Der Tod hat nicht das letzte Wort
25. März 2016
Karfreitag, Predigt im Karfreitagsgottesdienst über 2. Korinther 5,19–21
Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
heute, am Karfreitag, folgen wir dem Weg Jesu: den Stationen seines Leidens von Gethsemane bis seine Verurteilung. Und den Weg bis zur Kreuzigung, den er gehen musste. Bis in die Todesstunde hinein.
Golgatha – Ende eines Weges. Ort der Hinrichtung, wo es nichts mehr zu hoffen gibt.
Schmucklos sind unsere Altäre. Die Klänge verstummen im Laufe des Tages – und wir müssen die Todesnachricht ertragen: Jesus ist tot, gestorben am Kreuz. Golgatha – hier endet sein Weg. An diesem Ort verhallt der wortlose Schrei des Sterbenden.
Die frühe Christenheit konnte die Tatsache dieses Todes nicht verschweigen. Nichts ist so sicher wie der Tod, und keine Nachricht verbreitete sich schneller als die, dass der große Erzähler und Menschenfischer, der Freund der Zöllner und Aussätzigen am Kreuz wie ein Verbrecher starb. Der Himmel tat sich nicht auf – und keine starke Hand schritt ein, als er zu seinem Gott rief. Sein Tod wurde nicht verhindert. Dieser Tod ließ sich nicht verschweigen.
Das Überbringen von Todesnachrichten gehört gewiss bis in unsere Zeit hinein zum Schwersten, was Menschen auferlegt werden kann. Hier die richtigen Worte zu finden, ist nahezu unmöglich.
Und doch durfte die Christenheit um Gottes willen von diesem Tod nicht schweigen. Alle vier Evangelien im Neuen Testament sind im Rückblick geschrieben worden, um den Weg Jesu, vor allem sein Sterben zu verstehen. Auch der Apostel Paulus nimmt dort seinen Ausgangspunkt und beschreibt, wie er den Tod Jesu deutet. Wir hören Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom:
„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Gott war in Christus – liebe Gemeinde, mit diesen Worten beginnt der Predigttext und mit ihnen kommt der entscheidende Wandel in dieser Todesnachricht auf den Punkt.
Gott war in Christus – Golgatha, der Todesort, wo die Hoffnung auf das Eingreifen des starken Gottes vergeblich blieb, ist dennoch Ort seiner Gegenwart. Damit bringt Paulus die entscheidende Veränderung des Gottesgedankens in der frühen Christenheit auf den Punkt:
Die unglaublichste Torheit wurde ihnen zur größten Weisheit: Gott war in Christus. Gott ist im Sterbenden zu finden. Er setzt sich dem Leiden mit Haut und Haaren aus. Er verzichtet auf seine göttliche Macht. Gott regiert dieses Geschehen nicht unberührt vom Himmel herab, sondern ist in seiner Mitte zu finden.
Gott war in Christus. Jesus war nicht einer der zahllosen Propheten und Zeugen, deren unbequeme Botschaften sich aus dieser Welt herausdrängen, totschweigen, ja herausmorden ließen und lassen. Er war mit seiner Menschenfreundlichkeit nicht nur einer jener verlachten „Gutmenschen“, die ihre Lektion schon lernen würden.
Gott war in Christus – das Kreuzesgeschehen hat eine Tiefe, die nur der Glaube fassen kann. Kleiner und wehrloser kann man Gott nicht denken – und größer seine Liebe nicht glauben.
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber … Tode, liebe Gemeinde, pflegen nicht zu versöhnen. Sie entzweien uns Menschen voneinander. Sie beenden unsere gemeinsamen Geschichten, machen uns ärmer und einsam.
Doch mit diesem Tod, schreibt Paulus, verhält es sich anders. Es verhält sich anders, weil Gott uns gerade dort aufsucht, dort an unserer Seite ist, wo unser Golgatha liegt.
Er sucht uns in der Einsamkeit der Todesnähe, dort, wo uns das Leben zeichnet und unser Fragen nach ihm verstummt.
Er begibt sich hinein in die Fremdheit derer, die das Zerbrechen ihrer Lebenswerke hilflos ansehen müssen.
Er ist an der Seite derer, die von Schuldvorwürfen und Zweifel zerrissen werden.
Gott war in Christus – auch an unseren Todesorten hat der Tod nicht das letzte Wort. Wir werden nicht festgelegt auf das, was zerbrach und misslang. In seinen Augen fügen sich die Bruchstücke zusammen. In seinen Augen bleibt auch das Entstellte schön und liebenswert. Darin zeigt sich seine große Liebe zu uns.
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber … Liebe Gemeinde, liegt die politische Bedeutung dieser Versöhnung nicht auf der Hand?
Wie sollte der, der sein Leben diesem Gott anvertraut, die Liebe nicht hineintragen in die gottfernen Orte dieser Welt – im Vertrauen darauf, gerade dort seinem Wirken zu begegnen?
Wie sollte es im Blick auf Golgatha möglich sein, das Leid und Elend der Menschen in den Flüchtlingslagern zu verkennen? Wir haben die Bilder aus Idomeni oder anderen Flüchtlingslagern vor Augen.
Wie sollte es denkbar sein, diesen wehrlosen Gott in Christus vor Augen, denen nicht beizustehen, die den wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten dieser Welt gnadenlos ausgeliefert sind, weil sie auf dem falschen Kontinent geboren wurden?
Wie sollte es denkbar sein, diesen wehrlosen Christus vor Augen, den Angehörigen der getöteten und verletzten Opfer nicht verbunden zu sein, die in den letzten Tagen in Belgien zu beklagen sind?
Heute folgen wir dem Leidensweg Jesu bis zum Kreuz, diesem großen Schmerzensmann, von dem der Chor gesungen hat und singen wird. Adam Thebesius hat dieses Lied als ein Zwiegespräch gedichtet: Du großer Schmerzensmann! Ein Zwiegespräch von Angesicht zu Angesicht, aus Dankbarkeit, weil dieser Schmerzensmann das Böse auf sich gezogen hat und es weggetragen hat.
Und wenn wir im Hohen Chor vor dem Bordesholmer Altar verweilen, sehen wir, dass auch Hans Brüggemann die Kreuzigung Jesu in großen Bildern in die Mitte seines Altars gesetzt hat. Denn: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“
Im Vertrauen auf diesen Gott sind wir nicht darauf festgelegt, wie alles ist und angeblich sein muss. Wir sind den Sachzwängen und Alternativlosigkeiten dieser Welt entzogen. Wir sind befreit zum Anfangen inmitten unserer Lebenszeit. Befreit, den Todesmächten standzuhalten – so mächtig sie auch auftreten. Befreit auch, all unsere Sorgen und Ängste ihm anzuvertrauen.
Denn wir sind nicht allein. Vor uns sehen wir den Schmerzensmann. Er ist vorausgegangen, von Gethsemane nach Golgatha. Seitdem kann nichts und niemand uns von Gott trennen. Dieses Vertrauen üben wir ein in der Passionszeit mit ihren Bildern und Liedern. Und wo sonst sollte dieses Vertrauen Nahrung finden, wenn nicht im Bild dieses Schmerzensmannes:
„Lass deine Wunden sein, die Heilung unserer Sünden,
lass uns auf deinen Tod , den Trost im Tode gründen.
O Jesu, lass an uns, durch dein Kreuz, Angst und Pein
Dein Leiden, Kreuz und Angst, ja nicht verloren sein.“
Liebe Gemeinde,
Gott war in Christus. Dieser Tod ist des Todes Tod. Golgatha, an diesem Ort, wo nichts zu hoffen ist, bleibt Gott in unserer Nähe – im Leben und im Sterben.
Amen.