Breitenfelde

7. Oktober 2012 - Gottesdienst zum Landeserntedankfest

07. Oktober 2012 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Lukas 12, 15-21 Predigttext Lukas 12, 15-21 (wurde gelesen in plattdeutsch): Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt da-von, dass er viele Güter hat. Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott. Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen

Liebe Gemeinde!

Erntezeit – reiche Zeit. Reich an Früchten und reich an Festen. Allerorten in SchleswigHolstein, und ganz besonders hier und heute, bringt die Ernte das Volk zum Feiern. Die Landjugend trägt – „echt kuhl!“- wunderschöne Erntekronen in die Kirchen, die Bäcker bringen mehrere Meter vom Brot des Lebens dar, und die Landfrauen schmücken den Altar mit den Früchten des Feldes. Manchmal – ganz realitätsnah - ist sogar ein Schinken dabei. Es ist diese geerdete Feierlichkeit, die Erntedank zu einem Fest tiefer, sinnlicher Freude macht. Unabhängig davon, ob die Ernte gut ausgefallen ist oder schlecht, hieß es immer und heißt es doch bis heute mit einer gewissen Ehrfurcht: „Wi seggt di Dank, leeve Vadder.“ Jedenfalls gilt das für die, die täglich mit der Erde in Berührung sind. Sie erleben hautnah, wie wenig wir wirklich in der Hand haben. Wie sehr wir auf den „leeve Vadder“ angewiesen sind, der ´s wachsen lässt. Der unser Leben „in Segen wickelt, gar zart und künstlich fein“. Dieser alte Erntechoral ebenso wie die neue Komposition bringt doch diese Saite in uns allen zum Klingen: die demütige Erkenntnis, dass wir nicht allein aus uns heraus leben und allen Grund haben, dankbar zu sein!

Erntezeit ist reiche Zeit. Auch heute – 2012. Gab es doch letztlich eine Ernte, geben wir es zu, die trotz der beunruhigenden Wetterkapriolen sehr gut ausgefallen ist. Gerade noch mal gut gegangen – raunt es in vielen, die sich um die Klimaveränderung auf unserer Erde lang schon Sorgen machen. Und wir alle sehen sie ja, die Erntekatastrophen durch große Dürre oder Überschwemmungen. Wir sehen, dass zu viele Menschen auf dieser Erde leben, die zu wenig Land haben, zu wenig Wasser und zu wenig Brot. Wir sehen, wie gesunde Wälder in den Ländern des Südens gerodet werden, um Nahrungsmittel anzubauen. Und dies nicht für sich selbst, sondern um sie nach Asien zu exportieren. Erntedank und Klimaschutz sind nicht umsonst in der Moderne enge Koalitionspartner geworden. Auch hier vor Ort. Was soll zukünftig geschehen auf unseren Feldern, für deren Erträge wir heute danken? Wie kann man wirtschaftlich und zugleich ökologisch verantwortungsbewusst handeln? Wie grüne Energie ermöglichen und zugleich Brot für die Welt? Das geht doch gar nicht so ohne weiteres zusammen! Wir befinden uns in nicht nur einem Dilemma, liebe Gemeinde. Und deshalb fällt es so schwer, Entscheidungen zu treffen. Denn Dilemmata haben ja die Eigenschaft, dass sie keine leichten, keine nur guten Lösungen haben. Man sitzt immer zwischen Stühlen, die jeweils ihr Recht verlangen. „Gerechte Verteilung der Güter“ heißt so ein Stuhl. „Bewahrung der Schöpfung“ der andere. Im Blick auf nächste Pachtverträge heißt „Dorffrieden“ der dritte. „Fairer Handel weltweit“ der vierte. Und so fort. Gleich, was man tut, man kann nicht alle Stühle gleich besetzen. Und so fällt man schnell. Fällt der Weizenpreis oder man selbst vom Glauben ab. Als vor kurzem eine kirchliche Gruppe aus Papua Neu Guinea durch das Herzogtum Lauenburg fuhr, staunte man und fragte respektvoll, ob denn der Mais für uns ein besonderes Nationalgericht wäre. So viele Felder voll davon! Wir haben versucht, Biogas zu erklären und Klimaschutz und überhaupt – und wir haben dabei gelernt: Wir müssen mehr miteinander reden, auch untereinander in den Dörfern. Aneinander akzeptieren, dass bei all den Dilemmata keine Lösung allen und allem gerecht werden kann. Wir müssen reden und gemeinsam abwägen, was wesentlich ist.

Übrigens, liebe Gemeinde, wir sind längst beim Evangelium. Denn das Gleichnis vom reichen Kornbauern gibt uns einen Maßstab für dieses Abwägen des Wesentlichen. Die Geschicht´ hat nämlich eine Moral, die in unserem sozial sich spaltenden Land von unerhörter Aktualität ist: Nicht Reichtum selbst ist verwerflich, sondern die Habgier. Wer mehr hat, als er braucht und eifrig darauf bedacht ist, so wenig zu geben wie nur irgend möglich, der leidet unter „Pleonexia“ – so das griechische Bibelwort. Das bedeutet: die Unfähigkeit zu teilen. Oder auch die Sucht, haben zu wollen. Habsucht, die krank macht und mitunter zum Tod führt, mitten im Leben.

Wie eben beim reichen Kornbauern. Der will ja das, was er sich mit Glück und seiner Hände Arbeit erwirtschaftet hat, in großen Scheunen aufbewahren. Also plant er, macht sich Gedanken um die Zukunft, sorgt vor, sichert ab. Wir wissen, das geht nicht gut aus. Und dennoch kann ich nicht umhin, liebe Gemeinde, den Kornbauern vernünftig zu finden. Denn so wie er machen wir es doch auch, seien wir ehrlich. Wir sorgen dauernd vor und sichern ab. Gerade in heutiger Zeit, in der das Vertrauen in die staatlichen Sicherungssysteme geschwunden ist, etwa was die Altersvorsorge betrifft. Sind demnach auch wir habgierig und krank vor Habsucht?

Ich schaue uns an und nehme zu unseren Gunsten an, dass dem nicht so ist. Hören wir dazu noch einmal genau in den Predigttext hinein, nun in hochdüütsch: „Und der Kornbauer dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. Und sprach: das will ich tun. Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast großen Vorrat für viele Jahre, habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut.“ Neun mal „ich“ und „mein“ in drei Versen! Nicht das Vorsorgen, liebe Gemeinde, die totale Selbstbezogenheit ist es, die den Kornbauern in den Augen Gottes zu einem habgierigen Menschen macht. Da scheinen um ihn keine Nachbarn zu leben, kein Dorf, keine Mitarbeiter, keine Frau, keine Kinder, kein Mensch, dem er verbunden ist. Es gibt nur ihn und seine Scheunen. Und so kann er nichts abgeben, er kann nicht teilen, weil er gar nicht sieht, mit wem. Sogar seine Worte teilt er in Selbstgesprächen nur sich selbst mit. Armer reicher Kornbauer. Armer Kornbauer, der nicht von sich selbst absehen, der sich nicht bedanken und das Glück spüren kann, beschenkt worden zu sein. Und schließlich: armer habgieriger Mensch, der glaubt, sich kaufen zu können, was ihm nur geliehen wurde: sein Leben. In seiner Ichbezogenheit hat er allerdings die Rechnung ohne den eigentlichen Wirt gemacht. Harsch schilt Gott ihn einen „Döösbaddel“. Und nimmt von ihm das geliehene Leben.

Unwillkürlich kommt mir ein guter Freund in den Sinn. Nicht weil der besonders habgierig gewesen wäre oder ichbezogen. Im Gegenteil. Er hat sich ständig gesorgt, ob es reicht, für seine Familie, für Freunde, ganz selten auch für sich. Und so hat er vorgesorgt, planvoll, liebevoll, aufmerksam, hat sozusagen Scheunen gebaut und sich im wahrsten Sinne krumm gelegt. Auf Kosten seiner Gesundheit hat er gearbeitet, was das Zeug hielt. Damit er dann, später, irgendwann, wenn der Druck nicht mehr so hoch, die Rendite nicht mehr so klein, die Zeit nicht mehr so knapp wäre, damit er dann, endlich, in Ruhe das Leben genießen könnte. Dieses Später aber gab es nicht mehr. Nicht eine der ersehnten gemeinsamen Stunden konnte er mit seiner Frau verleben. Drei Wochen nach seinem 63. Geburtstag starb er. Plötzlich und unerwartet, das offensichtlich kranke Herz voll unerfüllter Wünsche.

Auch hier, wenn auch weit liebevoller als beim Kornbauern, höre ich Gott flüstern: Du Narr. Oder auch, weil wir vielleicht gar nicht so fern davon sind: Ihr Narren, die ihr glaubt, es gäbe ein Leben ohne Sorge. Einst im Paradies mag das so gewesen sein. Doch seit wir aus ihm gewiesen wurden, ist das Leben des Menschen auch mit Schmerz verknüpft und Tod und Trennung und Schweiß im Angesicht. Das können wir nicht ändern. Wir können aber lernen, mit Sorgen zu leben. Und das heißt, folgt man unserem Text, eben nicht, auf die materiellen Schätze zu setzen, sondern auf andere Art reich zu werden, reich zu werden bei Gott.

Reich sein bei Gott – darauf zielt die Geschichte. Und sie eröffnet damit eine völlig andere Dimension. Eine Dimension, die man nicht herbei predigen kann, die man schon gar nicht im intellektuellen Selbstgespräch erlebt. Sie geschieht allein in eurer Seele, in der oft so von der Sorge aufgescheuchten Seele, wenn sie bei Gott zur Ruhe kommt. Es ist eine Dimension der Gottesnähe, die wir in ganz ehrlichen Momenten der Hingabe erleben können. Beim Beten etwa oder beim Danken oder beim Schweigen oder beim Lachen oder beim Lieben. Es ist die Erfahrung tiefsten Vertrauens, sich fallen lassen zu können. Vertrauen darin, dass mein Leben erfüllt und gesegnet ist. Dass mein Leben so in Liebe zu Ende gehen wird wie es aus lauter Liebe in die Welt hineingeboren wurde. Dieses Gottvertrauen macht reicher als alle Scheunen der Welt, sagt Jesus. Es ist ein Reichtum an innerer Kraft, an Klar-Sicht, gütiger Großzügigkeit.  Reich zu sein bei Gott kann dann folglich nur bedeuten, sich der Welt zuzuwenden und sich ihr zu öffnen -  und sei sie noch elend und aus dem Gleichgewicht. Sich der vielen Gesichter der Armut zu öffnen, hier und in der Welt der ungerechten Verteilung, gehört zu der Nachfolge Jesu: hinzuschauen auf die Flüchtlingsnot an den Grenzen Europas und die nicht enden wollenden Kriege um Wasser und Land, hinzuschauen auf die Milliarde hungernder Menschen und zugleich auf unsere Mülltonnen, in die jeder deutsche Bundesbürger jährlich 82,6 kg Nahrungsmittel wegwirft. Wir sehen all das und sind reich an Erkenntnis. Doch reich zu sein bei Gott, geht viel weiter. Es heißt, im Wissen um die Gesichter der Armut die Vision vom ganz anderen wahr werden zu lassen. Wie wäre es also, liebe Gemeinde, wenn wir heute zum Erntedank, diesem großartigen Fest der Fülle, die Gesichter fürs Reichsein aufzufinden versuchen? Die zärtliche Geste der Zuneigung, das „Merci vielmals“, die kleine Hand in der großen, das Essen an einem Tisch, der Umzug mit Musik, Zeit mit den Liebsten, die Geldspende für einen Brunnen in Kenia und Gastfreundschaft für das Flüchtlingskind. Reich sein bei Gott –Sie könnten `was erleben, liebe Gemeinde! So wie Jesaja vor Jahrtausenden, wenn er sagt: Brich mit dem Hungrigen dein Brot. …Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten….

Erntezeit, sie ist eine wirklich reiche Zeit. Wie ehedem so auch 2012. Und denken wir nun an den Kornbauern, können wir ganz dankbar gewahr werden – ich komme zu meinem Schlussgedicht:

„Einmal wird uns womöglich

die Rechnung präsentiert

für den Sonnenschein

und das Rauschen der Blätter,

die sanften Maiglöckchen und die dunklen Tannen,

für den Schnee und den Sturm

den Vogelflug und das Gras

und die Schmetterlinge

für die Luft,  die wir geatmet haben,

und den Blick auf die Sterne

und für all die Tage,

die Abende

und die Nächte unseres Lebens.

 

Einmal wird es Zeit,

dass wir aufbrechen und bezahlen.

Die Rechnung, bitte!

Doch wir haben sie

ohne den Wirt gemacht:

Ich habe euch eingeladen,

sagt der und lacht,

soweit die Erde reicht:

Es war mir ein Vergnügen.*)

 

Wi seggt di Dank, leeve Vadder!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

*) Frei nach einem Gedicht von Lothar Zenetti, aus: Auf seiner Spur, Mainz 2002

Datum
07.10.2012
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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