Andocken, hinsehen, Hand reichen
28. Juni 2015
4. Sonntag nach Trinitatis, Seefahrergottesdienst mit einer Predigt zu Apg 6, 1-7
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich mich hier so umsehe in dieser wunderschönen Kirche und vor allem umhöre, dann fällt mir eigentlich zuerst das Pfingstwunder ein: So viele Sprachen – und man versteht sich doch! So viele Nationalitäten, dänische und deutsche (und plattdeutsche) und finnische, philippinische, norwegische, schwedische und, und – und dennoch ein Geist. Ein Geist, der uns als heutiger Seefahrer-Gemeinschaft stark sein lässt und sangesfroh – das besonders, lieber Lotsenchor! Und so bin ich dankbar für diesen Zusammenklang – und demütig auch. Denn es ist ja heutzutage wahrlich nicht selbstverständlich, dass sich solch eine Gemeinschaft der sehr Verschiedenen versteht und vor allem dies: miteinander ihren Glauben feiert. Danke, Gott, dass du mitten unter uns bist. Dass du mit deiner Liebe unter uns wohnst, ubi caritas – und dass du uns segnest mit dieser vielsprachigen Friedenssehnsucht!
Damals in Jerusalem allerdings – wenn man nach dem Pfingstwunder wenige Bibelseiten weiter blättert hin zu unserem Predigttext – in Jerusalem war's durchaus eingetrübt mit dem Frieden und dem Verstehen. Man, de Greekschen worrn gnegelig gegenöver de Hebräischen, wieldat ehr Weetfruuns bi dat dääglich Versorgen översehn ward.
Der Frieden steht auf dem Spiel, nichts weniger. Vollkommen unverständlich ist nämlich, dass immer wieder Menschen an die Seite gedrängt werden, die eh schon ein großes Päckchen der Traurigkeit zu tragen haben! Oder einer bestimmten Kultur und Nation angehören. Ärgerlich, dass dies nun ausgerechnet auch in der ersten Christen-Gemeinde passiert! Natürlich wurden da die Griechen gnegelig…
…in diesem Falle ein Glück. Die Griechen bringen nämlich die Wende in der Krise: Die erste Gemeinde besinnt sich. Mag sein, sie hat, so wie wir gerade, einträchtig gesungen: Wo die Liebe wohnt… und gemerkt: Moment, da haben wir Menschen aber sehr lieblos behandelt. Das muss anders werden. Und so entsteht sie: die Kirche, die für andere da ist. Die sich von ihrer ganz praktischen, menschlichen Seite zeigt.
Es geht eben nicht immer um große theologische Fragen, um unerklärliche Wunder, auch nicht um die rechte Auslegung der heiligen Schriften. Es geht auch und zuerst um praktischen Dienst. Liebesdienst. Denn es gibt doch wahrlich genug Probleme des Alltags, – nicht nur damals –, die angepackt werden müssen! Menschen, die übersehen und benachteiligt werden, – nicht nur damals –, und die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Sie brauchen doch Brot und Menschenrecht! Und also muss das verletzende Unrecht beim Namen genannt und beseitigt werden. Und so passiert's; Die Gemeinde organisiert sich um. Sie setzt Menschen ein, die sich mit diesen praktischen Fragen beschäftigen. Sieben Kümmerer, die Ahnung haben. Diakonisch, ordentlich demokratisch gewählt und vor allem interkulturell – was will man mehr?
Das war der Anfang der Diakonie. Christenmenschen kümmern sich in organisierter Form um andere. Das wird zu einem Merkmal von Kirche überhaupt. Und wenn ich auf die Seemannsmissionen und Seemannskirchen blicke, dann liegt der Vergleich zum Greifen nahe. Ihr Impuls ist derselbe: Dafür sorgen, dass die versorgt werden, die bislang übersehen wurden. Und in unserer Gesellschaft, in dieser Freien und Hansestadt Hamburg, die so stolz ist auf ihren Hafen, da sind das die Seeleute, die oft übersehen werden. Und deshalb gehen Sie, liebe Geschwister von den Seemannsmissionen und -kirchen hin. Ganz gezielt. Bitten an Bord kommen zu dürfen – auch an Bord der Gedanken und Sorgen. Um anzudocken und hinzusehen und die Hand zu reichen.
Die Hilfe, die Sie leisten, ist wunderbar konkret. Klare Kante, warmes Herz. Und also very basic. Telefonkarten etwa bieten Sie an und einen Internetzugang. Informationen aus der Heimat, auch in Form von Zeitungen. Das ist eine Ihrer wichtigsten Aufgaben: direkte Kommunikation zu ermöglichen. Sehnen sich die Seeleute nach monatelangen Trennungen doch enorm nach vertrauten Stimmen aus ihrer Heimat. Es braucht das Gespräch, um das manchmal so elende Heimweh zu dämpfen. Mich hat es vor Jahren sehr beeindruckt, als Jan Oltmanns erzählt hat, wie ruhig es in den Telefonräumen im Duckdalben immer zugeht. Weil da eben nicht in erster Linie geredet, sondern begierig hingehört wird: Wie es den Kindern geht und den alten Eltern, ob das Haus noch heil ist und ob Krieg ist oder Frieden. Auch wie lieb man einander hat, braucht ein Wort. Ganz konzentriert wird auf die Stimme der Geliebten daheim gehört, jede Form von Zuneigung herausgelauscht.
Das offene Ohr – es verbindet uns alle. Sie als Mitarbeitende der Seemannsmissionen und Seemannskirchen, – so viele Ehrenamtliche sind dabei, wunderbar! – Sie sind da als Seelsorger, die hören. Auch auf die Gefühle. Und dann wird man zum Begleiter oder Begleiterin. Hin zum Arzt etwa, um zu dolmetschen und gemeinsam herauszubekommen, wo genau der Schmerz sitzt. Als Transportdienst sind Sie gefragt, wenn die Seeleute nach so langer Einsamkeit auf See mal wieder unter Leute kommen wollen. Oder hierher in die Kirche – Und anders herum sind Sie immer auch die Kirche, die zu den Menschen hingeht. Helfend, tröstend, mitfühlend. Und vor allem vielsprachig, auch religiös vielsprachig.
Ich danke Ihnen dafür von Herzen. Am liebsten in allen Sprachen der Welt. Danke für Ihre Kraft, Zeit, Achtsamkeit und Liebe. Danke. Thank you very much. Merci vielmals. Mange tak. Tak sä mycket. Suurkiitos. Molto grazie. Muchas gracias – Italienisch und Spanisch dürfen schon deshalb nicht fehlen, weil das so schön deutlich macht, worum es bei dem Dank geht: Um die Gratia, die Gnade. Jenes Geschenk, das Gott uns Menschen macht, jeden Tag neu. Jenes Geschenk, das uns dazu drängt, etwas von diesem eigenen, reichen Segen abzugeben. Und andere zu beschenken. So wie Sie es hier tun. Und wie es jene Sieben taten in Jerusalem, von denen unser Text erzählt: Se weern vull Gnaad und Kraft.
Das wünsche ich Euch, liebe Geschwister, auch für die Zukunft – dass Gott euch in Gnade geleitet und Kraft gibt für euren Dienst an anderen. Und dass auch Ihr bleibt, wie die Sieben einst waren: Voll Heiligen Geistes und Weisheit. Damit Friede werde in dieser tobenden Welt. Denn sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen