6. April 2014 - Festgottesdienst anlässlich des 100. Jubiläums der Osterkirche
06. April 2014
Lukas 19, 1-10
Von Herzen gratuliere zum Hundertsten, liebe Osterkirche und liebe Festgemeinde! Glück und Segen zuvor – das ist mein Wunsch für Sie alle, die Sie hier mit so einer großen Freude zusammen gekommen sind, um das besondere Jubiläum zu feiern. Ich bin dankbar, bei Ihnen zu sein und eine so lebendige Gemeinde kennen zu lernen, lebendig allemal im Glauben, in dem man sich mit den oder trotz der Unterschiedlichkeiten zutiefst verbunden sieht. Diesen Glauben haben wir eben in eindrücklichen modernen Worten bekannt: „Ich glaube an Gott, der die Liebe ist. …Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren, an die Stärke der Waffen.“
Programmatisch geradezu ist dieses ökumenische Glaubensbekenntnis von Seoul. Allzumal für eine Osterkirche. Denn hier steht österliche Hoffnung auf gegen Hass. Waffen. Gewalt. Liebe ist stärker als der Tod. Das geht mir heute besonders nach, erinnern wir mit diesem Jubiläum doch das Jahr 1914, in dem just am Sonntag Judika diese Kirche geweiht wurde. Ganz sicher werden die Bramfelder damals - so wie wir heute - voller Freude gefeiert haben, mit Chor und Trompeten, froh, dass sie nicht mehr den weiten Weg nach Bergstedt gehen (!) mussten. Und wie gelungen fanden sie den leichten, neobarocken Bau! Wie beschwingt müssen sie gewesen sein als neu aufbrechende Gemeinde. Doch schon das erste Weihnachtsfest in dieser neuen Kirche wurde eine Kriegsweihnacht. Da waren auf einmal so viel Leid und Tränen. Ein vierjähriges Völkermorden erschüttert die ganze Welt, ein nie dagewesenes Grauen – in den Schatten gestellt allein von den Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges.
Und so spiegelt sich in dieser Kirche das ganze Jahrhundert in seinen vielen schrecklichen und aufstörenden, aber auch schönen Facetten. All dies begleitet vom auferstandenen Christus hier an der Altarwand. Er trotzt der Gewalt und den Gewalten und steht gerade und aufrecht für uns ein, bis heute: Für Kind und Greis, Alteingesessene und Neuzugezogene, Verschiedene und Gleichgesinnte, Chorfreundin und Kriegsgegner, Traurige und Suchende. Und so ist diese Hundertjährige auch ein Zeichen im Stadtteil. Ein Zeichen für die Gemeinde Jesu Christi, die geholfen hat, wo soziale Not sich zeigt, die mitträgt, wo innerlich die Kraft gefehlt, die von Liebe sprach, als der Hass regierte. Gemeinde, die auch heute nicht aufhört, aufrecht einzustehen für Frieden und Gerechtigkeit. Als aufmerksame Zeitgenossin, die immer wieder den so wichtigen Kontrapunkt setzt zu rechter Gewalt hier in der Region! Danke sage ich gerade dafür von ganzem Herzen.
Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren, sondern an die Liebe. Denn die Liebe ist´s, die aufbaut. Immer wieder. Nicht umsonst bedenken wir bei jedem Kirchweihfest eine der schönsten Liebesgeschichten der Bibel, wir haben sie eben gehört.
Es ist die Geschichte des grimmigen Karrieristen, der so positiv erschüttert wird, dass er sich tatsächlich verändert. Zuvor jedoch gilt Zachäus als ungnädig, ungläubig und korrupt. So viel Geld hat er und Macht, aber er wird nicht größer. Bedeutsamer. Im Gegenteil. Alle sagen über ihn mit das Grausamste, was man über einen Menschen sagen kann: dass er klein sei. Erbärmlich. Ohne Größe. Einer, der sein Anrecht auf Zuwendung verspielt hat. Allemal die Zuwendung von diesem Jesus, von dem man sich ersehnt, er bringe Heilung und Erbarmen.
Doch Zachäus ist unbeirrbar. Getrieben – ja wovon eigentlich? Von einer Sehnsucht nach etwas Heilsamen, wie sie heutzutage viele in sich tragen? Will er deshalb diesen Christus sehen und berühren? Oder will vielmehr er gesehen werden und berührt. Endlich ein wenig Hochachtung – für den kleinen Menschen. Und so läuft er zielstrebig auf einen Baum zu, der ihn hoch über alle erhebt. So clever, dieser Zachäus. Und doch so verloren. Denn er erkennt, oben auf diesem Baum, wie weit er sich entfernt hat von dem, was wirklich etwas wert ist, nämlich: Achtung auf Augenhöhe. Bodenhaftung. Ein gegenseitiges Anerkennen.
Da sitzt er nun – und ist uns vielleicht gar nicht so fern? Wer wüsste nichts von diesem Sehnen nach einem anerkennenden Wort? Nach dem freundlichen Blick. Oder, auch das steckt in dem Bild: wer kennte nicht das Gefühl, dass manchmal Abstand not tut, um zu erkennen, was man genau braucht? Wie wichtig ist doch ab und zu ein Ort innerer Einkehr, so etwas wie ein Baum der Selbsterkenntnis! Oder gern auch eine Kirchenbank aus gutem Holz. Um wieder zu Recht zu kommen. Um etwas zu verarbeiten, was uns verstört hat oder bitter gemacht. Um zu trauern, zu danken, ein Licht anzuzünden – einfach Ruhe zu haben, um den roten Lebensfaden wieder aufzunehmen, den man (– man weiß gar nicht wie?! –) verloren hat.
Wie viele Menschen haben das hier in dieser Kirche in den letzten 100 Jahren getan! Haben sich mit ihren Gebeten, mit ihrem Kyrie und ihrem Halleluja aufgenommen, zu Hause gefühlt. Haben hier ihre Tränen über Krieg, Feuer und Zerstörung, ihre Ängste vor Krankheit und Schwäche, ihren Schmerz über den Tod des Geliebten hingetragen. Und auch dies: Wie viele haben, selig über die gesunde Geburt ihres Kindes oder Enkelkindes, es dankbar über die Taufschale gehalten. Wie viele haben über die Liebe ihres Lebens heiteren Segen empfangen. Und wie viele Momente der Nachdenklichkeit haben diese Mauern beherbergt – zumal doch jeder Mensch wie Zachäus an besonderen Wendungen seines Lebens das Bedürfnis nach Bilanz, Klärung hat, danach, ins Reine zu kommen.
Und dann und wann, liebe Gemeinde, mag Gott sich neben dich gesetzt haben, direkt neben dich in die Kirchenbank. Still. Hell. Unerkannt. Als Friede höher denn alle Vernunft. Und er hat einen erkennen lassen, worauf es wirklich ankommt: Auf die Nächsten. Die Liebe. Freundschaft. Die Ehrlichkeit. Die wahren Zeichen einer humanen Stadt. Und dann, aufgenommen in das Licht des Auferstandenen, mag einem auch eingeleuchtet haben, was nicht mehr stimmt. Dass man an Geradheit verloren oder Menschen verletzt hat. Oder dass man sich selbst Gewalt antut, so wie man lebt und arbeitet. Dass man sich entfernt hat von sich selbst, entfremdet ist von sich und allemal entfremdet von Gott. Das Evangelium nennt das mit dem altertümlichen Begriff der Sünde. Wir sind Sünder allzumal. Nicht um uns zu klein zu machen, steht das da, sondern uns zu befreien. Indem wir nämlich zugestehen, was stimmt und was nicht, verändert sich die Realität unweigerlich, und wir klettern anders von dem Baum herunter als wir ihn hinaufgestiegen sind.
Darum geht es, liebe Festgemeinde, auch im Evangelium. Wir sollen anders aus diesem Gotteshaus heraus gehen, als wir hinein gegangen sind. Friedvoll. Gesegnet. Österlich gestärkt und neu zur Lebensfreude ermutigt. Und so ist doch in diesem Raum der Gemeinschaft eine große Kraft zu spüren, nicht wahr? In diesem Raum, der nach mancherlei Umwegen jetzt diese schöne helle Gestalt gefunden hat und von Licht durchflutet wird. Wir sehen die Altarwand und wissen uns gnädig angeschaut. Von Christus, der Gnadensonne. Ob wir uns klein fühlen und beschämt, ob wir Schuld auf uns geladen haben und Ängste in uns zittern - Friede sei mit euch, sagt dieser Raum Christi. Er hält uns damit. Er hält uns damit aufrecht in unserem Friedenswillen für die Welt. Auch wenn es in ihr tobt und zittert – es gibt eine andere Wirklichkeit, die von Licht spricht und Befreiung und gnädigem Schuldenerlass. In diesem Raum Gottes rücken die Dinge der Welt in ein anderes Licht. Also: Warum sollten sie hier nicht einkehren, liebe Festgemeinde? All die, die das weltlich Ding bewegt? Die sich Gedanken machen um Politik und Wirtschaft, um Flüchtlinge und um den Frieden, die klarer sehen und das Hoffnungslied immer wieder neu singen wollen, die mit Musik eine Sprache suchen und auf Foren um Lösungen ringen. Die etwas neu erkennen wollen wie Zachäus dort auf seinem Baum?
Und Jesus kam zu diesem Baum und „sprach: Zachäus, steig eilend herunter. Denn ich muss heute in deinem Hause einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.“ - Jesus sieht ihn genau, der gesehen werden will. Er holt ihn von seiner Verstiegenheit herunter und macht Zachäus zu einem Angesehenen. Und Zachäus ist so froh. Er will nun endlich ins Reine kommen. Allen, die er betrogen hat, will er gleich das Vierfache zurückgeben. Doch so einfach ist das für die anderen nicht. „Als sie das sahen, murrten sie: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“
Das ist doch erstaunlich, liebe Gemeinde! Nicht Zachäus, Jesus empört die Seelen! Es ist eben nicht störungsfrei, unser Evangelium, wenn Wirklichkeit wird, was da steht: Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und glücklich zu machen, was verloren ist. Das ist die Revolution des wirklich Heilsamen: Gottes setzt gerade beim Unvollkommenen in uns an, bei dem, was uns oft so unbarmherzig macht und schuldig und verletzend und neidisch. Er sucht dies alles auf, um es zu überwinden anstatt zu rächen und mit dem Recht des Stärkeren zu verurteilen.
Heilsam ist die Gnade vorm Recht. Heilsam ist die unbeirrbare Hoffnung, dass es Versöhnung gibt, sagt Christus uns damit. Heilsam ist die geduldige Übung sich zu einigen, auch wenn es manchmal sagenhaft anstrengend ist mit all den Unterschieden, gute Güte. Heilsam ist der Widerstand gegen Zertrennung und Ausgrenzung – aufgrund von Handicap, Alter, Herkunft, Religion. Heilsam ist die freundschaftliche Annäherung, auch für den fremdesten Gast.
Wir Christen haben also eine Aufgabe in dieser sich verändernden und religiös sehnsüchtigen Welt: Dass wir dieser bestürzend klaren Liebe eine Sprache geben, die verstanden wird. Die Aufgabe, dass wir angesichts von Zerbrochenheiten davon reden, was aufbaut. Dass wir Räume öffnen, Kirchräume wie diesen hier, damit Menschen wieder hoffen. Weil sie sich mit all den Warumfragen ihrer Existenz aufgehoben fühlen wie in Abrahams Schoß. Und in all dem sollen und können wir christlichen Kirchen in dieser Welt zeigen, dass unser Glaube die private Überschaubarkeit sprengt: Denn der Himmel Gottes ist universal und unfassbar weit.
Ich bin froh, dass in dieser Gemeinde so viele auf dem Weg waren und sind, mit Christus zu suchen, was verloren ist. Die ein weites Herz haben und sagen: Wir nehmen dich in Freuden auf. Arm, reich, schwarz, grau und weiß, groß, klein, Sie – und heute auch mich. Danke sage ich dafür!
So viele haben an diesem Haus Gottes mit gebaut, intensiv in den vergangenen Jahren mit dem neuen Gemeindezentrum, der Kita, den Pastoraten. Nicht, um sich ein Denkmal zu setzen, sondern damit dieses Haus ein Ort der Liebe ist, die das Schwere überwinden hilft. All Ihre Kräfte, das ist mein Eindruck, haben Sie in den vergangenen Jahren gebündelt. Sie hier in der Gemeinde, aber auch in der Region, die heute herzhaft gemeinsam feiert. Sie alle arbeiten daran, dass auch in Zukunft österliche Hoffnung in den Stadtteil ausstrahlt!
Ich bin Gott dankbar für Sie alle. Für die PastorInnen der letzten 100 Jahre, all die Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, für die Musizierenden und manch´ Engel der besonderen Art. Ich bin dankbar für sie alle, die in der Vergangenheit bis zum heutigen Tag gezeigt haben, dass Gott selbst uns in Freuden aufnimmt. Danke, liebe Osterkirchengemeinde. Danke und sei gesegnet, Du Hundertjährige, Glückwunsch auch. Denn du warst und bist Herberge Gottes, die uns schon jetzt etwas ahnen lässt von dem Ort, wo einst kein Leid mehr sein wird und keine Tränen. Und wo er ist: der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen