Der Mensch auf Wanderschaft
30. Mai 2015
Abendserenade im Hafen Lauterbach anlässlich des 36. Landesposaunenfestes Mecklenburg-Vorpommern
Liebe Bläserinnen und Bläser, liebe Gäste,
„Abend wird es wieder,
über Wald und Feld
säuselt Frieden nieder,
und es ruht die Welt.“
So haben wir gerade mit den Worten von Hoffmann von Fallersleben gesungen. Noch ruhen wir nicht. Mit Ihren Instrumenten, Trompeten, Posaunen, Hörnern und Tuben sorgen Sie noch mächtig für Stimmung hier im Hafen in Lauterbach. So manches schöne Volkslied haben wir bereits gesungen und gehört. Liebe und Freundschaft haben wir bedacht. Abendstimmung hat sich ausgebreitet.
Der Abend ist der Übergang zur Nacht. „Die Blümelein, sie schlafen“ und die „Vögelein, sind zur Ruh gegangen.“ Der Gesang verstummt, die Tierwelt kommt zur Ruhe. „Schlafen geht die Welt“. Das Licht der Sonne nimmt ab und Ruhe breitet sich aus. Im Abend kann man sich bergen. Der Tag mit seiner Geschäftigkeit ist vorüber. Die Gedanken, die so unermüdlich kreisen, können nun abschweifen. Der Geist kann Frieden finden. Der Abend gehört zum Rhythmus des Tages. „O wie wohl ist mir am Abend“. Es ist ein Segen, wenn der Mensch am Abend zur Ruhe kommen kann.
Doch es gibt auch andere Erfahrungen des Abends, wenn die ersehnte Ruhe ausbleibt. Hoffmann von Fallersleben besingt auch den Bach, der immer weiter fließt und braust.
Nur der Bach ergießet
sich am Felsen dort,
und er braust und fließet
immer, immer fort.
Es gibt Zeiten im Leben, da kommt man nicht zur Ruhe. Da ist so viel zu tun, dass die Erholung zu kurz kommt. Man findet keine Nachtruhe. Die Gedanken fließen immer weiter, wie der Bach. Vielleicht drehen sie sich wie Strudel im Kreis. Sie nehmen einen gefangen und ziehen einen hinab in die Tiefe. Für einen gewissen Zeitraum kann man das aushalten. Aber wenn daraus ein Dauerzustand wird, dann wird es gefährlich. Die Nacht ist nicht nur die Zeit der Ruhe und der Erholung. Sie ist auch eine Zeit der Gefahr. Vom „Grauen der Nacht“ spricht der Beter des 91. Psalms. Und über seine Tränen in der Nacht klagt der Beter aus Psalm 6: „Vom Seufzen bin ich ganz erschöpft. Nachts schwimmt mein Krankenbett in Tränen. Vom vielen Weinen ist mein Kissen nass.“ (Ps 6,7 BasisBibel). Und im Psalm 104,20 sind es die wilden Tiere, die sich des Nachts regen. Die Nacht kann auch eine Zeit der Unruhe sein. Vielleicht kennen Sie das auch, dass Sie in der Nacht keine Ruhe finden können? Wie Raubtiere können einen Gedanken und Schlaflosigkeit verfolgen. Wo kann ich mich dann bergen, wo finde ich Geborgenheit?
Das Lied von Hoffmann von Fallersleben hat noch eine dritte und vierte Strophe. Wir haben sie gerade nicht gesunden. In der dritten Strophe verstärkt der Dichter noch einmal die empfundene Ruhelosigkeit des Baches.
Und kein Abend bringet
Frieden ihm und Ruh,
keine Glocke klinget
ihm ein Rastlied zu.
Den Bach verstehe ich hier auch als Sinnbild für den Menschen in der Zeit. Hoffmann von Fallersleben veröffentlichte dieses Abendlied 1837. Fünf Jahre später geriet er mit der preußischen Regierung in Konflikt. Seine Gedichte eckten an und er wurde des Landes verwiesen. Für ihn begann dann eine solche Zeit der Ruhelosigkeit. Deutschland war in kleine Fürstentümer gespalten. Und in den kommenden Jahren wurde er insgesamt 39 mal polizeilich ausgewiesen. Dreimal davon aus seiner Heimatstadt Fallersleben. Er führte ein Wanderleben.
Im Grunde genommen ist jedoch jeder Mensch auf Wanderschaft. Immer ist die Zeit in Bewegung und der Mensch ist in ihr gefangen. Er schaut zurück und er schaut nach vorne. Jeder Augenblick ist kostbar, denn im nächsten Moment ist er bereits vorüber. Die Zeit eines Menschen ist begrenzt. Sie endet eines Tages und so ist der Mensch herausgefordert etwas mit der Zeit anzufangen, die ihm gegeben ist. Wonach sehne ich mich, wo finde ich Glück? Wie der Bach in Bewegung ist, so auch das Herz, das innere Suchen eines Menschen nach Glück.
Und so lautet die vierte Strophe:
So in deinem Streben
bist, mein Herz, auch du:
Gott nur kann dir geben
wahre Abendruh.
Mir gefällt an vielen unserer Volkslieder, dass sie wie selbstverständlich von Gott sprechen. Sie machen kein großes Aufhebens davon. Sie sind Volkslieder und keine Kirchenlieder. Aber es ist ganz normal für sie, dass das Leben aus Gottes Hand kommt und in Gottes Hand liegt. Und auch wenn wir sterben ist unser Leben in Gott geborgen. Das war der Glaube unserer Mütter und Väter. Auch Hoffmann von Fallersleben bringt dies hier zum Ausdruck. Der Mensch ist immer in Bewegung, immer auf der Suche, Unruhe liegt in seinem Herzen. Doch Gott hält Ruhe für uns bereit.
„Gott, zu dir hin hast du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet bei dir.“ (Augustin, Confessiones) So drückt es der Kirchenvater Augustin aus. „Wahre Abendruh“, die finden wir in Gott.
Bergen – Bark – Geborgen. So lautet das Motto des Landesposaunenfestes. Man muss einen Moment über dieses Wortspiel nachdenken. Ich finde es – zugegeben – etwas kompliziert. Denn das Wort Bark ist nicht weit verbreitet. Es bezeichnet als Lehnwort aus dem Niederländischen ein mehrmastiges Segelschiff. Ich versuche es einmal so: Mein Leben ist wie eine Bark. Gott der Schöpfer hat die Bark meines Lebens ins Wasser gesetzt. Es ist nicht immer leicht, Kurs zu halten. Von Wind und Wellen werden wir hin und her geworfen. So empfindlich ist das Leben. Denn manchmal bläst uns der Wind entgegen. Und wir sind mit unserer Bark nicht nur im seichten Wasser unterwegs, sondern auch auf hoher See. Doch Gott steht bereit, unser Lebensschiff zu bergen. Es gibt Stürme im Leben, da wird unsere Bark zwischen hohen Wellen hin- und her geworfen. Manchmal erleiden wir sogar Schiffbruch, z.B. wenn eine Beziehung zerbricht und nicht wieder versöhnt werden kann. Gott ist dennoch da. Er kann unsere Lebensbark bergen und retten. Das zeigt uns Jesus Christus. Niemand kennt uns so gut wie er. Ja, er kennt uns besser, als wir uns selber kennen. In ihm bin ich geborgen. Glauben ist Gott zu vertrauen, dass mein Leben bei ihm geborgen ist, in Zeit und Ewigkeit.
Bergen – Bark – Geborgen. Gott spricht mir zu: Ich berge deine Bark, deine Lebensbark. Bei mir bist du geborgen. Vertraue mir.
Lassen Sie uns einstimmen in die Abendlieder, die von diesem Vertrauen erfüllt sind. Amen.