Lübeck - Karfreitag

6. April 2012 - Kreuzweg in Lübeck von St. Jakobi zum Jerusalemweg

06. April 2012 von Kirsten Fehrs

Liebe Gemeinde! „Ja, tut das denn dem Mann nicht weh?“ fragt eines der Grundschulkinder. Sie schauen in St. Jacobi in Hamburg ein ganz ähnliches Relief wie dieses hier an. Genau wie hier steht Pilatus vor Jesus, dem die Dornenkrone auf dem Kopf sichtbar Schmerzen bereitet. „Ja, tut es denn dem Mann nicht weh, mit einem Schilfrohr über den Kopf gehauen zu werden?“ Die Frage ist so nah am Geschehen. Und doch, merke ich, habe ich sie lange schon nicht mehr gestellt. Zu bekannt ist mir die Geschichte. Auch dass sie letztlich gut ausgeht. Der Schmerz auf dem Kreuzweg – er ist, geben wir´s zu, doch oft schon gelindert durchs Osterglockengeläut. Doch das Kind bleibt beharrlich. Die Antwort der Lehrerin kommt stotternd und zögerlich. „Ja schon. Es tut ihm weh. Aber weißt du, das musste so sein. Er ist für uns alle gestorben, damit uns nicht mehr alles so weh tut.“

Dieses Stottern und Zögern der Lehrerin, es ist mir so sympathisch. Es
ist ehrlich. Denn verstehen wir denn wirklich, was wir hier tun und
sagen? Erreicht es unsere Herzen, dass das, was nun kommt, so grausam
erlitten werden musste, damit unsere Last, Schuld, unser Schmerz uns von
den Schultern genommen wird – ein für allemal?  


„ Und wenn es ihm so weh tut, warum wehrt er sich nicht?“ fragt das Kind
weiter. Warum hilft ihm sein Vater nicht?“ – „Ja, was ist das für ein
mächtiger König,“ schreit auch die Menge damals in Jerusalem. „Lässt
sich Dornen als Krone aufsetzen und ein Schilfrohr als Zepter andrehen.“
Allein: Bei denen ist`s kein Mitgefühl wie bei dem Kind. Hier ist es
Spott.
Und was wäre gewesen, denke ich mit diesem Kind weiter, wenn er es denen
mal so richtig gezeigt hätte? Wenn er mit Gottes Hilfe triumphiert hätte
und sie alle in die Flucht geschlagen? Die Jünger wären nach dem ersten
Schreck begeistert gewesen; man hätte ihn als Sieger gefeiert. Wahrlich,
das ist Gottes Sohn. Wer sonst hätte die Macht, dem sicheren Tod ein
Schnippchen zu schlagen! *)
Tja, und dann hätte man vielleicht ein Heldenepos geschrieben. Und es
würde mir gehen wie bei jedem Helden: Ich schaue ihn an – von Ferne.
Helden imponieren, aber sie nehmen mich nicht mit. Sie können mich nicht
gebrauchen, die Nichtheldin.- Und ich denke an meinen Freund Peter, der
vor einigen Wochen im Hospiz gestorben ist, das Gebetbuch in der Hand.
Was hätte ihm ein Gott geholfen, der aus dem Leid aussteigen kann? Peter
hat das nicht gekonnt. Zehn lange Jahre nicht. Und ich denke an die, die
Folter ertragen – in Syrien, Somalia, im Kongo, in China. Ich denke an
die, die auf der Flucht vor den EU Außengrenzen ertrinken. Tausende. Was
stärkt da ein Gott, der längst geflohen ist, wenn`s ernst wird? Der
nicht mehr da ist, um sich neben die Geschundenen zu setzen? Und ich
denke an uns, die wir manchmal so verletzt sind, dass wir nicht vergeben
können. Was täten wir mit einer göttlichen Siegerpose? Ohne das „Vergib
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun?“ Immer wären wir allein mit
unserer eigenen Unerträglichkeit, wären stehen geblieben bei uns selbst,
während er weiter geht und den nächsten Sieg feiert.
Immer wären wir allein geblieben. Mit unserer Ungenügsamkeit. Der
Schuld. Unserem Sterben. Unserer Trauer. So eine Trauer jetzt in Emden!
Und untröstlich – auf dem Friedhof würden die Kreuze fehlen. Die
Gestorbenen, die wir geliebt und betrauert, sie wären irgendwo. Gott weiß
wo. Verloren.


Doch er ist nicht geflohen. Hat sich schlagen lassen, bis ans Kreuz.
Er hat die Spötter ohne Antwort gelassen.
Nicht aber das Kind.
Denn: Ja es tat ihm weh. Doch er konnte nicht anders. Selbst wenn er
gewollt hätte, er konnte es nicht. Weil in diesem leidenden Christus
Gott auch Mensch war. Wahrlich ein Mensch. Einer eben in unserer Lage.
Verletzbar – und deshalb so nahe.
Es ist diese Verletzlichkeit, die er uns aufgibt auszuhalten. Seine und
unsere. Jetzt, auf dem Weg, den wir vor uns haben.
Er hat es ausgehalten, diesen Schmerz. Für uns.
Halten wir es jetzt aus, mit ihm.


Und wir verstehen vielleicht dies: in all dem, was man manchmal nur
aushalten kann und nicht ändern, ist Christus bei uns. Mit seiner
Verletzbarkeit ist er uns nahe, viel näher oft als wir uns selbst. Und
so lässt er uns nicht auf dem Zuschauerplatz stehen. Er holt uns herein
in diese Welt – mit ihren und unseren Kreuzen. Dass wir sie anschauen
voller Mitgefühl.


„Und sie führten Jesus ab, um ihn zu kreuzigen.“
Halten wir´s aus. Mit ihm.
Amen


*)Anmerkung:
Diesen Gedankengang habe ich übernommen von einer Passionsandacht, die
2006 oder 2007 vom Gottesdienstinstitut veröffentlicht wurde.

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