5. Juni 2013 - Senatsempfang anlässlich des 15. Bundeskongresses für Notfallseelsorge und Krisenintervention
05. Juni 2013
„Mit Schuld leben“
Sehr geehrter, lieber Schirmherr Senator Neumann,
sehr geehrter Herr Oberbranddirektor Klaus Maurer,
sehr geehrter lieber Pfarrer Radix, Vorsitzender der Konferenz Ev. Notfallseelsorge der EKD,
meine Damen und Herren –
auch ich begrüße Sie zu dem 15. Bundeskongress der Notfallseelsorge und Krisenintervention, verbunden mit meiner herzlichen Gratulation zu einer offenkundig bisher schon höchst gelungenen Veranstaltung. Und das bei dem Thema, oder besser: gerade deshalb.
„Mit Schuld leben“ – das hat einen Nerv getroffen. Denn es geht um nichts Geringeres als die Auseinandersetzung mit der eigenen Fehlbarkeit. Mit dem doppelten Druck der tatsächlichen und dann – manchmal noch stärker – gefühlten Schuld. Etwa weil man als Helfender nicht zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen ist. Oder weil ein Mensch durch mein Tun oder Lassen zu Schaden oder gar zu Tode gekommen ist. Unabhängig davon, ob ein Mensch diese Schuld tatsächlich hat – oft hat die Schuld den Menschen. Behaftet ihn. Lange Zeit. Manchmal lebenslang.
Deshalb sind Sie so eminent wichtig, die Sie in Krisenintervention und Notfallseelsorge Ihren Vorder- oder Hintergrunddienst tun. Weil Sie Menschen einen geschützten Raum bieten, um im wahrsten Sinne zu sich zu kommen. Um Luft zu holen. Oder sich Luft zu machen. Um aus der dauernden Befangenheit wenigstens einige Zeit heraus zu kommen.
Und deshalb ist es so wichtig, dass dieser Raum ein verschwiegener bleibt. Das Seelsorge- oder Beichtgeheimnis ist für jegliche Seelsorge konstitutiv. Wo kämen wir hin, würden zutiefst verstörte Menschen dies nicht verbrieft und gesiegelt sehen. Zugleich ist für die Seelsorgerinnen und Seelsorger damit eine hohe Verantwortung verbunden. Allzumal wenn sie etwas erfahren, was Dritte in Zukunft gefährden könnte. Dieses Dilemma ist so alt wie die Kirche. Was tun mit einer Schuld, die womöglich weitere nach sich zieht? Was tun mit einer Schuld, die einen auf einmal selbst erfasst, weil man etwas nicht rechtzeitig gesehen? Oder falsch eingeschätzt? Oder beiseite gelegt?
Es ist wichtig, sich auseinander zu setzen. Etwa auf einem Kongress nachzudenken über die vielerlei Grenzsituationen, die man erlebt oder mit aushält. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass und wann wir Seelsorgerinnen und Seelsorger selbst an Grenzen kommen. Gerade wenn´s um Leben und Tod geht. Wir können hinhören, aufnehmen, mitfühlen, beten, hoffen, nachdenken. Auswege suchen. Trösten. Kaffee kochen. Aber wir können Nöte, Krisen – und Schuld nicht ungeschehen machen.
Ihre Begleitung, die Sie Menschen in absoluten Ausnahmesituationen anbieten, mit all dem, was und wer Sie sind, Ihre Begleitung ist ein Segen. Und so ist es mir ein dringendes Anliegen, Ihnen, die Sie – zumeist ja ehrenamtlich! – bundesweit in der Notfallseelsorge und Krisenintervention Ihren Dienst tun, zu danken. Danke für Ihre Kraft, Aufmerksamkeit, Ihre Sensibilität, Nähe, Klarheit, für die richtigen Worte und das Schweigen zur rechten Zeit.
Krisenintervention ist eine Kunst. Weil es so viele Seiten gibt, die die Krise eines Menschen ausmachen oder hervorrufen. Da ist oft nicht nur der Unfall. Der plötzliche Tod. Das brennende Haus. Da sind auch Geschichten davor oder dahinter, die man ahnt, wenn man Menschen in absoluten Ausnahmesituationen begleitet:
Da hat sich das Ehepaar ausgerechnet an diesem Morgen nicht den Abschiedskuss gegeben, und nun kommt er nie mehr zu ihr zurück.
Da hat sie sich Sorgen um die Eltern gemacht und so in Gedanken, wie sie war, beim Rückwärtsfahren das Kind übersehen.
Da hat er als Feuerwehrmann alles versucht, ich denke beispielsweise an Mölln vor 20 Jahren, um dieses Grauen nicht wahr werden zu lassen – und doch muss er hören und zusehen, wie Menschen zu Tode kommen.
Wir wissen, wie wichtig es ist, den Schock und die Trauer – auch über sich selbst – zuzulassen. Damit man dies auch irgendwann loslassen kann. Es braucht einen Schutzraum der Offenbarung, der zum Raum der Versöhnung werden kann. Und deshalb braucht es Menschen, die Traumata und Schuldempfindungen eben nicht weg reden, beschönigen, abtun, bagatellisieren. Sondern sagen: Es ist, was es ist.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Das ist nicht nur ein wunderschönes Gedicht von Erich Fried. Sondern es ist der Kern des Evangeliums, für das und aus dem heraus wir Christen leben. Mit Liebe ist der Mensch von allem Anfang angeschaut, mit seiner Schuld. Gibt es eine bessere Botschaft für Sie, die Sie Krisen wenden, Menschen trösten, Kinder tragen, Feuer löschen – und Schuld verarbeiten?
Gott gebe Ihnen weiterhin Kraft und Klarheit – auch durch die Begegnungen und Erkenntnisse auf einem solchen Kongress wie diesem hier.
Und damit bin ich bei meinem Dank-Kanon.
Denn es haben viele mitgetan und mitgewirkt, dass dieser 15. Bundesdeutsche Kongress mit 400 Teilnehmenden, 40 Referenten und Teamern hier in Hamburg durchgeführt werden konnte.
Allen voran gilt mein ganz herzlicher Dank Ihnen, lieber Senator Neumann, der Sie als Schirmherr die ganze Planung und Organisation in der Feuerwehrakademie so unkompliziert unterstützt haben! Es ist dies wieder einmal ein Beispiel für die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Senat und Kirche hier in Hamburg – und vor allem dafür, dass es eine echte und ehrliche Verbundenheit gibt, wenn es gilt, karitativ und fürsorglich Menschen in Not beizustehen, dies natürlich in den uns jeweils eigenen Rollen und Aufgaben.
Namentlich danken möchte ich auch dem Amtsleiter der Feuerwehr Hamburg, Klaus Maurer, und dem Akademieleiter Bernd Herrenkind - samt allen Mitarbeitenden. Was für ein Entgegenkommen, dass Sie eine Woche lang den Dienstbetrieb der Tagungsstätte (Trainings- und Ausbildungsgelände der Feuerwehr Hamburg) auf die Belange des Kongresses eingestellt haben. Auch den vielen Helferinnen vor Ort, ohne die dieses Großereignis nicht funktionieren würde: Merci beaucoup!
Dass Seelsorge und Krisenintervention in die Einsatzstrukturen von Feuerwehr und Polizei eingebunden ist – das war vor 13 Jahren in Hamburg noch gar nicht auszudenken. Heute ist es mehr als selbstverständlich. So gilt der Dank all jenen, die sich auch bundesweit sowohl auf Seiten des Einsatzdienstes als auch auf Seiten der Kirchen für Notfallseelsorge und Krisenintervention eingesetzt haben, die das Risiko auf sich genommen haben, etwas auf den Weg zu bringen, von dem man selbst nicht wusste, was es werden würde.. Danke für das Vertrauen. Und danke, hier sei ausdrücklich namentlich einmal die Vertrauensmaßnahme auf zwei Beinen genannt: Pastorin Erneli Martens. Ohne dich und deine KollegInnen wäre die Notfallseelsorge nicht die, die sie ist.
Dass schließlich die unterschiedlichsten Hilfsorganisationen, die Kirchen und der Staat gemeinsam mit ihren Kräften sich in der Psycho-sozialen Akuthilfe engagieren, ist eine enorme Bereicherung. Gemeinsam im Boot, das ja gleich im wahrsten Sinne die Leinen losmacht, entfaltet diese Hilfe enorme Kraft. So gilt mein letzter Dank auch all denen, die diese Arbeit fachlich begleiten, wissenschaftlich untermauern und pädagogisch vermitteln – auf einer Tagung wie dieser hier etwa. So kann man eigentlich nur sagen: Es lebe der Kongress!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.