6. Oktober 2013 - Evangelische Messe am Erntedanktag mit Landfrauen
06. Oktober 2013
Predigttext Lukas 12, 15-21 Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt da-von, dass er viele Güter hat. Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein rei-cher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.
Liebe Gemeinde!
Erntedank ist ein wunderbares Fest, finde ich. Auf dem Land. Und hier mitten in der Stadt! Und geehrt, Ihr Ehrenmitglied zu sein, liebe Landfrauen, schaue ich auf Ihre schönen Trachten, auf die Erntekrone, auf die Früchte des Feldes am Altar – mancherorts ist gar ein Schinken dabei. Erntedank zeigt uns den ganzen Reichtum unserer Existenz. Es braucht einen Tag wie diesen, um inne zu halten und in gebührender Feierlichkeit das traditionelle: „Wi seggt di Dank, leeve Vadder“ zu sagen. Ehrfurcht schwingt dabei mit. Immer schon. Auch 2013. Denn haben wir nicht angesichts einer zerstörerischen Flut im Mai alle hautnah erlebt, wie wenig wir wirklich in der Hand haben? Wie sehr wir Weitsicht und Deichschutz und einander (!) brauchen, aber doch auch unseren Herrgott, der unser Leben „in Segen wickelt, gar zart und künstlich fein“? Der alte Erntechoral ebenso wie das „Locus iste“ geben der Demut eine Melodie: und wir wissen auf einmal wieder genau, dass jedem Blütenblatt ein kleines Wunder und jedem Lebensglück ein Geheimnis innewohnt. Und dass wir allen Grund haben, dankbar zu sein!
Auch für diese Ernte. Selbst die Apfelernte. Denn ist sie nicht doch trotz eines gefühlt bis Mai andauernden Winters besser ausgefallen als befürchtet?
Ja – und: gerade noch mal gut gegangen – raunt es in vielen, die sich um die Klimaveränderung auf unserer Erde lang schon Sorgen machen. Überhaupt sind heutzutage Erntedank und Klimaschutz geradezu Koalitionspartner geworden. Denn wir alle sehen sie ja, die Erntekatastrophen weltweit durch große Dürre oder Überschwemmungen. Wir sehen, dass zu viele Menschen auf dieser Erde zu wenig Land haben, zu wenig Wasser und zu wenig Brot. Wir sehen gleich daneben in unserem Land überquellende Mülleimer, um des Überflusses Herr zu werden. Und wir sehen, wie in südlichen Gebieten der Hemisphäre gesunde Wälder gerodet werden, um Nahrungsmittel anzubauen. Diese allerdings nicht für den dortigen Hunger, sondern um sie nach Asien zu exportieren.
Es gehört auch zum Erntedank, zu sehen, was nicht stimmt, liebe Gemeinde. Weil Danken immer verbunden ist mit Denken. Mit Nachdenklichkeit. Und ich denke daran, wahrscheinlich wie Sie auch, was nun vor Lampedusa geschehen ist. Ich denke dabei besonders an die Eltern, die ihre Kinder in überfüllte Boote von Schleppern setzen. Was ist das für eine verzweifelte Hoffnung! Darauf, dass sich irgendwo irgendjemand ihrer erbarmt, dieser kleinen Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in der Welt. Und wir meinen doch alle nicht, dass auch nur ein Vater, eine Mutter dies freiwillig tut?! Dass auch nur ein Mensch sein Land, die Familie, das, was einem nahe ist und vertraut, ohne existentielle Not verlässt?
Seit Jahren weisen die Kirchen auf das Flüchtlingsdrama hin, das sich an den Küsten Spaniens, Italiens und Griechenlands immer schon abspielt. Weisen darauf hin, dass es doch logischerweise einen Zusammenhang gibt zwischen globaler und oftmals absurder Agrar- und Wirtschaftspolitik, einem bedrohlichen Klimawandel und den Tausenden, die bis heute vor den hochgerüsteten Zäunen Europas ertrunken sind. Wir betrauern erschrocken die jüngsten Opfer, so jung sind sie. Wir wissen dabei – die ganze Qual des Dilemmas steckt darin – dass ein Europa um sie trauert, das zugleich gemauert hat.
Ob Politik, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen – so viele ringen schwer darum, wie eine vernünftige und zugleich humane Asylpolitik aussehen kann, anders als die bisherige. Denn die ist in ihrer Inhumanität offenkundig gescheitert. Wie können wir ernsthaft in unserem Land der Abschottung eine Abfuhr erteilen und eine Kultur der Annahme einüben?
Damit zusammenhängend ringen auch viele in der Landwirtschaft darum, wie wirtschaftlich und zugleich ökologisch verantwortlich gehandelt werden kann. So viele ringen darum, wie es grüne Energie geben kann und zugleich Brot für Welt. Als ich vor kurzem mit einer Gruppe aus Papua Neuguinea über Land fuhr, fragte man angesichts der vielen Maisfelder respektvoll, ob denn Mais für uns ein Nationalgericht wäre. Und als ich den Staunenden Biogas zu erklären versuchte und Klimaschutz – da merkte ich, wie verrückt das auch ist. Und wie, auf die globalen Zusammenhänge geschaut, bei einem Dilemma keine Lösung allen und allem gerecht werden kann. Heißt aber dann doch gerade, dass wir gemeinsam, an einem Tisch reden müssen und abwägen, was wesentlich ist!
Übrigens, liebe Gemeinde, wir sind längst beim Evangeliumstext. Denn das Gleichnis vom reichen Kornbauern gibt uns einen Maßstab für dieses Abwägen des Wesentlichen. Die Geschicht’ hat nämlich eine Moral, die in unserem sozial sich spaltenden Land von unerhörter Aktualität ist: Nicht Reichtum an sich ist verwerflich, sondern die Habgier. Wer mehr hat, als er braucht und eifrig darauf bedacht ist, so wenig zu geben wie nur irgend möglich, der leidet unter „Pleonexia“ – so das griechische Bibelwort. Das bedeutet: die Unfähigkeit zu teilen. Oder auch die Sucht, haben zu wollen, und zwar alles. Habsucht, die mitunter zum Tod führt, mitten im Leben.
Wie eben beim reichen Kornbauern. Der will ja das, was er sich mit Glück und seiner Hände Arbeit erwirtschaftet hat, in großen Scheunen aufbewahren. Also plant er, sorgt vor, sichert ab. Wir wissen, das geht nicht gut aus. Und dennoch kann ich nicht umhin, liebe Gemeinde, den Kornbauern vernünftig zu finden. Denn so wie er machen wir es doch auch, seien wir ehrlich. Sorgen vor und schließen jede Menge Versicherungen ab. Gerade in heutiger Zeit. Sind demnach auch wir habgierig? Ich schaue uns an und nehme zu unseren Gunsten an, dass dem nicht so ist. Hören wir dazu noch einmal genau in den Predigttext hinein: „Und der Kornbauer dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ichmeine Früchte sammle. Und sprach: das will ich tun. Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut.“
Neun mal „ich“ und „mein“ in drei Versen! Nicht das Vorsorgen, liebe Gemeinde, die totale Selbstbezogenheit ist es, die den Kornbauern in den Augen Gottes zu einem habgierigen Menschen macht. Da scheinen um ihn keine Nachbarn zu leben, keine Frau, keine Kinder, kein Mensch, dem er verbunden ist. Es gibt nur ihn und seine Scheunen. Und so kann er nichts abgeben, er kann nicht teilen, weil er gar nicht sieht, mit wem. Sogar seine Worte teilt er in Selbstgesprächen nur sich selbst mit. Armer reicher Kornbauer, der nicht von sich selbst absehen, der sich nicht bedanken und das Glück spüren kann, beschenkt worden zu sein. Und schließlich: armer habgieriger Mensch, der glaubt, sich kaufen zu können, was ihm nur geliehen wurde: sein Leben. In seiner Ichbezogenheit hat er die Rechnung ohne den eigentlichen Wirt gemacht. Harsch schilt Gott ihn einen Narren. Und nimmt von ihm das geliehene Leben.
Unwillkürlich kommt mir ein guter Freund in den Sinn. Nicht weil der besonders habgierig gewesen wäre oder ichbezogen. Im Gegenteil. Er hat sich ständig gesorgt, ob es reicht, für seine Familie, für Freunde, ganz selten auch für sich. Und so hat er vorgesorgt, liebevoll, aufmerksam, hat sozusagen Scheunen gebaut und sich im wahrsten Sinne krumm gelegt. Auf Kosten seiner Gesundheit hat er gearbeitet, was das Zeug hielt. Damit er dann, später, irgendwann, wenn der Druck nicht mehr so hoch, die Rendite nicht mehr so klein, die Zeit nicht mehr so knapp wäre, damit er dann, endlich, in Ruhe das Leben genießen könnte. Dieses Später aber gab es nicht mehr. Nicht eine der ersehnten gemeinsamen Stunden konnte er mit seiner Frau verleben. Drei Wochen nach seinem 63. Geburtstag starb er. Plötzlich und unerwartet, das offensichtlich kranke Herz voll unerfüllter Wünsche.
Auch hier, wenn auch weit liebevoller als beim Kornbauern, höre ich Gott flüstern: Du Narr. Oder auch, weil wir vielleicht gar nicht so fern davon sind: Ihr Narren, die ihr glaubt, es gäbe ein Leben ohne Sorge. Allein – wir sind nicht mehr im Paradies; das Leben kennt auch den Schmerz und die Trennung und den Schweiß im Angesicht. Das können wir nicht ändern. Aber wir können lernen, damit zu leben. Und das heißt, folgt man unserem Text, eben nicht, auf die materiellen Schätze zu setzen, sondern auf andere Art reich zu werden, reich zu werden bei Gott.
Reich sein bei Gott – darauf zielt die Geschichte. Und sie eröffnet damit eine völlig andere Dimension. Eine Dimension, die man nicht herbei predigen kann. Denn sie geschieht allein in eurer Seele, in der oft so von der Sorge aufgescheuchten Seele, wenn sie bei Gott zur Ruhe kommt. Es ist eine Dimension der Gottesnähe, die wir in ganz ehrlichen Momenten der Hingabe erleben können. Beim Beten etwa oder beim Danken oder beim Schweigen oder beim Lachen oder in der Liebe. Es ist dieses tiefe Vertrauen, sich fallen lassen zu können. Vertrauen darin, dass mein Leben erfüllt und gesegnet ist und so in Liebe zu Ende gehen wird wie es aus lauter Liebe in die Welt hineingeboren wurde. Dieses Gottvertrauen macht reicher als alle Scheunen der Welt, sagt Jesus. Es ist ein Reichtum an innerer Kraft, an Klar-Sicht, gütiger Großzügigkeit.
Reich zu sein bei Gott kann folglich nur bedeuten, sich der Welt zuzuwenden und sich ihr zu öffnen - und sei sie noch elend. Lampedusa gehört dazu und das Straßenkind in Brasilien, aber auch die adrette alte Dame auf der Parkbank, die seit Tagen schon mit keiner Menschenseele geredet hat. Wir sehen all das und sind reich an Erkenntnis. Doch reich zu sein bei Gott, geht weiter. Es heißt, im Wissen um die Gesichter der Armut die Vision vom ganz anderen wahr werden zu lassen. Wie wäre es also, liebe Gemeinde, wenn wir heute zum Erntedank, diesem großartigen Fest der Fülle, die Gesichter fürs Reichsein aufzufinden versuchen? Die zärtliche Geste der Zuneigung, das „Merci vielmals“, die kleine Hand des Kindes in der großen des Großvaters, tausend Zahnbürsten für die Afrikaner in St. Pauli, der Deutschunterricht dort und das gemeinsame Essen, die hunderte Ehrenamtlichen, die bei der Flut Sandsäcke geschippt haben, nachher ein gutes Buch, die Zeit mit den Liebsten und ja gerade heut – das warme Herz und Gastfreundschaft für das Flüchtlingskind. Reich sein bei Gott –Sie könnten ’was erleben, liebe Gemeinde! Denn ganz anders als der Kornbauer könnte unsere Seele nun wirklich zur Ruhe kommen und sich mit Dankbarkeit anfüllen und Freude. Und wir könnten gewahr werden…. ich komme zu meinem Schlussgedicht
„Einmal wird uns womöglich
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Sturm
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge
für die Luft, die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne
und für all die Tage, die Abende
und die Nächte unseres Lebens.
Einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen und bezahlen.
Die Rechnung, bitte!
Doch wir haben sie –
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen.
(Frei nach einem Gedicht von Lothar Zenetti, nur in Auszügen vorgetragen)
Wi seggt di Dank, leeve Vadder!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus