Echte Einblicke in den Pflegealltag
25. August 2025
Drei Tage hat Annika Woydack im Matthias-Claudius-Heim in Hamburg-Wandsbek mitgearbeitet. Sie wollte echte Einblicke in den Berufsalltag und nimmt viele Denkanstöße mit in ihren Alltag.
„Ein bisschen habe ich das Gefühl, sie freuen sich, dass ich da bin. Wobei sie mir alles zeigen müssen“, sagt Annika Woydack.
Verstehen, was Pflege heute bedeutet
Die Hamburger Landespastorin und Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werkes Hamburg hat drei Tage Praktikum im Matthias-Claudius-Heim der Diakoniestiftung Alt-Hamburg in Wandsbek gemacht. „Ich wollte nicht nur zuschauen, sondern mit anpacken und verstehen, was Pflege heute bedeutet - körperlich, emotional und fachlich“, sagt Woydack.
An ihrem ersten Tag habe sie die Frühschicht begleitet. In der morgendlichen Pflege sei sie den Menschen sofort sehr nahe gekommen. „Das fand ich total berührend.“ Die Pflegenden seien dabei so achtsam vorgegangen. Jede Bewegung, jede Handlung werde erklärt: 'Ich mache jetzt die Decke hoch' etwa. „Da habe ich gedacht, so geht würdevoll altern, so ist das gut“, erklärt Woydack.
Am Ende des Tages habe sie darüber nachgedacht, wie es bei ihr im Alter sein wird. „Wie begegnen mir die Menschen? Wie bin ich? Freundlich oder ein Meckerbolzen?“ Diese Fragen hätten bei ihr am Abend sehr nachgehallt.
Am zweiten Tag habe sie mit Bewohnerinnen und Bewohnern auf der Demenzstation Kräuterbutter gemacht. „Es war berührend zu merken, wie Menschen, die eigentlich wenig ansprechbar sind, beim Kräuterschnibbeln sofort dabei waren“, beschreibt die Landespastorin. An die Bewegungen haben sich die Menschen erinnert und seien dann mit allen Sinnen dabei gewesen.
Zeit für Nähe
Am Abend habe sie sich zunächst gewundert, dass es für einige Bewohnende um sieben Uhr bereits ins Bett ging. „Aber mit 80 oder 90, wenn ich den ganzen Tag etwas gemacht habe, bin ich um sieben kaputt. Die wollten ins Bett.“
Andere hingegen hätten noch mit einem Keks vor dem Fernseher gesessen. Eine Frau habe sie dann an der Hand gefasst und sie gestreichelt. „Das war ihr total wichtig. Sie brauchte diesen Körperkontakt. Und dafür war Zeit“, erzählt Woydack, die von dieser Situation sichtlich beeindruckt und berührt war. Diese Momente seien wichtig, und sie habe auch gesehen, dass sich die Kolleginnen und Kollegen im Haus diese Zeit nehmen.

Dass die Menschen in seinem Haus glücklich sind, ist die oberste Priorität für Einrichtungsleiter Oliver Lompa. Das gelte gleichermaßen für die Bewohnenden wie für das Personal. „Wenn ich da bin, ich jedem ein Lächeln irgendwie zaubern kann, dann bin ich glücklich. Dann habe ich schon viel erreicht“, erklärt er. Das sei nicht selbstverständlich, sondern ein hartes Stück Arbeit. „Das ist mein Antrieb.“
Dass die Landespastorin sich Zeit für einen mehrtägigen intensiven Einblick in die Arbeit in der Pflege und sein Haus nimmt, findet Lompa „großartig“. Erlebt habe er das in dieser Form noch nie. „Ich habe jetzt auch nur positive Rückmeldungen bekommen. Die letzten Tage waren für alle bereichernd“, ergänzt er.
Einrichtungsleiter für mehr Bürokratieabbau
Auf die Frage, wo es an politischer Unterstützung für die Pflege fehlt, antwortet Lompa mit der Forderung nach Bürokratieabbau. „Wir werden jährlich geprüft. Da geht es aber nicht darum, wie es den Bewohnern geht, sondern ob die Dokumentation stimmt.“ Die Prüfer seien teilweise jahrelang aus dem Berufsalltag raus.
„Die prüfen ihren Katalog ab, und da finde ich es schon sehr bedenklich, wenn das Wohl der Bewohner von einem Satz in der Dokumentation abhängig ist.“ Die Bewohner würden gar nicht angeschaut oder gefragt. Das geschriebene Wort zähle mehr als der Zustand der Bewohnenden. „Das finde ich sehr traurig.“
"Wer pflegt uns, wenn wir alt sind?"
Annika Woydack geht es bei ihrem Besuch nicht nur um einen persönlichen Einblick. „Pflege ist das sozialpolitische Thema heute und in den nächsten Jahren.“ Es sei wichtig, genau hinzugucken und zu fragen: Wie kann das gut weitergehen? Ziel müsse sein, dass das Thema Pflege in der Gesellschaft in den Köpfen sei. „Und wir müssen es schaffen, dass Pflege ein attraktiver Beruf bleibt. Sonst ist doch die Frage, wer uns pflegt, wenn wir alt sind“, betont die Landespastorin.
Einen Beruf in der Pflege könne sie nach ihren drei Tagen empfehlen. „Das macht total viel Spaß, weil es so sinnerfüllend ist.“ Sie sei mit Bewohnenden spazieren gegangen, habe Domino und Scrabble gespielt. Außerdem habe sie versucht, viel mit den Menschen zu reden. „Ich habe gelernt, wenn man Menschen begleitet, die noch gehen können, sie zu stützen, und dass lieber ich rückwärts vorweggehe und sie nicht unbedingt am Arm nehme. Ich habe gelernt, wie das Anreichen - so heißt es nämlich, nicht füttern - geht.“
Nochmal ganz neu ist Annika Woydack bewusst geworden, wie sehr in der Pflege auf den Willen der Bewohnenden geachtet wird. „Intuitiv wollte ich beim Rollstuhl einer Bewohnerin beim Essen die Bremse hinten festmachen. Die Kollegin sagte sofort 'Nein', damit sie selber bestimmen kann, wann sie sich wieder abschieben möchte.“ In dieser und vielen anderen Situationen sei ihr sehr bewusst geworden, wie wichtig der Umgang mit Nähe und Distanz sei. „Ich finde, das gelingt, aber ich habe auch am eigenen Leib gemerkt, wie nah ich den Menschen komme und wie wichtig das ist.“
Sinnstiftend, ein Job in der Pflege
Einerseits seien die Tage anstrengend gewesen, andererseits auch nicht. „Was ich heilsam fand, war wirklich zwischendrin der Kaffeeplausch in den Pausen.“ Denn es gebe auch Bewohnende, die brüllen oder meckern und viel von den Pflegenden fordern. „Die Kolleginnen sind immer freundlich geblieben und total höflich und haben das würdevoll aufgenommen, damit die Bewohnenden sich wieder entspannen können.“ Das habe Annika Woydack beeindruckt und noch mehr gezeigt, wie sinnstiftend ein Job in der Pflege ist.