St. Marien Rostock

Ansprache im Ökumenischer Gedenk- und Fürbittgottesdienst von Landesbischof Dr. Andreas von Maltzahn, Schwerin

13. April 2011 von Andreas von Maltzahn

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Trauernde, liebe Gemeinde,

„Die Liebe hört niemals auf“, haben wir eben gehört. Die Liebe hört niemals  auf? Die furchtbaren Tatsachen sprechen eine ganz andere Sprache: Von einem  Moment auf den anderen sind Menschen aus dem Leben gerissen worden. Wie  aus heiterem Himmel  – aber plötzlich war er dunkel  – sind Ihnen,  liebe  Angehörige, nahe Menschen entrissen worden – ohne die Möglichkeit, Abschied  zu nehmen, einander noch einmal zu sagen, was einer dem anderen bedeutet.  Ohne Möglichkeit auch, das noch einmal anzusprechen, was vielleicht belastend  zwischen Ihnen stand. Welch unsäglicher Schmerz! Der Weg des Lebens  – abgebrochen, die verbunden waren – getrennt. Wie könnte man das verstehen?  Draußen wird es endlich Frühling, die Natur erwacht in bunten Farben zu neuem  Leben. Aber wenn Sie am Morgen erwachen, dann ist noch vor dem ersten  Licht, noch vor den ersten Vogelstimmen die ganze Last der Traurigkeit, des  Leidens da – und will nicht weichen. Das Lachen ist aus dem Leben vertrieben.  Der Himmel ist verschlossen.

Auch für viele von Ihnen, die Sie mit Hingabe geholfen haben, hat sich das  Leben verändert. Furchtbares haben Sie gesehen und erlebt. Schlimme Bilder  begleiten Sie, haben sich tief eingefurcht in Ihre Seele. Im Einsatz galt es,  möglichst professionell zu handeln, zu funktionieren. Allmählich tritt nun  zutage, welche Last Sie mit sich tragen. Mancher mag sich fragen, ob er so  erschütternden Erfahrungen auf Dauer gewachsen ist, die sein Beruf oder sein  Freiwilligendienst mit sich bringen. 

Fragen sind da, die uns bewegen, die uns nicht zur Ruhe kommen lassen:
Was hätte man noch tun können?
Warum bloß sind wir überhaupt losgefahren?
Waren wir zu schnell? Wie hätte man diesen furchtbaren Unfall verhindern können?
Warum solch ein grausames Ende?
Wo ist Gott in all dem Schrecklichen?
Ist nun einfach alles vorbei?
Wie soll es in Zukunft bloß werden?

Ohnmacht spüren wir, Zorn auch und abgrundtiefe Traurigkeit. Wir können  nicht fassen, was da geschehen ist. Die Fragen führen nicht zum Ziel  – auch  Naturkatastrophe also, oder auch unangepasste Geschwindigkeit, menschliches  Versagen? 

Auch Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Es ändert nichts daran  – unser  Leben ist unverfügbar. Gegen den Wahn, es wäre menschenmöglich, sich in  allem abzusichern, das Leben planen, die Zukunft beherrschen zu können,  müssen wir erkennen: 
Katastrophen geschehen nicht nur in Japan und anderswo. 
Sie ereignen sich auch hier bei uns. 
Unser Leben ist zerbrechlich, unser Leben ist gefährdet.
Kostbar und einzigartig ist es – und viel weniger selbstverständlich, als wir                                                                                                              meinen. 

„Der Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem  Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nicht mehr da; und ihre Stätte  kennet sie nicht mehr.“ (Ps 103, 15f)

So realistisch sieht das die Bibel – und setzt doch hinzu:

„Die Liebe hört niemals auf“. (1Kor 13,8)

Dass wir geliebt haben und noch lieben, dass wir Zuneigung und Liebe erfahren  haben – das ist nicht einfach ausgelöscht mit dem Tod eines nahen Menschen.  „Stark wie der Tod ist die Liebe“, heißt es im Hohenlied Salomos. Die Liebe,  die wir erlebt haben, ist wie ein Schatz in der Seele, der nicht verloren geht. Die  Liebe, die wir geschenkt und empfangen haben, hat uns schön gemacht. Und  liebenswert. Und diese Würde tragen wir in uns. Die Saat unserer Liebe wird  auch in Zukunft Früchte tragen  – in Erinnerungen, die wir bewahren und mit  anderen teilen können. Das, was uns manchmal am anderen gestört und im  Alltag quer gelegen hat – es wird weichen. Hervortreten und bleiben wird, was  wesentlich war. Was uns mit unseren Toten verbunden hat und nach wie vor  verbindet  – es kann auch lebendig bleiben in der Art und Weise, wie wir  miteinander leben, in der Familie und darüber hinaus. Nein, die Liebe hört nicht  auf.

„Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei“(1.Kor 13,13a), heißt es  in der Schrift.

Der Glaube daran, dass es richtig war zu helfen ohne Rücksicht auf die eigene  Person, auch diese Überzeugung bleibt trotz aller Erschütterungen. Es gehört zur  Größe, die uns Menschen möglich ist, dass wir um anderer willen unseren  Fluchtinstinkten widerstehen, dass wir die Gefahr nicht meiden, sondern tun,  was notwendig ist  – auch wenn wir darunter zu leiden haben. Haben Sie von  verhindert haben!

Auch die Hoffnung wollen wir nicht aufgeben, besonders für jene, die noch in  Lebensgefahr schweben, für alle, die verletzt sind und auf Genesung warten.  Wir hoffen auf Heilung für alle, deren Seele Schlimmes verarbeiten muss. Und  wir hoffen zu Gott: Nimm auf in Deinen Frieden, die uns entrissen sind! Wenn  das für unser Herz zu viel ist – Gott ist größer als unser Herz.   

„Nun also bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die  größte unter ihnen.“ (1.Kor 13,13)

Die Liebe. Auch wenn unser Glaube brüchig werden sollte und unsere Hoffnung  matt, die Liebe bleibt. Sie ist das Abbild, ist das Echo, ist das Lied der Liebe  Gottes in und unter uns. Von der steht geschrieben: 

„Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch  Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes  noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in  Christus Jesus ist, unserm Herrn. (Röm 8,38f)

Liebe Gemeinde, ich bin gewiss: 
Unsere Verstorbenen sind geborgen in der Liebe Gottes. 
Wo wir nur Abbruch und Ende sehen, nur Tod erkennen können, 
da ist bei Gott Gegenwart und Leben.   
Anders als bisher und doch wirklich.                                                                           Niemand fällt heraus aus Gottes Liebe. 
Sie ist stark wie der Tod. 
Sie  hört niemals auf.

Wir sehen jetzt wie in einem trüben Spiegel nur ein dunkles, undeutliches Bild.  Aber das wird nicht so bleiben. Wir werden verstehen, wir werden erkennen:  Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, auch nicht der Tod. 

AMEN

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