Bebauen und Bewahren!
11. November 2015
Andacht zu 1. Mose 2, 4 b – 9. 15, anlässlich der Begegnung Kirche und Landwirtschaft
Liebe Gemeinde,
vor vielen Jahren fuhr ich einmal als junger Vater mit meiner kleinen Tochter auf einem Schiff über das Mittelmeer. Wir wollten von Piräus in Griechenland nach Haifa in Israel. Unsere kleine Tochter versuchten wir gerade beizubringen, dass Abfall nicht einfach so herumzuwerfen war, sondern in einen Mülleiner gehörte und vernünftig entsorgt, gegebenenfalls recycelt werden sollte. Da lag eine leere Zigarettenschachtel auf dem Fußboden des Schiffes. Unsere Tochter hob sie auf, trug sie zum nächsten Mülleimer, der an der Reling des Schiffes hing, und war ganz stolz, dass sie offensichtlich das Richtige getan hatte. Da kommt nun jemand von der Schiffsbesatzung, der die Mülleimer leerte und ging von Mülleimer zu Mülleimer. Er nahm auch diesen Mülleimer an der Reling aus der Halterung, schüttete ungerührt den gesamten Inhalt ins Meer.
Das war nicht nur ein Misserfolg in der Erziehung unserer Tochter, sondern wurde mir auch zum Bild für unseren Umgang mit der Natur. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Und wir meinen, dadurch, dass wir etwas weggeworfen hätten, sei es auch wirklich fort und vergangen. Dabei haben wir schmerzlich lernen müssen, dass das, was wir in die Natur hineinwerfen, auf die eine oder andere Weise auch wieder zu uns zurückkommt. Die Nitrate, die wir durch die Düngung in den Boden einbringen, erreichen uns durch das Trinkwasser wieder. Der Atommüll, der die Erde Jahrmillionen noch belasten wird, wird für die zukünftigen Generationen eine Bürde sein. Der Verbrauch der natürlichen Ressourcen durch ungehemmte Nutzung, durch Bau von Straßen, Häusern und Industrieanlagen, geht viel schneller, als dass sich die Natur auch wieder generieren könnte.
Hier, in diesem Bibeltext, in dieser Urgeschichte, finden wir ein anderes Bild für den Umgang mit der Natur. Die ersten Kapitel der Bibel nennen wir deswegen Urgeschichte, weil wir etwas schildern, was aller Geschichte zu Grunde liegt. Sie erzählen nicht Ereignisse, die sich irgendwann einmal ereignet haben, sondern Ereignisse, die ein dauerndes Handeln Gottes darstellen, das unserem heutigen Erleben zu Grunde liegt. Urgeschichte ist ein jeden Menschen betreffendes Geschehen zwischen Gott und Mensch, das sich immer wieder ereignet. Die ersten Kapitel der Bibel (1. Mose 1 – 11) legen die Grundlage dafür, wie der Mensch – jeder Mensch – zu verstehen ist, was unser Leben ausmacht und was das christliche Menschenbild auszeichnet. Die Bibel redet in Bildern. So ist der Garten Eden für sie nichts anderes als ein Modell der Welt, so, wie sie Gott sich gedacht hat, bevor der Mensch diese Welt durch seine Sünde zerstört hat. Und genau diese Welt gilt es „zu bebauen und zu bewahren“ (Lutherübersetzung), bzw. „zu pflegen und zu schützen“ (Gute Nachrichtbibel).
Der Mensch als Erdenwesen
Wir haben es hier, mit diesem Ausschnitt aus der biblischen Schöpfungsgeschichte, mit einer Überlieferung zu tun, die nach der Meinung der meisten Exegeten zum Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends zurückreicht. Und zunächst geht es um den Adamah und den Adam, die Erde und den Erdling. In der hebräischen Sprache sind die Worte für Erde (Adama) und Mensch (Adam) ganz nah beieinander. Adam, das ist nicht irgendein bestimmter Mensch, sondern Adam, das ist der Mensch schlechthin. „Adam ist der Mensch, Adam bin ich.“[1] Schon das Wortspiel zwischen diesen beiden Wörtern für die Erde und für den Menschen zeigt uns die enge Beziehung zwischen Mensch und Erde. Wir Menschen sind von der Erde genommen und werden - wie wir es bei jeder Trauerfeier aussprechen – wieder zur Erde zurückkehren. Hierin schlägt sich die uralte Erfahrung nieder, dass der Mensch aus dem gleichen Material wie die ganze Schöpfung gemacht ist. Es drückt eben auch aus, dass die Absonderung und Distanzierung des Menschen von der übrigen Schöpfung ein Missverständnis ist. Sogar die Rede von der „Umwelt“ bringt uns auf eine falsche Spur. Da ist nicht der Mensch und auf der anderen Seite das, was ihn umgibt, sondern der Mensch ist ein Teil der Schöpfung. Zu Recht reden wir deswegen heute lieber von „Mitwelt“. Schon vor vielen Jahren hat deswegen der Theologe und Urwalddoktor Albert Schweitzer die in der Bibel angelegte Verflochtenheit allen Lebens miteinander so zum Ausdruck gebracht: „Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will.“
Gott hat Leben in diese Welt gebracht. So schildert auch das Bibelwort aus dem 1. Mosebuch die Erde als zunächst leblose Materie. Gott muss erst einmal zwei Voraussetzungen schaffen, damit er das Leben in die Welt bringen kann. Beide Voraussetzungen sind fein beobachtet und werden bis heute ein typisches Licht auf das rechte Verständnis der Schöpfung. Die eine Voraussetzung ist das Wasser. Ohne Wasser, das wussten auch schon die Alten, gibt es kein Leben. Die andere Voraussetzung lautet: Es braucht einen, der das Land bebaut. Erst durch die Kultivierung wird das Land wirklich fruchtbar. Der Mensch ist nicht nur aus Erde geschaffen, sondern diese Erde ist auch auf den Menschen hin gedacht.
Die wechselseitige Beziehung zwischen Mensch und Erde ist in diesem Bericht von der Menschenschöpfung das Eine. Gott nimmt das Material von der Erde. Aber dazu kommt ein Zweites. Gott haucht dem aus der Erde geformten Menschen seinen Lebensatem ein.
Insgesamt sind es also drei Aspekte, die den Menschen zum Menschen machen. Zum einen ist der Mensch aus dem gleichen Stoff geschaffen, wie die gesamte Schöpfung. Wir Menschen sind verwandt mit Pflanzen und Tieren. Zum anderen wird eindeutig herausgehoben, dass Gott diese unbelebte Materie lebendig macht. Das Leben kommt von Gott. „Da machte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch eine lebendige Seele.“ (V. 7). Die biblische Redeweise sagt nicht, dass der Mensch eine Seele hat, sondern eine Seele ist. Der Mensch, dem von Gott das Leben geschenkt worden ist, ist eine Seele. All dies zeigt ein Drittes. Der Mensch wird immer im Gegenüber zu Gott verstanden. In allem, was wir tun und sind, sind wir auf Gott bezogen. Der Mensch wird von Gott angesprochen und muss sich vor Gott verantworten. Gott gibt dem Menschen einen, bzw. mehrere Aufträge.
Wir alle haben von Gott Aufträge bekommen, die wir in unserem Leben erledigen sollen. Über die Ausführung dieser Aufträge werden wir Gott eines Tages Rechenschaft zu geben haben. In der Schöpfungsgeschichte wird ein Auftrag eindeutig genannt. „Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebautet und bewahrte“ (V. 15).
In unserem gesamten Umgang mit unserer Welt sollen sich diese beiden Aspekte wiederspiegeln, das Bebauen und das Bewahren.
Gott will, dass wir seinen Garten pflegen
Viele, die diesen Bibeltext lesen, werden an dieser Stelle etwas wehmütig. Sie verstehen: Arbeit gehört von Anfang an zum Menschsein hinzu. Arbeit ist nicht erst eine Folge der Sünde. Jeder Mensch braucht Arbeit. Er braucht das Gefühl, gebraucht zu werden. Zum Menschsein gehört die Erfahrung, ich kann etwas gestalten. Ich bin für etwas gut.
In der Bibel, und auch nicht in dieser Paradiesgeschichte, finden wir keine Naturromantik. Nicht die wilde und unbearbeitete Natur ist das Beste, frei nach dem Motto: „Einfach wachsen lassen!“ Nein, der biblische Schöpfungsbericht gibt den Menschen den Auftrag, die Erde zu bebauen. Wir Menschen haben für diese Erde einen Gestaltungsauftrag. Wir sollen etwas aus dieser Welt machen. Wir dürfen und sollen den Garten so bearbeiten, dass er Frucht bringt. Eine wichtige Aufgabe des Gartens ist, dass durch seine Früchte die Menschen satt gemacht werden sollen. Denn die Erde macht es möglich, dass alle Menschen genug zu essen haben. Die Erde ist die Grundlage für Leben. Es zeigt uns auch klar, dass wir den Garten noch nicht richtig bebaut haben, denn allzu viele Menschen haben nicht genug zu essen, ja müssen sogar sterben. Es kann uns nicht zur Ruhe kommen lassen, dass auf diesem Erdball an jedem Tag 8.000 Kinder wegen Hungers sterben.
Schöpfung bewahren
Seit einigen Jahrzehnten haben wir ein neues Thema. Gottes Schöpfung ist nicht etwas, was immer unverändert bleibt und selbstverständlich immer da ist. Wir haben gelernt: Gottes Schöpfung ist bedroht, sie kann auch untergehen. Schon die biblische Geschichte von der Sintflut zeigt uns auf eine sehr elementare Weise, wie aus der Schöpfung heraus durch die Sünde des Menschen eine Bedrohung des Lebens hervorgehen kann. Sie zeigt uns aber auch, dass Gott rettet und neue Wege aufzeigt.
Ganz neu in der Weltgeschichte ist, dass die Schöpfung heute von uns Menschen bedroht ist. Das rechte Verhältnis vom Bebauen und Bewahren ist aus dem Lot geraten. Der Versuch, die Erträge auf einem begrenzten Land stetig zu steigern, hat zu einer schlimmen Auspowerung der Böden geführt. Unser Umgang mit der Natur hat zur Vernichtung von Tausenden von Pflanzen und Tierarten geführt. Die größte Gefahr für unsere Erde und alle ihre Bewohner geht heute vom Klimawandel aus. Unser Auftrag heißt: Die Verantwortung für die Schöpfung wahrzunehmen und unsere Erde „zu behüten“ oder „zu bewahren“.
Die Bibel gibt uns eine wichtige Orientierung mit auf den Weg, auch für die Landwirtschaft. Wir sollen diese Erde bebauen und bewahren. Jeder Landwirt treibt notwendige Kulturarbeit. Das Land muss bebaut werden. Dafür ist es da. Gott hat es so geschaffen, dass es seinen Sinn erst dann erfüllt, wenn es durch die gestaltende Arbeit des Menschen für die Menschheit die notwendigen Nahrungsmittel hervorbringt. Hier wird man nicht grundsätzlich zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft unterscheiden können. Für beide gilt das Gebot: Die Art und Weise der Bebauung darf nicht zu einer Zerstörung des Bodens und der Erde führen. „Bebauen und Bewahren!“ Aber es müssen auch genügend Lebensmittel aus der Erde hervorgebracht werden. Diesen Grad zwischen Befriedigung des Bedürfnisses der Menschheit und der Bewahrung der Lebensgrundlagen müssen wir immer wieder aufs Neue finden und den notwendigen Weg ausloten.
Das alles ist nicht einfach. Aber Gott schenkt uns Orientierung. Darauf weist in den vorgelesenen Worten der Vers hin, wo von zwei Bäumen die Rede ist, die auch in diesem Garten stehen, nämlich der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis. Gott hält beides für uns als seine Verheißung bereit. Gott schenkt uns das Leben und die Erkenntnis, die wir brauchen. In Jesus Christus hat er es eindeutig gemacht, dass er immer auf der Seite des Lebens steht. Die durch Jesus Christus erneuerte Erkenntnis kann uns helfen, heute diesen Weg des Lebens zu gehen. Es ist unser Auftrag, pfleglich mit Gottes guter Schöpfung, - und das ist zuerst der Boden, die Erde auf der und von der wir leben - umzugehen und sie den Generationen nach uns in einem lebenswerten Zustand zu überlassen. Amen.