25. Juli 2021 | Stralsund

Einweihung Pilgerkapelle St. Jakobi

25. Juli 2021 von Tilman Jeremias

Liebe Gemeinde,

ich freue mich sehr, heute hier sein zu können. Wir weihen eine Pilgerkapelle ein. Und tun damit etwas, was der Gründungsidee dieser mittelalterlichen Kirche unmittelbar entspricht. Denn diese Kirche ist dem Heiligen Jakobus geweiht, dem Schutzpatron der Pilgerinnen und Pilger, meist dargestellt mit dem Wanderstab. Somit ist sie, wie zahlreiche andere Jakobikirchen, seit jeher Anlaufpunkt für Pilgernde gewesen. Natürlich ist auch der Pilgerpastor unserer Nordkirche, Bernd Lohse, der heute leider nicht hier sein kann, da er selbst in Norwegen pilgert, an einer Jakobikirche tätig, nämlich der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi. Und darum ist es gut, dass wir gerade heute diese Kapelle einweihen, am 25. Juli, dem Tag des Apostels Jakobus des Älteren.

Und es ist gut, dass wir es ökumenisch tun. Die Jakobustradition ist weit älter als die Reformationszeit. Santiago de Compostela, wo die Gebeine des Apostels begraben liegen sollen, ist neben Rom und Jerusalem der wichtigste Pilgerort der Christenheit. Nun hat sich Martin Luther strikt gegen das Pilgern gewandt, weil er es verdächtigte, es sei ein frommes Menschenwerk, mit dem die Gläubigen meinten, sich das Himmelreich erarbeiten zu können. Der 25. Juli als Gedenktag an Jakobus den Älteren steht aber auch im evangelischen Festtagskalender.

Wie an so vielen Stellen haben evangelische Christinnen und Christen das Pilgern in den letzten Jahrzehnten neu von den katholischen Geschwistern wiederentdeckt. Gemeinsam machen wir uns auf verschiedene Pilgerwege, nicht, um uns das Heil zu erarbeiten, sondern um in Gottes Schöpfung Kopf und Herz frei zu bekommen, loszulassen, mit den Füßen zu beten. Und gerade dadurch die ur-reformatorische Entdeckung zu machen: Ich bin als Mensch großzügig beschenkt von Gott. In der Einfachheit des Weges wird mir bewusst, wie reich mein Leben ist jenseits materieller Güter. Im Gehen verlangsame ich mich und kann so frei werden von dem Ballast, der mir die Konzentration auf das Wesentliche sonst verstellt.

Auf dem äußeren Weg des Pilgerns ergeben sich beste Gelegenheiten für innere Wege. Einsam in der Stille und getragen von mitgehenden Geschwistern erleben viele Menschen unterwegs die Chance, sich neu auszurichten, bewusster zu leben, sich der liebenden Gegenwart Gottes neu zu öffnen.

Und im Gehen entsteht eine tiefe geistliche Gemeinschaft, die uns klarmacht, dass wir als Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen zusammengehören in dem einen Glauben an den einen Gott. Darum freue ich mich sehr, dass das geplante Stralsunder Pilgerzentrum ein ökumenisches Projekt ist und in Ellen Nemitz und Marion von Brechan zwei hoch engagierte Vorkämpferinnen hat.

Im heutigen Predigttext aus Matthäus 20, den wir gerade als Evangelium gehört haben, begegnet uns also Jakobus der Ältere. Gemeinsam mit seinem Bruder Johannes gehört er mit Petrus zum engsten Kreis der Jünger Jesu. Sichtlich führt diese Sonderstellung im Jüngerkreis die beiden Söhne des Zebedäus zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein und sie schicken ihre Mutter vor mit einem heiklen Anliegen.

Es mag der innerste Wunsch eines frommen Menschen sein: der Fensterplatz im Himmel, verbürgte Gottesnähe, die Ehrenplätze an der himmlischen Festtafel. Und da ist es sicher gut, rechtzeitig an eine Tischbestellung zu denken. Wo doch der Gottessohn unter ihnen ist, der diese Sonderbehandlung für die beiden Zebedäussöhne sicherlich organisieren kann. Hier bei Matthäus ist immerhin noch die Mutter die Bittende, als kleine Entschärfung des ungeheuerlichen Anliegens. Aber wenn wir die ursprüngliche Version aus dem Markusevangelium danebenlegen, wird klar: Die beiden Brüder schicken die Mutter nur vor; bei Markus sind sie es selbst, die ihre Bitte Jesus vortragen.

Diese Bitte entspringt einem typisch menschlichen Lohndenken: Wenn ich hier auf Erden schon die Strapazen auf mich nehme, dem Sohn Gottes zu folgen, alles zu verlassen, ihm zu dienen, dann gebührt mir doch eine jenseitige Belohnung für solches Wohlverhalten. Nun sind die beiden Ehrenplätze im Reich Gottes gewiss honorigerer Lohn als materielle Güter. Das Denken dahinter ist das gleiche. Verträge basieren seit dem alten Rom auf der lateinischen Kurzformel: „Do, ut des“; „Ich gebe, damit du gibst“. Hier also: Ich verhalte mich als Jünger nach deinem Willen, dann behandle mich entsprechend bevorzugt in der Ewigkeit.

Jesu Antwort überrascht. Hätte er doch empört reagieren können und Jakobus und Johannes erklären können, dass ewiges Leben nicht wie ein römischer Vertrag abläuft, sondern dass unser Heil ausschließlich Gottes gnädiges Geschenk ist. Stattdessen fragt Jesus zurück, ob denn die Brüder wie er den Kelch des Martyriums trinken können, also ihr Leben hingeben für ihren Glauben. Das bestätigen beide, wenn wir in der Bibel in Apg 12 auch nur vom Märtyrertod des Jakobus erfahren. Fast scheint es, als könnten die beiden also die Bedingung, die Jesus für die gewünschten Ehrenplätze im Reich Gottes aufstellt, tatsächlich erfüllen. Und es gehört zum alten Überlieferungsschatz der Kirche, dass Märtyrerinnen und Märtyrer in vorzüglicher Weise ihren Glauben bezeugt haben, konsequent bis in den Tod.

Doch hier folgt die nächste Überraschung: Jesus gesteht den beiden zu, seinen Leidenskelch teilen zu können, sieht sich aber für die Vergabe von Sonderrechten im Himmel als nicht zuständig: die verteilt allein der himmlische Vater.

Und so bleibt es an den Jüngerkollegen im Anschluss an unsere Verse, sich über Jakobus und Johannes aufzuregen. Sie beschweren sich sehr nachvollziehbar darüber, wie die beiden sich herausheben möchten aus dem Jüngerkreis Jesu. Und hier bestätigt Jesus jetzt, dass derjenige im Reich Gottes groß ist, der sich ganz hinten anstellt. Anders als die Mächtigen dieser Welt zeichnen Menschen, die Jesus folgen wollen, sich dadurch aus, dass sie anderen dienen.

Diese Verse beleuchten solide, warum Jakobus und Johannes auch die Donnersöhne genannt werden: Sie sind selbstbewusst auch in Belangen ihres ewigen Heils.

Doch diese Überheblichkeit in Glaubensdingen wird ihnen hier von Jesus beschnitten. Ihr Wunsch bleibt unerfüllt. Glaube ist sichtlich keine Rundum- Lebensversicherung. So hilfreich es im Leben ist, sich fest im Glauben zu verwurzeln, an der eigenen Glaubensgewissheit festzuhalten, so sehr gehört der Zweifel zum Glauben dazu. Paulus kritisiert manche in Korinth stark für deren Einstellung, sie seien schon auferstanden und ihnen könne nichts mehr geschehen. Nein! Leben im Glauben ist ein Tag für Tag neu durchzubuchstabierendes Wagnis, das immer wieder Wege zum Gottvertrauen sucht. Fest stehen die Zusagen Gottes. Aber wackelig sind menschliches Glauben, Lieben und Hoffen.

Und genau hier liegt die Verheißung gemeinsamen Pilgerns. Wir teilen ein Stück Wegs nicht als Menschen, die schon fertig sind, denen die Ehrenplätze im Reich Gottes nicht mehr zu nehmen sind. Sondern uns wird gerade im Gehen bewusst, dass wir auf einander und auf Gott angewiesen sind. Solche Erkenntnis kann durchaus auch im Schweigen beim Pilgern allein reifen. In besonderer Weise aber können wir von anderen beschenkt werden, wenn wir in einer Pilgergruppe für eine gewisse Zeit fast alles teilen, Sonne und Regen, Erschöpfung und eingelaufene Blasen, das schlichte Nachtlager und einfaches Essen. Vor allem aber: das regelmäßige gemeinsame Beten und Singen, die Konzentration auf die Heilige Schrift, die Feier der Eucharistie.   

Es ist kein Zufall, dass das Pilgern gegenwärtig so viele Menschen anzieht, fromme und zweifelnde, junge und alte, erprobte und Neueinsteiger. Denn so viele sehnen sich nach Entschleunigung, nach Bewusstwerdung, nach Flucht aus all den Ablenkungen und Zerstreuungen des Alltags.

Ein Pilgerweg führt mit der Selbstverständlichkeit eigener Schritte in die Mitte, zum Wesentlichen. Der Panzer um die eigene Seele bricht auf, ich werde empfänglich für die Schönheit der Schöpfung Gottes und die Not der Mitpilgerin. Unterwegs kann ich mich öffnen für die liebende Gegenwart Gottes, der ein mitgehender Gott ist, seit er sein Volk Israel 40 Jahre durch die Wüste geführt hat.

Wüstenerfahrungen bleiben uns beim Pilgern nicht erspart. Aber wir gehen unter der Verheißung des alten Israel, dass Gott unterwegs da ist, wie eine Wolkensäule des Tags und eine Feuersäule in der Nacht.

Der Pilgerkapelle hier in St. Jacobi wünsche ich, dass sie ein Ort des Gebetes bleibt, aber auch ein Ort wird, wo Pilgernde von nah und fern einander begegnen, Weggefährtinnen auf Zeit. Ein Ort, den müden Füßen Ruhe zu gönnen und der Seele, sich zu weiten für Gottes Wort und Sakrament.

Schön, wenn wir als ökumenische Geschwister beieinander bleiben und miteinander im Glauben wachsen, hier in Stralsund und auf unseren Pilgerwegen. Wir sind nicht die Ersten, die losgehen auf den Wegen des Heiligen Jakobus oder der Heiligen Birgitta. Und wir gehen unter dem Zuspruch des mitziehenden Gottes. Er lasse seinen guten Geist ruhen an diesem Ort und geleite uns unterwegs!                             

Amen.

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