Die Ohren der Stadt - Spontane Seelsorge in Hamburgs City
22. Juli 2025
Mitten in Hamburgs Innenstadt gibt es Seelsorge - spontan, kostenlos, anonym. Das Hamburger Beratungs- und Seelsorgezentrum (BSZ) ist bundesweit einmalig. Geschulte Ehrenamtliche sind täglich zum Zuhören da.
Mehr Informationen zum BSZ unter: www.bsz-hamburg.de
Mike Schäfer hat das aktive Zuhören gelernt. Er kann dem Schweigen lauschen - und den Worten. Schäfer gehört zu den 54 Ehrenamtlichen des Beratungs- und Seelsorgezentrums (BSZ) in Hamburgs Innenstadt. Der Neubau an der Hauptkirche St. Petri liegt an der Mönckebergstraße, der Einkaufsmeile zwischen Hauptbahnhof, Rathaus und Alster. Draußen pulsiert die Stadt. Drinnen „findet ein Verlangsamungsprozess statt, der der Seele guttut“, sagt Ulrike Job, ebenfalls ehrenamtliche Beraterin.
Seit 55 Jahren gibt es das Angebot, „das größte im deutschsprachigen Raum“, sagt Krischan Heinemann. Der Pastor leitet seit 2020 das Zentrum. Nicht ohne Stolz spricht er von den „mehr als 50 Ohrenpaaren für die Stadt“. Denn mit: „Wir hören Ihnen zu“, wirbt das Seelsorgezentrum.

Spontan, anonym, kostenlos
Zu zweit oder zu dritt sind Ehrenamtliche an sieben Tagen in der Woche im BSZ, um spontan Gespräche zu führen. Mittwochs zum Beispiel von 11 bis 21 Uhr, sonst bis 18 oder 15 Uhr, je nach Wochentag. Anonym, kostenlos, manchmal mit etwas Wartezeit verbunden.
„Man kann in Krisensituationen, in Konflikten, einfach herkommen und findet jemanden, der zuhört“, erklärt Heinemann. Ob Probleme im Job oder der Beziehung, ob Sorgen in der Ausbildung. „Es gibt viele Menschen, die in dieser wilden, wuseligen Stadt nicht nur mit Lebensfreude und Energie unterwegs sind. Die haben alle auch Probleme“, sagt der Pastor. Manchmal sei es gut, mit jemandem zu sprechen, der weder aus der Familie noch aus dem Freundeskreis ist.
Einsamkeit in der Stadt
Doch auch Familie und Freundeskreis sind nicht selbstverständlich. „Es gibt eine massive Einsamkeit in der Stadt“, sagt Heinemann. „Es gibt Menschen, die kennen weder ein ‚Du‘ noch ein ‚Wir‘“, ergänzt Ulrike Job. In der Ausbildung habe sie gelernt, dass Einsamkeit ein Gefängnis sei, deren Tür nur von innen geöffnet werden könne.
Ehrenamtliche wie Ulrike Job und Mike Schäfer haben während ihrer intensiven Ausbildungszeit unter anderem das Zuhören gelernt. „Wer zuhört, sitzt nicht da, sondern nimmt das Gesagte auf, gibt es zurück, steht dazu bereit, mitzuverstehen und zu fühlen“, skizziert Heinemann die Haltung und Methode der personenzentrierten Gesprächsführung nach Carl Rogers, die hier angewendet wird.
Konkrete Ratschläge gäbe es nicht. Stattdessen ein Menschenbild, das von der Freiheit und der Bedeutung eines jeden ausgehe. Theologisch gesagt: Dass alle Kinder Gottes sind.
Persönliche Begegnungen seit 1970
Als 1970 das Zentrum mit acht Ehrenamtlichen öffnete, war das Internet mit seinen anonymen Austauschmöglichkeiten noch nicht geboren. Die Telefonseelsorge in Deutschland war noch jung. Zeiten wandeln sich, doch Heinemann ist von der direkten Begegnung überzeugt. „Sie ist die menschliche Art, um miteinander in Beziehung zu treten“, sagt er.
„Ich sehe den Menschen, ich spüre ihn, ich nehme ihn mit so vielen Sinnen wahr, ich sehe den Blick, ich sehe die Körperhaltung, höre die Stimme.“ Genauso bekomme der Ratsuchende etwas zurück. Ein aufmunterndes Lächeln, ein Nicken, eine zugewandte Haltung im Gespräch. „Ich kann in einer echten Begegnung sein - das hat - trotz aller Schwere - eine Schönheit“, sagt auch Mike Schäfer.
Eine psychologische Fachberatung bietet das Seelsorgezentrum ebenfalls, zwar honorarpflichtig, aber mit geringen Wartezeiten. Zudem gibt es immer montags den „Klub Q“, ein „Raum für Begegnung und Unterhaltung.“ Möglichkeiten, auf die die Beratenden verweisen können.

Bestärkung im Selbstsein
Das BSZ ist ein kirchliches Angebot - das zeigt nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft zur Hauptkirche St. Petri, zu deren Gemeindearbeit es offiziell gehört. Eine Kirchenmitgliedschaft ist dennoch nicht relevant, auch nicht unter den Beratenden. „Dabei ist das, was sie anbieten, Seelsorge“, sagt Heinemann. „Sie sind für andere Menschen da, hören zu, bestärken sie in ihrem Selbstsein.“
Das sei eine Grundfunktion der Kirche, für die Jahr für Jahr gekämpft wird. Denn das Seelsorgezentrum lebt von Spenden. Allein die Räume stelle die St.-Petri-Gemeinde zur Verfügung, betont Heinemann. „Es ist unsere große Hoffnung, dass gesehen wird, was eine gute Seelsorge durch Ehrenamtliche auch für diese Kirche bewirkt.“