Die Mose-Idee
19. Juli 2015
7. Sonntag nach Trinitatis, Ordinations-Gottesdienst mit der Predigt über Ex 16, 2-3.11-18
Liebe Ordinationsgemeinde, heute, hier im Dom!
Der Auszug ins Gelobte Land - was für ein schöner Predigttext, gerade für eine Ordination! Aufbruch ins Neue und Ungewisse. Es liegt so viel vor einem, so viel Spannung, so viele Fragen, so viele Ideen!
Das Schöne an der Bibel ist ja: Sie ist so realistisch. Da werden auch die Schattenseiten nicht verschwiegen. Denn der Auszug des Volkes Israel, wir haben es eben gehört, hat eben auch die Mühe der Ebene. "Von wegen, gelobtes Land!" grummeln sie, die wohl nicht umsonst Kinder Israels heißen. Nur Wüste um sie her! Die Mägen knurren und die Gemüter auch. Längst haben sie vergessen, dass sie ja eigentlich gerettet wurden. Die Erinnerungen werden trügerisch: Aus den kargen Sklavenrationen unter dem Joch des Pharaos werden die sprichwörtlichen "Fleischtöpfe Ägyptens", die man so bedauert verlassen zu haben. Wie war es doch in Ägypten damals Gold! Da hatten sie Fisch und Fleisch, Melonen, Gurken, Zwiebeln und Knoblauch. So murren und greinen sie. Nicht zum Aushalten für Mose. Und für Gott.
Da muss ein göttlicher Plan her, schon damit Ruhe ist. Gern ein Wunder! Also lässt Gott Wachteln vom Himmel fallen und eine Art Morgentau, der sich als Süßspeise enthüllt. Manna! Sie sollen sich nehmen, soviel sie brauchen, sagt Gott ihnen, und so war es fortan jeden Morgen.
Eine wunder-schöne Geschichte, finde ich. Weil Gott so unbeirrbar fürsorglich ist. Er lässt sich auch von der anhaltend schlechten Laune seiner Kinder nicht abhalten. Und die ist nebenbei bemerkt recht lebensnah. Denn mal ehrlich: wer erinnert nicht von sich - zumindest als Kind: Wie man lustlos hinter den Großen hergetrottet ist. Mit einem langgezogenen: Wie lange noch?? Und, auch interessant, wo sind wir heute in der Geschichte? Die Beobachter am Rande? Oder diejenigen, die vorangehen und andere zum Guten locken? Im Beruf, in der Familie, in der Kirchengemeinde, liebe Ordinanden?
So alt ist diese Geschichte. Doch klug macht sie auch heute. Beachtenswert ist dabei zuallererst diese Gelassenheit des Mose, gute Güte, bei all dem Geknurre! Das wiederum kennen wir ja wahrlich auch heute - so viele Unzufriedene, obwohl so viel da ist, gerade in unserem Land! Wir brauchen dagegen in unserer Gesellschaft, in Verbänden, Vereinen, Parteien und eben auch Gemeinden genau diese Menschen, die wie Mose nicht zuerst an Erfolg und Profit, sondern an eine Idee glauben. Eine Idee, die über sie selbst hinausweist in ein gelobtes Land. Eine Vision von einer besseren Welt, die aus den Wüsten unserer Zeit herausführt. Eine Idee, die Vokabeln kennt wie Wachstumsgrenze und Schöpfungsliebe, Demut und Nächstenliebe. Eine Ethik des Genug.
Mir begegnen täglich viele Erfolgreiche. Sie wirken sehr "busy" und energisch - und zugleich so unglaublich müde. Zugetextet, dauernd online und Handy am Ohr. Man ist im Aus ohne Maus. Und fühlt sich gar nicht mal nur schlecht. Jüngst sprach ein Psychologe davon, dass der deutsche Werkstolz einem Erschöpfungsstolz gewichen sei. Und nicht selten, wir hören es immer wieder, folgt das Burnout. Anlass genug, laut nachzufragen, was die Menschen in den Leistungssystemen des Sports, der Medien, der Politik, ja auch der Kirche: krank macht.
Vielen fehlt, glaube ich, der Kontakt zu einer Vision, die<s> </s>Kraft gibt, und Inspiration. Eine Mose-Idee. Etwas, das einem Halt gibt, weil es gerade nicht aus einem selbst herauskommt. Unsere Gesellschaft leidet zunehmend unter dem Verlust dieser Dimension. Es fehlen Momente und Orte der Be-Sinnung, an denen man nach Sinn fragt und Liebe, danach, wie man mit Scheitern umgeht und der inneren Grenze, mit Schuld und Verletzung - all dies kommt kaum irgendwo unter. Und so können viele heutzutage nicht mehr positiv in Sprache fassen, was sie gesund macht - theologisch: was sie heil sein lässt. Sie haben buchstäblich keine Worte - und damit auch keine Vorstellung - für das, was ihnen Lebenslust ist und Qualität von Leben. Etwas, das sie verheißungsvoll erwarten wie ein Kind die Ferien und junge PzA's ihre ersten Gemeinden...
Und so denke ich heute ungeachtet aller Skrupellosen, über die wir täglich unterrichtet werden, einmal an die Integren. An sie, die 16-Stunden-Tage kennen und 7-Tage-Wochen. Die sich nach einem stressigen Tag im Beruf abends noch in der Elternvertretung engagieren oder im Kirchengemeinderat oder in einer Kleiderkammer für Flüchtlinge. Die sich um die Kinder kümmern oder um die pflegebedürftigen Eltern. Ohne sie gäbe es keine soziale, fürsorgende Zivilgesellschaft. Und gerade sie, etwa wenn sie jetzt im Urlaub zur Ruhe kommen, fühlen, wie die Kraftreserven am Ende sind. Wie sehr man nach Stärkung verlangt, die die Seele erreicht. Nach Manna!
Allerorten wird es gebraucht, das Manna. Heute. Doch wie findet man es? Was ist dieses Himmelsbrot, das die Seele nährt und Kräfte stärkt? Schauen wir dazu noch einmal in die Predigtgeschichte. Da sagt Gott: Das Manna liegt direkt vor dir. Nimm es doch einfach, so viel du brauchst. Tja - und dann passiert es, dass die Israeliten sich die Taschen vollstopfen! Es geht ihnen wie vielen in ihrer Konsumhaltung: Sie denken: nimm was du kriegen kannst! Doch was sie brauchen, wirklich brauchen, um wirklich zu leben, wissen sie oft gar nicht. Geschweige denn, was der oder die Andere wirklich braucht. Und so nehmen die einen viel, die anderen wenig. Folge: das, was zu viel ist, verdirbt. Den Charakter übrigens auch.
Denn Himmelsbrot - es steht für das Materielle wie das Immaterielle. Für Brot und Himmel, Zeit und Segen, Wasser und Liebe - alles Lebens-Mittel, die nicht haltbar, nicht zu halten sind. Im Gegenteil: Festhalten verdirbt. Bringt aus der Balance. Körperlich, seelisch, sozial, global.
Und also, um eines guten Lebens willen: Wie können wir es sammeln, heute, dieses Manna? Unsere Tradition sagt: Mit Geschichten, etwa vom gelobten Land. Mit ihnen bekommen wir den Tau der Erinnerung geschenkt. Erinnerung an die Rettungstaten Gottes. Und damit Erinnerung an die Zukunft, die ganze Horizonte öffnet. Das sind Ideen, Visionen, die gesund machen!
Sie, liebe Ordinanden, haben solche Visionen, und nicht erst seit heute. Denn Sie kennen beide auch solche Wüstenzeiten, die einem viel Seelenkraft abverlangen. Und Sie kennen beide die Liebe, die wie Himmelsbrot ins Leben rettet. Es waren berührende Momente, als Sie vor einigen Wochen auf der Rüstzeit davon erzählt haben. Davon auch, wie Sie Gott in Ihrem Leben neu gehört und verstanden haben. Worin er sie gestärkt hat und wozu Sie sich heute nun berufen fühlen.
Zum Beispiel Sie, lieber Herr Höver, der vielseitig Begabte und von weltweiten Gedanken Geprägte - Sie sind berufen, Verbindung zu schaffen: Zwischen Einheimischen und Flüchtlingen, zwischen Kirche und Religionen, Musik und Sprachen, dem Management und dem sprühenden Geist des Lebens, der sich nicht organisieren lässt. Sie sind berufen, die Freundlichkeit selbst zu sein - kein Wunder, wenn man Ihn ansieht.
Oder Sie, lieber Herr Ritthaler, der viele Umwege und schwere Zeiten hinter sich hat, sich's oft hart erarbeiten musste - Sie sind berufen zu würdigen. Berufen, die zu achten, die mit Ängsten kämpfen, die zu ermutigen, die fürchten, sie schaffen es nicht oder sagen oder tun nicht das Richtige. Sie werden sie stärken, zu tun, was das Herz Ihnen sagt. Herzlich eben - auch kein Wunder, wenn man Ihn ansieht.
Und so ist es Ihnen beiden ein Herzensanliegen, mit den Zweiflern zu glauben und im Wissen um die Bitterkräuter auch von der Süße des Lebens zu erzählen. Und die zu suchen, die endlich wieder einmal gefunden werden wollen...So war es doch heiter zu hören, als Sie, lieber Bruder Höver, in ihrer großen Gemeinde neugierig herumstöberten und im Keller unverhofft auf eine Töpfergruppe trafen. Ein großes "Hallo" der Damen, die dort gefühlt seit Jahrzehnten vergnügt ihr Töpferwesen treiben, begrüßte sie. Hatte man doch lange schon nichts Pastörliches mehr im Keller gesehen... Wenn das kein Gemeindeaufbau von unten ist!
Hören, suchen und dann kräftigen mit dem Tau der Erinnerung, das wird nun vielfach geschehen. Denn von Gottes Rettungen immer wieder reden, so dass es tröstet - Das ist das Amt, das die Versöhnung predigt. Inmitten all der Spannungen, die manchmal die ganze Welt zu zerreißen drohen. Mit dem Friedensgebet, das sich ernst nimmt. Und als Seelsorger in dieser Welt, die etwas verstehen von den Wüstennöten, die Menschen durchleiden.
Sie haben als Pastoren die unerhörte Freiheit geschenkt bekommen, jeden Tag wieder ein Fenster zum Himmel zu öffnen und in die Weite zu schauen. In das neue, das gelobte Land. Seien Sie dafür gesegnet. Und ich bin sicher, so wie ich Sie kennen gelernt habe: Sie werden ein Segen sein. Es ist ein schönes Amt, das auf Sie wartet!
Und, liebe Domgemeinde zu Lübeck, es ist schön, dass Sie die jungen Menschen in Ihrer Gemeinde aufgenommen haben und dass wir sie von hier aus in ihren Dienst senden. Seien Sie, seien wir alle gesegnet und gesandt in einen wunderschönen Sommer. Mit dem Frieden Gottes. Er, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.