8. August - Ökumenischen Gottesdienst zum Friedensfest
08. August 2014
Predigt zu Hebr 11,1-3. 8-16
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder,
„Dat is mine Heimat, da bin ik to Hus.“ So singen sie bei uns im Norden von der Heimat. Heimat – was ist das? In Vorpommern z. B. wurden Menschen befragt, was sie mit ‚Heimat‘ verbinden. In der Klasse 4a der Loitzer Grundschule antworteten die Kinder unter anderem: „Weihnachtsduft, Gurken, Döner.“ Tja, nun wissen wir endlich, wo der Döner wirklich erfunden wurde.
Ich selbst bin in Mecklenburg aufgewachsen. Väterlicherseits lebt meine Familie schon mehr als 800 Jahre dort. Meine Mutter jedoch war ein Flüchtling. Aus Ostpreußen war sie mit ihren Eltern und den vielen Schwestern getreckt. In unserer Küche erzählten sie oft von jener ‚Hejmat‘. Sie vergaßen dabei Zeit und Stunde. Lachen und Weinen lagen dicht beieinander, wenn sie sich erinnerten. Und abends vor dem Einschlafen sang Mutter uns Kindern:
„Abends ziehen Elche von den Dünen,
von der Palve an des Haffes Strand.
Und die Nacht wie eine gute Mutter
deckt ihr Tuch wohl über Haff und Land.
Und die Nacht wie eine gute Mutter
deckt ihr Tuch wohl über Haff und Land.“
Wunderbar, so in den Schlaf gesungen zu werden! Heute denke ich: Diese ostpreußische Heimat meiner Mutter hat meine Kindheit mindestens so bestimmt wie die mecklenburgische. Es war eine Heimat aus Geschichten und Liedern, aus besonderen Gefühlen – kostbar und vergänglich zugleich.
Als Jugendlicher war ‚Heimat‘ für mich nicht recht zu fassen: In der sozialistischen Schule sagten sie uns: „Seid stolz auf die Errungenschaften der DDR!“ Ich aber konnte nicht stolz sein auf ein System, dass sein Volk einmauern muss, damit es nicht wegläuft. Ich wollte Heimat finden in der Geschichte meines Volkes, das so viele große Dichter, Denker und Musiker hervorgebracht hatte. Aber da waren auch die finsteren Kapitel: Begeistert war dasselbe Volk in den I. Weltkrieg gezogen. Begeistert hatte sich die große Mehrheit meines Volkes für den Nationalsozialismus entschieden – wir wissen, welch ungeheures Unheil daraus erwuchs.
Nein, Heimat war für mich eher, was ich in der Kirche erlebte:
- einen Raum, wo es möglich und erwünscht ist, frei zu denken;
- eine Gemeinschaft, in der es nicht darauf ankommt, ob jemand Arbeiter oder Professor ist;
- Menschen, die wie ich nach dem Sinn des Lebens suchten und die fragten, was Gott sich von uns wünscht.
Kirche war der gute Ort, wo wir miteinander musizierten – und die Seele erwachte! Wir machten Gemeinderüstzeiten in Tschechien – zusammen mit den jungen Leuten aus Nürnberg, unserer Partnergemeinde. Wildwasserfahrten, Singen am Lagerfeuer, Gespräche bis tief in die Nacht – all das sind Erlebnisse, die ich bis heute nicht vergesse! Erfahrungen, die uns spüren ließen, dass es gut ist, am Glauben festzuhalten, auch wenn uns die Mehrheit zu Hause belächelte oder gar anfeindete. Daher haben die Partnerschaftsbeziehungen zu bayrischen Kirchgemeinden bis heute für viele mecklenburgische Christinnen und Christen eine besondere Bedeutung.
So wird für jeden und jede ‚Heimat‘ etwas ganz Spezielles sein und sich vielleicht auch wandeln im Lauf der Zeiten. Die ersten Christen jedenfalls hatten ein besonderes Verhältnis zu dem, was ‚Heimat‘ genannt wird. Der Diognetbrief – eine frühchristliche Schrift, die keine Aufnahme in den Kanon der Bibel fand – beschreibt das so:
„Die Christen unterscheiden sich von anderen Menschen nicht durch ihren Wohnort, ihre Sprache oder ihre Bräuche. Weder wohnen sie in eigenen Städten noch sprechen sie einen eigenen Dialekt noch haben sie eine ungewöhnliche Lebensweise. (…) In Kleidung, Nahrung und in allem, was sonst zum Leben gehört, schließen sie sich dem jeweils Üblichen an. Und doch haben sie ein erstaunliches und anerkannt wunderbares Gemeinschaftsleben.“
Und weiter heißt es von den ersten Christen:
„Sieleben zwar an ihrem jeweiligen Heimatort, doch wie Fremde. Sie beteiligen sich als Mitbürger an allem, doch ertragen sie es nur wie Durchreisende. Jede Fremde ist ihnen Heimat, und jede Heimat ist ihnen fremd.“
Was für eine Lebenshaltung: Als Mitbürger beteiligen sie sich an allem, doch „nur wie Durchreisende. Jede Fremde ist ihnen Heimat, und jede Heimat ist ihnen fremd“!
Eine ähnliche Haltung ist uns schon in der ersten Lesung, im Hebräerbrief begegnet: Von Abraham ist da die Rede. Von Gott gerufen, zieht er mit seiner ganzen Sippe in die Fremde. Auf eine Verheißung hin verlässt er seine Heimat und findet tatsächlich das versprochene Land. Es ist prächtiges Land, in dem sich gut leben lässt. Und doch sagt der Hebräerbrief von Abraham:
„Aufgrund des Glaubens hielt er sich als Fremder im verheißenen Land wie in einem fremden Land auf und wohnte mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung, in Zelten.“
Schwestern und Brüder, das bedeutet nicht nur: ‚Abraham, der alte Nomade, blieb auch im verheißenen Land seiner nomadischen Lebensweise treu.‘ Abraham, unser Vorbild im Glauben, zeigt uns auch: Unser Glaube hat eine doppelte Kraft – er beheimatet und er entfremdet.
Unser Glaube schenkt uns ein Stück Heimat in dieser Welt, die von Wandel und Vergänglichkeit gezeichnet ist. Bei allem, was uns in unserem Leben beunruhigen und um den Schlaf bringen kann – unser Christsein kann uns bergen in dem guten Gefühl: ‚Gott ist da. Ich kann nicht tiefer fallen als in seine Hände.‘ In den Liedern und Gebeten, die schon unseren Vorfahren, Heimat waren, können auch wir Halt und Trost finden. Mag die Welt manchmal auch ein kalter Ort sein – in der Gemeinschaft der Gemeinde teilen wir die Wärme, deren Quelle Gott ist.
Zugleich ruft uns unser Glaube aber auch heraus aus den traulichen Heimatstuben des Lebens – zum Aufbruch. Die großen Geschichten unseres Glaubens sagen uns: Findet euch nicht ab mit dem, was ist! Setzt euch nicht zur Ruhe, solange ungerechte Verhältnisse Menschen dazu nötigen, ihre Heimat zu verlassen! Gewöhnt euch nicht daran, dass tausende und abertausende Flüchtlinge Leib und Leben riskieren, um ein Leben mit Zukunft zu erlangen! Gastfreundlich sollen wir sein, denn Jesus selbst war Flüchtlingskind in Ägypten. Eintreten sollen wir für die Rechte von Flüchtlingen. Denn Gott hat die Fremden lieb und erwartet das auch von uns – nachzulesen im 5.Buch Mose Kapitel 10.
Unser Glaube schenkt uns ein Stück Heimat in dieser Welt. Zugleich sorgt er dafür, dass wir uns nicht an diese Welt verlieren, dass wir uns nicht in falscher Weise einrichten.
Abraham blieb zeitlebens unterwegs. Seine Zelte waren schnell abgebrochen und wieder aufgeschlagen. Er erwartete, wie der Hebräerbrief schreibt, „die Stadt …, die Gott selbst geplant und gebaut hat.“(V. 10) Er und seine Nachkommen strebten „nach einer besseren Heimat, nämlich der himmlischen“ (V. 16).
Darauf kommt es mir an: Die Suche nach der besseren Heimat ist die Herausforderung unseres Glaubens! Die bessere Heimat, in der wir einander Bruder und Schwester sind. Die Wirklichkeit, in der es ein Ende hat mit der Herrschaft der Tyrannen und wo den Opfern endlich Gerechtigkeit widerfährt. Die Wirklichkeit, in der wir vor Gott schmerzlich erkennen, wie unser Leben hätte sein können – und dennoch wird uns vergeben, und die Wunden unseres Lebens werden geheilt! Die bessere Heimat, in der wir erfahren: Nichts, aber auch gar nichts, kann uns trennen von der Liebe Gottes – nicht einmal der Tod!
Bis wir dies alles nicht erlebt haben, werden wir nie ganz zu Haus sein. Bis wir all dies nicht erfahren haben, wird uns jede Heimat – so schön sie auch sein mag – immer auch ein wenig fremd bleiben. Aber wir werden all das erleben! Gott hat es versprochen.
Das Schöne ist: Die Suche nach der besseren Heimat hilft uns schon jetzt, unverkrampft und freizügig mit dem umzugehen, was uns ein wenig Heimatgefühl vermittelt. Wir müssen da nichts ängstlich hüten. Darum: Seid gastfrei mit dem, was euch Heimat ist! Spart euren Wein nicht auf für morgen! Das gilt auch für unsere Konfessionen und Religionen. Sie gewähren uns ein Stück Heimat. Aber darum müssen wir sie nicht zur Festung ausbauen und gegeneinander in Stellung bringen. Machen wir füreinander fruchtbar, was unserem Leben Kraft und Tiefe gibt! Teilen wir unser Brot! Gott wird es segnen, und wir werden Menschen seines Friedens sein.
Meine Mutter, die uns eine so großartige Kindheit beschert hatte, ist relativ früh gestorben. Am Tag, als sie starb, war es Abend geworden. Wir waren bei ihr und haben gesungen – Choräle natürlich. Aber auch das ostpreußische Abendlied von den Elchen war dabei. Nun sangen wir für sie:
„Und die Nacht wie eine gute Mutter
deckt ihr Tuch wohl über Haff und Land.“
Durch welche Nacht musste sie jetzt gehen?
Wir konnten unsere Mutter gut gehen lassen an jenem Abend, denn wir waren überzeugt: Die Nacht des Todes wird nicht endlos sein. Gott wird sie bergen in seiner Liebe – wie ein guter Vater, wie eine gute Mutter. Die bessere Heimat – unsere Verstorbenen erleben sie. Wie tröstlich ist das und wie befreiend!
Amen.
Und der Friede . . .