Dem Hass entschieden entgegentreten
05. Juli 2015
5. Sonntag nach Trinitatis, Gottesdienst für Engagierte in der Flüchtlingsarbeit, Predigt zu Jesaja 60, 1-5
Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!
Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
Und die fremden Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden.
Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt.
Liebe Schwestern und Brüder,
so schwungvoll eben das Lied war, es hat ja auch so Recht! „Von den Mächten dieser Weltzeit sind wir hart bedrängt“ – uns als Flüchtlings-Engagierten-Gemeinde ist ja bei dieser Liedzeile nur allzu bewusst, dass die bedrängende und brutale Gewalt in so vielen Weltgegenden erst dazu führt, dass Menschen ihre Heimat verlassen. Es erschüttern immer wieder aufs Neue die schlimmen und traumatischen Erfahrungen, die die allermeisten mitbringen. Und dann setzt sich das Grauen gar hierzulande noch fort!
Seit Jahresanfang hat es laut Bundesinnenministerium sage und schreibe 175 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben. Das ist tatsächlich eine Attacke pro Tag! Brandanschläge etwa, wie jüngst in Lübeck! Das ist abscheulich und beschämend für unser Land. Und es verunsichert auch: Nebenan, in meiner Stadt und meinem Dorf Brandanschläge? Das hat etwas Unheimliches. Feiges auch. Die Luft brennt, zumindest mancherorts. Einmal weil Ängste da sind, denen man sicher auf gute Weise begegnen muss. Aber das andere ist Feindseligkeit. Und diesem Hass, liebe Geschwister, müssen wir entschieden entgegentreten. Wir lassen uns nicht beirren in unserem humanitären Engagement. Klartext. So wie es schon in den ältesten Schriften der Bibel dem Menschen ans Herz gelegt wird! Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst. Nicht nur tolerieren. Lieben – also: sich zuwenden, teilhaben lassen am Leben und Wohnen und Arbeiten.
Unser Predigttext verkündet genau diese Vision. „Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir.“ Eine teilnahmsvolle und teilhabende Gesellschaft zu sein, die um Gerechtigkeit – also um Ausgleich für die Schwächeren – bemüht ist, ist die Vision des schalom. Neudeutsch heißt das Caring Communitiy. Übrigens war das auch das Zauberwort beim Kirchentag jetzt in Stuttgart: damit wir klug werden.
Caring Community – eine Gesellschaft ist so klug, wie sie achtsam ist. Sorgsam also, oder um „caring“ genauer zu übersetzen: liebevoll gegenüber all denen, die nicht (mehr) beheimatet, unversehrt, vermögend sein können; die zu tragen haben an Ängsten und Traumata, aber auch am fehlenden Feingefühl ihrer Umwelt, wenn Flüchtlinge ausschließlich als Bedürftige oder mit Begriffen wie „Wirtschaftsflüchtlinge“ behaftet werden. Mittragen, was zu tragen, und verändern, was nicht mehr zu ertragen ist – dazu haben Kirchengemeinden und Diakonie in den Kommunen und Stadtteilen auf sagenhafte Art schon enorm viel beigetragen. Von ganzem Herzen danke ich Ihnen dafür! Danke für Ihre soziales Tun und Denken, für diese Nächstenliebe, die so pragmatisch, herzlich, ja sinnhaft ist! Und danke auch für politisches Engagement gegen Schengen und Dublin III, das so überhaupt nicht sinnhaft ist…
So viel Gutes passiert. Und das ist die andere Seite unserer Gesellschaft: So viele wollen helfen und etwas geben. Tausende, auch die, die mit Kirche nicht verbunden sind, bieten sich an - ein wunderbares Zeichen der Solidarität. Und wir als Kirche sind hier oft Kristallisationspunkt. Weil wir mit unseren Gemeinden immer schon flächendeckend vor Ort waren, als längst bestehendes Nachbarschaftsnetzwerk. Und so ist Kirche buchstäblich Ort der Sammlung. Ort auch der runden Tische, die von Kirchenleuten moderiert werden. Oder Ort des Schutzes, wie seit Jahrhunderten. Kirchenasyl für sie, die es noch härter trifft als hart. Was auch hier Ehren- und Hauptamtliche über Monate und Jahre hin leisten, auch in Gästewohnungen, ist gar nicht hoch genug zu schätzen!
Mache dich auf und werde licht! Werde zum Licht auch für die anderen und damit zum Beispiel für die Welt – gern möchte ich in dieser Predigt einige Beispiele aufleuchten lassen, die für Sie alle hier stehen – also aus dem richtigen Leben, versteht sich:
Aus dem Lauenburgischen, in Breitenfelde etwa– willkommen, liebe Breitenfelder! Hier wurden vor Monaten kurzfristig etliche syrische Flüchtlinge angekündigt. Zunächst ist das Dorf beunruhigt. Die Bürgermeisterin wendet sich an die Kirchengemeinde – und von da an beginnt eine wunderbare Geschichte: Der Pastor appelliert instinktsicher an den ehemaligen Gemeindewehrführer der Feuerwehr und seine Frau. Die sind bei ihrer sozialen Ehre gepackt und gründen mit Freunden in enormer Schnelligkeit ein Netzwerk der Hilfe, in das gefühlt das halbe Dorf eingestiegen ist.
Während einer Andacht erzählen einige von ihren Erlebnissen. Ich bin schwer beeindruckt, auch übrigens wie vertraut sie und die Syrer, die mit in die Kirche gekommen sind, miteinander umgehen. Man habe sich gegenseitig etwas geben können, sagt eine, die Deutsch unterrichtet. Sie ist glücklich, dass sie den Jugendlichen etwas beibringen kann. Zu einer syrischen Familie gewandt schließt sie ihre kleine Rede: Danke, dass ihr mich adoptiert habt. Eine andere erzählt, dass das ganze Dorf herzlicher geworden ist. Friedlicher. Zwei zum Beispiel, die schon ewig nicht mehr miteinander gesprochen haben, wurden zu einer syrischen Familie geschickt, um eine Lampe einzubauen. Und dabei haben sie sich dann – quasi über die Leiter hin – die Hand gereicht.
„Mache dich auf und werde licht“….im wahrsten Sinne. Mit einer Lampe!
Es ist Advent in Hamburg-Bahrenfeld. Ich besuche die Zentrale Erstaufnahme. Zwischen Autobahn, Müllverbrennungsanlage und Bahngleisen stehen Container an Container für 1600 Menschen, ein Drittel von ihnen Kinder; einige haben trotz der Kälte nur Flipflops an. Hier wird furchtbar konkret, was Flucht wirklich heißt. Augen, gebrochen vor Erschütterung. Gesichter, geprägt von Verlorenheit. Von diesem Herausgerissen-Sein aus einem alten Leben, wo immer das war. Man sieht keinem Mann, keiner Frau mehr an, was sie einst gewesen sind, ob Bankdirektor, Ärztin, Handwerkerin oder Fabrikarbeiter. Die Flucht, diese Armut lässt sie alle gleich dastehen, bedürftig, angewiesen. Nebenan in der Luthergemeinde will man sofort etwas tun. Flugs sammeln sich hilfreiche Ehrenamtliche, viele!, und Massen von Kleidung - der riesige Gemeindesaal ist bis an die Decke gefüllt. Ärmel werden hochgekrempelt, damit warme Jacken und freundschaftliche Gefühle die Flüchtlinge erreichen. Und so lernt man sich kennen, mit Namen und je eigener Geschichte. Würdigt die Persönlichkeit der einzelnen Menschen, und seien sie noch klein.
Heiligabend durfte ich z.B: das Krippenspiel miterleben. Gefühlt dreißig kleine Engel spielen mit, etliche von ihnen schwarzbezopft – sie kommen aus Syrien, Eritrea, aus dem Iran. Alle mit Flügeln. Und dann fangen sie an zu singen „Fürchte dich nicht“… ! Sie singen es uns! Gemeinsam war man gerührt. Sehnsüchtig auch. Gemeinsam – das ist das Stichwort bei so vielen Initiativen. Gemeinsam mit den Menschen aus anderen Herkunftsländern wird in der Kleiderkammer genäht, beim Gartenprojekt gebaut, für alle gekocht. An diesem Heiligabend ist es ein iranisches Ehepaar, das stundenlang glückselig in der Küche steht und das Festmenu zubereitet. Die Gegenseitigkeit gibt allen Würde. Gemeinsam helfen, wo´s dran ist: Darin zeigt sich das Licht, das wir untereinander weitergeben.
So bin ich beim letzten Beispiel: St. Pauli. Wir hätten es vor zwei Jahren nicht für möglich gehalten, was inzwischen daraus geworden ist. Noch kein Happy-End. Aber Hoffnung. Die ersten sind in Arbeit oder Ausbildung. Bei der Stadtreinigung, im Hotelservice, in einem Handwerksbetrieb. Es geht vorwärts, quälend langsam manchmal, aber vorwärts. Leider überhaupt nicht von selbst, sondern weil sich viele Menschen nach wie vor für diese Flüchtlinge einsetzen. Bitte macht weiter so! Macht weiter so und werdet licht – liebe Ehrenamtliche in euren Gemeinden und Einrichtungen von Poppenbüttel bis Ottensen, Barmbek bis St. Jacobi, Farmsen bis Altona, Harksheide bis Schiffbek-Öjendorf, Wedel bis Glinde, Niendorf bis Harburg, Gudow bis Lübeck. Nicht zu vergessen Schülerinnen und Schüler, z.B. aus der Stadtteilschule St. Pauli und Walddörfer Gymnasium, Fluchtpunkt und das „Backoffice“ im Landeskirchenamt, die Ehrenamtlichen in der Abschiebehaft und und und –
Ich könnte so viel erzählen, lauter wahre Geschichten von caring community. Das Entscheidende bei allen: man hat sich in der Sorge um einander aus den alten Bahnen und Klischees und Vorurteilen heraus geliebt und heraus lieben lassen. Alle haben sie sich verändert. Die Helferinnen und Helfer. Die Kirchengemeinden. Auch die Flüchtlinge selbst.
So etwas kann man nicht erzwingen. Es will wachsen. Nicht mit Druck. Stress. Sondern mit Ehrung. Würdigung. Und der positiven Annahme, dass in ausnahmslos jedem Menschen eine Antwort Gottes auf meine Frage liegen kann, welchen Sinn das Dasein hat. Wir müssen nur hinsehen…und, so prophezeit Jesaja: „Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt.“
Ich bin sicher: Die Flüchtlinge sind ein Reichtum für uns und für unser Land. Und ich danke Ihnen, dass Sie alle Ihre Kirchen und Gemeindehäuser, vor allem aber Ihre Herzen öffnen. Für das Andere im Anderen. Für die Begegnung mit Kulturen, Lebenswelten, Sehnsüchten, Religionen.
Die Begegnung, sie ist das Geheimnis des Friedens. Denn sie erschwert Vorurteile ungemein. Seien wir ermutigt, anzunehmen, dass alle sich ändern in einer caring community. Und seien wir deshalb ermutigt, den Namen des und der anderen in Freundschaft auszusprechen. Als Christen, Muslime, mit allen Religionen und aller Couleur, wir eben, die ganz klar den Brandstiftern in unserer Gesellschaft die Stirn bieten.
Damit der Friede im Lande bleibt. Der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, er bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.