8. Juni 2014 - Abendmahlsgottesdienst zu Pfingstsonntag
08. Juni 2014
Apg 2, 1-18
Applaus! Applaus, würde ich am liebsten sagen, liebe Pfingstgemeinde, zu diesem überaus munteren Geist, der unserer Schwachheit eben aufgeholfen hat. Dank dieser mitreißenden Motette, Johann Sebastians Pfingstlied für uns!
Gerade richtig für die Jubilarin heute: Die Kirche daselbst, die ihren immerhin nahezu 1.980ten Geburtstag feiert. Wer kann das sonst schon von sich behaupten? Applaus, möchte ich am liebsten sagen, für die Hochbetagte und jung Gebliebene, die sozial engagiert und gastfreundlich immer auch tröstende Herberge ist in dunkler Zeit.
Applaus – auch damals, als alles begann?
Wohl erst einmal nicht. Das Pfingstfest beginnt eher verhalten. Sprachlos und ein wenig traurig sitzt man an dem einen Orte beisammen, wie es in der Apostelgeschichte heißt. Petrus tut zwar sein Bestes, um ihnen in ihrer Schwachheit aufzuhelfen. Und predigt, was er kann. Doch – kein Applaus. Die Worte erreichen sie nicht. Was soll man nun noch glauben? seufzen sie. Jetzt wo er, Jesus, der ihnen Liebeswunder war und Lebensbrot, gen Himmel gefahren?
Weg. Weg ist er.
Aber in ihnen, da lebt so viel von ihm. Da sind seine Worte. Da ist Wärme und Herzensnähe. Erinnerungen. Wie hat er sie doch alle heilsam berührt! Mit seinen Händen. Seinem Frieden. Brannte nicht unser Herz? fragen sie einander. Von dieser Liebe, die niemals aufhört?!
Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel und sie wurden alle erfüllt vom heiligen Geist und fingen alle an zu predigen in andern Sprachen….“
Stellen wir uns das doch einmal jetzt und hier im Michel vor, liebe Gemeinde. Sie alle predigen! Lebhaft wäre das. Murmelgruppen, prima! Keine Kanzel mehr nötig. So viele Sprachen – wir haben sie eben beim Evangelium gehört. Und? Haben wir es etwa nicht verstanden?
Vielleicht nicht jedes Wort.
Aber doch den Geist!
Auch sie in Jerusalem verstanden sich. Tatsächlich. Auf einmal. Wahrscheinlich das erste Mal überhaupt. Obwohl sie sich ja auch gar nicht so genau kannten. Aber nun. Beseelt und glücklich über dieses Zusammenfinden aller Nationen und aller gestrigen Gegensätze. Was in ihnen war, findet auf einmal den Weg in eine Sprache. Kein Gerede. Oder Gelärm, das an einem sowieso vorbeigeht. So wie unsere tägliche Verlautbarungssprache es tut. Es sind Worte mit Tiefe, die verstehen, was in einem ist. Eine Sprache auch für klare Verhältnisse. Und für zärtliche Gefühle. Für die Ehrlichkeit.
Für Feindschaft ist da kein Platz.
Für Intoleranz kein Verständnis.
Für die Faust kein Grund.
Denn – so singt es mein modernes Pfingstlied heute:
„Ist meine Hand eine Faust,
machst du sie wieder auf.
Und legst die Deine in meine.
Du flüsterst Sätze mit Bedacht
Durch all den Lärm
Als ob sie mein Sextant und Kompass wär`n.
Applaus, Applaus,
für deine Worte.
Mein Herz geht auf,
Wenn du lachst.
Für deine Art mich zu begeistern.
Hör niemals damit auf!
Ich wünsch mir so sehr,
du hörst niemals damit auf.“
Gesungen wird mein Pfingstlied von einer Musikgruppe/Rockband, die sich Sportsfreunde Stiller nennt. Echte Sportsfreunde, die echte Liebeslieder schreiben können. Fußballbegeistert sind sie, immer schon und natürlich gerade jetzt, wo die WM so nahe ist! Doch sie sehen zugleich die, die die Faust ballen. Weil in dem sozial zerrissenen WM-Land Brasilien Abermillionen eben nicht in die dringend benötigten Schulen, Krankenhäuser, die Drogenbekämpfung gehen. Sondern in Stadien.
Ist die Hand eine Faust,
machst du sie wieder auf,
und legst die deine in die meine.
Pfingsten ist der Beginn einer wunderbaren, weil geistesgegenwärtigen Freundschaft. Eine Freundschaft also, die auch die Wut versteht. Und die Enttäuschung. Und Schmerzen wie Pfeilstiche. Die darum weiß, dass Menschen im Moment um ihr Überleben kämpfen. Und dass andere um sie bangen, Tag und Nacht.
Ist meine Erde eine Scheibe,
machst du sie wieder rund – singt es mein Pfingstlied weiter.
Zeigst mir auf leise Art und Weise
Was Weitsicht heißt.
Will ich mal wieder mit dem Kopf durch die Wand
Legst du mir Helm und Hammer in die Hand.
Pfingsten ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft der Ungleichen. Zwischen uns Menschen, die stets mit ihren Grenzen und Wänden um sie herum hadern, und Gottes Unendlichkeit. Zwischen Denkerstirn und dem Horizont, hinter dem es immer weitergeht. Es ist die Freundschaft der Ungleichen, die sich gar nicht unbedingt gesucht haben. Die Freundschaft zwischen Hanseat und Flüchtling, alt und fremd, jung und Lehrer, zwischen Parthern, Medern und denen aus Phrygien und Pamphylien. Es ist eine Freundschaft, in der der Unterschied nicht trennt. Auch – so damals schon die Pfingstgeschichte – der religiöse Unterschied nicht! Es ist Freundschaft, die um Wahrheit ringt und die die Liebe liebt. Freundschaft, die deshalb Schmerz aushält und Schwachheit. Ihr hilft sie ja auf, des Geistes Gegenwart!
Wahre Freundschaft! Geht´s noch? Ob sie wohl voll sind von süßem Wein, von Federweißer? So fragen die, die vor den Toren des Geschehens stehen. Damals in Jerusalem. Und sicherlich auch heute. Doch Irrtum. Das, was sie für einen Vollrausch halten, ist in Wirklichkeit die heilsamste Ernüchterung, die unserer Welt je widerfahren ist. Nämlich die Einkehr göttlicher Geistesgegenwart in eine mehr oder weniger geistesabwesende Menschheit.
Geistesabwesend, weil ständig auf Sendung. Aber nicht mehr auf Empfang. Dauernd im Bemühen, bedeutsam zu sein, sind wir abgelenkt von dem, was wirklich bedeutsam ist. Wir hören kaum zu. Um uns etwa faszinieren lassen von einer inspirierenden Idee. Um sich tragen lassen von einer Kraft, auf die man doch nur hoffen und die man nicht planen kann. Nicht umsonst predigt Petrus in die Hoffnungs- und Geistlosigkeit seiner Zeit dies: „Eure Söhne und Töchter werden Kraft in sich haben und die Wahrheit sagen, und die Jungen werden wieder Visionen haben und eure Alten Träume von einer besseren Welt.“
Mit einer Vision mischt Gott sich ein in diese Welt. Und die hat´s in sich und ernüchtert unerhört. Denn mit dieser Vision des Zukünftigen, des wahrhaft Guten steht doch immer auch in Frage, was jetzt nicht gut ist.
Und ich schaue mich um und sehe, dass die Welt so zerrissen ist, getrennt durch Zäune, Wände und Mauern, in der die reichen Nationen für sich bleiben und die armen sich selbst überlassen.
Ich schaue mich um und sehe, wie eine Diktatur in Syrien nun schon drei Jahre wütet. Ich sehe die Verfolgten in den Flüchtlingslagern, so viele Christen darunter.
Dahinein diese Vision! Es bleibt der Traum von einer besseren Welt, in der kein Mensch dazu gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen.
Und ich schaue mich um und sehe – so wie Sie –, dass Bomber fliegen und Kriegsschiffe drohen, dass Panzer rollen und Menschen erschossen werden. Beängstigend, dass dies wieder und wieder passiert, so nah auch an uns, in der Ukraine. Und ich merke, dass mir dies sehr nachgeht. In diesem Jahr 2014, in dem wir des Ausbruches des ersten und des zweiten Weltkrieges gedenken. Und ich sehe die Soldatenfriedhöfe vor mir, auf denen Zehntausende Holzkreuze stehen. Manche namenlos. Gefallen die Jungen mit 17, 18, 19 Jahren, begleitet, als sie in den Krieg zogen, mit – Applaus.
Meine Vision bleibt die Versöhnung, die nur geschehen kann, wenn die Fäuste geöffnet werden und die Waffen schweigen, wenn Gegner miteinander reden oder sogar gemeinsam beten, so wie die Präsidenten Israels und Palästinas es heute in Rom tun, gemeinsam mit Papst Franziskus und dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus. Und wie so viele Menschen überall auf der Erde wünsche ich mir so sehr den Frieden in diesem Jerusalem, wo alles begann. In diesem Heiligen und zugleich so unversöhnlich scheinenden Land. Ich bitte Sie, liebe Gemeinde, schauen wir es uns nicht nur an, beten wir alle mit!
Wir brauchen das Gebet, das sich traut. Weil es eine Vision gibt! Wir brauchen Momente der Begeisterung inmitten der Realitäten. Brauchen Gottesnähe. Etwas, für das man brennt, weil es so richtig ist oder so wunderschön. Aber auch andersherum: Die Vision Gottes braucht uns Pfingstbegeisterte. Immer wieder.
Und ich denke schließlich an den Abendsegen auf dem Rathausmarkt am Ende des Kirchentages: Tausende ganz nah beieinander. Das Licht des Lebens vor sich und in sich. Voller friedlicher Unterschiedlichkeit. Eingebunden in eine Segensstille, die laut spricht: Gott so nah. – Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön, singen wir. Und aus der Stille wächst auf einmal ungeplant und unverhofft, einfach weil den Menschen so danach war: Applaus. Nicht eitel oder selbstverliebt. Sondern Applaus – für dieses Miteinander. Für vier Tage, die weit tragen. Erfüllt von dem Geist, der uns an die Seite der ersten Christen in Jerusalem stellt. Vereint im Ziel, dass Jesu Sprache auch heute nicht verloren geht, der von sich sagt: Meinen Frieden gebe ich euch! In allen Sprachen!
Applaus, Applaus
Für deine Worte.
für deine Art mich zu begeistern.
Hör niemals damit auf,
Hör niemals damit auf.
Nein, er hört nicht auf. Mit uns zusammen ist Gottes Geist ganz da, ganz präsent in dieser Welt. Wie ein Freund an unserer Seite. Denn das ist sein Werk: Zusammen zu halten, was auseinander brechen will. Uns zu halten, wenn es uns innerlich zerreißt. Und in unsere Herzen die Sehnsucht zu senken, dass uns endlich, endlich eine gemeinsame Sprache eint. Damit die Visionen jung bleiben und unsere Träume niemals alt werden.
Nein, er hört nicht auf.
Applaus! Applaus!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen