10. Mai 2015 | Rostock

Das tun, was dem Leben dient

11. Mai 2015 von Andreas von Maltzahn

Rogate, Stadtgottesdienst anlässlich „111 Jahre Stadtmission Rostock“, Predigt zu Jeremia 29,7

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder,

„Suchet der Stadt Bestes und betet für sie" – so lautet das Motto der Stadtmission. Nicht zu verwechseln mit: „Schöner unser Städte und Dörfer". Manche unter uns hatten ja das zweifelhafte Vergnügen, unter dieser Losung zu DDR-Zeiten an Subottniks mitzuwirken.  „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie" – diese Handlungsanleitung stammt aus einem Brief des Propheten Jeremia, den er in die Fremde schickte: Menschen, die aus ihrer Heimat weggeführt und umgesiedelt worden waren, wurden durch Jeremia ermuntert, nicht in Schockstarre zu verharren, sondern – auch in der Fremde – zu leben, Häuser zu bauen, Familien zu gründen. „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl." (Jer 29,7)

Wie fremd, wie zu Hause fühlen wir uns in der Stadt, in der wir leben? Wie fremd, wie zu Hause fühlen wir uns in dieser Welt? Gelegentlich begegne ich Menschen, die es nicht verantwortlich halten, Kinder in diese zerrissene Welt zu setzen. Und es fragt sich ja tatsächlich: Wie sehr sollen wir uns einlassen, gar unser Herz verlieren an diese Welt, an den Ort, in dem wir leben? Inwieweit gehört unser Herz woandershin?

Für Jeremia ist ganz klar: Verantwortung wahrnehmen, tun, was dem Leben dient, Leben stiften – auch unter unwirtlichen Bedingungen – das ist in Gottes Sinn! Das Beste der Stadt suchen, beten und auch – Gott suchen! Darauf kommt es an. Was kann das für uns heute bedeuten?

Da ist zunächst der städtische Horizont: „Suchet der Stadt Bestes" ist ja ein glasklares Mandat zur Gemeinwesenorientierung kirchlich-diakonischer Arbeit. Ja, es gehört zu unseren Kernaufgaben, da zu sein für die Schwächeren! Ich finde es bemerkenswert, in welcher Vielfalt die Rostocker Stadtmission diesen Auftrag umsetzt. Menschen beizustehen, hat Jesus uns allen ans Herz gelegt.

Sie, die Mitarbeitenden der Stadtmission, verwirklichen das durch Beratung, Pflege, Erziehung oder Begleitung. Ich freue mich auch, dass der Regional-Konvent der Kirchenregion Rostock sich der Flüchtlingshilfe angenommen hat und seinen nächsten Konvent im Asylbewerberheim abhalten wird. Wie gut wäre es zudem, wenn aus der punktuellen Zusammenarbeit mit der Hansestadt Rostock in Flüchtlingsfragen ein regelmäßiger Runder Tisch werden würde! Dasein für die Schwächeren. . .

„Suchet der Stadt Bestes“ – das heißt aber auch, einzustehen für die, die wichtige Arbeit leisten. Auch Menschen, die tätig sind in Hauswirtschaft, Pflege oder Erziehung, müssen von ihrer Arbeit gut leben können. Auch das kommt der Stadt zugute. Darum kann es nicht im Sinne der Stadt sein, bei Entgeltverhandlung sich am Niveau der Träger zu orientieren, die ihre Angestellten weit unter Tarif bezahlen.

„Suchet der Stadt Bestes": Das braucht eine enge Verbindung zwischen Stadtmission und Kirchengemeinden. Erfreulicherweise gibt es sie – von den einzelnen Arbeitsbeziehungen im jeweiligen Arbeitsbereich bis hin zum Runden Tisch, bei dem sich die Leitenden aus Stadtmission und Kirchengemeinden austauschen. Viele Beispiele gelingender praktischer Kooperation könnten hier benannt werden.

Und auch die Zusammenarbeit zwischen der Hansestadt Rostock und den Kirchengemeinden hat sich erfreulich entwickelt: Angefangen von Veranstaltungen und Gottesdiensten, nicht nur zur Hanse-Sail, über große Konzerte, dem Singen auf Weihnachtsmärkten, bis hin zur Vorbereitung der nahenden Jubiläen von Reformation, Stadt und Universität – diese Kooperationen prägen und heben die Lebensqualität der Rostockerinnen und Rostocker.

Der städtische Horizont ist das Eine. Das Andere ist jedoch, dass sich das Geschick einer Stadt auch im globalen Zusammenhang entscheidet. Denken wir nur an zwei Themenfelder:

-         Welche Handlungsspielräume die Bürgerschaft der Hansestadt Rostock zukünftig haben wird, entscheidet sich auch bei den Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit den USA. Inwieweit die Daseinsvorsorge noch kommunal verantwortet werden kann, ob mühsam errungene Standards in Sachen Mitbestimmung, Soziales oder Ökologie künftig unterlaufen werden, wird auch von TTIP abhängen.

Das kann uns nicht egal sein! Darum ist es zum Besten der Hansestadt Rostock, dafür einzutreten, dass die Verhandlungen transparent geführt werden und die genannten Standards nicht dem Markt geopfert werden. Informieren wir uns! Melden wir uns zu Wort! Die vielstimmige Kritik am bisherigen Vorgehen hat schon einiges in Bewegung gebracht.

-         Ein Zweites: Am Donnerstagmorgen war ich in Bützow und habe gesehen, welche Schäden der Tornado angerichtet hat. Es war erschütternd. In Minuten ist die Arbeit von Jahren vernichtet worden. Welch ungeheure Kräfte sind da entfesselt worden! Nun will ich nicht im Kurzschlussverfahren behaupten, an diesem Tornado ist der Klimawandel schuld. Und doch erhärtet sich immer mehr, dass der Klimawandel extreme Wetterereignisse gehäuft auftreten lässt. Bei der ersten Flut konnte man noch meinen, es wäre eine Jahrhundertflut. Die nächste ‚Jahrhundertflut' kam nur einige Jahre später.

Das Beste der Stadt entscheidet sich also auch im globalen Horizont. Darum tun wir auch in dieser Hinsicht das, was in unserer Kraft steht!

Schwestern und Brüder, „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie" ist ein doppelter Auftrag. Ihn hatte auch Dietrich Bonhoeffer in seinen letzten Schriften vor Augen. Er war sogar davon überzeugt, dass aus dem ‚Beten und dem Tun des Gerechten' die Erneuerung der Kirche wachsen werde. Bezeichnenderweise braucht es beides – nicht nur den Einsatz für gerechtere Verhältnisse, sondern auch das Gebet. Und doch kann man fragen: Ist der Aufruf zum Beten mehr als eine nostalgische Erinnerung an die Zeiten, wo der Glaube noch selbstverständlicher war?  

Mit Sicherheit! Christsein erschöpft sich nicht in ethischem Handeln. Als Kirche sind wir weder Moralverstärker noch Wertevermittlungs-Agentur. Wir sind vielmehr eine Bewegung, in der die Suchenden unserer Tage Gemeinschaft, Bestärkung und auch Orientierung für ihren persönlichen Weg finden können.  

Auch in unserer Zeit sind doch viele Menschen auf der Suche – nach einem erfüllten Leben, nach lohnenden Aufgaben, nach persönlicher Bestätigung, nach verlässlichen Beziehungen. Menschen suchen nach Erklärungen für Leid, das sie getroffen hat, nach Wegen aus der Entfremdung, nach einem tragenden Grund für ihr Leben. Was kann ihnen, was kann uns helfen bei dieser Lebenssuche? Was kann helfen, die Wahrheit nicht zu verkennen? 

Eine der Antworten lautet: Beten! Das mag im ersten Moment einigermaßen weltfremd klingen – haben doch viele nicht nur außerhalb der Kirche das Gefühl, sie wüssten nicht recht, wie das mit dem Beten ginge. Dabei gibt es nirgends so wenig Sprachverbote wie im Gebet. Was die Seele bewegt, findet hier Raum. Selbst das darf sein, was ich mir am liebsten nicht eingestehen möchte.

Beten ist eine Lesart der Welt. Beten lehrt Not, lehrt mich hinzusehen und wahrzunehmen, was ist. Beten lehrt wünschen, sich nicht abzufinden mit dem, was sich als unveränderlich gibt. Es geht um das Bilden von Sehnsucht – im Wissen um das Leiden in der Welt. So schult das Beten die Gabe der Empathie, das Vermögen, sich einzufühlen. Es ist eine Weise, am eigenen Gewissen zu arbeiten und an der Hoffnung. Zu beten heißt auch: der Endlichkeit inne zu werden – gegen die falschen Mythen von Ganzheit, Wachstum und Erfolg. Es hilft, sich anzunehmen. Es hilft, sich anzuvertrauen.

Auch dieser Horizont ist wichtig, der die Frage nach Gott wach hält – in uns selbst, in der Gesellschaft in der wir leben. Es ist dies der Horizont, wo wir nicht bei uns selbst haften bleiben, sondern über uns hinaus fragen – nach letzten Gewissheiten, nach Wahrheit, nach einem Sinn, der alles trägt. Es ist zugleich ein Horizont voller Verheißung. Denn in seinem Brief an die Weggeführten richtet Jeremia das Wort Gottes aus: „Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen." (Jer 29, 13.14a)

Ja, es ist zum Besten der Stadt, wenn die Suche nach Gott lebendig bleibt. Scouts der Transzendenz braucht es, damit etwas mehr Himmel auf Erden wird, damit die Welt, in der wir leben, immer wieder neu an die Orientierungen von Gerechtigkeit und der Würde jedes einzelnen erinnert wird. Dabei ist klar: Wer nach Gott wie nach einem alten Kumpel fragt, wird nicht viel erfahren vom Geheimnis der Welt. Wer nach ihm existentiell, mit ganzem Herzen sucht, dem wird Gott zu einer Lebenskraft.

Wie sehr sollen wir uns einlassen, gar unser Herz verlieren an diese Welt, an den Ort, in dem wir leben? Inwieweit gehört unser Herz woandershin?

Verantwortung wahrnehmen, tun, was dem Leben dient – auch unter manchmal schwierigen Bedingungen – das ist in Gottes Sinn! Das Beste der Stadt suchen, die Welt ins Gebet nehmen, die Frage nach Gott wach halten – all das ist kein Gegensatz, sondern wird gerade im Miteinander seinen Segen entfalten. Gottes Geist leite und begleite uns auf diesem Weg!

Amen.

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