6. Dezember 2012 - Ansprache zum Adventsempfang
06. Dezember 2012
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland im Sprengel Hamburg und Lübeck
Meine sehr geehrten Damen und Herren, und hier eben auch:
liebe Schwestern und Brüder,
herzlichen Dank zunächst an Hauptpastorin und Pröpstin Dr. Murmann für die freundlichen Worte und die Gastfreundschaft von St. Katharinen! Was für ein historischer Moment war es vor vier Tagen, als die Katharina nach den Mühen einer langjährigen Sanierung ihre Türen wieder geöffnet hat. Sie ist nun schöner denn je, und es ist mir eine besondere Ehre, mit dem ersten Adventsempfang der Nordkirche hier zu Gast sein zu dürfen.
Ich freue mich sehr, dass Sie alle gekommen sind – Ich grüße herzlich die Präsidentin der Bürgerschaft und in Vertretung von Bürgermeister Olaf Scholz, der kurzfristig dem Ruf der Bundeskanzlerin folgen musste, Senatorin Blankau – ich grüße Sie beide stellvertretend für all die VertreterInnen aus Bürgerschaft, Senat und Kommunen in Hamburg, Lübeck und dem Herzogtum Lauenburg.
Ich grüße Sie, die Sie aus Kultur, Wirtschaft, Bundeswehr, der Polizei, aus sozialen Institutionen und Diakonie, den Medien, den Kirchen und Religionsgemeinschaften, dem Kirchentag und Landeskirchenamt, die Sie aus Freundschaft und Verbundenheit der ersten Einladung der Nordkirche hier im Sprengel gefolgt sind.
Gleichzeitig ist dies mein zweiter Adventsempfang – immerhin darf ich nun schon 12 Monate und 27 Tage Ihre Bischöfin sein. Und glauben Sie mir, es war ein erfülltes, unglaublich vielseitiges, sicher auch anstrengendes erstes Amtsjahr und ich danke Ihnen für all die Unterstützung und Freundschaft, die ich von Ihnen empfangen durfte. Es ist mir ein ehrliches Bedürfnis, gleich jetzt zu Beginn, dies zu würdigen: Wie viel Reichtum in der Beziehung zu Ihnen liegt - in dem sich gegenseitig neu kennen lernen, im Gespräch über die Erwartungen an Kirche, in der Entdeckung, dass gut gepflegte Klischees gar nicht stimmen müssen, im Genießen des Unterschiedlichen (– Ökumene macht ja auch Freude, lieber Weihbischof, nicht wahr -) im gemeinsamen Nachdenken, sich zu Wort melden, im Beten, Demonstrieren und Innehalten.
Innehalten. Gerade das ist jetzt dran im Advent.
Nun aber, sagt ein altes Prophetenwort.
Damit man aufmerkt. Nachdenkt. Darüber, was war. Was sein wird.
Und das Bibelwort setzt fort: Sieh hin, spricht Gott, ich will ein Neues schaffen. Jetzt gerade wächst es auf. Erkennt ihr´s denn nicht?
Nun aber – nehmen wir uns diese Zeit. Denn Advent ist der Warteraum der Zukunft. In dem aufscheint, was aufbrechen will. Neu und unerkannt. Und unvergleichlich lebensnah. So gab und gibt es viele Zeichen von Aufbruch – dieser Ort der frisch erwachten Katharinenkirche ist wie eine symbolische Verdichtung des Themas meiner Rede. Er zeugt von Aufbruch und Weite. Und von der Freiheit von uns Christenmenschen, die inmitten der Stadt Verantwortung für sie übernehmen wollen. Es geht um die Nähe Gottes, der mitten unter den Menschen wohnen will. Nichts anderes erzählt die Weihnachtsbotschaft: Dass nicht nur wir uns sehnen nach einer besseren Welt. Sondern dass auch Gott sich sehnt. Und er deshalb hierher zu uns, menschennah, auf den Boden der oft so erbärmlichen Tatsachen kommt. Wir Christen haben im wahrsten Sinne einen geerdeten Glauben, liebe Schwestern und Brüder, und deshalb drängt er uns, auf dem Teppich zu bleiben. Hinzuschauen, wer unserer bedarf. Mit Segenswort. Großem Herzen. Und klarer Präsenz.
Nun aber. Wir haben Kraft, Ideen, Notwendigkeiten. Und wir haben vor allem dies, was Menschen immer mehr vermissen: Hoffnung. Aussicht auf Veränderung. Im Blick auf die Nordkirche können wir nur sagen: jetzt gerade wächst es auf! Denn wir sind eine junge Kirche, so der jüngst gewählte Präses der Landessynode– ich grüße Sie herzlich Dr. Andreas Tietze. Sie haben als erste „Amtshandlung“ die Jugenddelegierten der Synode nach vorn ans Podium gebeten. Gefragt, was sie von uns brauchen. „Nehmt uns wahr,“ haben sie uns gesagt, „hört uns zu, lasst uns mit entscheiden. Kirche ist jung!“ Und ich sehe mich um….und sehe, dass wir hier nicht nur junge Leute sind. Und weiß, dass wir hier ein Thema haben. Und dass es deshalb in Lübeck-Lauenburg ein kluger und mutiger Schritt war, die Jugendarbeit ins Zentrum der kirchlichen Aufmerksamkeit zu rücken.
Und ich zähle meine grauen Haare gerade nicht und denke vielmehr: Wir alle sind in dieser neuen Kirche jung, gleich wie viel Tage unser Leben zählt. Und das ist eine aufregende Perspektive. Weil Aufbrüche zu jeder Zeit möglich sind.
Im vergangenen Jahr habe ich persönlich viele erlebt – in eben jener Doppeldeutigkeit, die dem Worte Aufbruch innewohnt. Aufbruch hin zu neuen Ufern – zu Ihnen, die Sie in Ihren Arbeits- und Lebenswelten ihre Fragen und Anfragen an die evangelische Kirche haben. Zu ihnen, die uns gar nicht kennen. Zu ihnen auch, die verletzt sind. Die Hoffnung suchen. All dies empfinde ich als Aufbrüche. Hin zu einer gemeinsamen Verantwortung, der ich mich stellen will. Hin eben zu einer den Nächsten achtenden, demokratischen Gesellschaft. Inmitten einer Welt, die immer mehr mit Aufspaltung kämpft und Unvereinbarkeit.
Und genau dazu gehört eben die zweite Bedeutung des Wortes: man muss manchmal auch etwas aufbrechen, um anzukommen. Man muss zurückschauen und sie erkennen wollen: die schlechte Gewohnheit. Die ungerechten Verhältnisse. Barrieren in Köpfen und Gedanken.
Nun aber, denn es wird Zeit.
Es drängt so vieles. Nicht nur Kirche ist im Aufbruch.
Auch Diakonie ist es. Politik ist es. Kultur sowieso. Die Wirtschaft. Medien. Überhaupt so vieles in der Gesellschaft bricht um – und auf.
Und antwortet damit auch auf Nöte und Engpässe. Probleme der Zeit .
Energie will gewendet sein. Der Klimawandel gar gewandelt. Das soziale Klima braucht dagegen längst Erwärmung, die Demokratie endlich mehr Würdigung – und die Stadt Wohnungen. Sozial, würdig, warm – wir haben entscheidend gemeinsame Ziele.
Nun aber - der Ouvertüre genug. Vertiefter Aufbruch Nummer 1.
1. Kirchentag 2013
Stellen Sie sich vor: Eröffnungsgottesdienst des Kirchentages in der Hafencity. Die Speicherstadt als Hintergrund – und auch sie, die Elbphilharmonie. Titel der Predigt: „Soviel du brauchst….“ Es gibt eben echte Herausforderungen...
Das Motto des Kirchentages gehört dazu. Eine gute Gelegenheit, an dieser Stelle besonders den Präsidenten des Kirchentages Prof. Robbers samt Team zu grüßen. Wir alle freuen uns gemeinsam an der sagenhaft unkomplizierten Unterstützung durch die Stadt und auf ein so inspiriertes, begleitendes Kulturprogramm. Und nicht nur dies: Auch das Engagement der Kirchengemeinden ist enorm – es gilt ja vom Abend der Begegnung bis hin zur Versorgung der Gäste in den Schulen mit zu helfen, danke sage ich an dieser Stelle allen Haupt-und Ehrenamtlichen und PastorInnen ausdrücklich! Ihr leistet Großartiges – by the way, liebe Schwestern und Brüder, ein paar Quartiermeister für die Schulen könnten wir noch brauchen! Und wenn ich schon dabei bin, wir brauchen für die, die ab einem gewissen Alter eine Isomatte nicht mehr schmerzfrei überstehen, noch Privatquartiere. Vielleicht bei Ihnen? Das wäre wunderbar.
Der Kirchentag ist Aufbruch an sich. Er wird die U-Bahnen wieder mit Gesang plus furchtbar guter Laune am frühen Morgen füllen. Tausende vor allem junge Menschen werden zeigen: Evangelischer Kirchentag ist Protestantismus von unten. Er verknüpft die Wahrnehmung von Wirklichkeit mit der Suche nach Lebens-Sinn. Kritisch, scharfsinnig, mitunter gar prophetisch wird hingeschaut, diskutiert, protestiert, und es wird Fürbitte gehalten. „Soviel Du brauchst“. – die Losung stammt aus einer biblischen Geschichte und fragt nach dem rechten Maß. Da knurren den Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung die Mägen – und vor allem: es knurren die Gemüter. Nicht zum Aushalten für Mose. Und für Gott. Was für eine Wüste voller Konkurrenz und Neid und Gier! Kurzerhand lässt er für sie süßes Brot vom Himmel fallen. Damit sie jeden Morgen genug zum Leben haben.
Doch wo ist das rechte Maß? Die Losung macht ja gerade dies bewusst: dass der Mensch eben nicht so genau weiß, was er (oder gar die andere!) wirklich braucht. Wo es genug ist. Und so nehmen die einen viel, die anderen wenig. Folge: das, was zu viel ist, verdirbt. Den Charakter übrigens auch. Doch, verrückt, das tut gar nicht not. Das, was der Mensch braucht, ist das täglich Brot. Und Gottes Himmelsbrot steht für das Materielle wie das Immaterielle. Für Brot und Himmel, Wasser und Liebe - alles Lebens-Mittel, die nicht haltbar, nicht zu halten sind. Denn: Festhalten verdirbt.
Und so sind wir mitten drin. Beim zweiten Thema, das auf den Nägeln brennt.
2. Soziale Spannung zwischen Arm und Reich
Nicht allein in Hamburg herrscht eine große Diskrepanz zwischen großem Wohlstand auf der einen und bitterer Armut auf der anderen Seite. So lebte 2012 von den Kindern unter 15 Jahren fast jedes vierte (22,8 Prozent) in Armut.
Wir alle wissen dies. Kennen die Zahlen. Beklagen sie. Doch, das frage ich mich ehrlich, ist das schon ein Aufbruch?
So sehr die Kirchen ja auch eine Wächterfunktion erfüllen, gemeinsam mit der Diakonie in der sozialen Frage auch erfüllen müssen – ich merke selbstkritisch gesagt Unbehagen, wenn dies bei einem moralischen Appell stehen bleibt. Und so war mir in diesem Jahr besonders eindrücklich, wie sich am „Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut“ Hunderte Jugendliche in der Jacobikirche eingefunden haben. Um mit eigenen Videoclips, Theaterstücken etc. – zu zeigen, was in ihnen aufgebrochen ist an Vorurteilen. Wie etwa auch der Mann mit Aktentasche morgens Flaschen aus den Mülleimern sammelt. Wie Gleichaltrige sich schämen, weil sie kein Geld haben für eine Kinokarte. Dass es 10 jährige Kinder gibt hier in Hamburg, die noch niemals an der Elbe waren. Es geht doch darum, was sich hinter Zahlen verbirgt! Wie es tatsächlich aussieht, das Gesicht der Armut.
Seit neuestem haben deshalb alle evangelischen Akteure der Stadt gemeinsam ein Projekt ins Leben gerufen, mit dem Ziel, genau hinzuschauen. Alle an einen Tisch zu holen und zu fragen: Wie können wir sinnvoll unsere Kräfte bündeln? Wie Probleme angehen? Wie die Stadt mit gestalten, dass alle Menschen gerechter teilhaben können an Bildung, Kultur, Gesundheit - Wohnen? Ein Tisch, an dem bitte Senat, Wirtschaft, Bezirke, Gewerkschaften und Integrationsverbände neben uns Platz nehmen möchten. Denn wir haben etliche gemeinsame Aufgaben. Etwa, um nur eines zu nennen, uns dafür einzusetzen, dass Einkommen endlich auskömmlich ist. Und ein Familienvater oder -mutter auch den Lebensunterhalt mit einem Verdienst bestreiten kann. Mindestlohn also. Soviel du brauchst!
Es gibt eine Moral der Gerechtigkeit. Sie ist, wenn man so will, unsere christliche Kernkompetenz – im Namen des Gottessohnes, der in prekärste Verhältnisse hinein geboren wurde. Und das heißt auch zu würdigen, dass viele, sicher auch unter uns, ganz pragmatisch Armut überwinden helfen wollen. Wie oft werde ich gefragt, wo und wie man effektiv etwas für benachteiligte Kinder tun kann! Das ist noch viel mehr als „Sponsoring“ .Es drückt sich darin vielmehr eine Haltung, etwas Sinnhaftes tun zu wollen, indem das Wachstum von anderen gelingt. Es ist die Haltung, sozial eingebunden zu leben. Nicht: Reich, aber einsam. Sondern vermögend in jeder Hinsicht. Und so komme ich zum dritten.
3. Demokratie braucht neuen Aufbruch
Europa ist Friedensnobelpreisträgerin geworden. Fast 70 Jahre Frieden. Demokratie. Und damit der inständige Versuch von beiden, erhalten zu bleiben.
Auch wenn man über diese Preisverleihung geteilter Meinung sein mag, eines hat sie bewirkt: man ist sich noch einmal neu bewusst geworden, was für eine zutiefst schützenswerte Errungenschaft demokratische Werte sind. Toleranz, kulturelle Vielfalt, Meinungsfreiheit – und nicht nur ich füge hinzu: Nächstenliebe, Achtung von Menschenrecht und Schöpfungswürde. Sonntagsruhe. Unsere Religion – und ich schließe hier ausdrücklich die anderen Religionen ein – steht für die hohe Würdigung all dessen, was Leben lebenswert macht. Und das heißt: eine Gesellschaft ist nur wirklich dann frei und weltoffen, wenn sie dort, wo das Lebensrecht anderer tangiert wird, einschreitet. Aufmerkt. Sich empört.
Wohlgemerkt: wenn Lebensrecht tangiert ist. Nicht die persönliche Befindlichkeit.
Empört euch – sollte man mit dem 95-Jährigen ehemaligen französischen Diplomaten und Resistance-Kämpfer Stéphane Hessel mancherorts ausrufen. Empört euch – wenn sich in den Stadtteilen so genannte Bürgerinitiativen gegen Hospize, Kitas, gegen Wohnprojekte mit Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen bilden. Empört euch, wenn antisemitische Parolen die Beschneidungsdebatte begleiten. Empört euch, wenn Tausende von Kindern zuhauf in ihren Booten vor den Zäunen Europas ertrinken, Zäune, die von unseren Steuergeldern mit finanziert sind. Empört euch – auch im Namen der Friedensnobelpreisträgerin.
Empörung ist ein erster Schritt zum Aufbruch. Denn sie würdigt, was gekränkt ist und zur Seite gedrängt, wer „nicht passt“ und Opfer ungerechter Verhältnisse ist. Und sie macht einen sensibel dafür, wo statt Leidenschaft Fanatismus herrscht. Denn das ist beunruhigend: Es gibt innerhalb unserer offenen – durchaus eben werteunsicheren offenen - Gesellschaft immer mehr geschlossene Gesellschaften. Gruppierungen mit hohen Eigeninteressen oder dermaßen zementierten Weltbildern, dass sie unterhalb jeglicher Demokratie und auch jeglicher Empathie agieren, all dies unter dem Banner der Meinungsfreiheit.
Deshalb ist es mir heute ein Anliegen, entgegen all den abwertenden Äußerungen über Parteien und Politik dies ausdrücklich nicht zu tun. Sondern mit Respekt anzuerkennen, dass sich Männer und Frauen freiwillig, ehren- und manchmal durchaus mühevoll für unsere Demokratie und ihre ethische Kraft einsetzen. Deshalb an Sie heute ein herzliches: Merci vielmals.
Und dieser Einsatz geschieht in vielerlei Gestalt, plural eben, für eine Kultur der bunten Vielfalt gegen braune Einfalt – danke für das gemeinsame Bündnis gegen Rechts zusammen mit Gewerkschaften, lieber Uwe Grund, Integrationsverbänden, Handelskammer, Religionen. So geschehen nicht nur in Hamburg, sondern auch in Lübeck, Ratzeburg, Mölln.
4. Religion und Kultur – gemeinsam im Aufbruch
Zur Identität einer Gesellschaft gehört es, dass sie ein Verhältnis zu ihrer Religion, zu den vorhandenen Religionen gewinnt. Demgegenüber erlebe ich unsere Gesellschaft als eine, in der viele Kulturen und Religionen faktisch nebeneinander leben, aber viel zu wenig voneinander wissen, um friedlich zu bleiben. Die affektgeladene Stimmung, sobald es insbesondere um den Islam geht, ist ein alarmierendes Zeichen, das mich bestärkt in meiner These. Es muss dringend etwas getan werden, dass wir wieder mehr verstehen von uns selbst, der Friedensliebe unserer eigenen Religion, damit wir der Friedensliebe der anderen Religionen mehr zutrauen.
Damit wir dies wieder mehr lernen, ist der interreligiöse Dialog so eminent wichtig – gerade auch in einer Stadt wie Hamburg. Besonders jetzt, wo der Staatsvertrag mit den muslimischen und alevitischen Gemeinschaften abgeschlossen ist. Diese Verträge stellen einen wichtigen Fortschritt dar, ist Anerkennung einer Situation, wie wir sie längst haben. Zugleich fordert er uns alle miteinander heraus. Es braucht eine alltagstaugliche Interreligiösität. Wie zum Beispiel so: Als kürzlich eine dritte Klasse die Jacobikirche besuchte, in der etwa die Hälfte muslimische Kinder waren, zogen sie wie selbstverständlich ihre Schuhe aus. Vor der Tür zum Kirchenschiff 20 Paar kleine Schuhe. Ausgezogen aus Respekt vor dem heiligen Raum. Nikolaus hätte heute jede Menge in diese Schuhe hinein getan! Denn es ist ein Bild für den Aufbruch zu einem neuen Weg!
Und es gibt ihn ja schon, den „Hamburger Weg“. Bislang genannt: „gemeinsamer Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung“. Das dabei Entscheidende ist, dass in einer Stadt wie Hamburg, in deren Schulklassen es teilweise mehr muslimische Kinder gibt als christliche, überhaupt Religionsunterricht erteilt wird. Denn nur mit dem Modell des gemeinsamen Unterrichts können die Klassenverbände bestehen bleiben. D.h. wir wollen gerade nicht einen Islamunterricht, wie er jetzt in Nordrhein-Westfalen Einzug hält, und bei dem zu befürchten steht, dass er eher isolierende als integrierende Wirkung haben könnte. Sondern im Gegenteil: Wir befürworten deshalb den gemeinsamen Unterricht, weil er dazu heraus fordert, dass man gerade im Dialog, gerade im Unterschied zu den anderen Religionen seine eigene präziser kennen lernt. Das ist evangelisch! Es geht darum, gemeinsam aufzubrechen, was uns zwingt. Die Ängste etwa vor dem Fremden. So müssen wir uns gerade deshalb begegnen und die religiöse Toleranz stärken, wo immer wir können. In Schulklassen ebenso wie in einem aufregenden Garten der Weltreligionen bei der Internationalen Gartenschau. Denn
5. Ohne Aufbruch kein Weiterkommen
Mein letztes Thema heute, im vergangenen Jahr dagegen tatsächlich oft das erste, sind die Missbrauchsfälle in Ahrensburg. Viel ist in diesem Jahr passiert – und erlauben Sie mir, hier nun ganz persönlich zu beginnen – auch in mir ist viel passiert. Das lag an den Gesprächen. Nicht allein mit Kirchengemeinderat, Pastorenteam, mit Menschen vor Ort. Sondern vor allem mit den Opfern. Durch sie ist in mir viel aufgebrochen. Etwa die Vorstellung, man könne jemals alle auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Denn bei aller Empathie der Welt: Dem, was in einem Menschen, der ganz individuell Traumatisches erlebt hat, vor sich geht, kann man sich allenfalls annähern, man kann es betrauern und ernsthaft um Vergebung bitten, man kann einander mögen, nie aber kann ich mich „identifizieren“. Denn Opfer sind allein die, die Missbrauch erlebt haben. Nicht die Täter. Nicht die Institution. Nicht die, die glauben, alles aufklären zu können, würde man sie nur lassen. Die Würde der Opfer besteht auch so verstanden in ihrer Unantastbarkeit, endlich und wörtlich in ihrer Unantastbarkeit – und das bedeutet: dass man sie hört. Dass man ihnen glaubt. Dass man ihre Empfindsamkeit versteht, diese Angst zu vertrauen. Und dass man es mit aufrechten, klaren und sehr reflektierten Menschen zu tun hat, die eben gerade nicht dauernd „Opfer“ oder betroffen sind. Deshalb gehört es zu ihrer Würde unbedingt auch, dass man sie als Zeugen und Zeuginnen aussagen lässt und ihnen zuhört, wenn sie sich äußern wollen. Ein von uns unabhängiges Kirchengericht hat das jüngst anders entschieden.
Ich meine, nur in dieser Auseinandersetzung liegt heilsame Kraft. Vielleicht sogar irgendwann Versöhnung. Ohne Aufbruch kein Weiterkommen - Diese Überzeugung eint inzwischen viele – die Kirchenleitung, die Bischöfe, und bei aller Rollenklarheit auch die Betroffenen. Ihnen danke ich besonders. Dafür, dass sie den Mut hatten aufzubrechen. Auf einen Weg, der ja auch für sie ungewiss war, und der in Achtung vor der jeweils anderen Sicht ein konstruktiver und gemeinsamer geworden ist. Wir können nun tatsächlich sagen, dass wir ein paar Schritte weiter gekommen sind. Schritte. Nicht mehr und nicht weniger. Zum einen hat die Nordkirche gemeinsam mit dem Kirchenkreis Hamburg Ost eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, die die Aufarbeitung voran bringen soll. Damit man zweitens die schon jetzt intensive Prävention gezielter in den Gemeinden aufnehmen kann – in Jugendgruppen, Kitas, Kinderchören. Drittens hat die Nordkirche ein mit den Betroffenen gemeinsam erarbeitetes Konzept verabschiedet, nach dem Unterstützungsleistungen wie z.B Therapien mit den Betroffenen individuell vereinbart werden. Und zwar ausdrücklich auf Augenhöhe vereinbart, sind doch wir, die Institution, vergebungsbedürftig. Dieser Ansatz ist meines Wissens in Deutschland singulär und ein Aufbruch heraus aus dem „Erledigen-Wollen“. Denn das Thema Missbrauch darf nicht spurlos vorüber gehen. Sonst hat man etwas falsch gemacht. Persönlich. Und als Institution. Es geht mir um große Ruhe, Klarheit, um Respekt und damit immer auch um immaterielle Anerkennung. Wirklich erfreulich wäre, wenn dies – um der Betroffenen willen! - auch als Aufbruch öffentlich erkannt und vermittelt würde.
Damit mehr Menschen sich trauen, das Schweigen zu brechen.
Nun aber.
Es steht viel an. Und es liegt viel hinter uns. Gelungenes. Misslungenes. Aufbauendes.
Es tut gut, adventlich all dies anzuschauen. In seiner Gnaden Gegenwart.
Und dann sieht man vielleicht manches in anderem Licht. Gelassener. Einander zugeneigt. Vielleicht auch froh. Friedensleis.
Und dahinein hören wir Gott: – Sieh hin. Ich will ein Neues schaffen. Jetzt gerade wächst es auf, erkennt Ihr´s?
Mehr dazu am Heiligen Abend, liebe Schwestern und Brüder. Bis dahin: Genießen Sie den Advent. Und das Zusammensein nun. In diesem neuen Raum mit herrlich junger Musik. Ich danke ihnen (Jugendchor) und Ihnen für die Aufmerksamkeit – und wünsche Ihnen von Herzen eine gesegnete und gnadenreiche Advents-und Weihnachtszeit.