Bischof Tilman Jeremias bei Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus in Schwerin
27. Januar 2025
Schwerin. „Wir sind heute hier zusammen, um voreinander und vor Gott zu bezeugen, dass wir uns erinnern, dass wir nicht vergessen wollen. Wir muten uns heute zu, erneut tief zu erschrecken, was Menschen einander anzutun fähig sind“. Mit diesen Worten eröffnete Bischof Tilman Jeremias am heutigen Vormittag (27. Januar) in der Kapelle der Helios-Klinik in Schwerin die landesweite Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.
Rund 200 Gäste waren der Einladung des Landesverbands für Sozialpsychiatrie MV gefolgt. Neben dem Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) sprachen MV-Sozialministerin Stefanie Drese und der Schweriner Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier. Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration, legte einen Kranz nieder.
„Wir trauern über Menschen, die als „lebensunwert“ aussortiert wurden“
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die Menschen, die von den Nationalsozialisten als sogenanntes „unwertes Leben“ umgebracht oder dauerhaft geschädigt wurden: Psychisch Kranke und seelisch oder körperlich Behinderte. „Wir trauern über zahllose Menschen, die als lebensunwert aussortiert wurden, erniedrigend und menschenunwürdig behandelt wurden, die sterilisiert wurden, hungern mussten und ermordet worden“, sagte der Bischof. Auch in Schwerin: Die „Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg-Lewenberg“ auf dem Gelände der heutigen Helios-Klinik war „Teil dieser brutalen, unmenschlichen Maschinerie“, erinnerte der Bischof. Allein etwa 430 Kinder und Jugendliche starben dort an Mangelernährung oder einer hohen Gabe von Morphium oder Barbituraten, fast 300 psychisch kranke Erwachsene wurden von Schwerin aus in die Tötungsanstalt Bernburg transportiert und dort vergast.
„Auch kirchliche und diakonische Träger waren Handlanger der Selektion“
Reichsweit wurden 1940 und 41 unter dem verschleiernden Begriff „Euthanasie“ (guter Tod) rund 70 000 Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten in zentrale Tötungsanstalten transportiert und dort vergast. Jeremias sagte: „Die menschenverachtende rassistische Nazi-Ideologie sah diese Menschen als Bedrohung an und sprach ihnen ihr Lebensrecht ab. Ärzte und Pflegerinnen, aber auch kirchliche und diakonische Träger machten sich zu Handlangern dieser Selektion der Schwächsten, ein unvorstellbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Der Theologe erinnerte an den Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen. 1941 protestierte dieser in einer Predigt öffentlich gegen die Ermordung kranker und behinderter Menschen. Jeremias zitierte: „Da ein derartiges Vorgehen nicht nur den göttlichen und natürlichen Sittengesetzen widerstreitet, sondern auch als Mord nach §211 des Reichsstrafgesetzbuches mit dem Tode zu bestrafen ist, erstatte ich Anzeige und bitte, die bedrohten Volksgenossen unverzüglich durch Vorgehen gegen die den Abtransport und die Ermordung beabsichtigenden Stellen zu schützen.“ Durch diese Predigt wurde der Massenmord, den die Nazis verheimlichen wollten, öffentlich und die zentralisierte Mordaktion wurde gestoppt.
„Recht auf Leben nicht verhandelbar – nicht vor der Geburt, nicht am Ende des Lebens“
Bischof Jeremias sagte: „In den Fußstapfen dieses mutigen Bischofs sind wir heute auch zusammen, um wachzurütteln. Die Menschenwürde jedes einzelnen Menschen als Geschöpf Gottes gilt unabhängig von Leistungsfähigkeit und Gesundheitszustand. Wir stehen für diese Würde jedes Menschen ein. Das Recht auf Leben ist nicht verhandelbar, nicht vor der Geburt, unter keinen Lebensumständen, nicht gegen Ende des Lebens.“
An der Veranstaltung beteiligt waren die Helios Kliniken Schwerin, der Verein „Das Boot“ Wismar, der Landesverband Sozialpsychiatrie MV, der Verein EX-INMV, das Kinderzentrum Mecklenburg, die Landeshauptstadt Schwerin, die Diakonie Westmecklenburg-Schwerin, Vielfalter Schwerin sowie die Landeszentrale für politische Bildung.