9. Juni 2012 - Geistliche Morgenmusik: Christ lag in Todesbanden
09. Juni 2012
Predigt zu 1. Kor 15, 1-11 Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen
Liebe Gemeinde!
„Christ lag in Todesbanden für unsere Sünd´ gegeben, er ist wieder erstanden und hat uns bracht das Leben.“ Sie ist eine der schönsten frühen Kantaten von Bach, finde ich. Bach vereint nämlich mit seiner Sprache der Musik, was dem Osterwunder an Gegenläufigkeiten innewohnt: zum einen dieses bewegte, ja erschrockene Innehalten und zum anderen die Freude, die den Tiefgang kennt. Freude also, die die Trauer und die Dunkelheit des Karfreitags nicht vergessen hat. Zaghaft nur bricht die neue Lebendigkeit mit ihren Sechzehntel hervor. Mit Freuden zart. Aber dann! Das Leben hat den Tod verschlungen in einem wunderlichen Krieg. Das Leben behielt den Sieg. Ein Tod fraß den anderen. Tod, der dem Bass einen so grundtiefen Ton abringt wie selten. Mit Macht also bricht sich Gott Bahn! So als wollte man – und Bach schon gar nicht! - irgendeinen Zweifel an der letztlich unfassbaren Wahrheit aufkommen lassen: Christ ist erstanden, von den Banden des Todes. Halleluja, gleich sieben Mal der Refrain. Kein Grund, liebe Gemeinde, nicht zu frohlocken!
Ich mag dieses positiv Unausgewogene. Ich mag diese glaubensfrohe Unverklemmtheit und diese Verve, mit der behauptet wird, die Nacht der Sünden sei vorbei. - Wer traut sich so etwas heute noch zu sagen? Einfach mal ungestüm, herzensnah zu zeigen, dass man glaubt, was man glaubt. Ohne Literaturnachweis. Gottesbeweis. Quellenstudium. Ohne jahrzehntelange Lebenserfahrung. Ohne Bibelnachweis.
Apropos Bibel. Ihre Sprache ist eher ernüchternd. Etwa im eben gelesenen Korinthertext. Nicht gerade Siegesfanfaren. Im Gegenteil. Fast wie eine Beweisführung klingt es, wenn Paulus von den Aposteln sagt: sie haben ihn gesehen. Mit ihren eigenen Augen. Das sagt er deshalb, weil in Korinth genau um Glaubwürdigkeit der Auferstehung gestritten wird. Und nicht nur da und damals. Viele, geben wir´s zu, halten es doch bis heute für ein intellektuelles Risiko, das wahrhaftige Lebendigwerden des Gekreuzigten zu bekennen. „Aber, die Apostel haben es gesehen!“ hält Paulus uns wiederholt entgegen. Sie haben ihn gesehen und waren fortan nicht mehr Dieselben. Das hat Paulus am eigenen Leibe erfahren. Wer den Auferstandenen gesehen hat, geht nicht zur Tagesordnung über. Wer ihn gesehen hat, lebt sehnsüchtiger, liebt leidenschaftlicher, handelt klarer, ist ein gelassener, vertrauensvoller Mensch. Wer ihn gesehen hat, dem sieht man es an. Durch seiner Gnade Glanz - so sekundiert die Kantate - sind erleuchtet unsre Herzen ganz.
So hören wir´s, damit uns das Sehen nicht vergeht. Denn nicht abstrakte Gedankengebäude, es geht um Christus heute unter uns, sichtbar und konkret. Hier in Greifswald, Schwerin, auf dem Darß und in Dithmarschen - es ist dies der Auftrag von uns ChristInnen in der Welt, laut davon zu reden, wie der lebendige Gott anschaulich wird in unserem Leben.
„Wir haben lange Zeit nichts mehr von der Anwesenheit Gottes gespürt“, sagt die Küsterin zu Andreas, als sie ihm die Kirche zeigt. Andreas ist junger Aushilfspfarrer und soll in einer dänischen Kleinstadt den dortigen Kollegen vertreten. Der wurde suspendiert, weil er seinen Organisten von der Empore gestoßen hat – so sehr hatte er sich über dessen schlechte Intonation des Psalms aufgeregt (Keine Angst, Herr Koball, keine Gefahr im Anzug, Sie spielen einfach zu gut…). Der alte Pfarrer predigt nicht mehr, er pöbelt und stört den Gottesdienst. Er kann den Tod seiner Frau nicht verkraften.
„Wir haben lange nichts mehr von Gott gespürt“ – mit diesem Satz beginnt der melancholische und zugleich wunderbar heitere Spielfilm mit dem Titel „Italienisch für Anfänger“. Mit ihm möchte ich Sie in den höchsten Norden unserer Nordkirche entführen. Man muss ihn nicht gesehen haben, um seine Botschaft zu verstehen. Denn er spielt vom Leben selbst, wie wir es alltäglich, hier und untereinander auch erleben können.
Da ist Andreas. Er hat vor Kurzem seine Frau verloren. Er ist furchtbar allein – wie auch der schüchterne Portier seines Hotels, der sich ihm gleich vorstellt mit: „Mi chiamo Jörgen Mortensen“. Dessen einziges Hobby ist nämlich ein Italienischkurs an der Abendschule. Eines Abends, als Andreas es nicht mehr aushält mit der Einsamkeit, geht er auch dahin. Und trifft sie zu seiner Überraschung alle: Jörgen, die Küsterin, die schusselige Bäckereigehilfin Olympia, den charmanten Dorfgigolo Halv Finn, die Friseurin Karen. Es stellt sich schnell heraus: Alle müssen mit dem Verlust eines Menschen zu Recht kommen. Und alle haben von der Anwesenheit Gottes lange nichts mehr gefühlt – haben überhaupt keine guten Gefühle mehr gehabt. An einer Stelle drückt der alte Pastor seine totale Einsamkeit so aus: „Gott hat mir meine Frau genommen. Und sie hat mir Gott genommen.“
Sie alle gehen nicht in die Kirche. Sie gehen in den Italienischkurs. Sie wollen heraus aus der Düsternis, weg von dem tiefen Ton des Todes, der zugleich eine so eigentümliche Anziehungskraft hat. Sie wollen Sonne, Wärme, Amore, Charme, ach, sie wollen doch nur, dass sich ihr Leben wandelt. Olympia will weg von ihrem tyrannischen Vater, Karen hofft, dass ihre schwer alkoholkranke Mutter endlich in Frieden sterben kann, Andreas möchte nicht mehr über den Tod seiner Frau nachdenken müssen und Jörgen Mortensen nicht über seine unglückliche Liebe. Was sie bewegt, könnte auch jede und jeden von uns bewegen. Sie könnten hier unter uns sitzen. Doch sie alle gehen ja gerade nicht in die Kirche. Auch Guilia nicht, die in Jörgen insgeheim verliebt ist und die einzige Italienerin am Ort. Auch sie geht schließlich in den Italienischkurs.
Denn siehe, alle wissen, dass sie nicht nur diese Sprache lernen, sondern dass sie lernen, überhaupt wieder reden zu können. Dass sie eine Sprache suchen für jene Gefühle, die sie so am Leben hindern: z.B. die Trauer um die Geliebte, die abgrundtiefe Scham über das eigene Ungenügen, die Unfähigkeit, um Verzeihung zu bitten, die Verwirrung über die Qual des Sterbens. Es sind so viele Bilder des Todes, die sie im Bann halten. Die, liebe Gemeinde, wohl auch uns manchmal im Bann halten. Und sie wären wohl immer noch darin, hätte Guilia nicht völlig ungerührt so getan, als bräuchte sie das Sprachbuch, um zu deklinieren: Ich liebe, du liebst, er liebt, sie liebt, wir lieben… Auf einmal spüren sie, wie das Lachen in ihnen aufsteigt. Da hat Tod und Leben rungen, das Leben behielt den Sieg. Erst jetzt merken sie, wie viel Sehnsucht nach Leben in ihnen ist! So versuchen sie es, zaghaft zunächst, mit dem „Basta!“- Genug ist´s. Es reicht! Es reichen Ohnmacht, Sorge und Trauer, die überstark den Tag bestimmen. Das Leben hat sein Recht. Es ist heute Morgen mit uns aufgestanden –samt Musik. Halleluja.
Und mir kommt angesichts der Verzagtheiten in uns und unserer Welt immer öfter in den Sinn: Ob wir nicht auch wieder einmal einen Sprachkurs bräuchten. Sprache des Glaubens, die sich was traut. Worte, die wieder etwas begehren. Ungestüm und lebensnah. Eine Sprache, die es mit dem griechischen Philosophen der Tonne, Diogenes, hält, der von der Tugend der Frechheit sprach. Im Sinne von tapfer, kühn, lebhaft, ungezähmt, keck. Im Alten Testament ist David der Prototyp eines solchen Frechlings, wenn er den Goliath kitzelt: „Komm her, damit ich dich besser treffe!“. Er zeigt, dass der Kopf nicht nur Ohren zum Hören und Augen zum Sehen hat, sondern auch eine Stirn, um sie dem Stärkeren zu bieten. Das ist ein Affront in seiner ureigensten Bedeutung: dem scheinbar Stärkeren die Stirn bieten.
Denn machen wir uns nichts vor, liebe Gemeinde: die Auferstehung ist ein einziger Affront – und verdient unsere Frechheit. Sie ist ein Affront gegen die Sorge, die deinen Tag zu sehr bemächtigt. Sie ist ein Affront gegen den dauernden Stachel, womöglich nicht perfekt zu sein. Sie ist ein Affront gegen die moraline Gier, Menschen öffentlich abzustrafen. Nein, Christus ist doch genau dagegen auferstanden: Gerade nicht Strafe, Vergebung verspricht Veränderung! Das Osterlamm, es ist deshalb ein Affront gegen das Schweigen, wenn Menschenrecht mit Füßen getreten wird. Es ist ein Affront gegen religiöse Intoleranz und rechtsradikale Geschichtsverdrehung, gegen Kindersoldaten in Ruanda und Pornographie mit Kindern und Jugendlichen, gegen jede Gewalt, die Menschen einander antun.
Die Auferstehung ist ein Affront gegen den Todesbann in unserem Leben. Also: Biete die Stirn, hebe die Augen und siehe – es gibt ihn zu sehen, den lebendigen Christus. Ganz konkret. Und fragte man uns, was wir da sehen, könnten wir wie Bach singen von Herzensfreud und Wonne und Sonne und Erlösung? Könnten wir uns bittschön vorstellen, wie wir dem Würgen der Sorge eine freche Grenze setzen? Dass wir z.B. laut zeigen, ganz furchtbar unnordisch emotional, wie sehr wir jemanden mögen. Dass wir dem Zorn Luft machen, damit er geht. Kurz: Dass wir sind, die wir sind - unvernünftig, gottsuchend, zart besaitet, schwer verliebt, lebenshungrig, unperfekt, stieselig, versöhnlich, unnahbar – und unnachahmlich wir selbst. Willkommen im Italienisch Kurs, liebe Gemeinde zu St. Marien in Greifswald, im Kurs des Lebens mit Namen Morgenmusik!
Nicht dass ich´s vergess: Am Schluss fahren sie alle nach Venedig, die italienischen Dänen. Und sie finden sich, finden sich auch in einem Restaurant wieder und bestellen in perfektem Italienisch das Beste für das Fest ihres Lebens. Und Andreas, ja der Pastor Andreas findet seine Olympia und: dass er wieder etwas glauben kann. Und es ist, als hörte man den Chor noch einmal singen
„Wir essen und wir leben wohl in
rechten Osterfladen,
der alte Sauerteig nicht soll
sein bei dem Wort der Gnaden,
Christus will nicht Koste sein
und speisen die Seel allein….
Christus – mitten unter uns.
Nicht Basta – aber: Halleluja! Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, den wahrhaftig Auferstandenen. Amen