhand berief er einen Tenor aus dem Publikum. Also: Vorsicht heute an der Bahnsteigkante, meine Damen und Herren! Wer weiß, was passiert. Dann macht dieser Tenor seine Sache so gut, dass der eigentlich vorgesehene Solist, der schließlich mit hängender Zunge zum Kyrie eintrifft, weggeschickt wird – beim Fußball würde man sagen: zum Duschen.

Oder Johannespassion in Warschau. Da erscheint gleich der ganze Chor nicht. Der hatte sich nämlich komplett im offenbar großzügig und höchst verwinkelt ausgestatteten backstage-Bereich verirrt. Die gute Nachricht: Die Aufführung fand statt. Denn offenbar finden Sie, lieber Herr Janz, ihren Chor immer. Egal wo. Und umgekehrt. Der Chor findet auch Sie. Und den guten Ton. Wie in Leos Janaceks „Glagolitischer Messe“ in Kirchenslawisch. Da verirrte sich zur Abwechslung einmal der Gastorganist. Allerdings musikalisch. Mitten in der Messe hatte er ein großes Orgelsolo, und er war, wie man so schön sagt, total „im Wald“. Und was passiert trotzdem? Der Chor setzt „aus der Luft“ richtig ein.

Denn: Sie können`s.

 

Besonders Brahms. Der Romantiker. Hier wird es emotional ganz dicht. Bewegend. Musik, die einen auf einmal aussöhnt mit den Widersprüchen im Leben. Aussöhnt mit Traurigkeit und Seelenlast. Ja, auch mit Kriegsgeschrei. So geschehen bei der Aufführung der „Fest- und Gedenksprüche“ op. 109 in Danzig im Jahre 1978. In deutscher Sprache wohlgemerkt. Das erste Mal nach dem zweiten Weltkrieg wurde einem Chor dies erlaubt. Deutsch in der Marienkirche zu Danzig, man hielt den Atem an. Und spürte das Historische dieses Augenblicks. Die Kraft, die einer Musik innewohnen kann.

 

Gerade die Musik von Brahms hat diese Kraft. Und gerade das Deutsche Requiem. Denn in ihm drückt sich die Versöhnung aus zwischen Leben und Tod, ja auch zwischen den Lebenden und Toten, eine Versöhnung durch Hoffnung. Nicht die Fürbitte für die Gestorbenen nämlich, nicht das „requiem aeterna“ hat hier das erste Wort, sondern der Trost. „Selig sind, die da Leid tragen“, heißt es zu Beginn. Zuallererst sollen getröstet werden, die zurückbleiben. Und die sich nach Erlösung von dem Schmerz sehnen. Ergreifend bis zum Ende, weil die Musik dieses Sehnen des Menschen so versteht: Ich will euch trösten – und was für ein Bild! – „trösten, wie einen seine Mutter tröstet“.

Wer würde daran zweifeln, dass solche Musik die Sprache des Evangeliums spricht? Mehr noch: Sie ist Evangelium. Nicht nur schmückendes Beiwerk. Solche Musik vermag manchmal mehr als alle klugen Worte für einen Menschen die eine Stimme zu sein, die die aufgewühlte Seele erreicht mit Gottes Licht und der Engel Trost. Sie vermag die eine Stimme zu sein mit klarem Ton, die uns auf einer Ebene berührt, wo das Sehnen pulsiert und das Hoffen. Und sie vermag die eine Stimme zu sein, die Vertrauen zurück gibt und einem zuspricht, dass man mit der eigenen Lebensmelodie eingebunden ist in einen großen Klang, der von Gnade singt und guten Mächten. Und indem solch Musik uns so zu erfüllen versteht, nimmt, manchmal ganz unvermutet – Gott selbst in uns Platz: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth“ – wir werden es gleich hören. Und uns verstanden fühlen.

 

Sie haben, lieber Bach-Chor zu Flensburg, das Deutsche Requiem schon oft gesungen. Und heute nun mit besonderem Timbre. Denn zum zwanzigsten Mal wird es von Ihnen, lieber Prof. Janz, dirigiert. Wir können uns gleich darauf freuen. Und uns anrühren lassen. Wie die Musik es will.

 

Von Herzen also Gratulation zum diesjährigen Brahmspreis als Auszeichnung für Ihre großartige Leistung in den letzten Jahrzehnten. Möge Gottes Geist Sie beflügeln, auch zukünftig solche Musik aus sich heraus zu bringen, die die Sprache der Hoffnung spricht. So wie es im 126. Psalms zum Ausdruck kommt:

 

„Und wir sangen von dieser neuen welt

die so anders war

wie ein traum

und doch war sie wirklichkeit

als wir sangen

und wir lachten und weinten vor freude

denn nie hatten wir so viel schönheit geahnt“[1]

 

Dass wir dies nun gleich live und in Farbe erleben, meine Damen und Herren, dazu können doch auch wir uns nur gratulieren!

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 


[1] Sehr frei nach: Wege entdecken: Biblische Texte, Gebete und Betrachtungen, hrsg. von Joachim Feige / Renate Spennhoff, Gladbeck 1980 (Übs. nach Ulrich Schaffer), S. 55

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