Die Herrschaft der Kirche liegt auf den Schultern Christi
10. März 2013
Ordination im Sprengel Schleswig und Holstein, Predigt am Sonntag Lätare über Johannes 6, 47-51
Liebe Schwestern und Brüder!
I
Es waren aber einige aus den Landesteilen Schleswig und Holstein heraufgekommen, ebenso aus der Metropole an der Alster, aus Lübeck gar und Fehmarn, und selbst aus Dithmarschen und Kurhessen-Waldeck. Heraufgekommen nach St. Laurentii zu Itzehoe, um anzubeten auf dem Fest der Ordination. Die traten zu Dirk Schulz, der von Waabs aus Schwansen war, und baten ihn und sprachen: Bruder, wir wollen Jesus gerne sehen. Der Bruder aber sagt es Schwester Jahn in Hannover – und sie sagen´s Bruder Bischof weiter. Der aber bremst: Moment mal, liebe Leute! Ihr habt gehört, was gesagt ist von Jesus, dem Christus:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“
Ups – so hatten wir uns das vielleicht nicht ganz vorgestellt: wir machen uns auf zu einem Fest, sind voller Tatendrang und Lebenslust. Und dann redet da einer vom Sterben? Jetzt haben wir gerade uns für den Weg gerüstet. Das Leben, es soll erst richtig losgehen – und weil wir es nun gerade so richtig lieb haben, das Leben: soll es ersterben?
„Lätare“ ist der Name des heutigen Sonntags. Freut euch mit Jerusalem: Es ist wie ein Innehalten, ein Aufatmen auf dem harten Weg 'hinauf nach Jerusalem'. Der Ruf in die Nachfolge wird nicht storniert; daran lässt das Evangelium keinen Zweifel. Aber das Ziel erscheint deutlich vor Augen: Verherrlichung, Freude, Frucht.
Liebe Schwestern und Brüder, tatsächlich ist es ein Fest, das wir hier feiern, ein Wege-Fest an der Wegmarke „Ordination“: Wunderbar, dass wir miteinander in diesem Gottesdienst acht neue Pastorinnen und Pastoren unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland ordinieren und also Menschen senden, damit sie verkündigen die gute Botschaft des anbrechenden Reiches Gottes für alles Volk. Die Freude ist da zu Recht groß – und zugleich werden wir heilsam eingewiesen in die Rolle, die wir in diesem Stück als Botinnen und Boten Jesu zu spielen haben. Bloß keine Rollendiffusion an dieser Stelle – so verstehe ich das Wort Jesu: Um IHN geht es – nicht um uns! ER geht voran, er leitet und führt – nicht wir! Wir wissen: der Herr der Kirche ist nicht in Rom, die Herrschaft wohnt auch nicht in Kiel, Schleswig, Hannover oder Schwerin. Die Herrschaft der Kirche liegt auf den Schultern Christi. An IHM als dem Haupt der Kirche hängen wir – und genau darum hängt nicht alles von uns ab! Diener und Dienerinnen des Wortes Gottes, das sind wir. Nicht weniger, aber auch nicht mehr!
Die lange Zeit des Studiums, die Anforderungen im Vikariat, der Stress mit Prüfungen und Bewerbungsverfahren… Und jetzt, da sie es geschafft haben – diese radikalen Worte Jesu aus dem Evangelium für diesen Sonntag. Ein Assessment ganz eigener Art, oder?
Es gibt Situationen im Leben, in denen das Alte, das Vertraute, das Gewohnte, das Übliche und allseits Akzeptierte tatsächlich lähmt und behindert den Aufbruch in die Zukunft! Situationen der Schwelle und des Übergangs - so wie jetzt – da brauchen wir es, dass da einer von außen sagt: Folge mir nach! Geh jetzt! Mach dich auf! Sieh zu, dass du Land gewinnst! Ich traue dir das zu!
II
Der Predigttext des Sonntags Lätare aus dem Evangelium nach Johannes, Kapitel 6 sagt es so:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.“
Eines der ganz starken Worte Jesu: Ich bin das Brot des Lebens! So wie an anderer Stelle: Ich bin die Tür! Ich bin der Weg; ich bin die Wahrheit und das Leben! Nichts mit Rollendiffusion auch hier – eindeutig erkennbar der Eine, um den des geht. Aber eben: Um den es nicht allein geht! Im Gegenteil: Um Jesus, den Christus, geht es immer als den, der die ganze Welt zusammen hält: Nämlich Gott und seine Welt, Gott und seine Menschenkinder, Gott und seine Kirche, Himmel und Erde. Gott und uns. Die „gesellige Gottheit“ hat der Schweizer Theologe und Dichter Kurt Marti völlig richtig den Gott der Bibel beschrieben, bei dem sich Gott auf „gut“ reimt und Shalom auf Leben: Hatte doch Jesus, bevor er hier im vertrauten Kreise redet, in großer Runde die Fünftausend mit Brot und Fisch satt gemacht, damit die Menschenfreundlichkeit Gottes handgreiflich sich zeige denen, die nichts oder zu wenig zum Leben haben.
Ja, die Weltgegenwart Gottes zeigt sich hier und an anderen Stellen des Evangeliums in Bildern der Lebensfülle und des Überflusses: Da wird geteilt aus Liebe – alle werden satt – und dennoch bleibt etwas übrig für das nächste Mal. „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – das, was wir zum Leben brauchen jeden Tag, das ist Gottes Lebensgabe an uns. Brot für Himmel und Erde, für Zeit und Ewigkeit, für jetzt und dann!
Also Achtung, liebe Schwestern und Brüder! Nicht in die Falle tappen, die der Evangelist Johannes hier aufgestellt hat – wer weiß, vielleicht genau darum, damit wir nicht in sie hineinfallen: Das Manna in der Wüste für das hungernde Volk war auch wunderbares Brot – Himmelsbrot! Auch, wenn die Leute irgendwann dennoch gestorben sind.
Gott selbst ist es wieder und wieder in der Geschichte, der die Seinen versorgt, ihnen gibt, was nötig ist für die Lebenswanderung. Der das Murren nicht überhört und immer neu stärkt und anstößt und nachlegt. Das lebendige Brot, also Jesus selbst, ist ebenso Himmelsbrot! Denn auch wir Christenmenschen, die von diesem Brot essen, werden irgendwann sterben. Wir sind nicht verwandelt worden in unsterbliche Ungeheuer, sondern auch wir sind und bleiben Menschen, die von diesem Leben nicht alles erwarten müssen. Irdene Gefäße für den Schatz des Himmels. Ordiniert oder nicht. „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er sterben muss“, sagt der Johanneische Jesus an anderer Stelle. Voll und satt von diesem besonderen Lebensbrot – dürfen wir darauf hoffen, dass dieses Leben nicht alles ist, sondern dass da noch etwas kommt. Es muss doch mehr als alles geben – so hat Dorothee Sölle diese Hoffnung auf Ewigkeit umschrieben: Da kommt noch etwas, das wir noch nicht kennen, da wird es noch etwas zu essen geben, das wir noch nicht geschmeckt haben, da wird es noch etwas zu trinken geben, das anders schmecken wird als alles Altbekannte. Die Welt geht nicht auf in dem, was wir sehen und begreifen, erforschen und verwerfen.
Diesen unverschämten Glauben wünsche ich Ihnen allen für Ihren Dienst. Die Unverschämtheit der Hoffnung, die sich nicht zufriedengibt mit dem, was ist, sondern sich ausstreckt über die eigenen Grenzen hinaus. Der Glaube mit und an Christus ist die wunderbare Kraft Gottes, die uns mehr und anderes sehen lässt und erhoffen als das, was vor unseren Augen liegt und über den Grenzen unserer eigenen Phantasie! Also: Brot für die Welt! Brot für alle! Darum geht es! Brot, das Erde und Himmel, Gott und seine Menschen zusammenhält!
III
Liebe Ordinandinnen und Ordinanden – als Brotverteilerinnen und -verteiler in diesem umfassenden Sinne schicken wir Sie heute auf den Weg.
Sie sind berufen, das Evangelium zu verkündigen in Wort und Tat, in Predigt, Seelsorge, in Unterricht und Diakonie. Das erwarten wir von Ihnen – aber genau das trauen wir Ihnen auch zu! Suchen Sie Ihren eigenen Weg als Pastorin und als Pastor, finden Sie Ihren eigenen Stil, nutzen Sie Ihre Gaben, schauen Sie aber auch auf das, was Sie selbst als Ihre Schwächen ansehen mögen. Und achten Sie vor allem auch für sich selbst auf das Manna, von dem Sie satt werden in Zeiten der Wüstenwanderung, die da sicher auch kommen werden auf ihrem Berufsweg.
Der Beruf des Pastors oder der Pastorin ist ein wunderbarer Beruf. Einer, der voller Chancen und voller Freiheit steckt. Einer, der seine Kraft bezieht nicht aus dem Endlichen, sondern aus dem Unendlichen. Nicht nur aus dem, was ist, sondern aus dem, was kommen wird. Sie werden es spüren – viele Menschen in den Gemeinden werden Ihnen mit großem Vertrauen begegnen! Sie werden aber auch jeder Menge Erwartungen begegnen, die Sie binden wollen. Fromm sollen Sie sein, aber nicht so doll. Verändern sollen Sie alles, aber man mag es doch am liebsten so, wie es schon immer war. Einmischen sollen Sie sich in öffentliche Angelegenheiten, aber raushalten sollen Sie sich schon aus der Politik. Immer bei den Menschen sollen Sie sein, aber immer erreichbar zu Hause.
Keiner und keine von Ihnen wird all´ die unterschiedlichen Erwartungen erfüllen können, die auf Sie einstürmen werden und die Sie selbst in sich tragen. Ja, dieser Beruf hat seine ganz besonderen Risiken und Nebenwirkungen! Gesundheitsvorsorge, also geistliche und körperliche Erholung für Sie und diejenigen, mit denen Sie als Lebenspartner in diesem Beruf auch zusammen unterwegs sind, will bedacht sein. Nutzen Sie „quality time“ für geistliche Einkehr und für die kollegiale Beratung mit den Schwestern und Brüdern im Amt und im gemeinsamen Dienst in unserer Kirche, sei es als Supervision oder ähnliches. „Fertig“ werden Sie in diesem Beruf sowieso nie.
Da ist es wie eine Befreiung, wenn Jesus sagt: Folge mir nach. Verkündige das Reich Gottes. Verteile mein Brot! Das ist die Zusage, das Evangelium, das heute Ihnen zugerufen und ins Lebensbuch geschrieben ist: niemandem und nichts bist Du verantwortlich als diesem Herrn allein. Er ist es, der dich ruft. Er ist es, der dir verheißt, bei dir zu sein. Er ist es, der dich binden will, damit du frei bist, frei den Mund auftun kannst für die Schwachen; frei, die Hände zu rühren für die Rechtlosen; frei, die Ohren aufzusperren für die Ratlosen. Frei, alles stehen- und liegen zu lassen, wenn entsetzliches Leid über die Menschen kommt oder der Tod in´s Leben einbricht. Dann ist nur noch Zeit für den Trost Gottes, der das Leben will. Dann muss dort gegen die Trauer und an anderen Orten gegen tödliche Erinnerung die Erinnerung an die Zukunft Gottes gesetzt werden. Und dann ist nur noch Raum für die Liebe zu denen, denen das Liebste genommen wurde. Dafür sind wir da, gerufen, herausgerufen!
„Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune…“ – so spricht Gott zum Propheten Jesaja (Kapitel 58). Und: „Brich mit dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus…“! – Teilen, weitergeben, was Sie empfangen haben. Mit Mut und Klarheit und un–verschämt. Halten Sie nicht an sich.
Geben Sie sich hinein in die Rolle, die Ihnen nun gegeben ist, spielen Sie mit Glaubenszuversicht und mit handwerklichem Können – und mit Humor! – ihre Rolle im Stück. Und denken Sie immer an zwei Dinge: Sie als Pastor oder Pastorin sind nicht Autorinnen und Autoren des Stücks, das da zur Aufführung kommt! Das ist Gott selbst – und in ihm Jesus Christus als der Herr der Kirche und Brot des Lebens! Und – mit Blick auf das so genannte Publikum denken Sie daran: Gepfiffen wird immer!
Einer aber pfeift nie auf Sie: Der wird mit uns sein, denn er hat es versprochen: Ich bin das Brot des Lebens. „Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, der wird nimmermehr dürsten.“
Amen.