13. Juni 2015 | Heilandskirche zu Hamburg-Winterhude

Das hohe Gut der Religionsfreiheit

13. Juni 2015 von Kirsten Fehrs

Ökumenischer Gedenkgottesdienst zur Erinnerung an Jan Hus mit einer Predigt zu Mt 10,16-22

Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.
Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch den Gerichten überant-worten und werden euch geißeln in ihren Synagogen.
Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen, ihnen und den Heiden zum Zeugnis.
Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt.
Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.
Es wird aber ein Bruder den andern dem Tod preisgeben und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören gegen ihre Eltern und werden sie töten helfen.
Und ihr werdet gehasst werden von jedermann um meines Namens willen. Wer aber bis an das Ende beharrt, der wird selig werden.

Liebe Gemeinde,

ein Gedenkgottesdienst für Jan Hus – das könnte mich als evangelische Bischöfin natürlich schwer in Versuchung führen… Gerade in einer Zeit, in der wir auf das große Reformationsjubiläum 2017 zugehen. Ich könnte über Jan Hus als Vorläufer der Reformation sprechen. Und selbstverständlich dürfte auch sein berühmtes Zitat nicht fehlen, das auf Martin Luther hin gedeutet wurde: "Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan auferstehen." Und dann ließe sich das Ganze mit der einen oder anderen Spitze gegen die römische Papstkirche verbinden. Und am Ende einer solchen Predigt könnten wir Evangelischen uns auf die Schultern klopfen und hätten uns wieder einmal gegenseitig versichert, wie tolerant unser Glaube doch im Vergleich zu allen anderen christlichen Konfessionen ist.

Dieser Versuchung möchte ich entschieden widerstehen. Nicht allein, weil solch eine ungehaltene Predigt auch ungehaltene ökumenische Geschwister zur Folge hätte… Da möchte ich angesichts unserer Freundschaft, lieber Weihbischof und lieber Stefan Richter, sowie angesichts der gerade in Hamburg so gut funktionierenden ACK, lieber Herr Mohr, wirklich nichts riskieren! Das sei also ferne – zumal das Evangelium, auf das wir gemeinsam zu schauen haben, uns auf eine andere Spur führt, die weit über konfessionelle Abgrenzungen und Polemiken hinausgeht.

Jesus selbst kündigt seinen Jüngerinnen und Jüngern die kommenden Verfolgungen an. Nicht zuletzt nimmt er hier seinen eigenen Tod vorweg: "Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen." - "Ihr werdet gehasst werden von jedermann um meines Namens willen." Das sind krasse Worte. Und sie machen uns wieder einmal mehr bewusst, welch unglaublich hoher Wert es ist, dass hier und heute, in unserem Land Religionsfreiheit herrscht und jeder das glauben kann, was er oder sie möchte.

Dies ist gar nicht hoch genug zu schätzen, auch angesichts der Not und der Hilferufe, die aus anderen Weltgegenden zu uns herüberdringen. Auf dem Kirchentag jetzt in Stuttgart ist noch einmal in der ganzen grausamen Bandbreite deutlich geworden, wo überall Menschen ihres Glaubens willen verfolgt werden: in Syrien, im Irak, überhaupt im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in China, in Nordkorea sowieso. Und viele, die hier zu uns fliehen, bringen diese Erfahrung mit, dass sie vor Statthaltern und Warlords geführt wurden, dass sie gequält und gedemütigt wurden, weil sie einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Kultur oder einem bestimmten Volk angehören.

"Es wird aber ein Bruder den andern dem Tod preisgeben und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören gegen ihre Eltern und werden sie töten helfen." Auch das ist so aktuell. Wir erleben ja gegenwärtig, wie die Kinder in diesen Ländern den Krieg lernen. Und den Frieden verlernen. Wie durch tägliche Anschauung gnadenloser Gewalt der Hass geschürt wird. So dass etwa in einem multikonfessionellen Staat wie Syrien, wo jahrhundertelang Sunniten und Christen und Yeziden und andere Kleinstkonfessionen nebeneinander und miteinander wohnten, Nachbarschaften und Familien zerreißen. Buchstäblich.

Gewalt gebiert Hass gebiert Gewalt – das Karussell scheint sich immer schneller zu drehen und man wird irre daran. Und zugleich weiß man genau: Von Ferne dorthin zu schauen und mit dem Finger auf eine Religion zu zeigen, dass sie daran schuld sei (wie auf den Islam zum Beispiel), das wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Und macht es den Fundamentalisten noch einfacher. Außerdem weisen immer Finger auf einen selbst zurück. Denn haben sich nicht auch die protestantischen und katholischen Nordiren oder die orthodoxen Serben und katholischen Kroaten Grauenhaftes angetan?!

Und so ist's bei diesem Gedenken an Jan Hus eben auch ein kritisches Nachdenken über uns. Die Lutheraner. Die doch immer in der Versuchung stehen, Jan Hus für sich zu vereinnahmen. Ja, gewiss, er hat bestimmte Entwicklungen vorweggenommen: Predigten in der Volkssprache. Die Gaben des Heiligen Geistes für jeden Getauften gratis! Nicht zuletzt das Widerstandsrecht eines jeden Christenmenschen gegen unrechtmäßig handelnde Vertreter der Kirche. Alles Dinge, welche die Reformatoren des 16. Jahrhunderts - Luther, Zwingli, Calvin und die anderen -, dann auch aufgenommen und weitergeführt haben.

Aber man kann ja nun wahrlich nicht behaupten, dass es nach der Reformation in den evangelisch gewordenen Städten und Fürstentümern uneingeschränkte Glaubensfreiheit gab. Die „Altgläubigen“ etwa mussten in der Regel übertreten oder die Stadt verlassen. Ganz zu schweigen von den Täufern, den Mennoniten, später den Baptisten: Sie wurden von der lutherischen oder reformierten Obrigkeit genauso vor Könige und Statthalter gezerrt, verurteilt und nicht selten hingerichtet. Und in Hamburg waren erst im 18. Jahrhundert nichtlutherische Gottesdienste erlaubt. Erst 1811 durfte mit dem Kleinen Michel wieder eine katholische Kirche öffnen.

Und wenn ich vor diesem Hintergrund heute auf unsere Stadt blicke mit ihrem bunten Bild verschiedenster Konfessionen und Religionen, geprägt vom Dialog oder zumindest dem Versuch dazu, dann atme ich auf. Ich bin so dankbar, und in diese Dankbarkeit hinein frage ich mich zugleich: Welche Zerrbilder mögen damals Christen von anderen Christen gezeichnet haben, dass es überhaupt möglich war, sie zu verfolgen?! Und wie können wir uns der heutigen erwehren, wie sie die Pegidas und Legidas zeichnen – Bilder auch, die die Menschen so dumm machen?!

Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben – ohne Falsch wie Jan Hus. Geradlinig hat er die Begegnung mit seinen Widersachern gesucht. Mit seinen neuen Ideen, Gedanken, Hoffnungen. Und ist gescheitert. Auf dem Scheiterhaufen. Aber er ist auf eine mich immer noch berührende Weise standhaft geblieben. Standhaft, weil es, wie es im Evangelium beschrieben, eine so tröstliche und segnende Kraft gibt, die stärkt, bis heute: "Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt… Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet."

Und dieser Geist heißt: Wahrheit. Klarheit. Liebe. Er hat versöhnende Kraft. Deshalb die Begegnung. Und die unbeirrbare Suche nach Freundschaft.

Dazu eine wunderbare Geschichte zum Schluss: Freunde von mir haben vor einigen Jahren in Simbabwe gearbeitet. Ihr kleiner Sohn, gerade 4 Jahre alt, hatte es anfangs schwer, sich einzugewöhnen: Im Kindergarten schaute er verblüfft auf die vielen weißen wie schwarzen Kinder, die immer etwas sagten, was er nicht verstand. Und umgekehrt schauten die anderen ihn erstaunt bis feindselig an, wenn er sich verständlich zu machen versuchte. Nichts wünschte er sich sehnsüchtiger als einen Freund. Eines Mittags kommt er aufgeregt nach Hause und erzählt, dass er nun endlich einen Freund gefunden habe. Ob er nett sei und was die Eltern machten, erkundigten sich unsere Freunde einfühlsam. So nach und nach – schließlich war man progressiv und frei von Vorurteilen – fragten sie dann auch, ob sein Freund denn weiß sei oder schwarz? "Woher soll ich denn das wissen?", fragt ihr Sohn empört zurück. "Er ist doch mein Freund!"

Das ist der Geist, der uns heute an diesem Gedenken erfüllen soll – alle wie wir hier sind in unserer Unterschiedlichkeit. Und dieser Geist heißt Wahrheit. Durch Versöhnung, Freundschaft, und also Begegnung. Begegnung ist das Geheimnis des Friedens. Weil sie verhindert, dass wir in unseren Urteilen und Vorurteilen verharren. Sie eröffnet Horizonte durch die Neuigkeit des anderen.

Ich freue mich auf viele Begegnungen heute mit Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, vereint im Geist unseres Vaters im Himmel. Damit wir auf Erden noch brennender lieben, geduldiger hoffen und inständiger beten, dass Friede werde. Friede, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

Zum Anfang der Seite