Das Leben ist zum Wundern schön
04. Oktober 2015
Predigt zu Lk 12, 15-21
Liebe Landeserntedankfest-Gemeinde hier in der Kirche und nebenan im Festzelt!
Erntezeit – reiche Zeit. Reich an Früchten und reich an Festen. Und was für ein Fest hier in Siek! So viele haben mitgedacht und mitgetan, dass dieses Fest ein besonders schönes wird; ich danke Ihnen allen dafür von ganzem Herzen! Der Dank steht heute voran. Danke sage ich all den Vereinen und Aktiven, der Landjugend noch einmal für diese beeindruckende Erntekrone, den Landfrauen, den Feuerwehren und Sportvereinen, danke der Musik und stellvertretend für alle: Danke, lieber Herr Kunkel, liebe Frau Rieckermann und lieber Pastor Schack für Ihr Engagement bis in die Nachtarbeit hinein. Danke schließlich dem gesamten Erntekreis, der hier den Altar mit den Früchten des Feldes geschmückt hat. So vielfältig schön!
Es ist diese geerdete, ja sinnliche Feierlichkeit, die ich so mag. Schon als Kind. Unabhängig davon, ob die Ernte gut ausgefallen ist oder schlecht, hieß es immer und heißt es doch bis heute mit einer gewissen Ehrfurcht: „Wi seggt di Dank, leeve Vadder.“ Denn wer wirklich mit der Erde in Berührung ist, weiß ja, wie wenig wir wirklich in der Hand haben. Dass wir zutiefst angewiesen sind auf ihn, der‘s wachsen lässt. Und – so haben wir eben gesungen - der unser Leben „in Segen wickelt, gar zart und künstlich fein“. Wunderschön bringt das Erntelied zum Klingen, wie kostbar jedes Leben ist! Ja, letztlich ein Wunder. Denn wer weiß schon wirklich genau, wie Leben entsteht und wächst und wird? Erntedank feiert dies rauf und runter: Das Leben ist zum Wundern schön.
Deshalb Oh! Oh heißt das Buch voller Geschichten zum Wundern; eine davon möchte ich Ihnen erzählen:
Ein kleiner Junge will Gott treffen. Also packt er etwas zu Essen in seinen Rucksack und geht in den Park. Dort sieht er eine alte Frau und setzt sich neben sie auf die Bank. Als er seinen Rucksack öffnet, sieht er ihren hungrigen Blick und gibt ihr etwas ab. Dankbar lächelt sie ihn an - es ist ein wundervolles Lächeln. Um dieses Lächeln noch einmal zu sehen, bietet er ihr wieder etwas an. Sie nimmt‘s und lächelt strahlender als zuvor. So sitzen die beiden den ganzen Nachmittag.
Als der Junge nach Hause kommt, fragt ihn seine Mutter: „Was hast du denn Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?“ Der Junge antwortet: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen, und sie hat ein wundervolles Lächeln.“
Auch die alte Frau wird von ihrem Sohn gefragt, warum sie so fröhlich aussehe. Sie antwortet: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen, und er ist viel jünger, als ich dachte.“
Schön, oder? Diese schnelle Freundschaft, das leise Einverständnis, der Humor- mit Gott zu Mittag essen ist wahrlich eine Freude. Es kann auf der Parkbank stattfinden, beim Abendmahl oder beim Jazzfrühschoppen, es ist so unspektakulär wie liebevoll, es macht fröhlich, innerlich satt – und (meistens) nicht dick. Mit Gott zu Mittag essen, das heißt, nicht allein zu sein, sondern Brot zu teilen, Herzlichkeit und gutes Wort. Der Tisch des Herrn ist mit all dem reich gedeckt. Und wir, die wir so unterschiedlich sind wie der Junge und die alte Dame, sind alle eingeladen, jeden Tag aufs Neue.
Wie freudlos dagegen die Geschichte, die wir im Evangelium gehört haben. Obwohl der reiche Bauer zunächst sagenhaftes Glück hat. Seine Felder tragen gut! Und was macht er also? Klar - investieren. Er reißt seine alten Scheunen ab und baut größere. Ein zupackender Unternehmer, ein Macher. Ein Richtig-Macher, sollte man meinen. Denn, wie er selbst sagt: „Du hast einen großen Vorrat für viele Jahre, hab nun Ruhe.“ Hier irrt er; wir wissen die Geschichte geht nicht gut aus. – Doch mal ehrlich, was ist an seinem Verhalten eigentlich so verwerflich? So wie er machen wir es doch auch. Wir sichern unsere Pfründe, sichern uns ab. Gerade heutzutage, wo das Vertrauen in die staatlichen Sicherungssysteme geschwunden ist. Sind wir deshalb etwa habgierig?
Weil ich das wirklich nicht glauben kann, lese ich das Gleichnis noch einmal genau, hören Sie selbst: „Und der Kornbauer dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ichmeine Früchte sammle. Und sprach: das will ich tun. Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast großen Vorrat für viele Jahre, iss, trink und habe guten Mut.“
Neun mal „ich“ und „mein“ in drei Versen! Nicht sein Reichtum, liebe Gemeinde, auch nicht das Vorsorgen, die totale Selbstbezogenheit ist es, die den Kornbauern in den Augen Gottes zu einem habsüchtigen Menschen macht. Da scheinen um ihn keine Nachbarn zu leben, keine Frau, keine Kinder, kein Geschöpf, dem er verbunden ist. Es gibt nur ihn und seine Scheunen. Und so kann er nichts von seinem Besitz abgeben, er kann nicht teilen, weil er gar nicht sieht, mit wem. Sogar seine Worte teilt er in Selbstgesprächen nur sich selbst mit. Armer Kornbauer, der nicht von sich selbst absehen und das Glück empfinden kann, das er erlebt. Denn er fühlt sich nicht, buchstäblich. Und so glaubt er, sich kaufen zu können, was ihm nur geliehen wurde: sein Leben. Allerdings hat er da die Rechnung ohne den eigentlichen Wirt gemacht. „Narr“, schilt Gott ihn. In plattdüütsch klingt es etwas freundlicher:„Döösbaddel“. Und nimmt von ihm das geliehene Leben.
Döösbaddel – heut auf die Geschichte geschaut, könnten auch wir gemeint sein… Weniger was die Kornbauern angeht, als vielmehr wir alle als Verbraucher. Narren, wenn wir glauben würden, dass 55 Cent pro Liter Milch beim Discounter wirklich ein guter Preis sind. Weil – das wissen wir – solch niedrige Preise letztlich die Umwelt zerstören, die Tiere quälen und die Bauern in den Ruin treiben. Und wie kurzsichtig ist eine Politik, die riesige Agrarfabriken fördert und die kleinen Bauernhöfe vor die Hunde gehen lässt. Die es zulässt, dass Fondsgesellschaften auch hier in unserem Land ganze Landstriche aufkaufen, während junge Landwirte, die einen Acker kaufen wollen, leer ausgehen. Narren, sagt Gott, die ihr glaubt, ihr könnt ausnahmslos alles in Geld und Kapital verwandeln – als würde sich das wirklich lohnen! Hier nun ist der Preis zu hoch! Global nämlich. Wir erleben doch hautnah mit dieser enormen Flüchtlingswelle, wie eklatant lebensbedrohlich es ist, wenn 1% der Weltbevölkerung mehr besitzt als 99% zusammengenommen!
Der Preis dieses Systems vom „Immer-Mehr“ ist viel zu hoch. Auch persönlich. Und ich denke an einen Freund, der nun alles andere war als ichbezogen und habgierig. Der sich im Gegenteil zeit seines Lebens krumm gelegt hat, um für seine Familie zu sorgen, mit Haus und Garten und Aktienanlagen und was nicht alles, nur damit sie es gut haben. Und dann, als er endlich leben wollte, endlich leben, starb er, zwei Tage vor seinem 65. Geburtstag.
Unser Leben ist so kostbar, liebe Gemeinde. Viel zu kostbar, um es nicht zu leben. Jetzt. Es wird uns so unglaublich viel geschenkt. Jetzt. Dies einmal zuzulassen, wie reich wir sind, reich bei Gott, – das eröffnet eine neue Dimension. Keine, die man herbeipredigen kann. Sondern eine, die sich innerlich ereignet, in der oft so von der Sorge aufgescheuchten Seele, wenn sie hier zur Ruhe kommt. Mit dem Himmel über uns, der Musik in uns, dem Menschen neben uns.
Dieses „reich sein bei Gott“, das ist die Spitze des Textes. Evangelium pur. Du kannst vertrauen, dass dein Leben gesegnet ist, sagt es. Dass dein Leben so in Liebe gelebt sein will und irgendwann zu Ende gehen wird, wie es aus lauter Liebe in diese Welt hineingeboren wurde. Dieses Gottvertrauen macht reicher als alle Scheunen der Welt. Es ist ein Reichtum an innerer Kraft, an Klar-Sicht, an Großzügigkeit.
Und also kann man gar nicht anders, als sich der Welt zuzuwenden und sich ihr zu öffnen - weil sie so elend ist und arm und aus dem Gleichgewicht. Sich den vielen Gesichtern der Armut zu öffnen, hier und in der Welt der ungerechten Verteilung, dazu sind wir in jeder Hinsicht vermögend, liebe Geschwister. Mit einer Stimme, die sich für die Schwächeren erhebt und Händen, um sie den vielen Flüchtlingen zu reichen. Die letzten Monate haben es gezeigt. Unglaublich, was sich an Hilfsbereitschaft in unseren Gemeinden und Dörfern ereignet hat, ja wie wir alle uns durch die und mit den Flüchtlingen verändert haben! Ich behaupte: wir sind reicher geworden, bei Gott. Wacher. Herzlicher. Gut so.
Denn der Tisch des Herrn steht nicht im Jenseits, sondern genau in dieser Welt! Mit ihrem Mangel und ihren Zerrissenheiten. Und wir, mittendrin, schauen auf diese Fülle der Erntegaben und werden uns bewusst, demütig doch auch, wie wenig selbstverständlich das ist. Werden uns klar, dass jeder Sonnenstrahl, dass Jazz am Morgen und Geistesgegenwart am Lebensabend, dass dein Kind auf dem Schoß und die Hand auf der Schulter, dass all dies ein Gnadengeschenk ist, das uns hilft zu leben
Und dann macht sich‘s doch oft Luft mit: Gott sei Dank! Ganz vom Herzen her. Ungezwungen. Danken ereignet sich. Im Schweigen und der Nachdenklichkeit, im Lachen, im Gebet, im ganz Praktischen, beim Deutsch lernen, beim Gärtnern, im Begehren, in der Liebe. Überall dort, wo ich mich hinein-, ja hin-gebe. Und auf einmal, während man so beschäftigt damit ist, sich zu bedanken, nimmt Gott selbst neben dir Platz. Als ältere Dame, gewitzter Junge, als abgerissener Bettler. Und als Flüchtlingskind auch. Und dann sagt er: „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“. Heißt ja: Du lebst, je mehr du gibst. Das ist unsere christliche Botschaft auf dem Marktplatz auf der Welt: Wir werden reicher je mehr wir teilen. In der Fürsorge für Geschwister, seien sie nah und fern. Für die, die nicht nur auf der Parkbank sitzen, sondern auf ihr schlafen müssen, für sie, die auf dieser Erde kein Ackerland haben und keine Früchte, für die Hoffenden und Flüchtenden und all die Traurigen auch:
Wir haben ihnen so viel zu geben, spricht Gott.
Werden – wundern wir uns nicht! – selbst zum Segen.
Nichts weniger.
Vielmehr
erhellt ein wundervolles Lächeln unser Land
und macht uns reich. Dankbar, dass Gott viel jünger ist, als wir dachten.
Denn sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt jeden Augenblick
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.