Rühn

7. Oktober 2012 – Ökumenischer Festgottesdienst zum Landeserntedankfest MV

07. Oktober 2012 von Andreas von Maltzahn

Predigt zu 1. Timotheus 4,4-5

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Festgemeinde,

„Altes Kloster – neue Ernte“: Unter diesem Motto feiern wir das Landeserntedankfest. Eben haben wir schon etwas aus der Geschichte des Klosters Rühn erfahren. Auch dieses Kloster der Zisterzienserinnen entstammt einer mächtigen Reformbewegung, die ganz Europa erfasst hatte. Sie wandte sich gegen Verweltlichungstendenzen in der Kirche. In allen Lebensbereichen und auch in der Architektur sollte Gestalt gewinnen: Zisterzienser erstrebten nicht weniger als ein radikal einfaches Leben nach der Bergpredigt Jesu. Christus nachzufolgen, Gott mit dem ganzen Leben zu lieben und ihm zu dienen – das ist das Feuer, das ihre Hingabe beseelte.

Es war eine Reformbewegung mit Sendungsbewusstsein: Sie verbot sich, Klöster in Städten oder befestigten Orten zu gründen. Bewusst gingen Mönche und Nonnen der Zisterzienser in die Wälder und machten dort Land urbar. Auch im wendischen Mecklenburg. Sie verliehen dem Land wichtige wirtschaftliche Impulse –  ingenieurtechnisch, in Ackerbau und Viehzucht, in Handwerk und Wasserbau. Und sie brachten ein neues Verständnis von Gott.

„Altes Kloster – neue Ernte“: Ich bin überzeugt: Unser Land braucht eine neue Reformbewegung (und zum Glück haben manche schon damit begonnen) – eine Reformbewegung, in der Menschen Verantwortung übernehmen für das Gemeinwesen, in dem sie leben – für ihren Ort, für ihre Region, für das, was ihre Vorfahren hinterließen und was ihren Kindeskindern einst Heimat sein und Leben ermöglichen soll. Eine Reformbewegung, die gespeist wird aus Verantwortungsgefühl und Dankbarkeit. Ich meine Menschen, die die Dinge nicht einfach laufen lassen und erwarten, dass ‚die da oben‘ es für sie regeln, sondern die die Herausforderung annehmen, die Schätze der Vergangenheit zu heben und mit neuem Leben zu erfüllen, die trotz der Alterung unserer Dörfer und Städte, trotz der Abwanderung der Jungen neues Leben stiften – wie z. B. hier der Klosterverein in Rühn.

Was hat sich hier in den letzten Jahren nicht alles getan: Die Winterkirche wurde saniert und ist ein Raum der Begegnung für die ganze Kommune geworden. Vielfältige Veranstaltungen, Konzerte und Feste verbinden sich mit dem Namen Rühn. Als „Anerkannter Erlebnishof“ wurde Rühn ausgezeichnet, und 2010 mit dem Spielstätten-Preis der Festspiele M-V. Die Sanierung der Baulichkeiten kommt langsam, aber doch voran. Danke Euch, die Ihr Euch gegen den Verfall dieser Klosteranlage stemmt! Euer Mut, Eure Hingabe möge auch andere beflügeln! Ja, es geht um den Mut, uns nicht abzufinden mit dem, was ist. Es geht um die Hoffnung, etwas an die nächsten Generationen weiterzugeben, was wir empfangen haben – an Lebensmöglichkeiten, an Werten, an Überzeugungen. Es geht darum, dass wir uns gegenseitig Halt geben, einander ermutigen, und dass wir Halt finden im Urgrund allen Lebens, in Gott.

Das Wort ‚Reform‘ hat in den letzten Jahren einen problematischen Klang bekommen – wurde doch von ‚Reform‘ geredet, wenn ‚Abbau‘ gemeint war. Im ursprünglichen Sinn bedeutet ‚Reform‘ jedoch, sich durch Besinnung auf die Quellen zu erneuern, in Besinnung auf die Ursprünge neue Lebendigkeit zu gewinnen. Eine dieser ursprünglichen Kraft- und Lebensquellen heißt ‚Dankbarkeit‘. Es geht um die Kunst des Empfangens. Im Neuen Testament heißt es:

„Was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ (1.Tim 4,4f)

Auch in diesem Jahr haben wir allen Grund, Dank zu sagen für die Ernte. Bei Getreide und Raps lag sie rund 5% über dem Durchschnittsertrag der letzten fünf Jahre. Die Arbeit der Landwirte war nicht vergeblich. Gott hat seinen Segen nicht verwehrt. Wir werden genug zu essen haben.

Und doch gibt es Verwerfungen:

-         Die Preise für Getreide und Raps sind um ca. 40% gegenüber dem Mittel der letzten fünf Jahre gestiegen. Das ist gut für die Erzeuger, aber für die Veredlungswirtschaft ein enormer Kostenfaktor. Landwirte, die Milch und Fleisch produzieren, sind teilweise in ihrer Existenz bedroht. Die gestiegenen Futterkosten konnten sie nicht weitergeben. Solange unser Kaufverhalten vor allem nach dem Billigsten verlangt und nicht nach der Qualität der Lebensmittel fragt, werden sie es schwer haben.

-         Pro Kopf werfen wir 80 kg Lebensmittel im Jahr fort. Offenbar ist uns gesellschaftlich das Gefühl für den Wert von Lebensmitteln abhandengekommen. Von einem deutschen Ingenieur las ich: In den neunziger Jahren war er dienstlich eine Zeit lang in Riga. Ein eiskalter Winter damals. Als er nachts durch die lettische Hauptstadt streifte, trat plötzlich eine Frau aus dem Dunkel der Nacht und bot ihm in gebrochenem Englisch etwas aus einem Korb an – ein selbst gebackenes Brot in einer halboffenen Tüte. Als er schweigt, sagt sie: „Es ist nicht vergiftet.“ Er fragt nach dem Preis, sie antwortet: „Geben Sie, was gerecht ist.“ Er gibt etwas aus seiner Geldbörse und nimmt das Brot. Sie bedankt sich überschwänglich und verschwindet dann in Dunkel und Schneegestöber. „Geben Sie, was gerecht ist“, hatte sie gesagt. Was ist gerecht für das Brot einer armen Frau, die in eisiger Winternacht Selbstgebackenes verkaufen muss, um zu überleben?

Ja, was ist der gerechte Preis für einen Liter Milch, ein Brot, einen Zentner Kartoffeln? Überlassen wir die Beantwortung dieser Frage allein dem Spiel der Marktkräfte oder gar dem, was Spekulanten an der Börse daraus machen? Schwestern und Brüder, wir sind gefragt, welchen Wert wir Lebensmitteln beimessen und was wir uns das kosten lassen wollen. Wir sind gefragt, ob wir uns vorstellen können und wollen, wie viel Mühe und Arbeit aufgewendet werden, auch wie viel Liebe, bis wir Früchte auf unserem Tisch haben. 

„Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird“, sagt die Bibel. Vor einer Mahlzeit innehalten, einen Moment dankbar sein für die Güte Gottes und die Arbeit der Landwirte – das kann helfen, unsere Lebensmittel wieder achten und schätzen zu lernen. Es muss ja nicht sein wie auf einer meiner Lieblings-Karikaturen, wo Eltern am Mittagstisch – etwas unsicher – zu ihren Kindern sagen: „Lasst uns heute mal beten.“ Die Kinder fragen mit erschrockener Miene zurück: „Wieso, ist was mit dem Essen?“ 

Ja, es ist was mit unserem Essen: Wenn wir seinen Wert nicht mehr erkennen, sind wir arme Leute. Wenn wir angesichts der Überfülle in unseren Regalen vergessen, etwas gegen den Hunger anderswo zu tun, werden wir schuldig. Wenn wir uns nicht um gerechtere Verhältnisse bemühen, dann verlieren wir unsere Menschlichkeit. „Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird“. Dankbarkeit, Dank sagen ist ein wichtiger Schritt zur Achtsamkeit, die uns menschlich leben lässt – in Verantwortung füreinander, im Achten aufeinander.

 

„Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ (1.Tim 4,4f) Rückbindung an den Urgrund allen Lebens, Besinnung auf Gott kann uns auf diesem Weg stärken. Doch vielleicht geht es manchen ja eher wie Hans Magnus Enzensberger, der ein Dankesgedicht überschrieb:

„Empfänger unbekannt – Retour à l’expéditeur

Vielen Dank für die Wolken.

Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier

und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.

Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn

und für allerhand verborgne Organe,

für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.

Herzlichen Dank dafür, dass mir das Feuerzeug nicht ausgeht,

und die Begierde,

und das Bedauern, das inständige Bedauern.

Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,

für die Zahl e und das Koffein,

und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller

gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,

für den Schlaf ganz besonders,

und damit ich es nicht vergesse

für den Anfang und das Ende

und die paar Minuten dazwischen inständigen Dank,

meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.“

Vermutlich würde jede und jeder einen anderen Dankestext aufsetzen. Vielleicht sind wir uns auch nicht ganz sicher, an wen sich unser Dank richten sollte – an das Leben, den Himmel, ein gütiges Geschick, an Gott? Für mich ist es ein Geschenk, darauf vertrauen zu können, dass der Gott Jesu Christi, von dem  alles Leben kommt, für dieses Leben einsteht und dabei unser Mitwirken will. Ob wir dieses Vertrauen teilen oder nicht – wichtig ist, zu erkennen, dass wir uns verdanken. Und dass es eine Antwort braucht, die dem Dank entspricht – nämlich: Verantwortung zu übernehmen. „Altes Kloster – neue Ernte“: Lasst uns also Verantwortung übernehmen – vor Gott und den Menschen – für den Ort, für das Land, in dem wir leben. Lasst uns die Herausforderungen annehmen, die Schätze der Vergangenheit zu heben und neues Leben zu stiften! Möge Gottes Geist uns darin leiten!

Amen.

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