13. Dezember 2015 | Schleswig

„Die Trauer soll nicht das letzte Wort haben“

13. Dezember 2015 von Gothart Magaard

3. Advent, Predigt anlässlich des Gottesdienstes am Gedenktag verstorbener Kinder

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserem Bruder und Herrn Jesus Christus. Amen


Liebe Eltern, Geschwister und Angehörige,
liebe Gemeinde,

es berührt mich sehr, was Sie, liebe Eltern, gerade über Ihre Kinder gesagt haben, auch Ihr Mut, dies hier im Gottesdienst auszusprechen: leuchtend orange Blätter zeugen von Ihrer Freude, die Sie an Ihren Kindern gehabt haben. Für uns alle wird in diesem Gottesdienst sichtbar und spürbar, welch ein Reichtum Ihre Kinder für Ihr Leben bedeutet haben und noch immer bedeuten.

Doch dann kam der Orkan – wie auch gerade in der Inszenierung - und entwurzelte die Bäume. Der umgekippte Baum, darin die Blätter mit den leuchtenden Farben des Lebens und dem Ocker der Klage: Denn Ihr Kind wurde Ihnen genommen und alles wurde damit anders. Das haben Sie deutlich zum Ausdruck gebracht in Ihren Klagen. Die Leere - die Ohnmacht – die Fragen, die Wunde, die kaum vernarbt und spürbar bleibt.

Sie wissen genau, was damit gemeint ist und Sie sprechen Ihre Erfahrungen stellvertretend aus für viele andere heute. In diesem Gottesdienst ist der Raum für alle Empfindungen. Hier können Sie einander verstehen, besser als sonst, weil andere oft nicht verstehen können. Wer eine solche Entwurzelung nicht selbst erlebt hat, bleibt auf Distanz – das gilt in gewisser Weise auch für mich. Und gleichzeitig werde ich heute daran erinnert, dass auch in meiner Herkunftsfamilie die Trauer über den frühen Tod eines Geschwisterkindes, an das ich mich nicht erinnern kann, manchmal mit Händen zu greifen war. Aber manchmal war sie plötzlich da, die übergroße Trauer.

So kommen wir heute zusammen und hören die Klage und die Fragen:  
Warum, Gott?
Wo warst Du?
Warum dieser sinnlose Tod?
Werde ich von Dir jemals eine Antwort auf meine Fragen bekommen?

Wir wissen aber auch, dass die Klage und die Fragen und die Schmerzen nicht das letzte Wort sein sollen. Wir suchen nach Halt miteinander, aneinander und vielleicht auch im Glauben.

Wir haben die Taufsprüche, manchmal auch Konfirmationssprüche der Kinder gehört:

Bewahrung vor dem Bösen; Gedanken des Friedens und nicht des Leidens; Liebe, die niemals aufhört. Fürchte dich nicht, ich helfe dir …

Das leuchtende Gelb zeugt von der Freude einer Tauf- oder Konfirmationsfeier, von allen Hoffnungen, die damit verbunden waren, vor allem aber von der Hoffnung, dass Gott Ihre Kinder behütet und bewahrt.

Und dann wurde Ihnen Ihr Kind genommen. Und es bleibt die Frage: Warum?

Ich kann darin keinen Plan Gottes oder Ähnliches sehen. Welchen Sinn sollte es in den Augen Gottes haben, dass einem Kind im Straßenverkehr die Vorfahrt genommen wird, oder dass Kinder sterbenskrank werden oder urplötzlich sterben oder dass sich ein Jugendlicher das Leben nimmt?

Am Grab meines verstorbenen, etwas älteren Bruders tröstete mich eine hölzerne Darstellung von Jesus, der die Kinder segnet. Und ich hatte als Kind das Empfinden, er sei bei Gott gut aufgehoben. Manchmal schien der Himmel weit weg und manchmal war er mir nahe.

Als ich kürzlich von den „Himmelsbäumen“ hörte, die in diesem Jahr in Wyk auf Föhr gepflanzt wurden, hatte ich den Eindruck, dass sich dort Himmel und Erde nahe kommen. Einige Eltern haben dort im April oder Oktober einen Baum für ihren Sohn, ihre Tochter gepflanzt. Einen Baum, der neue Wurzeln schlägt. Ein Symbol dafür, dass sich Eltern und Geschwister neu verwurzeln müssen – in Verbindung mit dem verstorbenen Sohn, der Tochter, dem Bruder, der Schwester. Tief verwurzelnd in der Erde – und sich dem Himmel entgegen streckend. Klein beginnend und größer werdend.

In der Vorbereitungsgruppe ist uns zu den „Himmelsbäumen“ ein Gleichnis Jesu in den Sinn gekommen. Jesus hat in vielen Gleichnissen vom „Reich Gottes“ gesprochen, im Matthäusevangelium ist an diesen Stellen immer vom „Himmelreich“ die Rede. Zwei verschiedene Worte, die aber das Gleiche meinen. In einem dieser Gleichnisse hat er das Himmelreich mit dem Wachsen eines Senfkorns verglichen:

Jesus erzählte seinen Jüngern ein Gleichnis:

Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; das ist zwar das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber hochgewachsen ist, so ist es größer als alle anderen Gewächse und wird ein Baum, sodass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen. (Mt 13,31f)

Das ist überraschend: Denn Jesus wählt als Vergleichspunkt für das Himmelreich auf Erden nicht die gewaltigen und beeindruckenden Zedern vom Libanon. Er wählt ein winziges Samenkorn aus dem Gemüsegarten, ein Senfkorn.

Der Anfang ist unscheinbar, kaum jemand kann darin etwas vom Himmelreich sehen. Und erst Recht nicht, wenn es eingepflanzt wird. Eine Zeitlang ist noch nicht einmal mehr das Samenkorn sichtbar. Wer es aussät, vertraut darauf, dass es keimt und sich verwurzeln wird. Aber es liegt nicht in unserer Hand, ob dies tatsächlich geschieht. Das „Wachsen und Gedeihen liegt in des Himmels Hand“, so singen wir es Jahr für Jahr an Erntedank. Im Verborgenen wächst etwas Neues heran.

Und dann geschieht das Wunder: Aus dem kleinsten aller Samen wird ein großer Strauch, zwei bis drei Meter hoch. Jesus spricht von einem „Baum“, um die Größe noch einmal besonders herauszustellen. Und dieser Baum wird zum Rastplatz für die Vögel unter dem Himmel.

Erst ein unscheinbar kleines Samenkorn – dann der große Baum zum Nutzen Vieler. So ist es mit dem Himmelreich: es reift im Verborgenen und wächst zu einer großen Pflanze heran.

Wenn auf Föhr kleine Bäume gepflanzt werden, Himmelsbäume, dann ist das auch für mich ein Zeichen der Hoffnung. Die Trauer soll nicht das letzte Wort haben. Sie setzen ein Zeichen für Erinnerung und Zukunft.

Gepflanzt im Gedenken an das Leben und verbunden mit der Hoffnung einer Verbindung von Himmel und Erde durch diesen Baum, der, tief verwurzelt, sich dem Himmel entgegenstreckt. In dem eines Tages Vögel nisten können.

Wir feiern diesen Gottesdienst in der Adventszeit und bereiten uns auf das Weihnachtsfest vor. An diesen Tagen spüren wir durch die schönen gemeinsamen Erinnerungen auch besonders die bleibende Lücke und den Verlust. Manchmal können dann Rituale helfen. Gut überlegte, vielleicht auch schon von anderen erprobte Symbolhandlungen, bei denen nicht viele Worte nötig sind. So etwas brauchen wir besonders, wenn die Festtage anstehen.

Nikolaus Schneider, einer der leitenden Geistlichen unserer Kirche, und seine Frau Anne schreiben davon. Sie haben ihre Tochter Meike mit 22 Jahren verloren. Sie starb an Leukämie. Die Eltern haben ihrer Tochter Briefe geschrieben. Anne Schneider beschreibt darin ein Familienritual an Weihnachten, mit dem sie an Meike denken und sich mit ihr verbunden fühlen:

„Wir suchten und suchen nach Wegen, wie du weiterhin Teil dieser für uns so wichtigen Festzeiten bleibst, ohne dass wir zu sehr in Erinnerungen und Verlustgefühlen versinken! Dabei wurde uns - zu meiner großen Überraschung auch mir! - der Friedhof und dein Grab zu einem wichtigen Ort. Nicht dass ich glaube, du wärest in welcher Form auch immer an diesen Ort gebunden. Aber meine Erinnerungen an dich und meine an dich adressierten Selbstgespräche gewinnen dort eine besondere Dichte. ...

Als wir zum Beispiel in der Dunkelheit des Heiligen Abends mit einem geschmückten Zweig unseres Tannenbaumes … an deinem Grab waren, als wir dort die Kerzen anzündeten, unter Tränen deine Lieblingslieder sangen, da konnte ich es mit all meinen Sinnen akzeptieren: Schmerz und Tränen, Trauer und Traurigkeit gehören zu der Fülle unseres Lebens, stehen nicht im Widerspruch zu einem gesegneten Leben - vor allem dann nicht, wenn wir sie mit uns nahe stehenden Menschen teilen können.“

Gleich werden auch wir Kerzen anzünden für jedes Kind und die Namen in das Buch des Lebens eintragen. Und Trauer und Hoffnung miteinander teilen. Wie gut, dass keiner allein sein muss und dass wir vor Gott das tragen können, was unser Herz bewegt. Wie gut auch, dass der Verein der verwaisten Eltern ein unterstützendes Netzwerk bietet darüber hinaus.

Ich wünsche Ihnen Erfahrungen von Trost, Gemeinschaft und Segen in diesen Advents- und Weihnachtswochen vor uns.
Amen

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